Jahres-Gewinner Schreibwettbewerb 2005 !

  • Welcher Beitrag hat Euch am Besten gefallen? 0

    1. "Die Pilzpfanne" - Nudelsuppe (Dez. 2005) (0) 0%
    2. "Marketing für den Tod" - Waldfee (Okt. 2005) (0) 0%
    3. "Gefindet" - Wilma Wattwurm (Nov. 2005) (0) 0%
    4. "Herr von Olpe" - Polli (Aug. 2005) (0) 0%
    5. "Die Schokoladenmacherin" - Doc Hollywood (Sept. 2005) (0) 0%
    6. "Feierabend" - Doc Hollywood (Jun. 2005) (0) 0%
    7. "Der Wettermacher" - Kim Meridian (Jul. 2005) (0) 0%
    8. "Engelsgeduld" - Columbo (Mai 2005) (0) 0%
    9. "Das Date" - Heaven (Apr. 2005) (0) 0%
    10. "Jugend musiziert" - Polli (März 2005) (0) 0%
    11. "Freiheit" - Tom (Feb. 2005) (0) 0%
    12. "Scheiß auf den Job" - Tom (Jan. 2005) (0) 0%

    Liebe Eulen,


    hier findet Ihr nun alle Monats-Gewinner-Beiträge des Jahres 2005.


    Ab dem 01.01.2006 könnt Ihr bis einschl. den 09.01.2006 hier in einer Umfrage Eurem persönlichen Favoriten Eure Stimme geben.


    Die Umfrage wird am 09.01.2005 automatisch geschlossen.


    Der Jahres-Gewinner des Schreibwettbewerbs 2005 erhält von uns einen Büchergutschein von Amazon.de über


    25,- EUR.


    Viel Erfolg!

  • "Scheiß auf den Job"
    Thema: Ekelhaft
    Autor: Tom
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    Vielleicht kennt Ihr das. Vielleicht auch nicht. Es verfolgt mich. Und es holt mich in den unmöglichsten Situationen ein.


    Der Termin ist um halb elf, aber ich sitze schon um kurz vor zehn im Vorzimmer des Personalchefs. Pünktlichkeit, habe ich mir gedacht, wird gerne gesehen. Aber der Praktikant, der die Bewerber auf einer Liste abhakt, hat mich nur mitleidig angelächelt. Also sitze ich blöd grinsend auf einer Kunstledercouch, traue mich nicht, den Zeitungsstapel durchzublättern – irgendwas würde ganz sicher runterfallen, und im Nachgang würde sich das zur totalen Katastrophe aufschaukeln -, drücke die feuchtkalten Hände ineinander und probe Anreden. Natürlich stumm. Sonst würde der Praktikant noch mitleidiger schauen.


    Um Viertel vor elf werde ich hereingebeten – ich werfe einen siegesgewissen Blick in die Bewerberrunde, weshalb ich fast gegen die Tür laufe. Den Personalchef nehme ich zunächst nur verschwommen war, bekomme meine Beine kaum sortiert, verhaspele mich bei der Anrede, drehe den Stuhl so, daß er mir gegen das Knie schlägt. Endlich sitze ich.


    „Nun, Herr Böger, dann wollen wir mal“, sagt eine freundliche, sehr männliche Stimme. Ich sammele mich, schiebe mit den Handflächen auf den Oberschenkeln herum und blicke ihm endlich ins Gesicht.
    „Ja“, bringe ich gerade noch heraus, viel zu leise.


    Und dann verschwimmt alles. Ich sehe nur noch IHN. Rötlich umrandet, riesengroß, beigeweiß gekrönt, mit einem kaum sichtbaren schwärzlichen Rand. Der ultimative Riesenpickel. Der Referenzpickel. Der Pickel aller Pickel. Der Herr der Pickel. König Pickel von Picklingen. Der Pickelgott. IHN.


    Ich atme tief durch und versuche, mich zusammenzureißen. Alles in mir will nur zu IHM. IHN sanft umstreicheln. Die Zeigefinger beider Hände neben IHN legen. Sie ganz, ganz sacht, aber auch mit bestimmter Kraft aufeinander zu bewegen. Dem feinen Laut der Eiterexplosion lauschen. Ich will. Ich will. Ich WILL.


    „Und?“ fragt der Personalchef, laut, etwas unwirsch und jetzt nicht mehr so freundlich. Ich hüstele. Aber ich habe keine Ahnung mehr, worum es geht, wo ich bin, was hier geschieht. Meine Hände zittern, mir ist heiß. DAS IST MEINER schreit alles in mir. Dieser Pickel und dann nie wieder ein anderer. Ich lechze. Ich könnte sterben dafür, diesen Pickel auszudrücken. Mich an SEINEM Ausbruch zu laben. Was gäbe ich dafür, IHN selbst zu haben, auch noch das Gefühl spüren zu können. Die Feuchtigkeit auf der Haut. Das Jucken danach.


    „Herr Böger, ist alles in Ordnung?“
    Ich huste. Wahrscheinlich bin ich blaß. Der Personalchef steht auf und kommt um den Tisch herum.
    „Brauchen Sie etwas? Ein Glas Wasser?“
    Ich huste wieder. Er blickt mir prüfend ins Gesicht. Das seinige ist ganz nahe. Jetzt oder nie.


    „Entschuldigung“, sage ich leise, und dann geht alles rasendschnell.


    Fünf Minuten später stehe ich unten vor der Tür, zwölf Stockwerke vom Büro des Personalchefs entfernt. Zwei Security-Menschen gehen kopfschüttelnd zurück ins Gebäude. Aber ich lächle. Ich hebe den Zeigefinger und betrachte die weiße Schlange auf der Fingerkuppe. Ich hatte IHN. Scheiß auf den Job.


    Vielleicht kennt Ihr das. Vielleicht auch nicht. Es ist ein irres Gefühl. Das schönste auf der Welt.

  • "Freiheit"
    Thema: Erstmals
    Autor: Tom
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    Michael „Slibo“ Libkowitz öffnete die Kneipentür. Er nahm den Zigarettenrauch wahr, das säuerliche Aroma der Bierzapfanlage und all die anderen Gerüche, die eine Pinte olfaktorisch kennzeichneten. Seine Sinne waren schärfer geworden in diesen letzten Monaten. Er zwang sich zu einem Lächeln, betrat den „Goldsack“ und drückte die Tür hinter sich zu.
    Helmi, der Wirt, stand hinter dem Tresen und drückte ein Handtuch in ein Halbliterglas. Er sah Michael an. Es dauerte ein paar Sekunden, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Erst war es Erstaunen, danach eine Art skeptischer Freude.
    „Scheiße, Slibo, wo hast du denn gesteckt?“
    Die anderen am Tresen wurden aufmerksam, während Johnny Hill über „Teddybär-Eins-Vier“ sang. Michael nickte langsam. Da saßen Otto, der arbeitslose Taxifahrer, Siggi, der Langzeitstudent, Müller, der Exilschwabe, und der Typ, den alle „Lassie“ nannten, weil er wie ein Hund hechelte, wenn er besoffen war. Es war, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Hier hatte sich nichts verändert. Michael sagte „Hallo“, aber er beantwortete die Frage des Wirts nicht.
    Alle hielten Kippen in den Händen, alle hatten Gläser vor sich, Müller und Siggi sogar zwei, jeweils ein Bier und einen Schnaps. Michael zog seine Jacke aus, hängte sie über den Hocker und setzte sich darauf.
    „Das übliche?“ fragte Helmi. Das übliche, das waren ein Halbliterhenkel und ein Slibovitz, das Getränk, das ihm seinen Spitznamen verschafft hatte. Er schüttelte den Kopf. „Apfelsaftschorle“, sagte er.
    Müller, Otto und Helmi lachten. „Bist du schwanger?“ fragte Siggi. Michael lächelte kopfschüttelnd.
    „Wo hast’n du gesteckt?“ brummte Otto, und die anderen nickten langsam - ein Tresenballett.
    „Ich war weg“, erklärte er, und nahm einen Schluck von der Schorle. Er roch den Apfel, sogar etwas von dem billigen Spülmittel, mit dem Helmi die Gläser wusch. Er musterte die Gesichter, die Gesten, den Schmutz auf dem Tresen, die anderen Figuren, die weiter hinten im Nebel der Kneipe hockten.
    „Weg“, wiederholte Otto. „Wenn das kein Grund ist, einen zu trinken.“
    „Richtig“, antwortete Michael. „Es ist keiner.“


    „Bist’n Arschloch geworden“, sagte Siggi eine Viertelstunde später. Neun Bier und fünf Schnäpse hatten die vier in dieser Zeit getrunken. Michael nippte an seiner zweiten Schorle. Er fühlte sich großartig. Am liebsten hätte er laut losgelacht. All die Versuche, ihn zu irgendeinem Drink zu bewegen, hatte er auf höfliche, selbstbewußte Art abgelehnt – und es war ihm nicht schwergefallen. Die Kluft, die sich dadurch auftat, war nachgerade spürbar. Er war ein Fremdkörper. Er gehörte nicht mehr dazu. Michael betrachtete den schmuddeligen Tresen, die Schnapsflaschen, die auf den angestaubten Regalen warteten. Er lauschte der schrundigen Kneipenmusik.
    „Es tut mir leid“, sagte er zehn Minuten später, und es war das Gegenteil von dem, was er meinte. Er zahlte, zog seine Jacke an, ging in Richtung Tür.
    „Kommste wieder, wennde wieder normal bist?“ rief Otto, da hatte Michael schon die Klinke in der Hand.
    „Ich bin jetzt normal“, sagte er, trat hinaus, sog die frische Luft ein, drückte die Tür hinter sich zu und ging die drei Stufen zum Bürgersteig hinunter.
    ‚Die dreizehnte Stufe’ sagte er zu sich selbst. Und lächelte.

  • "Jugend musiziert"
    Thema: Begegnung
    Autor: Polli
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    Dressierte Äffchen mag ich nicht. Mit der gleichen Abneigung musterte
    ich das das magere Mädchen, das vorn auf dem Klavierhocker Platz nahm,
    unbehaglich hin- und herrutschte und dann tapfer eine mühsam auswendig
    gelernte Etüde begann. Ich erhob mich leise von meinem Platz in der
    letzten Reihe und verließ den Saal.


    Draußen im Flur holte ich tief Luft und reckte mich. Ich bedauerte
    Volker, der als Jurymitglied bis zum letzten Beitrag ausharren musste.
    Auf der Fensterbank saß ein Junge und baumelte mit den Beinen. Ich sah
    mich um, er war ohne Begleitung. Zu allen freundlich sein, wer weiß, ob
    sein Vater nicht im Stadtrat sitzt und morgen schon über den Etat der
    Musikschule entscheidet, sagte meine Vernunftstimme. Ich setzte ein
    berufliches Lächeln auf: „Na, spielst du auch gleich vor?“
    „Na, quatschst du immer fremde Kinder an?“, entgegnete der Junge mit dem
    gleichen Tonfall.
    Solche Schüler habe ich zu Dutzenden. Üben so gut wie gar nicht, hängen
    lässig vor dem Instrument und kontern jede Bemerkung mit einer
    Schlagfertigkeit, um die sie manch ein Erwachsener beneiden würde. Und
    wenn ich es wage zu erwähnen, dass ich in den nächsten Tagen die Eltern
    informieren werde, kommt ein cooles „Solange mein Vater bezahlt, kann
    es Ihnen doch egal sein, ob ich Klavier lerne oder nicht. Haben Sie
    eigentlich Noten von Eminem?“
    Habe ich, ihr Blödmänner. Aber mein Job ist es, mit euch und auch gegen
    euren Willen das Lehrbuch durchzuarbeiten. Große Klappe und nichts
    dahinter.


    „Ihr solltet mal euren Flügel stimmen lassen. Das tiefe Fis hat sich
    verzogen.“
    Bingo. Der Junge hatte Recht. Volker hatte vor Beginn des Wettbewerbs
    die Saite nachgezogen, war aber mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden.
    „Warst du heute um elf Uhr schon da?“, fragte ich.
    „Nee, gerade erst gekommen.“
    Konnte ein Zufallstreffer sein. Oder das Kind hatte gelogen. Ich
    versuchte es mit ein paar Testfragen.
    „Spielst du schon lange Klavier?“
    „Nee, aber Lego.“
    „Ich glaube dir kein Wort. Bist du für den Wettbewerb angemeldet?“
    „Sehe ich so beschissen aus?“
    Das konnte ich nicht durchgehen lassen: „Rede vernünftig mit mir, ich
    bin auch höflich zu dir!“
    Der Junge sah tatsächlich nicht wie die anderen aus. Die übliche
    Kleiderordnung sah Samtröcke, dunkelblaue Cordhosen und allenfalls
    einen Streifenpulli vor. Dieses Kind hier trug Jeans und ein weites
    T-Shirt mit einem verblichenen Spiderman-Aufdruck.
    „Ich rede gar nichts mehr“, unterbrach der Junge meine Betrachtungen,
    holte ein graues Kaugummi aus dem Mund, zog es mit den Fingern zu einem
    klebrigen Band auseinander und betrachtete es eingehend.
    „Lecker“, murmelte ich und wandte mich ab.
    Im Saal setzte höflich dünner Applaus ein und verebbte unhöflich schnell
    wieder.


    „Nörgelst du immer so viel rum? Scheißladen hier.“
    Diese Junge war mir unsympathisch. Mehr noch als die feingemachten
    Sprösslinge mit ihren hufescharrenden Müttern.
    „Jetzt pass mal gut auf, wertes Kind: Ich habe fast den gesamten Tag in
    diesem Saal gesessen, mir Dutzende von Musikstücken angehört,
    applaudiert und durchgehalten, auch wenn es nicht zum Durchhalten war.
    Dazwischen habe ich Gespräche mit allen Beteiligten geführt, meinen
    Kollegen Kaffee gebracht und für ein halbwegs erträgliches
    Betriebsklima gesorgt, weil da drinnen Leute sitzen, die sich vor
    Nervosität fast in die Hose machen. Hier geht es um einen Wettbewerb,
    ums Weiterkommen, hier werden erste, zweite und ich weiß nicht welche
    weiteren Plätze vergeben. Und du kommst von draußen vom nächstbesten
    Spielplatz hereinspaziert und fällst mir verdammt noch mal fürchterlich
    auf den Wecker! Ich schlage vor, dass du auf der Stelle dieses Gebäude
    verlässt! Sofort!“
    Meine letzten Worte waren mir subito fortissimo herausgerutscht und
    hallten durch den Flur. Hoffentlich war die Saaltür genügend isoliert.
    „Alte Ziege!“, antwortete der Junge ungerührt, rutschte von der
    Fensterbank und entwischte in den Saal, noch ehe ich ihn packen konnte.
    Er sprang auf die leere Bühne und nahm auf dem Hocker Platz. „Halt!“,
    rief ich, „das geht doch nicht!“
    Der Junge ignorierte mich, schob sein Kaugummi in den Mund und zeigte
    auf Volker. „Du da, kannst du das Fis nachziehen? Klingt echt Scheiße.“
    Die Mütter tuschelten entsetzt. Volker blieb ungerührt. „Hast Recht,
    Kleiner. Ich ändere das. Sag Bescheid, wenn du mit dem Ton zufrieden
    bist.“


    Zwei Minuten später nahm Volker seinen Platz am Jurytisch wieder ein.
    Der Junge holte sein Kaugummi aus dem Mund, klebte ihn sorgfältig an
    das rechte Bein des Hockers, sah zu mir herüber und streckte mir
    grinsend die Zunge heraus. Und dann begann er sein Wettbewerbsprogramm.



    „Dressierte Äffchen magst du nicht, oder?“
    Kevin steht vor mir, in der einen Hand das alte T-Shirt, mit dem er es
    im letzten Jahr bis in den Bundeswettbewerb geschafft hatte, in der
    anderen Hand einen dunkelblauen Pulli.
    „Stimmt, Junge. Wenn ich wählen darf: Nimm den Pulli.“
    Er grinst und geht hinter die Bühne.
    Ich lehne mich zufrieden zurück. War eine harte Zeit, das Jahr. Zwar
    spielt der Junge Klavier wie ein Profi, aber sein Benehmen hat mich
    eine Menge Nerven gekostet, seit er bei mir Unterricht hat. Zumindest
    werden die Mütter und meine lieben Kollegen dieses Mal nichts an seinem
    Äußeren auszusetzen haben. Das Kaugummi habe ich ihm vorhin schon
    weggenommen.
    Kevin erscheint. Er trägt den dunkelblauen Pulli, vorne leuchtet in
    neongelben Lettern die Aufschrift „Jugend musiziert ...“
    Das Spiderman-Shirt hängt lässig über seinem Rücken. Ich schwitze
    nervös. Er nimmt auf der Bühne Platz, zwinkert Volker und mir zu, dann
    spielt er sein Wettbewerbsprogramm. Fehlerfrei. Ich bin stolz, rundum
    stolz auf ihn. Als der Applaus einsetzt, bin ich gerührt. Kevin gähnt
    ungeniert und streift sein T-Shirt ab. Auf dem Rücken leuchtet neongelb
    auf dunkelblau: „... finde ich total Scheiße.“

  • "Das Date"
    Thema: Dumm gelaufen
    Autor: Heaven
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    Heute war der Tag der Tage. Wie lange hatte er darauf gewartet, sie angehimmelt,hofiert bis sie nun seine Bitte erhörte und zusagte. Endlich hatte er es geschafft die Frau, die seit Monaten in seinem Kopf spukte und wann immer er seine Augen schloss, vor ihm stand, zu einem Rendezvouse zu überreden.
    Alles sollte perfekt sein. Seine Junggesellenwohnung hatte er schon seit gestern auf den Kopf gestellt, geputzt, gewischt, geräumt,verstaut, gerückt und gerichtet. Wenn sein Kumpel Max vorbei käme, würde der wohl rückwärts wieder hinaus laufen, weil er vermutete falsch gelandet zu sein. So wie heute hatte es bei ihm noch nie ausgesehen.
    Er war sogar einkaufen und hatte sich den ganzen Nachmittag in die Küche gestellt um für sie beide "Gratin Florentiner Art" zuzubereiten. Als Dessert sollte es Vanilleeis mit frischen Erdbeeren und Sahne geben. Bei dem Gedanken schmunzelte er und stellte sich vor, wie sie sich gegenseitig die Erdbeeren in den Mund stopften, mit einem Klecks Sahne dran........

    Nun war es gleich soweit, Punkt 19 Uhr wollte sie bei ihm sein. Er hatte sogar eine weiße Tischdecke für den kleinen Tisch besorgt, um sie in eine Tafel zu verwandeln. Prüfend schaute er sich noch einmal um. Die Weingläser waren poliert, der silberne Kerzenleuchter hatte pfirsichfarbene Kerzen bekommen. Die dazu passenden Servietten lagen auf den Tellern, das Besteck genau ausgerichtet. Für die einzelne Rose musste er extra eine Vase kaufen, denn sonst hatte ihm ja ein leeres Einweckglas oder eine Flasche genügt, falls seine Mutter mal zu Besuch kam und meinte, sie müsse etwas Farbe in die Wohnung bringen und irgendwelche bunten Sträuße anschleppte. Den Wein hatte er vorsorglich geöffnet und in eine Karaffe gegossen, weil er sich erinnerte gehört zu haben, dass dieser vor dem Genuss noch atmen müsse.
    Sein Hemd hatte er mühsam gebügelt und immer wieder mit den Falten gekämpft. Aber Daniela war dies alles wert! Schlank,dunkel gelockt und wunderschön sah er sie wieder vor sich. Die Hose war nach Flecken überprüft. Mit klopfendem Herzen, feuchten Händen aber sichtlich zufrieden stand er in seinem Wohnzimmer und staunte nicht schlecht über sich selbst, was er für eine Frau zustande gebracht hatte.

    Doch plötzlich stockte ihm der Atmen. Oh nein, nicht jetzt! Eine dicke Spinne mit haarigen Beinen saß oben an der Wand über der Gardinenstange, direkt neben dem festlich gedeckten Tisch. Das Tier muss sofort beseitigt werden, dachte er und erinnerte sich, wie Daniela einmal laut kreischend ihr Eis fallen ließ und weg rannte. Damals hatte er es geschafft sie auf ein Eis am Imbis einzuladen. Sie hatte panische Angst vor Spinnen und das wollte er um alles in der Welt heute vermeiden.
    Also ging er in die Küche und holte den alten Schemel der dort immer rum stand. Der sollte genügen um an sie heran zu kommen. Auf keinen Fall darf ihm das Vieh entwischen, es muss gefangen und aus der Wohnung verbannt werden. Nichts und niemand sollte die Stimmung an diesem lang ersehnten Abend zerstören.

    Er stieg hinauf und streckte vorsichtig den rechten Arm aus, denn er wollte sie nicht verschrecken. Mit der linken Hand griff er an das Ende der Gardinenstange um Halt zu haben. Noch ein paar Zentimeter und dann hatte er sie, vorsichtig, gaaaanz langsam. Gerade als er zugreifen will rutschte er auf der glatten Oberfläche des Schemel mit dem linken Fuß ab, kam ins wanken und griff die Gardinenstange fester. Diese lockerte sich und ihm fiel schlagartig ein, dass er sie mit einem viel zu kurzen Dübel befestigt hatte, weil er keine Lust mehr an dem Abend hatte noch einen passenden zu kaufen, sondern die Bude mit Max genießen wollte. Die Stange hielt er zwar fest in der Hand, aber am anderen Ende löste sie sich ebenfalls aus der Verankerung und sauste samt Gardine auf den Boden. Dabei verlor er weiter den Halt und rutschte mit dem Fuß gänzlich vom Schemel, prallte dabei gegen den Tisch. Durch den Stoß kippte der Kerzenleuchter um und fiel in Richtung Teller, geradewegs auf eine Serviette, die sogleich Feuer fing. Um Schlimmeres zu verhindern, ließ er die Gardinenstange los und wollte nach dem Leuchter greifen, merkte aber zu spät, dass er mit dem Ellenbogen auf der Tischdecke lag, zog diese dabei mit und riss die Karaffe mit dem Wein und die Vase um. Mit der linken Hand war er aber nicht schnell genug um diese aufzuhalten. Die rote Flüssigkeit und das Blumenwasser ergoss sich über den Tisch, seinen Hemdsärmel und tropfte nun auf den Boden. Vor dem Tisch halb kniend sah er fast in Zeitlupe wie das Unglück seinen Lauf nahm. War es Wut? Ärger? Panik, die ihm sachte ein paar Tränen in die Augen trieb? Wie erstarrt schaute er über den doch so liebevoll gedeckten Tisch, der nur noch das reinste Chaos war. Das Rinnsal aus Wein und Blumenwasser tropfte inzwischen weiter auf den Boden und weichte seine Hose am Knie auf. Ganz langsam ballte er seine Hand zu einer Faust, die er so fest drückte, dass seine Knöchel begannen sich weiß zu färben.

    Grimmig schaute er zur Spinne, die genau in dem Moment durch das leicht geöffnete Fenster verschwand als es an der Wohnungstür schellte.....

  • "Engelsgeduld"
    Thema: aus heiterem Himmel
    Autor: Columbo
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    Heiner saß auf einem Mauersims, ließ die Beine baumeln und rieb seine Flügel aneinander. Das raschelnde Geräusch lenkte ihn von Jean-Pierres ewigem Geplapper ab. „... mon dieu, isch kann dir sagen, dass ich sähr enttäuscht war, als la petite baronesse misch schließlisch hinauskomplimentiert hatte ...“ Heiner hasste diesen fürchterlichen französischen Akzent. Er hasste diese Weibergeschichten. Und er hasste diese Langeweile. „Oh Gott,“ stöhnte Heiner, „wenn Du mir schon einen verrückten, seit zweihundert Jahren rumgeisternden Franzosen zur Seite stellen musstest, warum konnte es dann nicht wenigstens ein Geköpfter sein?“ Jean-Pierre zischte erschrocken: „Still, mein Freund. Du weißt doch selbst am bestähn, dass er alles ööört???“ Ja, dass wusste Heiner zu gut. Zwei Jahre in der PR-Abteilung hatte ihn der jüngste Fluch eingebracht. Zwei Jahre Headlines in der Springerpresse. Immer schön die Hirne vernebeln. Scheissjob. Aber angesichts von Milliarden Welten in der Schöpfung, musste man eben möglichst viele so kontrolliert wie möglich laufen lassen. Selbst der Boss kann nicht überall mitmischen.
    Immerhin: Auch als einfacher Engel konnte man so hin und wieder unbemerkt das göttliche Regelwerk unterlaufen. Oder einen plappernden Partner verfluchen. „Halt endlich die Schnauze, Froschflügel.“ Jean-Pierre flatterte vor Ärger aufgeregt mit seinen - im Vergleich zu Heiners Schwingen recht zierlichen - Federstummeln. Heiner schmunzelte; selbst die Ewigkeit kennt wohl keine Gerechtigkeit. Aber verflixt: Wegen dieses dümmlichen, vom Schanker abberufenen Franzosen war ihm jetzt ihr Klient aus den Augen geraten. Dr. Peter Rein-Lodemann, Justiziar einer Papiergroßhandlung, 56 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Gründerzeitvilla am Stadtrand, Mercedes E-Klasse, ein SL-Roadster für die Gattin. Keine Herausforderung für ein versiertes Betreuerteam. Spießig, langweilig, vorhersehbar. Aber wenn der Alte rausbekommen sollte, dass sie ihren Klienten verloren hatten, kämen sie kaum mit zwei Jahren PR-Produktion davon. Das kostete mindestens zehn Jahre in der Begleitung einer dieser Historienschinken-Schriftstellerinnen. Scheisse. Heiner schwebte von der Mauer und zerrte den schmollenden Jean-Pierre hinterher. Sie flogen die Hauptstraße hinunter zum Café, in dem Rein-Lodemann gerne einen Latte-Macchiato bestellte. „Uff,“ stöhnte Heiner, „Glück gehabt. Wir haben ihn wieder.“ Jean-Pierre zupfte seinen Partner am Umhang. „Was aaaben wir döönnn hier? Kennst du nischt diese junge Mademoiselle aus der Boutique, in der Madame Lodemann einkauft?“ Er zeigte erregt auf eine vollbusige und für Heiners Geschmack etwas zu stark geschminkte Frau am Nebentisch Lodemanns. Heiners verärgerte Miene hellte sich auf. Sollte ihm Jean-Pierres Weibergetue doch nützlich sein? Eine wahrhaft teuflische Idee. „Komm’“, raunte Heiner seinem Partner zu, „wir wollen etwas Pepp in den göttlichen Plan bringen.“ Zweiter Frühling, Affäre, Scheidung, Absturz. Heiner musste lachen. Ja, das machte Laune.


    Nein, so ungeschickt kannte er sich gar nicht! Dr. Rein-Lodemann war mit seinem Ellbogen nur leicht an das Latte-Glas gestoßen und doch flog der Kaffee wundersam weit durch die Luft, direkt auf das Kleid der Dame am Nebentisch. „Oh, verzeihen sie, wie kann ich das nur gut machen ...“ Der Jurist suchte nervös nach einer Serviette. Dann sahen sie sich tief in die Augen. Manchmal trifft es einen wie aus heiterem Himmel, dachte Lodemann. Und für einen kurzen Moment meinte er, von weit her ein Lachen zu hören.

  • "Feierabend"
    Thema: Pure Lust
    Autor: Doc Hollywood
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    „Willste ficken?“, fragte mich das Mädchen mit dem kurzen roten Schottenrock, als ich an ihr vorbei ging. Ihre Haare waren grün und rot und ihre Schläfen kahlgeschoren. Sie streckte mir schlabbernd ihre gepiercte Zunge entgegen und machte mit den Hüften ein paar schaukelnde Bewegungen.


    Jeden Tag komme ich an der kleinen Gruppe Punks vorbei, die in der Nähe des Bahnhofs herumlungern. Und fast jeden Tag denke ich mir, daß die Zeit der Punks doch schon längst vorbei ist. Warum sagt das denen denn niemand? Heutzutage laufen die Punks doch alle mit tiefschwarz gefärbten langen Haaren herum, haben wallende schwarze Mäntel um sich geschlungen und sehen so blass aus, daß eine Leiche dagegen wie ein Sommerfrischler wirkt. Punks heissen heute Gothics, sagt meine Tochter. Die muß das wissen, läuft schließlich selbst herum, als ob alle anderen Farben tödlich für sie wären.


    Die schottenberockte Punkerin würde ich nicht ficken wollen. Nein, definitiv nicht. Bäh. Diese nett lächelnde junge C&A-Frau in den hübschen Dessous, die mich von der Plakatwand herunter ansah, wäre da schon eher etwas für mich. Rund zwei Blocks vor „meiner“ Straße blieb ich dann auch noch kurz am Schaufenster des Sex Shops hängen. Eine Schaufensterpuppe in einem Krankenschwesterkostümchen aus glänzendem Latex hielt ein Schild mit der Aufschrift „Trauen Sie sich herein, wir beraten Sie gerne!“ in der Hand. Um die Puppe herum lagen Ledermasken mit Nieten und Reißverschlüssen am Mund, Handschellen und Peitschen und jede Menge bunter Plastikspielkram. Sabine und ich hatten sowas auch schon mal ausprobiert. Der Erfolg war umwerfend. Wir mussten dabei beide so lachen, daß am Ende gar nichts mehr ging. Wir waren uns hinterher einig, daß wir lieber weiterhin Sex pur geniessen wollten.


    Schon vor der Wohnungstür hatte ich Sabines Kochgeruch in der Nase. Lecker. Ich hatte bereits auf dem Heimweg Hunger, also beeilte ich mich aufzuschließen. Ich hing meinen Rucksack und meine Jacke an die Garderobe und rief: „Hallo, bin da. Das riecht ja lecker.“
    „Dauert aber noch. Hallo Schatz!“, hörte ich Sabine aus der Küche mit dem Geschirr klappern.
    Ich ging ins Badezimmer und warf vorher noch einen kurzen wehmütigen Blick ins frühere Kinderzimmer. Sabine hatte es fertiggestrichen. Blasses Orange, hübsch. Es soll ein kombiniertes Computer- und Bastelzimmer werden, jetzt da Anne eine günstige WG gefunden hat und ausgezogen ist. Meine Klamotten landeten im Wäschesammler und ich stieg unter die Dusche. Während ich mich einseifte und über kurze Schottenröcke, Krankenschwestern in Latex und C&A-Dessous-Mädchen nachdachte, bekam ich Lust. Lust auf Sabine.


    Noch ziemlich nass, nur notdürftig abgetrocknet und mit einem Ständer auf den ich in meinem Alter zurecht stolz war, rief ich mit einer Mischung aus Geil- und Heiterkeit auf dem Weg zur Küche: „Sabine, willste ficken?“.
    Mit großem Elan bog ich in die Küche ab und blieb wie angewurzelt stehen. Anne, unsere Tochter, saß am Küchentisch und grinste mich an: „Hallo Paps, alles klar?“
    Sabine antwortete auf meine Frage in einem amüsiert entspannten Tonfall, während sie gerade in einem Topf rührte: „Sicher Schatz, nur lass uns warten, bis Anne wieder weg ist, ja?“

  • "Der Wettermacher"
    Thema: Sommergewitter
    Autor: Kim Meridian
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    "Du bist also Jan Greeven, wohnhaft in der Jugendunterkunft 14b, Bezirk drei, Bloomshaven City. Korrekt? "


    Der blässliche Junge auf dem orangefarbenen Plastiksessel nickte kurz und widmete sich seinen Händen.
    Die Psychologin, Professor Greetje Lievenhoog sah kurz in seine Akte und blickte zu ihm, doch er sah sie nicht an.


    "Jan, du weißt, wieso du hier bist. Und ich denke, du bist alt genug um zu wissen, welche Konsequenzen deine Tat hat.
    Aber wenn du kooperierst, dann könnte das dein Strafmaß verringern."


    Jan blickte stumm auf den dunkelgrünen Algenfaserteppich.
    Professor Lievenhoog schritt um den schwarzen Metallschreibtisch und kniete sich vor Jan hin.


    Der soll 15 sein? Er sieht aus wie 12. Ich muss versuchen sein Vertrauen zu gewinnen um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Vertrauen schaffen, denk daran, Greetje.


    Sie strich eine Strähne ihres blaugefärbten Haares aus der Stirn und legte Jan die Hand auf die Schulter unter dem hellen Synthetik-Shirt. Er blickte sie aus seinen grauen Augen ausdruckslos an.


    Seine Augen haben die Farbe von Regenwolken. Und es liegt Sehnsucht darin.
    Dieser Blick...


    "Jan, was du getan hast, war keine Kleinigkeit! In die Wetterstation einbrechen und ein Gewitter erzeugen!
    Du hast der gesamten Stadt einen gewaltigen Schrecken eingejagt und alle in Gefahr gebracht. Der Schaden beträgt Tausende! Es war reines Glück, dass keiner gestorben ist. Bist du dir darüber überhaupt im Klaren?"


    Jan drehte den Kopf weg und blickte zum Fenster. Draußen schien die Sonne.
    "Es ist falsch", flüsterte er und sah zurück zu Greetje Lievenhoog.


    Wie künstlich sie doch selbst ist mit ihren Kunsthaaren, den Plastikfingernägeln und den bunten Klebwimpern. Sie wird es nicht verstehen.


    "Was ist falsch?", fragte sie sofort.
    "Das Wetter, es ist nicht richtig, dass wir es machen. Das bringt alles durcheinander. Wir dürfen der Natur nicht so ins Handwerk pfuschen", antwortete er mit leiser Stimme.
    "Wieso denn?", fragte die Professorin erstaunt. "Es ist doch toll, wenn wir selbst bestimmen können, wann es regnet und wann wir gutes Wetter brauchen. Was soll daran falsch sein?"


    Ich wusste, dass sie es nicht verstehen wird. Keiner von ihnen versteht es. Aber wir können es nicht mehr aushalten. Ich musste es einfach tun, für uns… Für Lisa, für Tomte, für Klaas und Katrinka… für unsere Sehnsucht...


    Er sah Greetje an. "Warum?", murmelte sie. "Ich verstehe es nicht…"


    "Haben Sie denn noch nie diese Sehnsucht nach Regen gefühlt? Die Tropfen auf der Haut spüren; die Blitze, die den Himmel erhellen; der Donner, der dumpf über unseren Köpfen grollt; der Sturmwind in den Haaren...
    Und das alles ganz plötzlich, überraschend bricht es über einen herein und man spürt, dass man lebt…"


    Er brach ab und eine Träne rollte über seine Wange.
    Greetje ging langsam zu ihrem Schreibtisch und notierte.


    Der Täter Jan Greeven erkennt seine Schuld, gab jedoch der Vermutung Anlass, diese Tat wiederholen zu wollen und ist somit eine Gefährdung für die Allgemeinheit.
    Ich empfehle vorläufige Sicherheitsverwahrung und eine langfristige Therapie, um ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
    Das Sitzungsprotokoll liegt bei.


    Mit freundlichen Grüßen, Greetje Lievenhoog

  • "Herr von Olpe"
    Thema: Ruinen
    Autor: Polli
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    Herr von Olpe aus Olpe im Sauerland,
    ein Schwenkgrill in seinem Garten stand.
    Und kam die schöne Grillwurstzeit,
    die Holzkohle qualmte weit und breit,
    da packte, wenn’s Sechse vom Kirchturm scholl,
    Herr von Olpe die Plastikteller voll.
    Und kam der Nachbar, so rief er: „Heinz!
    Willste zwei Würstchen oder nur eins?“
    Und kam der andre von Hausnummer vier,
    dann rief er: „Erich, ich geb dir ein Bier.“


    So ging’s viele Jahre, bis irgendwann
    Herr von Olpe sich zu verändern begann.
    Es kam die goldene Grillsaison,
    sanft quoll der Rauch vom Schwenkgrill schon,
    da klagte von Olpe: „Ich kann nicht mehr.“
    Er gab Schürze, Zange und Bierglas her,
    schob unter Tränen den Teller weg,
    das Bauchfleisch auch und das Besteck.
    Die Gattin, Ratlosigkeit im Gesicht:
    „Schatz, schmeckt etwa heute das Bauchfleisch nicht?“
    Von Olpe sagte: „Mit Grillen ist’s aus.
    Ich mag nicht mehr essen, ich gehe ins Haus.“


    Die Familie war sprachlos und ungewiss.
    Des Rätsels Lösung: Am Kaugebiss
    hatte Löcher genagt der Zahn der Zeit,
    Ruinen leuchteten weit und breit,
    und biss Herr von Olpe in knusprige Krusten,
    dann schmerzten die Zähne, was die Leute nicht wussten.
    Und sagte der Heinz: „Junge, trinkste eins mit?“,
    dann verbarg er mit Mühe die Pein, die er litt.


    Die Zeit verstrich. Der Zahnschmerz zwang
    Herrn von Olpe zum elenden Büßergang.
    Er besuchte den Zahnarzt. Der sagte nur:
    „Nichts als Ruinen auf weiter Flur.
    Sehr mühsam ist’s, sie abzuräumen.
    Da hilft es nicht, sich aufzubäumen.“
    Von Olpe mochte nicht mehr sitzen.
    Der Doktor zwang ihn mit vier Spritzen.
    Es wurde dämmrig, schwarze Nacht,
    und als von Olpe neu erwacht,
    da spürt er Taubheit weit und breit,
    die Ruinen sind fort, das wurde auch Zeit!
    Erleichert ruft er: „Fort die Pein!
    Fum nächften Grillfeft lad ich Fie ein!“


    Er eilt nach Haus. Ach, welch Verdruss,
    als er im Spiegel sehen muss,
    dass statt Ruinen in dem Munde
    nichts weiter ist als eine Wunde.
    Ganz zahnlos sieht er sich als Greis,
    empört ruft er: „Was für ein Scheiß!
    Ich bin untauglich ohne Zähne,
    was ich bald vor Gericht erwähne!“
    So schimpft er laut. Das ist nicht recht.
    Er kennt den Zahnarzt leider schlecht.
    Der wusste, was er damals tat,
    als er ihn zur Behandlung bat.


    Er schreibt ihm: „Kommen Sie bald her
    zur Zahnanpassung, bitte sehr!“
    Ein neues Gebiss hält er bereit,
    die Zähne leuchten weit und breit,
    er setzt es ein, tatsächlich, es passt,
    Herr von Olpe ist selig. In seiner Hast
    zieht’s ihn nach Haus und er freut sich schon
    auf die Neueröffnung der Grillsaison.


    Von der Geschichte die Moral:
    Der Zahnschmerz führt zur Höllenqual.
    Es bremst den Grillfreund ganz gewiss
    ein ruiniertes Zahngebiss.
    Wer Liebe hegt zu Steak und Würsten,
    muss täglich seine Zähne bürsten.

  • "Die Schokoladenmacherin"
    Thema: Schokolade
    Autor: Doc Hollywood
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    „Was soll ich nur tun? Weh mir, mein geliebter Henry. Warum hast Du mich nur verlassen?“, klagte Rebecca über das frisch zugeschaufelte Grab ihres Ehemannes gebeugt. Ein aufkommender Wind zerzauste ihr langes braunes Haar und trocknete ihre Tränen so rasch, wie sie ihr über das Gesicht rannen. Nachdem der Priester die letzten Worte gesprochen hatte, war nur eine alte Frau aus dem Dorf bei ihr auf dem Friedhof geblieben, die ihr nun sanft einen Arm um die Schultern legte.
    „Komm mein Kind, Dir ist heute genug Schlimmes widerfahren. Sag’ Deinem Mann Lebwohl.“ Dann zog sie Rebecca auf die Füße und nahm sie mit sich. Als sie gerade den Friedhof verlassen hatten, setzte der Regen ein und ein paar Reiter lenkten ihre Pferde um die verwitterten Steine der kleinen Kirche herum.


    „Rebecca, Frau des verstorbenen Henry Sourbon“, stellte einer der Reiter fest, als er sein schnaubendes Pferd unmittelbar vor den zwei Frauen zum Stehen brachte.
    Sie löste sich aus der Umarmung der Alten und trat dem Reiter entgegen. „Das bin ich. Was wollt Ihr von mir?“, wollte Rebecca wissen und strich sich dabei ein paar vom Wind verwehte Strähnen aus dem Gesicht.
    „Baron Le Clerque wünscht die Dienste des Chocolatiers Sourbon auch weiterhin in Anspruch nehmen zu können und bittet Euch das Geschäft Eures Mannes weiterzuführen“, erklärte der Reiter mit lauter Stimme. Er sah auf die junge Frau hinab und wartete auf eine Antwort.
    Rebecca war unschlüssig. Zu oft hatte der verruchte Baron schon versucht ihr mehr oder weniger eindeutige Avancen zu machen. Ihre Gedanken rasten umher und drehten sich im Kreis. Nach dem plötzlichen Tod ihres geliebten Mannes war sie auf einmal auf sich allein gestellt.
    Langsam nickte sie dem Reiter zu. „Bestellt dem Baron, daß ich die Arbeit meines Mannes fortsetzen werde und dankt ihm für seine Anteilnahme“, entgegnete sie dem Reiter, den die ungewöhnliche Schärfe in ihrer Stimme stutzen ließ. Auf sein Handzeichen hin, gab die Truppe ihren Pferden die Sporen und galoppierte Dreck aufspritzend davon.


    Sie hatte Henry viele Jahre lang zur Seite gestanden und seine Rezepturen studiert und mit selbst angepflanzten Kräutern aus ihrem kleinen Garten bereichert. Doch nun musste sie sich zum ersten Mal selbst ans Werk machen und jene Schokolade herstellen, für die ihr verstorbener Mann weit über die Grenzen der Provinz hinaus bekannt geworden war. Mit jedem Tag, den sie in der süßlich riechenden Arbeitsstube verbrachte, deren Geruch sie so sehr an Henry geliebt hatte, wuchs ihr Wissen und ein Plan reifte in ihr heran. Ein Plan, der sie endgültig von den Nachstellungen Le Clerques befreien und den Tod ihres Mannes rächen würde. Ja, Rache war es, die ihr neue Kraft gab, als ihr Verdacht durch eine unbedachte Äußerung des Barons zu schrecklicher Gewissheit wurde und sie fast verzweifeln ließ.
    Bald würde sie die beste Schokolade ausliefern, die den Namen Sourbon je getragen hatte. „Ein süßer Tod erwartet Dich, Baron“, flüsterte sie, als sie die Zutaten in die große Schüssel gab und mit eifrigen Händen vermengte.

  • "Marketing für den Tod"
    Thema: Mitternacht
    Autor: Waldfee
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    Manche wählen die Gestalt eines Fabelwesens. Andere halten auf Traditionen, wickeln sich in schwarze Umhänge mit großen Kapuzen und tragen Sensen bei sich. Ich komme in Menschengestalt, Geschlecht und Verkleidung variieren. Ich liebe effektvolle Auftritte und erscheine grundsätzlich um Mitternacht. Um meinen Job machen zu können, muss man einiges erlebt haben. Allem voran den Tod.


    Der Tod ist ein umgänglicher Kerl und ein guter Unternehmer, einzig: Er kennt keine Moral. Als wir uns kennen lernten, gestand er, nach mir geschickt zu haben, weil ich ein guter Verkäufer sei. Er bot mir eine Stelle als Gesandter an. Schon zu Lebzeiten hatte ich nichts so sehr gefürchtet wie die Langeweile. Also schlug ich ein.


    Ich handelte auf Weisung des Todes und viele Aufträge gefielen mir nicht. Deshalb reichte ich einen Verbesserungsvorschlag ein:


    1. Mehr Gerechtigkeit bei der Auswahl der Kunden – schlechten Menschen den Vorzug geben, gute Menschen erst in hohem Alter abberufen. Ziel: Wertewandel innerhalb der Belegschaft, Image-Verbesserung im Diesseits.


    2. Dienstleistungen nicht unter Zwang erbringen, ein Nein akzeptieren, Aufschübe gewähren. Ziel: Chancen der Mundpropaganda nutzen, Verbesserung des Ansehens der Marke TOD im Diesseits.


    Der Tod war amüsiert. Das einzige, was ihn kümmere, sei der Umsatz. Auf ein positives Image pfeife er. Ich hatte jedoch einen Vertrag auf Todeszeit unterschrieben und beschloss, meine Arbeit fortan positiv zu sehen: Sie ist abwechslungsreich, erfordert Fantasie und Einfühlungsvermögen, und sie führt mich regelmäßig ins Diesseits.


    Ich arbeite eng mit unseren Partnern zusammen, am häufigsten mit der Krankheit, der Sucht und dem Zufall. Sie leisten die Vorarbeit, ich mache den Abschluss. Meist ist die Vorarbeit so gut, dass der Kunde nur noch unterschreiben muss. Doch einige weigern sich. Sie bevorzugen es, fünfzehn Jahre oder länger im Wachkoma zu liegen, ertragen schlimme Schmerzen und fristen ihr Dasein unter unwürdigsten Bedingungen. Solche Fälle sind eine Herausforderung.


    Manchmal reichen ein billiges Nuttenkostüm, ein großer Busen und verheißungsvolle Andeutungen. Wo nötig komme ich mehrmals, wiederhole mein Angebot und mache kleine Geschenke: Miniatur-Sensen, die als Brieföffner dienen, fluoreszierende Totenköpfe oder winzige Gebetsbücher, die beim Aufschlagen die Titelmelodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ wiedergeben. Der Verkaufsschlager ist mein Auftritt in weißem Gewand und strahlendem Licht, natürlich zur Geisterstunde, begleitet von engelschorgleichem Gesang. Ich behaupte nicht, Gott zu sein, um Himmels Willen. Ich spreche mit sanfter, sonorer und zugleich gütiger Stimme. Die Wirkung ist großartig, und der Tod ist sehr zufrieden mit meiner Abschlussquote.


    Heute erhielt ich jedoch ein Schreiben auf leuchtendem Papier:


    Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihrem anmaßenden Geschäftsgebaren als Gesandter des Todes nicht länger tatenlos zusehen kann. Ich werde daher veranlassen, dass Ihr Vertrag auf Todeszeit vorzeitig gelöst wird. Da Ihre Vorschläge für die Image-Aufwertung der Marke TOD jedoch in meinem Sinne sind, biete ich Ihnen einen guten Platz im Jenseits an. Leider sind meine jahrtausende währenden Verhandlungen mit dem Teufel über eine Änderung der Geschäftspraktiken unseres gemeinsamen Unternehmens TOD im Sinne von mehr Gerechtigkeit und Kundenfreundlichkeit bislang ergebnislos verlaufen. Ich bleibe aber dran.


    G.

  • "Gefindet"
    Thema: Gefunden
    Autor: Wilma Wattwurm
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    „Mammi, Mammi, kuck mal was ich gefindet habe!“
    „Gefunden heißt das. Was hast du denn gefunden, Lukas?“
    „Mammi, komm kucken, komm doch!“ Das Geschrei aus der Küche wurde fordernder.
    Genervt stellte Claudia die Nagellackflasche weg und bewegte sich ein paar Schritte Richtung Wohnzimmertür.
    „Psst, du weckst noch Papa auf!“
    Diese Warnung war eigentlich überflüssig. Bernd würde so schnell nicht wach werden. Wenn der schlief konnte die Welt untergehen, ohne daß er es merkte. Samstags kam er meistens erst zum Mittagessen aus dem Bett. Und gestern abend war es wieder spät geworden.
    „Mammi, du mußt abba kommen kucken“, ertönte es etwas leiser.
    „Ich kann jetzt nicht, Lukas“, erwidete Claudia resolut und pustete über die frisch gelackten Nägel.
    Lukas war derzeit in seiner Entdeckungsphase und man mußte ihm nicht immer seinen Willen lassen. Der Bengel mußte lernen, daß sich nicht alles um ihn drehte.


    Aha, die Lokalnachrichten. Sie ging zurück zur Couch. Vorsichtig, mit gespreizten Fingern, um den Lack nicht zu beschädigen packte sie die Fernbedienung.
    Die „Queen Mary“ im Hamburger Dock, die mußte sie sich unbedingt ‚live’ ansehen. Bis zum 19. November war das noch möglich. Lukas würde so ein Riesenschiff sicher auch gefallen. Vielleicht würde Bernd sogar mitkommen. Obwohl...
    Der hatte ja zu nichts mehr Zeit, selbst an Wochenden mußte er arbeiten, von den langen Abenden ganz zu schweigen. Manchmal kam ihr der Gedanke, er habe eine Geliebte.
    Sie griff zur Nagellackflasche um die zweite Schicht anzubringen.
    Eine andere Frau, nein, daran mußte sie nicht denken, nicht ihr Bernd.
    Energisch strich sie mit dem Pinsel über die Nägel der linken Hand.



    Oh je, nicht schon wieder. Nicht noch ein Opfer. Der „Stempelmörder“ hatte scheinbar wieder zugeschlagen. Aufgeregt tickte sie ein paar Mal auf die Volumentaste. Dieses abartige Schwein trieb seit mehreren Monaten sein Unwesen. Vergewaltigte junge Frauen vom Straßenstrich, erdrosselte sie und drückte ihnen dann mit einem ordinären Bürostempel „ERLEDIGT“ auf die Stirn. Pervers!
    Eine 15jährige Heroinhure diesmal. Man hatte sie in einer dunklen Seitengasse vom Steindamm gefunden. Was für ein Mensch tat nur so etwas?
    Angewidert schaltete Claudia den Apparat aus.


    Zeit um nachzusehen, was ihr Sohn diesmal wieder „entdeckt“ hatte.
    Sie ging zur Küche, blieb wie angewurzelt an der Tür stehen.
    „Lukas, was machst du denn da? Und wie siehst du denn aus? Was soll die Schweinerei?“
    Der Küchentisch war übersät mit einem blauen Fleckenmuster und Lukas war gerade dabei, die weißtapezierte Wand dahinter zu bearbeiten.
    „Nicht schön?“ fragte er sie enttäuscht-verwundert anblickend.
    „Nein, nicht schön“, herrschte sie ihn an. „Woher hast du das überhaupt?“
    „Hab ich gefindet, hab ich doch gesagt“.
    „Gefunden heißt das, wie oft noch, wo hast du das gefunden?“
    „In die Tasche von Papas Mantel“.
    Entsetzt starrte sie auf die verunzierte Tapete und ihre Pupillen erweiterten sich, als sie das Muster genauer betrachtete. „ERLEDIGT“ entzifferte sie, zigmale kreuz und quer stand es da, in blauen Großbuchstaben: „ERLEDIGT“.

  • "Die Pilzpfanne"
    Thema: Rausch
    Autor: Nudelsuppe
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    Der offene Kühlschrank summte wie eine wild gewordene Libelle. Davor
    saß Mika im Minirock und hielt ihre Füße hinein.
    „Du hast bestimmt gleich Eisbeine“, sagte ich.
    Mika drehte ihren Oberkörper zu mir und sagte „Muss sein“.
    „Warum?“
    „Vielleicht war das Essen nicht gut. Mir ist ein wenig schwindelig.“
    „Mir auch“, sagte ich. Das Beste wäre es wahrscheinlich, ins Bett zu
    gehen. Ich zog mich aus und stand unentschlossen nackt in der Küche.
    „Das Bett ist so weit weg.“
    „Dann nimm den Küchentisch.“
    Ich legte mich auf den Küchentisch und streckte mich aus. „Im
    nächsten Leben werde ich ein Pinguin und heirate dich.“
    Mika schwieg. Die Sonne rutschte vom Himmel, uns blieb in der Küche
    nur das kleine Licht des Kühlschranks.
    „Der Boden hält nicht, wenn die Füße zu warm sind,“ sagte sie, „wenn
    wir nicht aufpassen, dann schmilzt er und wir fallen durch.“
    „Haben wir noch Champignons?“
    „Trompetenpilze sind noch da.“
    „Du meinst die Dinger, die an der Decke wachsen?“
    „Andere Pilze haben wir nicht mehr.“
    „Die Küche riecht nach Meer“, sagte ich.
    Sie zog ihre Füße aus dem Kühlschrank, stand auf und begann sich
    ebenfalls auszuziehen.
    „Ich bin eine Pinguinfrau“, sagte sie, legte die Arme an und
    watschelte zu mir rüber. „Hast du noch etwas Platz auf dem Tisch für
    mich?“
    Ich nickte und rückte etwas zur Seite. Sie legte sich zu mir, ihre
    kalten Füße an meinen reibend. Mir kam es vor, als trieben wir auf
    einer Eisscholle.
    „Magst du mich jetzt heiraten?“, fragte sie.
    „Obwohl ich noch kein Pinguin bin?“
    „Ich mache dich jetzt zu einem.“
    Wir wurden erst zu summenden Libellen, dann zu Aalen, und endlich,
    als die Sonne wieder in den Himmel stieg, zu leise schnarchenden
    Pinguinen.