Fragen an Selim Özdogan

  • Das Wort Zielgruppe suggeriert für mich immer, daß man weiß, was der Konsument möchte. Und ich weiß es nicht, möchte es auch gar nicht wissen. Ich gehe immer davon aus, daß sich Menschen finden, die auch berührt werden von dem, was mich berührt.
    Natürlich schreibt man nicht ins Blaue hinein, doch ich habe angefangen zu schreiben, weil ich schreiben musste. Ob das jemand liest oder nicht war erstmal zweitrangig. Und immer noch ist es für mich so, daß die größte Freude beim Schreiben das Schreiben selber ist und nicht irgend etwas, das hinterher passiert. Für mich war es ein größeres Erlebnis ein ganzes zusammenhängendes Manuskript geschrieben zu haben, als es später veröffentlicht zu sehen.
    Und klar, auch ich schreibe nicht für mich selbst, sonst würde ich es ja nicht veröffentlichen, ja, auch ich unterliege den Gesetzen des Marktes, doch ich wollte immer von Schreiben leben und heute ist es fast schon so, daß ich vom Schreiben leben muß, aber die Kompromisse waren für mein Empfinden geringfügig. Und ich habe nicht vor daran etwas zu ändern.
    Und ja, ich bin eitel wie alle und werde gerne mal gelobt, aber es ist immer auch seltsam für die Freuden gelobt zu werden, die man schon gehabt hat. Ganz so, als würde sich jemand vortrefflich und lustig betrinken und dann zollt man ihm Anerkennung dafür. Ist von Fallada, ich finde gerade den Wortlaut nicht.

  • Selim


    Ich kenne das Fallada-Zitat hier nicht, bin aber aufrichtig erfreut, daß Du den Namen nennst. Ein Autor, der weit unterschätzt ist und zu Unrecht (fast) vergessen.


    Danke für die Auskünfte über Dein Schreiben. Sie haben zweifellos nicht nur Informationsbedürfnis, sondern auch Neugier befriedigt.
    :grin


    zu Deinem Beitrag:
    Es ist keine Frage, daß 'Zielgruppe' ein Fetisch des modernen Marketing ist.
    Man muß aber keineswegs daran glauben.


    Es gibt jedoch tatsächlich 'Zielgruppen', sprich LeserInnengrupen, die bestimmte Bücher bevorzugen.
    Keiner liest alles. Die größtmögliche Schnittmenge, ich sagte es oben, mag wünschenswert sein, ob man sie erreicht, ist eine andere Frage.


    Inwieweit also kann man LeserInnen dazu bringen, ein Stücks Wegs mit einer oder einem zu gehen?


    Mal von der Position der Leserin gesprochen:
    man liest aus verschiedenen Gründen. Man will 'unterhalten werden', informiert werden, getröstet werden, bestätigt werden. Das ist nur das, was mit jetzt einfällt.
    Was ich lese, hängt stark von meiner jeweiligen Stimmung ab, bin ich konzentriert oder nicht, solche Fragen.
    Dieser Stimmung muß die jeweilige Autorin oder der Autor, die ich gerade auswähle, entsprechen, sonst lege ich das Buch weg.
    Der Moment der 'Berührung'ist also von vielen Faktoren abhängig.


    Für Freuden, die man gehabt hat, belohnt werden. Ich grüble.
    Für mich klingt das ein wenig puritanisch. Schreiben macht verdammt viel Mühe. Allein dafür, daß man das hingekriegt hat, verdient man Lob.


    Frage zurück? Hast Du vermisst, daß Güls Geschichte gründlich auseinandergenommen wird? Nicht im Sinn von 'zerissen', sondern im Sinn von untersucht und eingehend kritisiert?
    Wobei wir wieder bei der Frage wären, wie man eigentlich über Bücher sprechen soll.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hm, ich weiß nicht, ja schreiben macht auch Mühe, aber die steht ja nicht im Vordergrund. Wenn jemand regelmäßig schwimmen geht, dann macht er das ja nicht, weil es mühelos ist, sondern weil es ihm eine Befriedigung verschafft oder zumindest ein Wohlgefühl. Und niemand hat das Bedürfnis für seine 80 Bahnen die Woche gelobt zu werden, oder? Es ist nicht mehr als ein netter Nebeneffekt, wenn die Leute die Disziplin oder den Körper bewundern, aber darum geht es einfach nicht.


    Und ja, mir gefällt es, wenn ein Buch auseinandergenommen wird, weil dann die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, daß ich etwas sehen kann, was mir entgangen war. Es ist zum Beispiel einfach zu behaupten, Gül würde viel lesen, aber mit keinem Wort darauf einzugehen, wie sehr sie das Gelesene beeinflußt. Ist mir entschlüpft und erst aufgefallen, als es in einer Rezension erwähnt wurde.
    Aber es geht ja hier auch nicht darum, wie man über das Buch sprechen könnte, damit es meine Bedürnisse befriedigt. Also habe ich das auch nicht vermisst. Aber willkommen wäre es gewesen.
    Wie man über Bücher spricht: Ich kann Bücher, die ich mag, sehr gerne einfach abfeiern, ohne besonderen Tiefgang. Aber ich bin nicht gerne dabei, wenn jemand meine Bücher abfeiern möchte.
    Das schwierigste ist es den Applaus auszuhalten, habe ich mal gehört und da ist was dran. Wenn es sicher auch, wie alles andere, was sich erst mal gut anhört, nicht die Wahrheit ist.


    Aber um auf noch eine Frage einzugehen: Inwieweit also kann man LeserInnen dazu bringen, ein Stücks Wegs mit einer oder einem zu gehen?


    Keine Ahnung, aber das ist wohl auch nicht wichtig, so lange man selber nur geht und Ehrlichkeit, Freude, Verzweiflung, Trauer, Wut oder sonst irgend etwas ausstrahlt, was jemand anders ansprechen könnte. Der Rest geschieht ganz natürlich.

  • nein, bin nicht ganz zufrieden.
    Die Mühe des Schreibens steht nicht im Vordegrund.


    Das kann auch verschiedene Gründe haben. Daß Kunst Arbeit ist, ist z.B. kein verbreiteter Gedanke. Wird auch nicht gern gehört, denn das bringt die unangenhmen Fragen auf, daß Leistung auch entlohnt werden muß.
    Zum Beispiel. :grin
    Leistung ist es trotzdem.


    Und sicher möchte eine/r, die/der 80 Bahnen schwimmt, dafür ein Lob hören. Warum sonst erzählen die Leute davon?
    Oder: ich habe heute in nur 30 Minuten den Rasen gemäht!
    Oder: ich hab nur zehn Minuten gebraucht, um Milch zu holen.
    Wir sprechen ständig von unseren Leistungen.


    Es ist eine Minderheit, die über eine ganz bestimmte Einstellung verfügt, die sich an dem Wettbewerb auf allen Ebenen nicht beteiligt.
    Menschen sind kompetitiv.
    Ich kann Dir allerdings nicht sagen, ob das ein Charakteristikum unserer Art ist oder kulturell bedingt.


    Ob man selber gern beim Applaus dabeisteht oder nicht, hängt wahrscheinlich vom Naturell ab.
    Es gibt Menschen, die können mit Kritik weit besser umgehen als mit Lob.


    Zur LeserInnenschaft:
    will man nicht, daß da jemand zuhört? Lockt man nicht? Verführt man nicht?
    Daß man alles dem Zufall überläß, halte ich nicht für überzeugend.
    Man bietet doch etwas an, eine Geschichte, die man erzählt.


    nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht...


    Ich finde, wer eine Geschichte erzählt, ist VerführerIn. Immer.
    Und mit Absicht.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • magali : Die Wahrheit liegt irgendwo zwischendrin, und sie hat viel mit Selbstbewußtsein und Selbsteinschätzung zu tun. Manch einer leistet nur, eben um mit seinen Erfolgen hausieren zu können, und manch ein anderer ist sich der Tatsache überhaupt nicht bewußt, vergleichsweise extraordinäres zu leisten. Die Befriedigung speist sich aus verschiedenen Quellen, und einige - wenige - Menschen sind sich eben selbst Maßstab.


    Schreiben und veröffentlichen stehen für mich in direktem Zusammenhang, auch während des Schöpfungsprozesses - ich stelle mir vor, was Leser denken, wie sie einzelne Szenen möglicherweise wahrnehmen; ich schreibe nicht für mich selbst. Vielleicht gehöre ich dieserart zu den Leuten, die mit ihren 80 Bahnen in der Kneipe angeben. Sehr wahrscheinlich gehöre ich zu diesen Leuten. Und die Schriftstellerei schafft mir eine originelle Möglichkeit, dies zu befriedigen, bringt es doch andere Leute dazu, über meine Arbeit zu reden, ohne daß ich davon anfangen müßte. :grin


    Ein ganz klein wenig ironisch gemeint.

  • Zitat

    Original von magali
    Ich finde, wer eine Geschichte erzählt, ist VerführerIn. Immer.
    Und mit Absicht.


    Stimmt. Rattenfänger sind wir alle irgendwie. Und jeder von uns spielt die Melodie, die ihm selbst am besten gefällt -- und wenn sie ihm nur deshalb gefällt, weil er überzeugt davon ist, daß sie die meisten dazu verführt, ihm nachzulaufen. :grin


    Ich spiele nun mal gerne für mich, und zwar genau das, was ich selbst gerne hören würde. Da ich allerdings auch sonst keinen abwegigen Geschmack habe, glaube ich nicht, daß diese Melodien niemandem außer mir gefallen.


    In diesem Sinne ... ;-)


  • Man hört ja immer nur die Leute, die von ihren 80 Bahnen auch erzählen, die anderen hört man ja nicht, weil sie nichts sagen. Klar, ist ne Leistungsgesellschaft und Menschen sind kompetetiv, aber es gibt doch immer Dinge, die man um ihrer selbst willen tut. Wenige brüsten sich mit wie gut ihnen etwas schmeckt. Es gibt immer Dinge, die man ohne ein bestimmtes Ziel tut. Es gibt jede Menge religiöse Bücher zum Thema, und in der modernen Psychologie nennt man das Flow, soweit ich weiß, eine Konzentration auf eine Sache, die das Ziel vollkommen vergessen lässt, ich vertiefe das mal nicht.
    Ne Zeitlang habe ich erzählt, daß ich einen Roman innerhalb von 48 Stunden auf Band sprechen kann. Das macht Leute wahnsinnig, gerade weil der Leistungsaspekt auf einmal fehlt, die Arbeit, das Leid, aber davon wird ein Buch ja nicht schlechter, nicht wahr?


    Zum anderen: Ja, man will, daß jemand zuhört, ja, man verführt auch, aber darum geht es einfach nicht, das ist nur die Verpackung. Der Weg, den man geht ist ein ganz anderer.
    Iris schreibt ja:
    "Stimmt. Rattenfänger sind wir alle irgendwie. Und jeder von uns spielt die Melodie, die ihm selbst am besten gefällt -- und wenn sie ihm nur deshalb gefällt, weil er überzeugt davon ist, daß sie die meisten dazu verführt, ihm nachzulaufen."
    Ich würde noch weitergehen und sagen, wir sind Blender, aber die Melodie, die ein Leben bestimmt, die kann man entweder in seinem Inneren erlauschen oder eben danach basteln, von dem man glaubt, daß es möglichst viele verführt. Du das Suchen innen ist kein Zufall und der Rest ist nur ein wenig Handwerk, das ist fast erlernbar.

  • Als ich das Wort 'Blender' heute morgen gelesen habe, war es mir zunächst auch zu hart.
    Aber es stimmt, jede Kunst beinhaltet ein Blenden, im Sinn von Täuschen und zwar ein bewußtes. Weil Kunst immer einen Tick größer ist als das Leben. Sein muß.


    Hier geht es aber eher um die Frage der Authentizität, ja?
    Ich weiß, wieder so ein Brocken, wie Kunst.


    Also: täusche ich vor, daß ich 'echt' erzähle, löte aber in Wahrheit nur Vorgestanztes zusammen
    oder kommt es wirklich aus eigenen Quellen?
    War es das?



    Mit dem Gelobt- werden fürs gehabte Vergnügen:
    Selim, meintest Du, daß man, wenn man die ganz persönlichen Höhepunkte, die Schreiben bietet, diese Momente, wenn man dasitzt und es nicht fassen kann, daß es gelungen ist, wenn DER SATZ dasteht, der Abschnitt, wenn man den Gipfel erreicht hat, wenn's einmal stimmt, wenn es schwingt, klingt, keine Ahnung, wie man's nennn soll,
    wenn es passiert IST,
    ohne daß man es erklären kann, eben weil man es weiß und Punkt
    Also, wenn man das erlebt hat, daß man dann nicht auch noch gelobt werden muß, von außen? Weil man den Lohn schon erhalten hat? In der Richtung?


    danke übrigens für alles bisher, ist beeindruckend (KEIN Lob! Bloß so, wie's für mich ist)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Zitat

    Original von magali
    Aber es stimmt, jede Kunst beinhaltet ein Blenden, im Sinn von Täuschen und zwar ein bewußtes. Weil Kunst immer einen Tick größer ist als das Leben. Sein muß.


    Realität ist nicht mein Kriterium -- ich halte mich an Aristoteles (vgl. Poetik 9). :grin


    Zitat

    Hier geht es aber eher um die Frage der Authentizität, ja?
    Ich weiß, wieder so ein Brocken, wie Kunst.


    Ein Begriff, den ich schlichtweg für nichtssagend halte. :grin


    Zitat

    Also: täusche ich vor, daß ich 'echt' erzähle, löte aber in Wahrheit nur Vorgestanztes zusammen
    oder kommt es wirklich aus eigenen Quellen?


    Es ist m.A.n. immer eine Mischung, denn jede Kunst und jedes Handwerk folgen ... ich sag mal: Richtschnüren, und zugleich ist immer etwas vom Hersteller im Produkt, etwas Individuelles und Eigenständiges, mal mehr, mal weniger. :grin

  • Tom
    ja, ich weiß, daß ich immer so 'absolut' klinge.
    Das ist meinem wissenschaftlich geschulten Verstand geschuldet (wie Du sehr wohl wissen müßtest!), der in jeder Art von Gespräch, - ja, auch wenn ich mit der Nachbarin übers Wetter rede - , umgehend auf die abstrakte Ebene hüpft. Wenn man die Reise mal angetreten hat, in earnest, gibt es keine Rückkehr mehr.
    Ich bin verdorben für alle Zeiten, ach.


    Klar macht es die Mischung. Weiß ich doch, Nachbar. :grin



    Iris, (schickes Hütchen, btw :lache)


    Realität im Sinn von 'Realität' ist nie ein Kriterium von Kunst.


    Und ja, ich weiß um das Problem mit dem Begriff 'Authentizität', der seit einger Zeit durch die Feuilletons geschmiert wird.


    Dennoch gibt es den Tatbestand. Menschen, die sich ernsthaft mit Schreiben auseinandersetzen, will sagen, für die Schreiben mehr ist als 'eine gute Geschichte erzählen'
    die sich nämlich auch die Frage stellen, wie
    man die Geschichte erzählt, jenseits aller Adjektiv-Zählerei und der peniblen Vermeidung von Dass-Sätzen


    diskutieren durchaus über 'Authentizität'.


    ich zitiere Selim:


    Das Suchen innen ist kein Zufall, der Rest ist nur ein wenig Handwerk...


    Selim
    Du hättest hier den einen oder anderen Grund, mir eins überziehen. Du darfst...


    (Ich will so bleiben, wie ich bin...
    magali pfeifend ab)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    (Ich will so bleiben, wie ich bin...
    magali pfeifend ab)


    <packt die davonschleichende magali am Kragen> Hiergeblieben! :fetch


    Zitat

    Und ja, ich weiß um das Problem mit dem Begriff 'Authentizität', der seit einger Zeit durch die Feuilletons geschmiert wird.
    Dennoch gibt es den Tatbestand. Menschen, die sich ernsthaft mit Schreiben auseinandersetzen, will sagen, für die Schreiben mehr ist als 'eine gute Geschichte erzählen'
    die sich nämlich auch die Frage stellen, wie man die Geschichte erzählt, jenseits aller Adjektiv-Zählerei und der peniblen Vermeidung von Dass-Sätzen


    diskutieren durchaus über 'Authentizität'.


    Wenn wir uns über den Begriff einige würden ...


    Also gut, versuchen wir 's! :grin


    Du meinst die Authentizität der künstlerischen (in unserem Falle: schriftstellerischen) Aussage?


    Was bedeutet Authentizität für dich?


    Für mich ist dieser Begriff nämlich eine leere Worthülse -- und »worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«. :grin

  • Raaaaaaaaaah, ey, laß mal locker!
    :lache


    Iris, ernsthaft, ich habe es noch nicht auf der Reihe,
    es geht um die Frage, was man von sich in die Texte einschreibt, und bitte, es geht nicht um eine Botschaft.
    Es geht weiter um das, was man hört, weiß, denkt, jenseits von Markterfordernissen und alltäglichen Gegebenheiten


    es geht um das Schreiben an sich, nicht ums Lesen resp. Gelesen-werden.


    Es geht um die Position des Ich und um das Ich der/des Schreibenden im Text.
    Das stets Veränderungen unterliegt, weil wir Reizen der Außenwelt folgen.


    Es geht darum, daß man schreibt, um sich über bestimmte Dinge Klarheit zu verschaffen,
    daß man im Schreibprozeß erst wahrnimmt, daß man sich über bestimmte Dinge Gedanken macht.


    Und es ist eben nicht tagebuchartiges Schreiben, weil man bewußt Sprache einsetzt. Weil man mit Worten, Satzbau, Grammatik arbeitet


    Deine Folterszene in Cinna war ein Beispiel für eine Form von 'authentischem' Schreiben.
    Sie war 'erarbeitet', künstlich, sicher nicht Du - im Sinn von erlebte Realität. Trotzdem war sie 'echt', weil für wenige Abschnitte alles zusammenfloß, Sprache, Intention, Emotion, Schöpferin und die verwendeten Mittel.


    Dazu kommen sicher noch mehr Komponente, die ich noch nicht kenne.


    Ähnlich 'authentisch' die '30-Bier-Szene' in Idiotentest. Sie ist in sich geschlossen und zugleich komplex. Sie ist nicht nur eine Episode.
    ja, Tom, ich weiß, Du siehst das nicht so.
    Aber die Stelle ist LITERATUR Punkt.


    Mehr kann ich noch nicht sagen.
    Ich bin gerade erst auf dem Weg.


    Es ist kompliziert, schlicht gesagt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Zitat

    Original von magali
    es geht um die Frage, was man von sich in die Texte einschreibt, und bitte, es geht nicht um eine Botschaft.
    Es geht weiter um das, was man hört, weiß, denkt, jenseits von Markterfordernissen und alltäglichen Gegebenheiten
    es geht um das Schreiben an sich, nicht ums Lesen resp. Gelesen-werden.
    Es geht um die Position des Ich und um das Ich der/des Schreibenden im Text.
    Das stets Veränderungen unterliegt, weil wir Reizen der Außenwelt folgen.


    Das sind schon wieder mehrere unterschiedliche Faktoren ...


    Es gibt den Aspekt von Authentizität, der das umfaßt, was die Persönlichkeit des Autors unbewußt in den Text einfließen läßt. Den zu kontrollieren, damit nicht zuviel Befindlichkeiten eingewoben werden ... :grin
    So mancher, der sich zum Schreiben berufen fühlt, tut es, um in dieser Hinsicht authentisch zu sein. Aber ich glaube, den meinst du nicht.
    Denn du schriebst:

    Zitat

    Es geht darum, daß man schreibt, um sich über bestimmte Dinge Klarheit zu verschaffen,
    daß man im Schreibprozeß erst wahrnimmt, daß man sich über bestimmte Dinge Gedanken macht.


    Oder auch erst hinterher. Kann alles passieren. Selim schrieb ja schon, daß der Text oft klüger sei als sein Autor. :grin


    Zitat

    Sie war 'erarbeitet', künstlich, sicher nicht Du - im Sinn von erlebte Realität. Trotzdem war sie 'echt', weil für wenige Abschnitte alles zusammenfloß, Sprache, Intention, Emotion, Schöpferin und die verwendeten Mittel.


    Es ist ein Beispiel dafür, wie man durch Formung der Sprache etwas herausarbeitet, was über den Text selbst und ebenso auch über den Autor hinausweist. Man transzendiert die eigene Subjektivität ... sozusagen.
    Das gelingt allerdings nur selten, und meist begreift man frühestens während einer der Bearbeitungsphasen, was man da eigentlich macht. Und es gelingt nicht nach Plan, sondern es ergibt sich in den Momenten, wo einfach alles zusammenpaßt.

  • Zitat

    Original von Iris
    Ein "Blender" ist m.An. jemand, der vortäuscht, etwas zu sein, was er nicht ist, bzw. jemand, der etwas anderes bezweckt als er zu bezwecken vorgibt. Insofern geht mir das einen Tick zu weit, denn ich will ja andere zu etwas verführen, was ich selber mag. ;-)


    Na, vielen Dank für die Belehrung, aber genau das habe ich gemeint.
    Und ich bin überzeugt davon, daß 95 von 100 Menschen, die schon mal auf einer Bühne gestanden haben, irgendwo, sei es noch so verborgen, das Gefühl kennen, ein Blender zu sein. Wer ist man schon, daß man glaubt so vielen Fremden etwas bieten zu können. Ich könnte versuche es noch anders zu begründen, aber lassen wir das ...


    "Realität ist nicht mein Kriterium -- ich halte mich an Aristoteles (vgl. Poetik 9)." Da würde ich mich dann gerne belehren lassen, was ein Kriterium sein kann außer der Realität. Und wieso wir von einer Zeile auf die nächste Leben und Realität gleichsetzen? Ich habe meinen Aristoteles weder gelesen noch im Regal stehen.


    Und was diesen komischen Begriff der Authentizität angeht, der so übermäßig strapaziert wird und der wiederum für mich kein Kriterium ist, weil fast nichts authentisch ist, einem aber so verkauft wird. Literatur schon mal gar nicht, aber auch der Mensch nicht, außer in den wenigen Momenten, wo alle Masken von ihm abfallen, wo er sprachlos und ohne vorgefertigte Strategien dasteht.


    magali :
    Ja, ich meine diese Momente, in denen man weiß, man hat einen guten Satz geschrieben und man weiß nicht, wie man das hingekriegt hat, doch nun steht es da Aber es ist so viel mehr als das, weil mir die ganze Arbeit eine Freude ist, ich beschäftige mich gerne mit Worten. Man braucht doch nicht gelobt zu werden für etwas, das man sowieso schon gerne tut. Niemand erwartet Lob für das Wohlgefühl an einem kalten Wintertag ins Badewasser zu gleiten.


    Und ansonsten sagt Celine: Er hatte das Laster der Intellektuellen: Er hat zuviel gewußt und das hat ihn verwirrt.
    Oder wie man Yogalehrer sagt: Es gibt nur einen Weg - tun.
    Rutscht gut und Gesundheit und Glück und intensive Momente.

  • Zitat

    Original von Selim
    Na, vielen Dank für die Belehrung, aber genau das habe ich gemeint.


    Da habe ich mich mißverständlich ausgedrückt, denn als Belehrung war das nicht gedacht, sondern als Darlegung meines höchst subjektiven Standpunkts, für den ich keineswegs Allgemeingültigkeit beanspruche.


    Zitat

    Und ich bin überzeugt davon, daß 95 von 100 Menschen, die schon mal auf einer Bühne gestanden haben, irgendwo, sei es noch so verborgen, das Gefühl kennen, ein Blender zu sein. Wer ist man schon, daß man glaubt so vielen Fremden etwas bieten zu können.


    Selbstverständlich kenne ich das. Das geht einem doch bei jedem neuen Projekt so. Und bei jedem Referat, jeder Prüfung, jedem Auftritt, jedem neuen Kunden ...
    Dieses Gefühl würde ich allerdings nicht umschreiben mit "Blender sein", sondern mit "glauben/befürchten, in den Augen der anderen ein Blender zu sein" bzw. "glauben/befürchten, den Erwartungen der anderen nicht entsprechen zu können".


    Ich finde dieses Gefühl übrigens sehr wichtig. Es bewahrt mich vor Übermut und zwingt mich, meiner Arbeit die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.


    Zitat

    Da würde ich mich dann gerne belehren lassen, was ein Kriterium sein kann außer der Realität. Und wieso wir von einer Zeile auf die nächste Leben und Realität gleichsetzen?


    Und wieder geht es nicht ums Belehren, denn ich wähne mich nicht im Besitz einer alleinseligmachenden Wahrheit für alle Welt. :-)
    "Realität" ist m.A.n. (!) zunächst einmal nicht die Welt selbst (somit auch nicht "das Leben"), sondern deren Repräsentation in unserem Denken und unserer Vorstellung.
    "Realität" ist also vor allem Wiedergabe, Ergebnis "kognitiver Datenverarbeitung", ein Orientierungsmodell, ein von jedem selbst und völlig individuell geschaffenes Abbild. M.A.n. ist das Verhältnis von "Welt" zu "Realität" vergleichbar mit dem von "Mensch" zu "Strichmännchen" -- wir können uns intersubjektiv darüber einig werden, was dargestellt ist, aber es ist nur eine stark reduzierte Darstellung, zumal man das Ganze ohnehin nicht aufs Papier kriegt.


    Der kreative Prozeß geht weit über Realitätserkenntnis hinaus; er schafft kein Abbild dieses Modells, sondern nutzt Teile der Realität und formt sie zu einer anderen fiktionalen "Welt", reduziert und poinitert im besten Falle zu einem Werk, das über sich selbst hinausweist -- m.a.W. das nicht nur ein Abbild, eine Melodie oder eine Geschichte ist, sondern ein Thema hat, das durch die Darstellung des Bildes, der Melodie, der Geschichte usw. beleuchtet wird


    Zitat

    Man braucht doch nicht gelobt zu werden für etwas, das man sowieso schon gerne tut.


    Der Weltklasse-Sportler tut auch gern, worin er gut ist, und das besonders dann, wenn er es wirklich gut macht.
    Lob -- oder sagen wir besser: Anerkennung zeigt, daß das Ergebnis auch bei anderen angekommen ist, daß man nicht alleine dasteht mit diesem Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Man kann auf diese Weise die Erinnerung an den Moment, als einem diese Erkenntnis kam, teilen. Man hat es dann nicht nur für sich getan, es hat einen weiteren Sinn bekommen. Einen, an dem man als Autor ursächlich, aber nicht anläßlich und auch nur mittelbar beteiligt ist. Aber man hat etwas bewegt in anderen Menschen. Der Akt des Schreibens tritt damit aus seiner Selbstbezüglichkeit hinaus in die Welt und wird zur Kommunikation.


    Einen angenehmen Rutsch und alles Gute für die Zukunft!