Jakob Hein - Herr Jensen steigt aus

  • Jakob Hein - Herr Jensen steigt aus


    Kurzbeschreibung
    Sie sind komisch. Sie sind tragisch. Wir erkennen uns in ihnen wieder und betrachten fortan das Alltägliche mit anderen Augen: Von Gregor Samsa bis Garp bevölkern Sonderlinge die Literatur. Herr Jensen ist einer von ihnen. Herr Jensen arbeitet bei der Post. Sorgfältig, beinahe liebevoll pflegt er seine Zustellungen in die Schlitze der Briefkästen zu schieben. Arbeitet Herr Jensen nicht, denkt er über geheime Jagdgründe für Frauen nach oder über die Schwerkraft. Für ihn hätte es immer so weitergehen können. Eines Tages allerdings wird Herr Jensen freigestellt, um Freistellungen vermeiden zu können, wie man ihm erklärt. Bald darauf stellt er fest, daß man einen Wecker, der nicht mehr wecken muß, eigentlich Uhr nennen sollte. Immer seltener verläßt er seine Wohnung. Denn nun ist er einer ganz großen Sache auf der Spur, nur entdecken darf ihn dabei keiner – dafür hat Herr Jensen gesorgt. Ist es wirklich die hohe Kunst des Nichtstuns, die Herrn Jensen treibt, oder verfolgt er nicht doch einen geheimen Plan? Nicht das Alltägliche, nicht der Wahnsinn interessieren Jakob Hein, es ist der schmale Grat dazwischen.


    Über den Autor
    Jakob Hein ist 1971 in Leipzig geboren und lebt als praktizierender Arzt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm sein autobiographisches Familienporträt »Vielleicht ist es sogar schön« und »Herr Jensen steigt aus«.


    Meine Meinung
    Auf das Buch wurde ich durch die Lesen!-Sendung von Elke Heidenreich aufmerksam, auch mein Mann fand das Buch sehr interessant und so wurde es gekauft. Mein Mann hat es zuerst gelesen und fand es interessant, gut geschrieben, aber auch ein wenig öde zwischendurch.


    Herr Jensen ist Postbote, bis er gekündigt wird, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Arbeitslos beginnt er dann, sich Gedanken um sein weiteres Leben zu machen. Zuerst fallen ihm spektakuläre Ideen ein (wie z.B. Talkshows analysieren) bis er dann eines Tages den Fernseher samt Videorekorder entsorgt. Er muss in eine völligst sinn- und vor allem nutzlose Maßnahme des Arbeitsamtes, in der er nur die Müllkippe draussen betrachtet. Irgendwann fängt er an, nichts zu tun, sich dem System komplett zu entziehen und zu verweigern. Dadurch vereinsamt er total und wird langsam aber sicher paranoid.


    Mir hat das Buch relativ gut gefallen, es zeigt eindrucksvoll die zunehmende Vereinsamung der Gesellschaft auf sowie den immer stärker werdenden Egoismus der Menschen und die Ausgrenzung von Arbeitslosen durch Arbeitnehmer. Es ist gut geschrieben, allerdings wird auf so einigen Seiten nicht viel gesagt, ja, es ist nahezu langweilig, was schade bei einem nur 133-Seitenbuch ist.
    Das Buch hat einen Stimmungsfall, anfangs als es Herrn Jensen noch gut geht in seinem Job, ist es phasenweise sehr lustig, später aber bekommt es einen total tristen Erzählton, allerdings - genau so sieht die kleine Welt von Herrn Jensen auch aus - trist, langweilig, trostlos.


    Von mir erhält das Buch 3 von 5 Sternen, da man nach der Lektüre die Welt rund um Hartz4 ein wenig anders sieht, es flüssig und leicht zu lesen ist und einfach mal was ganz anderes ist.
    Und - Herr Jensen könnte auch unser Nachbar sein ;-)


    Bibi
    :wave

  • Ich habe "Herr Jensen steigt aus" gestern ausgelesen und bin auch nicht völlig überzeugt.


    Der Titel suggeriert einen freiwilligen Ausstieg aus der Gesellschaft und so wurde es auch in "Lesen" auch dargestellt. Es ist aber mitnichten ein freiwilliger Ausstieg.


    Wenn in der Kurzbeschreibung vom "schmalen Grat zwischen Alltäglichem und Wahnsinn" Rede ist, kann man festhalten, daß das Leben von Herrn Jensen am Anfang der Schilderung durchaus als normal eingestuft werden kann.


    Er kommt erst ins Straucheln, als er seinen Job und seine tägliche Aufgabe in der Gesellschaft verliert. Ohne diese äußeren Umstände hätte er m.E. weiterhin ein als gemeinhin "normal" angesehenes Leben führen können.


    Zum Schluß wird die Sache aber immer bizarrer: In Herrn Jensens Kopf stehen Parallelwelten, Verschwörungstheorien und er ist der Welt überhaupt nicht mehr zugänglich. Er entwickelt eine handfeste Psychose und überschreitet somit in meinen Augen deutlich den schmalen Grat und stürzt in Richtung Wahnsinn ab.


    Das Buch beklemmt, es führt zu der Frage, wer an welcher Stelle hätte reagieren müssen, um den Absturz des Herrn Jensens verhindern zu können. Aber Herr Jensen ist in keine sozialen Netzwerke eingebunden, die sein Abdriften rechtzeitig hätten bemerken können.


    Herr Jensen ist ein beliebiges Glied der Gesellschaft, zu dem niemand eine engere Beziehung hegt. So erfahren wir bis zum Schluß auch nicht seinen Vornamen.


    Zitat

    Original von bibihexe76
    Das Buch hat einen Stimmungsfall, anfangs als es Herrn Jensen noch gut geht in seinem Job, ist es phasenweise sehr lustig, später aber bekommt es einen total tristen Erzählton, allerdings - genau so sieht die kleine Welt von Herrn Jensen auch aus - trist, langweilig, trostlos.


    Das kann ich so auch vollkommen unterschreiben.
    Ich finde es auch bezeichnend, daß in einem 133-Seiten-Buch Anflüge von Langeweile entstehen können.


    Ich hatte mir nach der Vorstellung in "Lesen" mehr davon versprochen.


    :wave

  • Ich zitiere mal wieder aus meiner Blorezension, weil ich tippfaul bin ;-)


    "Jakob Hein beschreibt in seinem Buch "Herr Jensen steigt aus" zwar humorvoll, dennoch sehr "erdrückend" und melancholisch eine Situation, wie sie so viele kennen: den Verlust der Arbeitsstelle und damit einhergehend ein ungewohnter Tagesablauf. Nur dass Herr Jensen damit ein wenig anders umzugehen scheint als die meisten Menschen.
    Ich mag diesen schrulligen Kauz, der so viel Tiefsinn beweist und ich finde, seine Art zu demonstrieren sollte Usus werden :-)
    Ein sehr, sehr gutes Buch!"

  • ich habe das buch gerade gelesen und hatte keine sekunde langeweile. ich find es klasse, sehr humorvoll, auch und gerade zum schluss, der ja hier als sehr trist beschrieben wird. ist er auch irgendwie, andererseits aber auch logisch, zumindest in der gedankenwelt des herrn jensen ;-) und trotzdem humorvoll .


    lg inga

  • Ich brauchte eine Pause vom Magdalena Evangelium und habe deshalb dieses Buch gelesen.


    Ich finde es genial. :anbetGroße Klasse.


    Es zeigt, wie fliessend der Übergang zwischen "normal" und "ver-rückt" sein kann.
    Das Buch hat mich keine Minute gelangweilt, im Gegenteil.


    Und immer wieder gab es Sätze, die mir einfach sehr gut gefallen haben.


    Seite 44, als Herr Jensen das erste Mal vor dem (hässlichen) Arbeitsamt steht: "Bedachte man allerdings, fuhr es Herrn Jensen durch den Kopf, daß das erklärte Ziel des Amtes in seiner eigenen Abschaffung bestand, wurde dieses Ziel architektonisch glaubhaft vertreten."



    Oder Seite 104, er diskutiert mit seiner zuständigen Sachbearbeiterin:
    "......warum sollen diese Meldungen, die Sie aus zweiter und ich aus dritter Hand höre, realer sein als die Wirklichkeit, die wir beide kennen?"



    Das Buch bekommt von mir auf jeden Fall 10 Punkte. :-]

  • Ich habe das Büchlein gerade ausgelesen und schließe mich den Meinungen von bibihexe und Friderike ganz und gar an. Gelangweilt habe ich mich besonders im Abschnitt "Herr Jensen demonstriert".
    Allerdings erschien mir Herr Jensen von Anfang an etwas merkwürdig und keineswegs normal, eher fast schon autistisch (beispielsweise sein gestörtes bzw. nicht entwickeltes Verhältnis zu Frauen). Deswegen überraschte mich auch der aufkommende Wahnsinn im Laufe seiner Arbeitslosigkeit nicht weiter.


    Herr Jensen steigt aus ist auf jeden Fall ein humorvolles aber vielmehr ein bedrückendes und nachdenklich stimmendes Buch. Für mich persönlich kein Highlight, aber dennoch lesenswert.


    Zitat

    Original von Friderike
    Das Buch beklemmt, es führt zu der Frage, wer an welcher Stelle hätte reagieren müssen, um den Absturz des Herrn Jensens verhindern zu können. Aber Herr Jensen ist in keine sozialen Netzwerke eingebunden, die sein Abdriften rechtzeitig hätten bemerken können.


    Ja, das ist mir auch aufgefallen und stimmt traurig. :-( Es interessiert keine Menschenseele, was aus diesem Mann wird...

  • Das Buch bzw. der Protagonist hat mich stellenweise etwas an "Herr Lehmann" erinnert, vielleicht hat es aber auch nur bereits der Titel suggeriert.


    Mir gefiel sehr gut die realistische Darstellung vom Schlittern in den Wahn sowie der Bedeutung des Verlusts von alltäglichem Rhytmus.


    Allerdings entsteht für mich die Frage nach einer vermeintlichen Rettung gar nicht, denn meiner Meinung nach ist das nicht die Aussage des Buchs. Für mich steht vielmehr der sprichwörtliche alltägliche Wahnsinn im Mittelpunkt, solche Dinge wie die bereits angesprochenen Szenen im Arbeitsamt beispielsweise, und eine mögliche Konsequenz daraus.
    Also eher zeitgenössisch- kritischer Bericht mit zwinkerndem Auge trotz düsterer Stimmung, anstatt mitleidender Problemroman.
    ;-)

  • Ich habe das Buch gerade gelesen und ich muss sagen, es hat mir sehr gut gefallen!
    Allein die Beschreibungen, wie Herr Jensen seine Umwelt sieht und welche Gedanken er sich macht, fand ich humorvoll und überzeigend.
    Bei seiner Demonstration musste ich lachen, aber ER sieht die Welt nun mal so.
    Die Beschreibungen beim Arbeitsamt und den Kursen fand ich sehr gelungen.
    Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, liest sich recht flüssig und wird keine Sekunde langweilig:

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Das werde ich mir doch gleich mal in der Bücherei vormerken lassen. :angel Ich kann mich noch dran erinnern, als Elke Heidenreich es in "Lesen" vorgestellt hat, da wollte ich es eigentlich schon lesen. Aber seit dem ich hier bei den Eulen bin, komme ich ja fast zu gar nichts mehr. :lache

  • Ich habe das Buch vor langer Zeit auch gelesen. Eigentlich sagen mir die meisten Bücher die Frau Heidenreich vorstellt nicht zu. Dieses war mal wieder eine Ausnahme. Ab und zu gehen wir wohl mit unsere Meinung konform :lache


    Ein nettes Buch. Es liest sich relativ schnell. Aber mehr Seiten müssen es auch nicht ein. So wie es ist, ist es gut. Eigentlich auch ein trauriges Buch. Wie schnell kann ein scheinbar "normaler" Bürger umschwenken. Wie Bibi schon schrieb, Herr Jensen könnte der Mensch von nebenan sein.

  • Auch ich wurde durch dieses Buch aufmerksam, durch die Sendung lesen von Helke Heidenreich im Zdf...


    Bin von diesem Buch mehr als enttäuscht... Langweiliger gehts nicht mehr...


    Als ob alle arbeitslosen in ein Nichtstun verfallen und verblöden und nur noch mit sich selbst quatschen und den ganzen Tag ihre Wände anstarren...


    Für mich war Herr Jensen einfach reif für die Klappa...


    Deshalb vergebe ich dem Buch geradeso 2 von 5 Büchereulen...


    :winkt

  • Der von Frau Heidenreich so hochgelobte "Herr Jensen" ist eine nicht sehr anspruchsvolle Lektüre, die dem Leser vermutlich auch nicht eine größere Stundenanzahl an Zeit rauben wird. Das Büchlein ist sehr dünn und das Schriftbild so gehalten, dass es übersichtlich und sehr verständlich wirkt. Noch dazu kommt der einfach gehaltene Sprachstil, mit dem Jakob Hein sein Buch ausgestattet hat. Aber genauso einfach wie seine verwendete Sprache, ist auch sein Protagonist Herr Jensen. Die Idee, die der Autor hatte und umgesetzt hat, ist witzig, skurril und leicht beängstigend.
    Doch man wird wohl kaum längere Zeit wirklich ernsthaft über die Hintergründe dieser Geschichte nachdenken.

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • Zitat

    Original von Baby_Tizz
    Doch man wird wohl kaum längere Zeit wirklich ernsthaft über die Hintergründe dieser Geschichte nachdenken.


    Schade, dass du das so siehst. Da geht ein Stück Gesellschaft spurlos an dir vorüber.


    In der heutigen Zeit gibt es mit Sicherheit viele Menschen wie Herrn Jensen (vllt nicht in dieser krassen Form, aber prinzipiell). Es könnten auch viele (durch Jobverlust etc) dazu werden. Darüber sollte man sich schon Gedanken machen.
    :wave

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Klar ninnie, das habe ich mir des Öfteren während des Lesens gemacht und mir gedacht, wie schnell es jedem Menschen passieren kann, dass er das gleiche Schicksal erlebt wie Herr Jensen.


    Allerdings gibt es Bücher, die mich auch noch lange nach dem Lesen beschäftigen und ich denke, dass das bei diesem hier nicht der Fall sein wird, weil es dafür einfach zu oberflächlich geschrieben wurde. Allein die Seitenanzahl von 134 reicht meines Erachtens nicht aus, um solch ein ernsthaftes Thema wirklich tiefgehend zu behandeln.


    Tut mir Leid, wenn du falsch verstanden hast, wie ich den von dir zitierten Satz in meiner Rezension gemeint habe. Es ist keinesfalls so, dass ich mich über dieses Thema stellen möchte oder so. Um Gottes Willen! :wave

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • Hallo Baby_Tizz :wave
    Du hast völlig Recht, das Thema ansich hätte mehr als 130 Seiten benötigt, aber mal ehrlich, ich hätte es schwer noch 200 Seiten lesen können, weil das Leben von Herrn Jensen einfach viel zu frustrierend war. Ich fand Stil, Menge etc genau passend zu Hernn Jensen und fand es einfach erschreckend, wie schnell das gehen kann. Er wird natürtlich sehr überspitzt dargestellt, aber so ergeht es wohl wirklich dem ein oder anderen (oder kann es ergehen).

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Das stimmt allerdings. Ich bin keinesfalls jemand, der Vorurteile gegenüber solchen Leuten hat, die für ihr Schicksal nichts können.
    Aber ich für mich fand die Umsetzung in diesem Falle nicht ganz so gelungen, das muss ich leider schon sagen. Ein bisschen "mehr" hatte ich mir schon erhofft.


    Aber zeitweise hat mich das Buch sogar an den Vollidioten erinnert, bzw. umgekehrt. ('Vollidiot' erschien ja erst später als 'Herr Jensen') Die Ideen, auf die man kommt, wenn man den ganzen Tag wirklich gar nichts zu tun hat, scheinen ja wirklich haarsträubend zu sein :lache
    Ich wünsche niemandem, in diese Situation zu kommen :help

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • :lache Oh ja, bei seinen Ideen hab ich auch oft herzlich gelacht. Ist halt völlig überspitzt dargestellt.

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965