Was haltet ihr von Hermann Hesses Kritik an die Vielleser?

  • Was für eine interessante Diskussion!


    Zitat

    Aber ich habe leider die traurige Erfahrung gemacht, dass einige Leser, denen Unterhaltung einfach über alles ist, relativ unkritisch sind und sich vom Gelesenen regelrecht berieseln lassen.


    Da sind meine Erfahrungen aber anders!


    Ich denke eher, daß bei einigen/vielen(?) Menschen erst durch den steigenden Bücherkonsum auch die Ansprüche an die Literatur steigen. Ich habe ganz früher auch mal eine Phase gehabt, in der ich massenhaft Groschenromane verschlungen habe, inzwischen stelle ich ganz andere Anforderungen an die Bücher, die ich mir kaufe. So manch einer hat schon mit der Päpstin angefangen und ist erst dann beim Tribun gelandet :]
    Um die wirkliche Qualität eines Buches zu erkennen, brauche ich doch eine gewisse Basis, auf welcher ich vergleichen und bewerten kann. Wie soll ich das tun, wenn ich erst 3-5 Bücher gelesen habe?
    Viel lesen bedeutet nicht automatisch, kritiklos zu lesen.


    Was die Trivialliteratur angeht: Wenn sie nur den Anspruch hat zu unterhalten und ihr das auch gelingt, dann hat sie ihren Zweck doch erfüllt. Was braucht es noch mehr Existenzberechtigung?


    LG


    Annette

  • Hallo Grisel,


    Zitat

    Tja, wenn Du es ohnehin erwartest, warum fällst Du dann Pauschalurteile?


    :grin


    Ich habe gesagt ich kenne einige, nicht alle! ;-) Das ist keine Pauschalierung.


    Zitat

    Und damit meine ich die vorige Bemerkung über die Gefahren des Unterhaltungslesen.


    Achso. Aber da habe ich doch nur auf Iris Zitat "Sehr viele Menschen fühlen sich nur dann unterhalten, wenn eine Geschichte nirgends an ihrem Weltbild kratzt. Was im Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus natürlich ein sehr weites Feld ist." mit meiner Aussage:


    "Dito. Genau meine Meinung, Iris. Und das ist das Gefährliche am so genannten Unterhaltungslesen ..."


    Bezug genommen. ;-) Da finde ich keine Pauschalierung, sondern eine meinungsbetonte Feststellung. Ich habe nur gesagt, dass es eine Gefahr (denk dir ein eventuell dazu ... :grin ) darstellt.


    Zitat

    aber in Kombination klingt das für mich wie eine Warnung vor simplem Unterhaltungslesen weil es die Menschen unkritisch macht.


    Mal eine unschuldige Frage: Warum ist es verboten, hier Kritik zu üben?
    Warum darf ich nicht "warnen"?


    mfg

  • Alice :


    Zitat

    Dein missionarischer Eifer in allem Ehren, lieber His.


    Ich missioniere doch nicht. Ich habe nur ein Zitat zur allgemeinen Diskussion gestellt, sonst nichts weiter.
    Wundern tut mich nur die empfindlichen Reaktionen. Nichts das ich mir nun im Hinterstübchen denken würde, dass doch ein Körnchen Wahrheit hinter dem Zitat stehen muss, wie so energisch dagegen reagiert wird. Jedenfalls hat es irgendwie den Nerv einiger getroffen. Und der Nerv muss schließlich auf was getroffen haben. :grin :grin


    Zitat

    Aber nur weil auf einige Vielleser dein Urteil zutrifft, musst du doch nicht auf alle schließen.


    Ich frage mich gerade, wo ich geschrieben haben soll, dass alle Vielleser unkritisch sind ....
    Kannst du mir das bitte sagen? ;-)


    Zitat

    Zudem kann wohl jeder sein Leseverhalten selber bestimmen.


    Natürlich. Ob manches Leseverhalten vernünftig ist, ist eine andere Frage. ;-)


    Zitat

    Ich frage mich nur, warum dich Vielleser derartig aufregen. *grübel*


    Worauf schließt du das? auch das habe ich nirgends gesagt

  • warum muss leseverhalten eigentlich vernünftig sein?
    ich liebe trivialliteratur und manche soaps im fernsehen, bin ich deshalb unkritisch, ich glaube nicht.
    aber wenn ich den ganzen tag angestrengt auch geistig arbeite, gönne ich mir gerne eine entspannung und lese genau und bewußt das, das nicht an meinen ansichten kratzt und wo ich einfach auch mal nur träumen kann.

  • Jorinde


    Zitat

    Ich lasse mir von niemandem, auch nicht von jemandem wie Hesse vorschreiben, was ich warum zu lesen habe.


    Ähm, wo schreibt dir denn Hesse etwas vor? Hesse schrieb keine Bibel, sondern seine eigene Meinung. Er zwingt niemanden dazu, sie als gut oder schlecht zu befinden. Ich finde sie jedenfalls als teilweise richtig.


    Zitat

    Reine Unterhaltung? Warum nicht. Warum guck ich "Tatort"? Zur reinen Unterhaltung. Warum les ich Krimis? Zur reinen Unterhaltung. Und es macht mir Spaß, auch wenn ich bei manchen die Welt um mich vergesse.


    Dagegen spricht doch absolut nichts.
    Aber was mir etwas in der heutigen Gesellschaft Angst macht, ist dass die Qualität unter dem Unterhaltungswahn doch etwas zu leiden hat. Oder wie kannst du dir sonst erklären, warum Sendungen wie Lenßen und partner oder K11 auf Sat immer fast 2 Millionen Zuschauer haben?
    Ich finde gerade dieses eine menschliche Tragödie.
    Eine Gesellschaft ohne Ansprüche, nur auf Spaß gesinnt. So, und damit jetzt nicht wieder was ala Pauschalisierung kommt: Einige Menschen, aber nicht alle. :grin
    Qualität kann übrigens auch mit Unterhaltung verbunden werden. Iris hats mit dem Tribun bestens bewiesen.


    Zitat

    Wenn mir nach "Faust" ist, schlage ich mein altes zerfleddertes Schulexemplar auf, denn ich habe oft schon Lust auf "Faust" gehabt.


    Gell, schon abartige Gelüste. Die habe ich auch manchmal. :grin


    Zitat

    Wenn ich Lust darauf habe, mehr über ein Thema, politisch, historisch, pädagogisch, egal was zu erfahren, nehme ich mir ein Buch darüber vor.


    Wie schön das klingt. Aber bitte jetzt nicht pauschalieren.


    Wieviele Menschen haben denn noch Lust politisches, historisches zu lesen? Nicht mehr so viele, denke ich.


    mfg

  • Hallo Grisel und Alice!


    Ach herrjemine ... :bonk Ich kann mich offenbar nicht verstänlich machen ... :cry


    Um mal was klarzustellen:
    :bruell Ich lese, um mich zu unterhalten!!!!!


    Mir zu unterstellen, ich würde das grundsätzlich abwerten, würde bedeuten, ich würde mich wissentlich selbst abwerten. Das ist absurd! :grin


    Die Bewertung von "Unterhaltung" ist eine ästhetische Wertung, keineswegs eine ethische. D.h. wenn ich behaupte, dass ... z.B. Romane von Barbara Cartland abgeschmackt sind, dann ist das ein ästhetisches Urteil über die Tätigkeit von Ms. Cartland, kein ethisches über die Menschenwürde ihrer Leser!
    Ich bitte euch darum, das auseinanderzuhalten! :cry


    Ansonsten verweise ich nochmal auf die Sache mit dem Bahnhof und der Reise, und hoffe, dass irgendwann mal durchdringt, dass es keine persönliche Herabwürdigung der Leser ist, wenn man bestimmte Texte als "trivial" oder meinetwegen auch "Mist" bezeichnet! Dieser Vorwurf zielt schlichtweg auf die Arbeit des Autors und die herausgeberischen Tätigkeit des Verlags.
    Wenn jemand berechtigt ist, einen Text für gut zu befinden, so hat ein anderer jemand durchaus das Recht das Gegenteil zu postulieren. Beides zielt nicht gegen den jeweils anderen, sondern auf die Arbeit des Autors etc. (s.o.).


    Gegen "pure Unterhaltung" -- was btw auch nicht gleichbedeutend sein muss mit dem Konsum von Trivialliteratur -- ist grundsätzlich überhaupt nichts zu sagen. Ich wiederhole ja schon gebetsmühlenhaft, von welch existenzieller Bedeutung das Unterhaltsame dafür ist, die Leser überhaupt zu erreichen, zu interessieren, eine Intention überhaupt zum Erfolg zu bringen. Es ist eine conditio sine qua non: Ist ein Text nicht unterhaltsam, geht gar nix!


    Warum sollte ich also gegen das Unterhaltungsbedürfnis wettern, wenn es eine Voraussetzung meiner Arbeit ist?


    Ich bitte jedoch zu bedenken, dass ein blindes Betonen und vehementes Verteidigen von "purer Unterhaltung" dazu führt, dass bei der Produktion von Literatur dieser Aspekt eine allumfassende Macht gewinnt.
    Schließlich leben wir in einem Wirtschaftssystem, das nach Nachfrage und Angebot funktioniert. Und der Anteil der "puren Unterhaltung" macht heute sowieso schon einen geradezu bizarr großen Anteil am gesamten Angebot aus. Tendenz steigend -- bei sukzessive nachlassender Qualität und Sorgfalt, wie hier immer wieder festgestellt wird.


    Dabei reagieren die Verlage eigentlich nur auf die Nachfrage.


    Liebe Grüße,


    Iris :wave

  • Hi Janslay,


    Zitat

    So manch einer hat schon mit der Päpstin angefangen und ist erst dann beim Tribun gelandet


    Ich frage mich gerade, warum diese Päpstin auf mich bezogen immer als Beispiel kommt? :grin


    Scherz beseite, ich finde deinen Gedanken höchst interessant.


    Zitat

    Was die Trivialliteratur angeht: Wenn sie nur den Anspruch hat zu unterhalten und ihr das auch gelingt, dann hat sie ihren Zweck doch erfüllt.


    Alarm! Warum glaubst du, wird Trivialliteratur so von den Literaturkritikern kritisiert? Weil die Ansprüche an ihr so gering sind.


    Trivialliteratur kann uns genau so gut viel beibringen wie Sachbücher, meistens noch mehr, weil mit Infotainment - Qualität mit Unterhaltung, leichter gelernt und gemerkt wird.


    Leider sind die Ansprüche immer niedriger, so dass die Qualität der Trivialliteratur immer mehr zu wünschen übrig lässt. :-(


    Heutzutage kann man jeden Sch... verkaufen, wenn man es ordentlich vermarktet, ist man schon der Gewinner. Weil es doch nur unterhalten soll ...
    Da ist der Inhalt ja wurscht. Auch wenn da drin steht, dass Hilter nicht Schuld am 2. Weltkrieg war. War doch ein unterhaltsames Buch. *Sarkasmus off* :grin :grin


    mfg

  • Hallo Iris,
    ich denke schon, dich verstanden zu haben. Meine Stellungnahme scheint doch auch gar nicht so sehr mit deiner zu kollidieren ;)
    Und was du mit "den Leser von dem Bahnhof abzuholen, an dem er ist" sagst , kann ich nur unterstreichen.


    @His,
    vielleicht habe ich ein wenig zu empfindlich reagiert. Aber bei Hesses arroganter Wortspende krieg ich die Krise.


    "Nicht die Analphabeten und Buchverweigerer sind die Feinde des gutes Buchs bzw. guten Geschmacks, sondern die Vielleser. (Hermann Hesse)"


    Für mich impliziert das, dass ich als geoutete Vielleserin eine Feindin des guten Geschmacks und guter Bücher bin. Und das lasse ich mir von niemandem sagen, nicht mal von Herrn Hesse. Und wenn du Hesses Sager als "auf einige zutreffend" relativierst, ist das nett gemeint, aber das Zitat steht mal so da, wie es zu lesen ist ;)
    Ich lasse mir weder Geschmack absprechen, noch vorwerfen, alles Geschriebene unkritisch zu konsumieren.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Hallo Alice!


    Zitat

    Original von Alice
    ich denke schon, dich verstanden zu haben. Meine Stellungnahme scheint doch auch gar nicht so sehr mit deiner zu kollidieren ;)


    Dann bin ich ja beruhigt!


    Zitat

    Für mich impliziert das, dass ich als geoutete Vielleserin eine Feindin des guten Geschmacks und guter Bücher bin. Und das lasse ich mir von niemandem sagen, nicht mal von Herrn Hesse.


    Ich möchte mal dazu sagen, dass - rein quantitativ betrachtet - auch Hesse ein "Vielleser" war und auch ich in diese Gruppe gehöre.
    Ein gewisses Maß an Ironie und Selbstkritik steckt in diesem Begriff mit drin -- neben dem Versuch aufzurütteln. Der Satz wurde obendrein aus dem Kontext gerissen.


    Sprache ist leider ein mangelhaftes Medium zur Kommunikation -- allein, wir haben kein besseres. :grin
    Natürlich ist auch der Absatz, den ich in einem früheren Posting dieses Threads zusammenhängend zitiert habe, polemisch - und bei Polemik muss man zum Verständnis eigentlich auch den Hintergrund kennen, um sie zu bewerten.
    Das würde allerdings arg weit führen ... und aus der Lamäng kann ich es zugegebenermaßen auch nicht.


    Was als Kontrastprogramm gut hierherpasst, ist eine noch viel ältere Diskussion über lesende Frauen, wie sie schon zu Rousseaus Zeiten geführt wurde. Damals herrschte die verbreitete Ansicht, Frauen sollten möglichst nur ihr Gebetbuch lesen können, weil alles andere die schlechten Säfte anrege, so dass sie hysterisch, bösartig, faul und unfruchtbar würden.
    Für sich genommen sind solche Ansichten von übel und aus heutiger medizinischer Sicht an Schwachsinn schier nicht zu überbieten.
    Untersucht man die Sache genauer, stellt man fest, die Lieblingslektüre der damaligen Frauenwelt waren eine Art fliegende Blätter, Schmonzetten von einem derart beschissenen ästhetischen Niveau, dass man sich wundert, dass die Druckerschwärze sich nicht schon beim Druckvorgang vor Scham augenblicklich verflüchtigt hat: romantische Phantasien mit religiös-fundamentalistischem Hintergrund ... schauderhaft!
    Aber wie immer wurde in der Reaktion das Kind gleich mit dem Bade ausgeschüttet: Anstatt die Mädchenbildung in ästhetischer Hinsicht zu verbessern, beschränkte man sie immer weiter, untersagte Mädchen das Lesen nicht-religiöser Texte. Wobei man nicht bedachte, dass es für die Verbreitung solch gefährlicher Schmonzetten weder des Papieres noch der Druckerschwärze bedarf, denn das kann man auch als oral tradition pflegen. Die Frauen blieben also allen Bemühungen zum Trotz fürderhin hysterisch, bösartig, faul und unfruchtbar. :grin


    Liebe Grüße,


    Iris :wave

  • @ his: wenn jemand sagt "Wir sollten" (auch wenn er sich mit dem "Wir" einbezieht), klingt das für mich schon nach vorschreiben.


    Mich nervt das "Spaß haben um jeden Preis" auch, weil dieser Spaß oft auf dem Rücken anderer Menschen ausgetragen wird, und weil Spaßgesellschaft hauptsächlich heißt ICH will Spaß.


    Anderseits: Im historischen Kontext betrachtet definiert sich eine Generation meist als Gegenbewegung zur Generation vorher. Die Nachkriegsgeneration wollte die Armut der Eltern überwinden und schuf das Wirtschaftwachstum. Deren Kinder fanden die Konzentration auf Besitz und Eigentum zum Kotzen und wollten die Umstände verändern. Daraufhin ging der Weg vom gesellschaftlichen Denken zum individuellen, dass man sich ins eigene Selbst begab und dort mit viel Ernsthaftigkeit Analysen und Veränderungen betrieb. Die jetzige Generation antwortet mit ihrer Oberflächlichkeit und ihrem kurzweiligen Gehabe auf diesen übertriebenen Ernst. Wir werden warten müssen, wie die jetzt aufwachsende Generation den Spaß ihrer Mütter und Väter bekämpft.
    (Bitte kein Vorwurf der Pauschalisierung: Das weiss ich, aber in schriftlicher Form gehts manchmal nicht anders.)
    Jorinde

  • @ Iris: Die Vielfalt ist bedroht.


    Ist meine Vermutung richtig, dass du damit meist, dass Bücher heute weniger eine Sache der Kultur sind als der Wirtschaft? Dass also nicht mehr der Leser entscheidet, was er gern liest, sondern die Verlage - oder wer auch immer -, indem sie ihm sagen, was er gern zu lesen hat?


    Falls ich dich missverstanden habe, wäre ich froh für die Aufklärung.


    Jorinde

  • "Nicht die Analphabeten und Buchverweigerer sind die Feinde des gutes Buchs bzw. guten Geschmacks, sondern die Vielleser. (Hermann Hesse)"


    Zustimmung. Warum?


    - 1. Je größer das Investment an Zeit in Unterhaltungsliteratur, desto kleiner der Zeitrahmen für anspruchsvolle Literatur - was ist gut? Literatur, die zum Denken anregt, die den Diskurs fördert, die stilistischen Ansprüchen gerecht wird, die inhaltlich informiert und nebenbei auch unterhaltsam ist. Kurzum: Literatur, die verändert.


    - 2. Je größer das gemeine Interesse an Unterhaltungsliteratur, desto schwieriger das öffentliche Gespräch über bewegende, mitreißende, gute Literatur; erkenntlich gemacht am Bachmann-Preis: der diesjährige Sieger musste unzählige Verlage abklappern, bis er endlich verlegt wurde - wieso? Weil seine Art des Erzählens wohl nicht mit der Massenspeisung durch angloamerikanischer Schablonenliteratur deckungsgleich war- dabei war sein Beitrag und sogleich der Vortrag beim Festival hervorragend!


    - 3. “Gut Ding braucht Weile”. Um Hesses Zitat zu verstehen, sollte man wissen, daß Hesse selbst ausgesprochener Vielleser war. Seine Kritik dürfte sich nicht explizit gegen diese Eigenschaft richten, sondern gegen die Auswahl an Büchern, die der Vielleser trifft und zugleich an der Art des Lesens, das Aufsaugen, das Inhalieren unbeschreiblich vieler Geschichten in kurzer, wenn nicht kürzester Zeit. Nein, er fordert den Diskurs mit dem Autor, mit dem Text, eine inständige Auseinandersetzung, eine Verarbeitung des Gelesenen, der Gedanken - und das führt zur Veränderung. Kann dem die allgemeine Unterhaltungsliteratur gerecht werden? Schwer, schwer...


    - 4. Denkt an die Bäume.

  • Hallo Jorinde!


    Zitat

    Original von Jorinde
    Ist meine Vermutung richtig, dass du damit meist, dass Bücher heute weniger eine Sache der Kultur sind als der Wirtschaft? Dass also nicht mehr der Leser entscheidet, was er gern liest, sondern die Verlage - oder wer auch immer -, indem sie ihm sagen, was er gern zu lesen hat?


    Richtig ist, dass es inzwischen -- dank der Konzentration großer Verlage in globalen Medienkonzernen -- die Programmgestaltung vor allem eine wirtschaftliche Entscheidung ist.


    Wirtschaftliche Entscheidungen richten sich nach der Nachfrage, und die funktioniert quasi mit den Füßen: Es wird auf diejenige Zielgruppe hin produziert, bei der eine mehrheitliche Nachfrage vermutet wird.
    Die Vermutung wird ermittelt durch Verkaufszahlen und daraus ermittelte Prognosen und durch Marktbeobachtung.
    Die größte vermutete Teilzielgruppe ist: weiblich, teilzeitbeschäftigt oder Familienfrau, in fester Beziehung lebend, 25-49 Jahre alt, 1-2 Kinder, häuslich, keine besonderen kulturellen Interessen, bürgerlicher Lebensstil, Gewichtsprobleme, Hang zum Eskapismus.
    Jedes Projekt wird darauf abgeklopft, ob es für diese Gruppe taugt, die - nebenbei bemerkt - keine 25% aller Leser ausmacht, aber eben die größe isolierbare Teilmenge ist.


    Hinzukommt, dass bei der Produktion immer enger kalkuliert wird, man also den "Weg des geringsten Widerstands" geht. Eine Folge ist, dass lieber Lizenzen gekauft als eigene Autoren gepflegt werden, weil ersteres einfacher ist: Der Text ist ja schon da und in den meisten Fällen auch irgendwelche Zahlen für eine Kalkulation. Eine andere ist die, dass man sich auf "kurzlebige Ware" verlegt, auf "gedrucktes Fastfood". Das sind am Reißbrett geschriebene Texte, die bestimmten Kriterien entsprechen und eigentlich keinem anderen Anspruch genügen dürfen als der leicht lesbaren Unterhaltung.


    McDonald's ist das erfolgreichste Gastronomiekonzept der Welt - genauso entwickelt sich international der "Literaturmarkt".


    Herzliche Grüße,


    Iris :wave

  • Warum wären wir alle hier, wenn wir nicht Vielleser wären?


    Ich bin Vielleser, ihr seid Vielleser, Hesse war Vielleser.


    Warum bei jedem möglichen Zitat dass sich kritisch über manche Leseeigenheit gleich ausflippen, es persönlich nehmen, und es als arrogant bezeichnen? Dies verstehe ich ehrlich gesagt nicht ...


    Hesse war wie gesagt Vielleser, also war dieses Zitat auch eine Selbstkritik.


    Und leider bin ich der festen Überzeugung, dass Literatur minderer Qualität immer mehr die Oberhand gewinnt, weil man den Faktor Unterhaltung so verteidigt wie hier, aber nicht die grausige Misere sieht, die sich entwickelt ...


    Schaut doch mal bei den Bestsellerlisten vorbei. Was da oft voran ist. Unerklärlich. Dan Brown - da schreibt einer zugegeben spannenderweise den größten Schwachsin über Vatikan und Co., und der macht einen Bestseller nach dem anderen. Gute Bücher bleiben links liegen. Bravo, weit haben wir es gebracht.


    mfg

  • Halihallo


    Das Missverständnis über das Viellesen ist ja jetzt ausgeräumt;)


    Und dass der Leser nicht so dumm ist, wie einige Verlage annehmen, können wir ja durch unsere differenzierten Postings hier beweisen;)


    Hoffen wir mal, dass sich kluge Autoren und kluge Leser finden mögen, z.B. in Foren. :knuddel1


    Bye, Ivy

  • Hi Historikus!


    Zitat

    Achso. Aber da habe ich doch nur auf Iris Zitat "Sehr viele Menschen fühlen sich nur dann unterhalten, wenn eine Geschichte nirgends an ihrem Weltbild kratzt. Was im Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus natürlich ein sehr weites Feld ist." mit meiner Aussage:"Dito. Genau meine Meinung, Iris. Und das ist das Gefährliche am so genannten Unterhaltungslesen ..."
    Bezug genommen. Da finde ich keine Pauschalierung, sondern eine meinungsbetonte Feststellung. Ich habe nur gesagt, dass es eine Gefahr (denk dir ein eventuell dazu ... ) darstellt.


    Na bitte, mit eventuell gefällt mir das schon viel besser. Es ist überhaupt keine Frage, daß Menschen die kritiklos und unhinterfragt alles hinnehmen bedenklich sind, und eine Gefahr darstellen können. Nur sehe ich den Zusammenhang zur Trivialliteratur nicht.


    Zitat

    Mal eine unschuldige Frage: Warum ist es verboten, hier Kritik zu üben?


    Wer sagt, daß Du das nicht darfst? Das ist hier doch ein Diskussions-, und kein Zustimmungsforum? Simpler Meinungsaustausch.


    Bye,


    Grisel

  • Hi Iris!


    Zitat

    Ach herrjemine ... Ich kann mich offenbar nicht verstänlich machen ...


    Wir beide reden definitiv aneinander vorbei. Ich habe mich lediglich an Deiner Bemerkung festgebissen, ob es sowas wie pure Unterhaltungsliteratur überhaupt gibt.


    Aber wenn wir schon mal dabei sind, gehen wir weiter im Text.


    Zitat

    Ansonsten verweise ich nochmal auf die Sache mit dem Bahnhof und der Reise, und hoffe, dass irgendwann mal durchdringt, dass es keine persönliche Herabwürdigung der Leser ist, wenn man bestimmte Texte als "trivial" oder meinetwegen auch "Mist" bezeichnet! Dieser Vorwurf zielt schlichtweg auf die Arbeit des Autors und die herausgeberischen Tätigkeit des Verlags.


    Also, ich weiß nicht. Wenn zu mir jemand sagt, "welchen Müll liest Du da schon wieder" - und das höre ich öfter als mir lieb ist ganz zu schweigen von mitleidigen Blicken-, dann betrachte ich das eigentlich schon als beleidigend für mich.
    Damit will ich weder Dir noch sonstwem was unterstellen. Es geht mir einfach nur darum, daß ich persönlich kein Problem habe, wenn man meine Literatur als trivial bezeichnet, während Mist eine andere Liga ist.


    Zitat

    Ich bitte jedoch zu bedenken, dass ein blindes Betonen und vehementes Verteidigen von "purer Unterhaltung" dazu führt, dass bei der Produktion von Literatur dieser Aspekt eine allumfassende Macht gewinnt.
    Schließlich leben wir in einem Wirtschaftssystem, das nach Nachfrage und Angebot funktioniert. Und der Anteil der "puren Unterhaltung" macht heute sowieso schon einen geradezu bizarr großen Anteil am gesamten Angebot aus. Tendenz steigend -- bei sukzessive nachlassender Qualität und Sorgfalt, wie hier immer wieder festgestellt wird.


    Das ist wiederum ein komplett anderer Punkt, das betrifft den krankenden Buchmarkt.


    Bye,


    Grisel