'Lebensbande' - Seiten 001 - 070

  • Sich im Kontext der jeweiligen Zeit sich einzuordnen ist definitiv nicht leicht. Emanzipierte Frauen als Vorbilder gab es vielleicht, aber offensichtlich nicht wirklich für Lene. Aus heutiger Sicht will man Lene gerne schütteln, aber für sie war das Patriarchat ganz normales Leben. Franz ist für mich ein widerlicher Schmierfink, aber immerhin kümmert er sich um die Kinder, wenn auch sehr widerwillig. Ich glaube Franz streitet es rundheraus ab, dass Leo von ihm ist, sondern ist felsenfest überzeugt, dass er für die beiden gesunden Kinder der Vater ist und Leo halt nicht.


    Joop scheint gefühlt seiner Zeit voraus zu sein und hat noch gesunde Ansichten, die ihm aber zum Verhängnis werden und ihn ins Gefängnis bringen. Mich wundert, dass Joop nicht dringlicher warnt, aber vielleicht schwappten die Informationen langsamer in die Niederlande.

    :lesend: Wer die Nachtigall stört… (Harper Lee) 160 / 459 Seiten

    :lesend: Das Kind in dir muss Heimat finden (Stefanie Stahl) 76 / 248 Seiten

  • Ich denke, dass es mit Joop nichts wurde, liegt auch an den Umständen. Wie bereits erwähnt, die Niederlande sind „weit weg“ und außer Briefen gibt es kaum Möglichkeiten zur Kommunikation.


    Und man darf auch nicht vergessen, dass die beiden noch jung waren und jegliche Lebenserfahrung fehlte. Dass die Eltern ihn kategorisch ablehnten, machte das Ganze auch nicht besser.


    Was Franz angeht: immerhin hat er für Lene und die Kinder gesorgt und gut vorgesorgt. Ohne ihn verteidigen zu wollen, war er für mich kein „typischer" Frauenschläger. Sicher hatte er ebenso wie Lene auch andere Vorstellungen von seinem Leben. Ich denke mir hier, die Prügel waren auch ein Ausdruck seines eigenen Unglücks und seiner Hilflosigkeit. Das soll allerdings keine Verteidigung sein, Gewalt in der Ehe ist immer aufs Schärfste verurteilenswert.


    Studio54

    Ich fand den Buchanfang auch schon so stark. Und das hat sich bis zur letzten Seite durchgezogen. Kein Wunder, dass ich so fix mit dem Buch durch war!

    Lieben Gruß,


    Batcat batsmile.gif


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Die ersten Kapitel haben mir auch gut gefallen. Beide Stränge bieten genug Potenzial für Diskussionen. Den Klappentext vermeide ich immer zu lesen, da sind mir zu viele Spoiler enthalten.


    Auch mit Joop wäre es für Lene nicht sehr positiv gewesen. Die KPDler kamen damals als erste ins KZ. Der Franz bietet mit seinen Kneipengängen und Prügeleien Ansätze, demnächst eine braune Uniform zu tragen. Was für eine furchtbare Zeit in Deutschland.

  • Und man darf auch nicht vergessen,dass die beiden noch jung waren und jegliche Lebenserfahrung fehlte. Dass die Eltern ihn kategorisch ablehnten, machte das Ganze auch nicht besser.

    Jung waren die beiden wirklich. Und gerade für die Mädchen war es fast selbstverständlich, sich den Eltern und besonders dem Vater unterzuordnen.

    Der Mann im Hause hatte das Sagen. Ob Vater oder Ehemann.

    Da war Lenes passiver Widerstand schon das äußerste.

  • Auch mit Joop wäre es für Lene nicht sehr positiv gewesen. Die KPDler kamen damals als erste ins KZ.

    KPD? Nicht wirklich. Holländischer Widerstand. Die waren letztlich schlimmer dran als die Roten.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen űbersit :lesend :lesend America against America Wang Huning

  • Auch ich bin sehr gut in die Geschichte reingekommen und die ersten Zeilen des Prologs habe ich gleich zwei Mal gelesen - weil sie so schön sind. :-]


    Ich bin von diesem Anfang nach wie vor echt geflasht. Bester Anfang eines Buches einfach schon deshalb, weil das Zitat so unglaublich stark und wahr ist.

    Das kann ich genau so :write.


    Einmal angefangen, verfliegen die Seiten wie nichts.

    So ergeht es mir hier auch und ich war so drin in der Geschichte, dass ich direkt über den ersten Abschnitt hinaus gelesen habe. Es war einfach nicht der richtige Moment, um das Buch beiseite zu legen. :schuechtern


    Ich fand es gleich interessant, dass die erste Erzählerin keinen Namen hat. "Sie"

    Das schafft eine gewisse Distanz zu ihr.

    Und ich finde es spannend, dass du das als "Distanz" empfindest. Ich hatte eher das Gefühl, dass die Erzählerin uns ganz nah an sich ran lässt und uns an ihren inneren Gedanken und auch ihrer inneren Zerrissenheit teilhaben lässt. Und gerade das gefällt mir sehr gut. Da sie (noch) namenlos ist, stelle ich sie mir stellvertretend für so viele Frauen ihrer Zeit vor.


    Zudem mag ich es sehr, wie die Autorin die Geschichten der beiden Frauen miteinander verflochten hat. Ich könnte mir vorstellen, dass Lene der "Erzählerin" durch Leo begegnen wird.


    A propos Leo: Es ist für uns heute unvorstellbar wie man damals mit Kindern wie Leo umgegangen ist. Das Wort "Schwachsinn" bereitete mir beim Lesen richtiggehend einen körperlichen Schmerz. Ich wäre diesem sogenannten Arzt am liebsten ins Gesicht gesprungen. Ich darf nicht dran denken, was dem Jungen noch alles blühen könnte....


    Lene kam zu Beginn recht naiv rüber - aber welches Mädchen hat nicht von der großen Liebe geträumt. Joop hätte es sein können. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit Lene. Wenigstens ließ Franz sie nicht im Stich.

    Was Franz angeht: immerhin hat er für Lene und die Kinder gesorgt und gut vorgesorgt. Ohne ihn verteidigen zu wollen, war er für mich kein „typischer" Frauenschläger. Sicher hatte er ebenso wie Lene auch andere Vorstellungen von seinem Leben. Ich denke mir hier, die Prügel waren auch ein Ausdruck seines eigenen Unglücks und seiner Hilflosigkeit. Das soll allerdings keine Verteidigung sein, Gewalt in der Ehe ist immer aufs Schärfste verurteilenswert.

    Die Sache mit Franz sehe ich auch so. Es ist natürlich keine Entschuldigung, dass er Lene geschlagen hat und die Szene habe ich auch so empfunden, dass er nicht wusste, wohin mit seiner Hilflosigkeit. Dennoch hätte er das nie und nimmer tun dürfen. Und was ich verurteile ist seine Art, mit Leo umzugehen. Auch wenn man damals noch weniger über solche Beeinträchtigungen wusste als heute, bringe ich es nicht fertig, es ihm zu verzeihen.


    Das Buch gefällt mir wirklich sehr gut und einerseits freue ich mich auf das Weiterlesen. Gleichzeitig habe ich ein bisschen Angst davor, da die Zeit, die sich anbahnt, nichts Gutes verheißt. Natürlich ist gerade auch das das Tolle an dem Buch, dass es solche Empfindungen beim Lesen auslöst. :anbet

  • Ich fand den Buchanfang auch schon so stark. Und das hat sich bis zur letzten Seite durchgezogen. Kein Wunder, dass ich so fix mit dem Buch durch war!

    Ich bin ja auch schon durch, ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, es wurde immer stärker und spannender, finde ich.


    Mechtild Borrmann hat einen ganz besonderen Schreibstil ... eher ein wenig herb und sachlich, aber genau das schätze ich so an ihr. Ich finde, das hebt sie aus der Masse ab!

  • Ich glaube, wenn ich könnte, ich möchte - also nicht arbeiten müsste - würde ich auch da sitzen und das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich kann euch da also sehr gut nachfühlen.

  • Ich glaube, wenn ich könnte, ich möchte - also nicht arbeiten müsste - würde ich auch da sitzen und das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich kann euch da also sehr gut nachfühlen.

    Ich konnte letzte Nacht leider nicht gut schlafen, da kam mir das Buch gerade recht ... tagsüber habe ich arbeitsbedingt leider auch eher wenig Lesezeit ;)

  • Ich konnte letzte Nacht leider nicht gut schlafen, da kam mir das Buch gerade recht ... tagsüber habe ich arbeitsbedingt leider auch eher wenig Lesezeit ;)

    Ich lese auch sehr gerne, wenn ich nicht schlafen kann. :) Da ich jedoch zurzeit neben dem Job noch meine Mutter pflege, bin ich so k.o., dass ich im Stehen schlafen würde. Ich bin dann jeweils froh, wenn ich es schaffe, ein paar Seiten zu lesen. Allerdings bei so einem tollen Buch gelingt das um einiges leichter. :-]


    Ich drücke die Daumen, dass du heute Nacht besser schlafen kannst. :daumendrueck

  • Studio54

    Über die Sumpfkuh musste ich schon sehr grinsen. Aber wo Du recht hast...


    engi

    Zum Glück erzählt ihr die Mutter ein paar Takte zu ihrem Verhalten.


    Ich hatte ja erst mit Gruseln befürchtet, dass es sich bei der „Sumpfkuh“ Eleonora Leberecht um die Nora aus dem Klappentext handelt. :yikes


    engi und Ayasha

    Ihr lest, wenn ihr nicht schlafen könnt? Beneidenswert! Hab ich auch mal versucht, wie so vieles. Aber leider ist bei mir: wenn wach, dann wach. Und so Sachen wie lesen, rätseln, Musik/Hörbuch hören halten mich dann auch zuverlässig wach...

    Lieben Gruß,


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    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich finde, sie erzählt nüchtern, aber nicht emotionslos. Nicht "oh Gott, ist das nicht schrecklich" sondern eher "jo, so war das nun mal damals". Da wir ja alle über diese Zeit Bescheid wissen, aktiviert das bei mir das Kopfkino und ich habe zu den sachlichen Schilderungen die entsprechenden Bilder im Kopf. Oder anders gesagt: der Schreibstil "macht was mit dem Leser". :gruebel

    Lieben Gruß,


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    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Es gibt Bücher, bei denen pennst Du auch tagsüber ungewollt ein. :grin

    :lache:lache:lache


    Meistens bewirken so abgrundtief fade oder grottige Bücher bei mir eher Aggression im Sinne "was ist denn das für eine grützeschlechte Scheixxe" als Schläfrigkeit.

    Lieben Gruß,


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    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Frauenschläger

    Den Franz habt ihr erwähnt, aber dass auch der Vater Lene geschlagen hatte, hattet ihr bislang noch nicht kommentiert. Beides ist genauso furchtbar, gehörte aber wohl in die Zeit. In der Schule gab es ja ebenfalls noch die Prügelstrafe. Dies alles könnte auch zur Folge haben, dass sich die Verprügelten bzw. die Opfer darüber auch weniger Gedanken machten als wir es heutzutage tun. Vielleicht fühlten sich die Schläger durch diese Alltäglichkeit auch auf irgendeine Weise legitimiert.

  • Studio54

    Über die Sumpfkuh musste ich schon sehr grinsen. Aber wo Du recht hast...


    engi und Ayasha

    Ihr lest, wenn ihr nicht schlafen könnt? Beneidenswert! Hab ich auch mal versucht, wie so vieles. Aber leider ist bei mir: wenn wach, dann wach. Und so Sachen wie lesen, rätseln, Musik/Hörbuch hören halten mich dann auch zuverlässig wach...

    Ja, die "Sumpfkuh" ist eine sehr treffende Bezeichnung. :chen


    Wenn ich wach im Bett liege, dann fange ich das Grübeln an. Daher lese ich, um mich abzulenken und das Gedankenkarrussell zu stoppen, sprich um mich dann eben mit anderen Gedanken als den Alltagssorgen zu beschäftigen. So werde ich auch eher wieder schläfrig, als wenn ich Probleme wälze. :)