In den frühen Neunzigern bin ich zwei-, dreimal pro Woche ins Kino gegangen, ganz egal, was lief, und ich machte auch keinen großen Unterschied zwischen großen Premieren- und kleinen Programmkinos. Ich habe mir jeden Quatsch und viele tolle Filme angeschaut (von denen einige nicht gut gealtert sind), aber an diesen einen, sehr sommerlichen Sonntagnachmittag im Kino 1 des Berliner "Zoopalasts", des damals größten Saals in der Stadt, in dem vor jeder Vorstellung eine Lasershow präsentiert wurde, kann ich mich noch gut erinnern. Draußen war es recht warm und im Kino herrlich kühl, und ich gehörte zu den wenigen Männern im gut gefüllten Saal. Gezeigt wurde "Legends of the Fall", deutscher Titel "Legenden der Leidenschaft", ein prächtig bebilderter, aber auf emotionaler Ebene oft nur schwer auszuhaltender Heimat-Schmachtfetzen, der zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt, mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Als er zum ersten Mal ins Bild kam, daran erinnere ich mich noch genau, war ein kollektives Seufzen vom zu 97 Prozent weiblichen Publikum zu hören. Pitt war damals 30 und auf dem Weg zum Teenageridol, was ihm selbst nicht besonders gefiel, und das Image konnte er mit dem nächsten Film - "Sieben" - erfolgreich sabotieren.
Um es vorweg zu sagen: Gestern Abend hat niemand geseufzt, als Pitt zum ersten Mal ins Bild kam. Aber für seine 62 Lenze (während der Dreharbeiten war er 60) hat er sich exzellent gehalten, sehr wahrscheinlich feingetunt durch ein paar gut gemachte schönheitschirurgische Maßnahmen, die man ihm in nur wenigen Kameraeinstellungen ansieht.
Mein autorennbegeisterter Sohn war am Samstag in "F1" und vergab 10 von 10 Punkten, und gestern herrschten auch in Berlin fast 38 Grad Celsius, also kam es uns nicht wie die schlechteste Idee vor, am Abend satte zweieinhalb entspannte Stunden in einem äußerst bequemen, perfekt klimatisierten Kino am Berliner Ku'Damm zu verbringen. Auf die gleiche Idee waren ungefähr zwanzig, fünfundzwanzig andere Leute gekommen, meistens Männer.
Auf dramaturgischer Ebene wird man bei diesem Film vor keine großen Herausforderungen gestellt. Tatsächlich ist die Handlung überschaubar komplex, um es vorsichtig zu sagen, und zumindest mir ist kein besonders überraschender Twist aufgefallen. Ganz im Gegenteil wird das sehr lineare Geschehen, das man auf einem Bierdeckel zusammenfassen könnte, wobei noch Platz für die Rechnung und zwei Runden Galgenspiel blieben, in aller Konsequenz und schnörkellos vorangetrieben. Ein Formel-1-Rennstall steht vor dem Aus, weil die Autos nicht funktionieren, das Geld auszugehen droht und der einzige verbliebene Fahrer ein Rookie ist, der zwar Talent hat, es aber noch nicht kontrollieren kann (Joshua Pearce, gespielt von Damson Idris). Der Rennstall-Boss hat schon alles versucht. Der vor dreißig Jahren mit einem schweren Unfall aus der Formel 1 ausgeschiedene Sonny Hayes (Pitt) ist seine letzte Chance, und der ziert sich zwar erst, sagt dann aber zu. Und dann folgt eine testosteron- und adrenalingeschwängerte, extrem rasant inszenierte (Regie: Jospeph Kosinski) Bilderflut, die wahrlich ihresgleichen sucht. Man muss kein Fan des Autorennsports sein, um von den irrwitzigen Szenen, die zum Großteil während echter Rennen gedreht wurden, fasziniert und begeistert zu sein, unterfüttert von einem mal pochenden, mal melodischen und niemals leisen Soundtrack, und vorangetrieben mit einer Wucht, die den Zirkus perfekt in Szene setzt. Ein befreundeter Autor, der einen Krimi über Sportwettbetrug geschrieben hat, sagte mal, dass die Formel 1 die wirklich einzige Sportart wäre, wo es keinen Wettbetrug gibt, weil alle so viel Geld verdienen, dass niemand dazu in der Lage wäre, ein verlockendes Angebot zu machen. Genau das kommt in diesem schillernden Film perfekt rüber. Natürlich sind Verbrennerrennen im Jahr 2025 nicht mehr nur ein bisschen anachronistisch, und das ganze Machismo-Getue sowieso, weshalb einem dieser Film auch wie eine Hommage an ein vergehendes Zeitalter vorkommt, aber auf der Unterhaltungsebene funktioniert dieses Fünf-Sterne-Popcornkino unabhängig hiervon ganz exzellent, woran die höchstens mittelhalbklugen Dialoge und die zwanzig, dreißig Minuten Überlänge nicht wirklich etwas ändern. Ich bin gespannt, wie das in zwei, drei Monaten, wenn es beim produzierenden Apple TV ins Streaming geht, im Pantoffelkino noch wirkt, aber ich fürchte, dass dieser Film wirklich nur im großen, lauten, gut klimatisierten Kino seine volle Wirkung entfalten kann. Übrigens auch für Leute, die mit Autorennen wenig anzufangen wissen.
P.S.: In unserer Reihe saßen zwei Frauen in den frühen Fünfzigern und feierten bei Aperol und Prosecco einen entspannten Mädelsabend, und eine von den beiden hat doch leise geseufzt, als Pitt zum ersten Mal mit nacktem Oberkörper zu sehen war.