Fragen von Tom Liehr an die Eulen

  • Genauso könnte man ja fragen, ob Außenstehende tatsächlich immer wissen oder verstehen müssen, warum ein Paar sich dafür entscheidet, eine Beziehung einzugehen oder fortzusetzen. Müssen Außenstehende da tatsächlich urteilen oder könnten sie diese Entscheidung nicht ebenfalls stehen lassen?

    Absolut richtig, was ich oben schrieb, gilt für mich nat. auch im umgekehrten Fall.

  • Sonst würden sie ihn nicht gehen. Ist das als Vorwurf gemeint? :gruebel

    Erstens - nein, Blödsinn, das ist kein Vorwurf. Wie käme ich auch dazu, dir deine Figuren vorzuwerfen? :gruebel


    Ich muss auch nicht immer jede Figur, ihr Verhalten oder ihre Entscheidungen sympathisch finden, um ein Buch zu mögen - und dein Buch hat mir durchaus gefallen.


    Aber ich möchte doch widersprechen - man kann durchaus auch einen Weg gehen, ohne der Meinung zu sein, dass er der einzig richtige ist. Manchmal gibt es mehrere Optionen, von denen keine falsch sein muss.

  • Aber ich möchte doch widersprechen - man kann durchaus auch einen Weg gehen, ohne der Meinung zu sein, dass er der einzig richtige ist.

    Aha.


    Aber wenn ich einen Weg sehe, den ich für richtig halte, ist es in Ordnung, ihn zu gehen, obwohl (viele) andere diesen Weg nicht für richtig halten? ;)

  • Ich wage einen Einwurf von der Seitenlinie, obwohl ich das Buch bisher nur zur Hälfte gelesen und dann zur Lektüre an meine Frau weitergereicht habe. Diese hat es soeben beendet und wie folgt resümiert: "Da trennen sich zwei, weil sie Angst davor haben, ihre Liebe zueinander zu verlieren."

    Fand ich bemerkenswert, diese Aussage. Lasse sie aber unkommentiert, denn ich habe das Buch ja ... s. o.

  • Ich zeige nur ein Paar, das diesen Weg nicht wählt, das nicht um eine - auch noch einzigartig harmonische - Beziehung "kämpft" (ich halte diesen Begriff für bizarr in diesem Zusammenhang, denn es gibt ja überhaupt keinen Gegner, gegen den man kämpfen könnte),

    :gruebel Der Gegner heißt wohl in diesem Fall "Langeweile" - und da ließe sich so manches dagegen machen, wenn sie gewollt hätten.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Diana Wynne Jones: Howl's Moving Castle

  • Der Gegner heißt wohl in diesem Fall "Langeweile"

    Nein, heißt er nicht.

    Viele Menschen glauben, dass dies ihr Gegner wäre, wenn sie feststellen, dass die Gefühle füreinander nachlassen, aber das stimmt (vermutlich meistens) nicht. Und bei Marie und Clemens ganz sicher nicht. Und Langeweile ist nicht das Gegenteil von Liebe.

  • Ich möchte mal eine Analogie bemühen, aber ich weiß nicht, ob sie gelingen wird. Ich stelle mir die Liebe zwischen zwei Personen als ein Seil vor, das die beiden verbindet. Dieses Seil muss die forttreibenden Kräfte aushalten, also alles vom Freiheitsdrang über Fremdbegehren und Interessenkonflikte und Dissenzen aller Art und allgemein Schmerzhaftes meinetwegen bis hin zur Langeweile. Wenn diese forttreibenden Kräfte nicht sehr stark sind, hält das Seil auch dann noch, wenn es schon fast komplett erodiert ist, aber es mag auch Konstellationen geben, in denen dieses Seil, egal, wie stark es ist, schon dann überlastet wäre, wenn nur noch neunzig Prozent seiner Widerstandskraft gegeben wären. Es reißt also, wenn dieser eine, letzte Faden reißt, mit dem die neunzig Prozent erreicht werden. Das Seil ist eigentlich noch ganz, und es würde in den meisten Situationen weiterhin völlig ausreichen, aber diese Kräfte kann es nicht mehr aushalten. Es reißt (oder droht zu reißen), obwohl die meisten sagen würden: Dieses Seil ist eigentlich noch total gut.


    Wie jede Analogie humpelt auch diese mächtig. Und, ja, sie ist weder allgemeingültig, noch erzählt "Freitags bei Paolo" eine Geschichte, die allgemeingültig ist. Ich finde es großartig, dass und wie intensiv man darüber diskutieren kann, ob man sich diese Situation und ihre Folgen für sich selbst vorstellen kann, ob man versteht und nachvollziehen kann, was diese beiden da tun, aber der Anspruch der Geschichte ist nicht, eine Vorlage für jedes Leben zu liefern, oder jeden Menschen oder jede Konstellation abzubilden (oder zu hinterfragen). Wer sagt, dass er sich nicht getrennt hätte an Maries und Clemens' Stelle, der hat meinen Respekt und mein Verständnis, aber eigentlich geht es um diese Frage überhaupt nicht (kann es auch nicht, denn niemand ist an ihrer Stelle, und übrigens gibt es die beiden auch gar nicht). Sondern erstens um das allgemeine Hinterfragen dieser Situation und zweitens um das noch viel spannendere Was-wäre-wenn.

  • Wenn Liebe so gewöhnlich wie alltäglich geworden ist, dann ist es Langeweile. Wenn der Höhepunkt des Tages das gemeinsame Anschauen der Lindenstraße ist, damit man weiß, welche Alltagsprobleme man noch nicht hatte, das ist Langeweile. Meistens interessieren die Partner sich dann für die uninteressantesten Menschen im Kollegenkreis, bei den Nachbarn oder im Verein. Die bekommen plötzlich eine erotische Ausstrahlung, die man vorher nicht gesehen hat. Dabei ist das auch nur Einbildung, Menschen sind nun mal wie ÜEier, man weiß erst, was drinnne steckt, wenn man sie vernascht hat.

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Erst mit dem letzten Menschen stirbt auch die Hoffnung, es sei denn, die Natur hofft, dass der Mensch nie wieder kommt.":chen

  • Ich wage einen Einwurf von der Seitenlinie, obwohl ich das Buch bisher nur zur Hälfte gelesen und dann zur Lektüre an meine Frau weitergereicht habe. Diese hat es soeben beendet und wie folgt resümiert: "Da trennen sich zwei, weil sie Angst davor haben, ihre Liebe zueinander zu verlieren."

    Fand ich bemerkenswert, diese Aussage. Lasse sie aber unkommentiert, denn ich habe das Buch ja ... s. o.

    Könnte man dann auch sagen, ich setze mich in kein Flugzeug, weil ich Angst davor habe, abzustürzen? :/

  • Wenn Liebe so gewöhnlich wie alltäglich geworden ist, dann ist es Langeweile.

    So ein Quatsch. Liebe ist nicht mehr Liebe, wenn man sie mit "gewöhnlich" oder "alltäglich" beschreiben kann. In dem Moment, in dem das passiert, ist die Liebe längst davon, etwas anderem gewichen. Sicherheit, Zuneigung, Freundschaft, Gewöhnung, was weiß ich. Liebe und "gewöhnlich" oder "alltäglich" oder "langweilig" passen nicht in einen Satz. Das mag wie Korinthenkackerei klingen, aber wer das dennoch versucht, der spricht nicht von, der spricht nicht über Liebe. Sondern über irgendwas.

  • Nach drei Scheidungen und einer Trennung, die wie eine Scheidung war, sehe ich einige Dinge anders. Aber es geht ja nicht um mich. Sondern um ein Paar, das in Toms Kopf gelebt hat. Also halt ich mich raus, denn da will ich nicht reingucken.;)

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Erst mit dem letzten Menschen stirbt auch die Hoffnung, es sei denn, die Natur hofft, dass der Mensch nie wieder kommt.":chen

  • Zitat

    Sie verlassen das Flugzeug, in dem sie sehr lange gesessen haben, weil sie sich sicher sind, dass es abstürzen wird.

    Im Flug geht das nicht, Fallschirme gibt es nicht in Passagierflugzeugen.

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Erst mit dem letzten Menschen stirbt auch die Hoffnung, es sei denn, die Natur hofft, dass der Mensch nie wieder kommt.":chen

  • Ich möchte mal eine Analogie bemühen, aber ich weiß nicht, ob sie gelingen wird. Ich stelle mir die Liebe zwischen zwei Personen als ein Seil vor, das die beiden verbindet.

    Das ist tatsächlich eine sehr merkwürdige Analogie, Liebe als eine Art Fessel zu sehen... :)

    Aber ich will erst gar nicht versuchen eine passendere Analogie zu finden, Liebe schillert in vielen unterschiedlichen Facetten.

    Clemens und Marie sind (zumindest in meinen Augen und mir scheint, auch von Dir genau so intendiert), das perfekte Paar. Das sieht jeder, der sie sieht, das fühlt jeder, der sich in ihrer Gesellschaft aufhält und das Empfinden sie auch selbst so, zumindest die ersten 20 Jahre.

    Die Frage, die Du in den Raum stellst: Wie geht man damit um, wenn nach 20 Jahren die Liebe (eigentlich ist die Rede eher von der Leidenschaft, die hier mit Liebe gleichgesetzt wird) nachlässt.

    Ich kann sie gut nachvollziehen, diese Trennung. Ich kann sie nachvollziehen, weil diese perfekte Liebe plötzlich einfach aus dem Nichts fiel. Weil alles so einfach war und damit so wiederholbar scheint. Weil Marie jung war, als diese Beziehung begann. Weil für diese beiden noch so vieles möglich scheint.

    Ich halte sie gleichzeitig für einen tragischen Fehler. Und finde es spannend einen Roman zu lesen, in dem die Tragik darin besteht, dass eine vollkommen harmonische Beziehung in Harmonie beendet wird.

    Marie vergleicht ihre Entscheidung mit der von Leonard und Luise, dabei lässt sie diese Trennung nicht mit deren vergleichen. Das alte Paar ist vermeintlich Jahre weiter auf dem gleichen Pfad, aber dieser Pfad ist lediglich eine Angst von Marie und Clemens und Angst ist, wie man bei Teddy gut sehen kann, kein guter Ratgeber.
    Eigentlich ist es ja umgekehrt: Leonard und Luise sind wegen Marie und Clemens zusammengeblieben und hätten sich offensichtlich besser schon früher getrennt.

    Es sind 20 Jahre vergangen und vieles, was Marie und Clemens gemeinsam erlebt haben, ist nicht mehr wiederholbar. Sie sind nicht mehr die, die sie vor 20 Jahren waren. Und sie werden nicht mehr mit einem anderen Partner erneut eine Familie gründen, Kinder großziehen. Diese Gelegenheit kann sich nicht wiederholen. Die vielen Erlebnisse, die das mit sich gebracht hat, sind ebenfalls nicht wiederholbar. Eine so große Gemeinsamkeit wie sie miteinander erlebt haben, werden sie mit keinem anderen Partner mehr erleben. Das ist Realität. Aber eine, die sie selbst nicht erkennen.

    Diese gemeinsame Zeit, die gemeinsamen Erinnerungen scheinen mir ein Wert zu sein, den Marie und Clemens viel zu gering einschätzen. Sie versäumen es, sich neu aufeinander einzulassen, das Freitagsritual zu beenden, sich wieder mehr Freiraum zu geben.
    Sie verpassen es damit auch gemeinsam ein Anlaufpunkt für ihre Kinder zu sein, gemeinsam Enkel zu erleben. (Was zugegeben, in ähnlicher Form auch mit einem anderen Partner möglich wäre).

    Glück scheinen mir Menschen meistens zu finden, wenn sie ihre eigenen Ideen/Ziele verwirklichen können und dabei gleichzeitig ein emotionales Zuhause haben. Das zweite geben die beiden hier zumindest erst mal auf.
    Es sind 2 Ängste, die dabei gegeneinander stehen:
    Bei diesen beiden ist es die Angst vor dem Verschwinden der Liebe, die zur Trennung führt.
    Bei Teddy ist es die Angst vor der Einsamkeit, die ihn an Diana bindet.

    Und da ist es am Deutlichsten, dass es sich bei Leonard und Luise anders verhält: Sie trennen sich nicht aus Angst, sondern weil es für beide besser ist. Und sollte sich bewahrheiten, dass sie sich im Alter vermissen, können sie ja immer noch wieder zusammenwohnen, wie Luise meint.