'Im Westen nichts Neues' - Kapitel 01 - 03

  • Ich lese das Buch zum ersten Mal und bin überrascht, wie einfach es sich liest. Ich hatte es mir, womöglich auch auf Grund des Themas, sperriger vorgestellt.
    In der Schule haben wir den Film mal gesehen, ist aber bestimmt auch schon 10 Jahre her, und vom Film sind mir eigentlich nur die Stiefel in Erinnerung geblieben.


    xexos schreibt es schon, es wird Verständnis geweckt, aber nicht der Versuch zu rechtfertigen unternommen. Ich kann alle Handlungen und Denkweisen nachvollziehen (und deshalb auch nicht verurteilen). Und auch Himmelstoss wurde doch nur durch den Krieg so, wie er den Jungens gegenüber ist. Wer weiß, wie er in seinem einfachen Job von Vorgesetzten behandelt wurde, was er jetzt alles endlich weitergeben kann...


    In diesem Abschnitt nimmt mich die Geschichte noch nicht so mit. Weil ich mich schon mental darauf vobereiten konnte? Oder weil ich die Bilder in meinem kopf gar nicht erst entstehen lasse? Im nächsten Abschnitt ist es dann schon anders...

    "Leben, lesen - lesen, leben - was ist der Unterschied? (...) Eigentlich doch nur ein kleiner Buchstabe, oder?"


    Walter Moers - Die Stadt der träumenden Bücher

  • Zitat

    Original von kissy
    Und auch Himmelstoss wurde doch nur durch den Krieg so, wie er den Jungens gegenüber ist.


    Nein, Himmelstoss wurde nicht durch den Krieg so, der Krieg erlaubte ihm seine Anlagen auszuleben. Remarque zeigt hier auch deutlich, dass Menschen eben durchaus ein Gewaltspotential haben, das unsere Gesellschaft in Friedenszeiten mit existierenden Normen zumeist unter Kontrolle halten kann. Im Krieg fallen all diese Grenzen, und manchen Menschen gibt das die Gelegenheit unmenschlich zu handeln.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich habe heute auch endlich mit dem Buch angefangen. Ich lese es auch zum ersten Mal.


    Ich zitiere gleich:

    Zitat

    Original von Macska
    ...
    Sicherlich habe ich in Buch, Film und Fernsehen schon häufiger Kontakt mit Kriegsberichten usw. gemacht. Aber irgendwie hat mich bisher kein Werk so berührt wie das Buch von Remarque. Ich kann nicht mal sagen woran es liegt, ob es am Schreibstil des Autors liegt oder einfach nur weil es ein Erfahrungsbericht eines jungen, bis zum Krieg völlig unbedarften Menschen ist. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich schon jemals am Anfang eines Buches mit den Tränen zu kämpfen hatte, wie hier bei der Sterbeszene von Kemmerich im Lazarett.
    ...


    Mir geht es beim Lesen ganz ähnlich. Das, was ich lese, geht mir unter die Haut und löst eine Menge Gefühle in mir aus.
    Tränen sind auch schon geflossen.


    Zitat

    Original von Saiya
    Mich berührt das Buch sehr und ich lese es auch zum ersten Mal. Es war eines der Lieblingsbücher meines Großvaters und ich bin gerade ein bißchen traurig, dass ich es nie gelesen habe, als er noch lebte. Er hat immer sehr viel und gern "von früher" geredet und ich hatte ihn beim Lesen dieses ersten Abschnittes oft im Ohr.
    ...


    :write
    Mein Opa hat auch gerne von früher erzählt, nur über die beiden Weltkriege sprach er erst etwa zwei Jahre vor seinem Tod mit mir. Genauer gesagt über seine persönliche Geschichte.
    Im Ersten Weltkrieg war er gerade noch jung genug, um nicht eingezogen zu werden.


    Gleich die erste Seite hat mich total überrascht.
    Der erste Satz wirft den Leser direkt ins Geschehen und lässt keinen Zweifel daran, dass Krieg ist. Die nächsten Sätze klingen gar nicht nach Krieg, die Soldaten werden als satt und zufrieden geschildert. Erst langsam setzt beim Lesen die Erkenntnis ein, warum alle satt sind, nämlich weil die Hälfte der Kameraden gefallen ist.
    Der Schreibstil ist genial.
    Die Latrinen-Schilderung macht gleich zu Beginn deutlich, wie die Soldaten erniedrigt werden. Immer wieder ist es für mich unvorstellbar, wie man das aushalten kann. Dieser Gedanke taucht permanent beim Lesen auf.


    Der Brief des Lehrers Kantorek ist der Auslöser, dass die ehemaligen Klassenkameraden an unbeschwerte Tage denken, an eine Zeit in der Schwebe zwischen Kindsein und Erwachsenwerden. Sie alle haben ihre Jugend verloren, sind schnell ergreist.
    Erschreckend ist das Verhalten des Lehrers. Völlig obrigkeitshörig überredet er die jungen Männer förmlich, in den Krieg zuziehen. Brehm, der sich erst weigert, dann aber aus Scham doch mitgeht, stirbt ale einer der ersten. Der Schuss ins Auge ist vielleicht symbolisch gemeint.
    Der Brief an seine "eiserne Jugend" ist einfach nur abstoßend.


    Der Tod Kämmerichs ist ein ganz einschneidendes Erlebnis in Pauls Erzählung. Seine verzweifelte Hilfslosigkeit berührt mich. Wie viele der Klassenkameraden wird der Krieg verschlingen?


    Zitat

    "...heute allein wieder sechzehn Abgänge- deiner ist der siebzehnte." S.31


    Die gestorbene Freund wird eine Nummer- anders ist das wahrscheinlich nicht zu ertragen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Saiya
    ...
    Betrachtet man die Szene ganz allein für sich, ist das äußert brutal, ja und erschreckend, was der Krieg doch aus diesen jungen Menschen gemacht hat, der Krieg und solche Menschen wie Himmelstoß. Und ich denke, dass Remarque genau darauf hinaus wollte. Er wollte Verständnis wecken für sie.
    ...


    :write
    Und er zeigt, was der Krieg aus einem Menschen macht. An der Figur des Paul wird das ganz deutlich. Der Dichter, der in der Lage ist, mit lyrischen Worten die Natur zu beschreiben, wird zum Mörder, dessen Menschsein nicht zählt, sondern einzig der Überlebenskampf.


    Zitat

    Original von Saiya
    ...
    Dies ist keine bloße Kriegsgeschichte, sondern eine Geschichte von Menschen im Krieg. Ist euch auch aufgefallen, dass der Ort, an dem sie stationiert sind keine Rolle spielt? Er wird nicht genannt, oder habe ich das überlesen? Ob das auch Absicht von Remarque war? Egal wer, egal wo im Krieg, diese Jungs aus dem Buch gab es überall und sie erlebten überall das gleiche Schreckliche.
    ...


    :write

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich bin im Moment ein bisschen unglücklich mit diesem Buch, da ich es nicht während des Tages lesen kann und abends vor dem Einschlafen ist das auch nicht gerade angesagt.
    Trotzdem werde ich versuchen mitzuhalten, da es mich sehr interessiert und m.M.n. zur Allgemeinbildung gehört (jedenfalls zu meiner).


    Da ich jahrelang mit einem Soldaten zusammen war, der auf Auslandseinsätzen gewesen ist, fällt es mir auch nicht ganz so leicht, den flapsigen Ton einfach so hinzunehmen, wie sonst.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Da ich jahrelang mit einem Soldaten zusammen war, der auf Auslandseinsätzen gewesen ist, fällt es mir auch nicht ganz so leicht, den flapsigen Ton einfach so hinzunehmen, wie sonst.


    Ich kann dich gut verstehen, das Thema trifft eigentlich jeden ins Herz, aber wenn man dann noch eine so persoenliche Perspektive hat, ist dies kein einfaches Buch zu lesen - trotz der "einfachen" Sprache.


    Der "flapsige Ton" wird ja nicht durchgehend im Buch benutzt sondern nur an ganz bestimmten Stellen. Das ist eben die Sprache, die Soldaten in manchen Situationen benutzen, um auf ihre Art mit dem Grauen um sie herum fertig zu werden. Oder meintest du was anderes?

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • ^^
    Nein nein, ich meine ja, genau die Art zwischen den Soldaten, die ist schon kernig, wenn es "um das Eingemachte" geht.


    Das ist purer Realismus und ich kann teilweise nur mit klopfendem Herzen und flachem Atem lesen.


    Ob ich das durchhalte, weiß ich noch nicht.
    Mein Ur-Opa ist auch in dem Krieg auf dem Feld geblieben und die Geschichte meiner Familie geht mir natürlich nahe, auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte. (meine Ur-Oma hatte ich aber noch für 10 Jahre)
    Und so wird das Buch irgendwie auch zu seiner Geschichte.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Ich habe heute erst mit dem Buch angefangen und kann bei dem Schreibstil auch sofort wieder nachvollziehen, wieso ich es so gut in Erinnerung habe.
    Es ist aber wirklich schon viele, viele Jahre her, dass ich es gelesen habe.


    Da ich mich so spät am liebsten nicht mehr so ausführlich mit dem Thema beschäftigen möchte, habe ich Eure Posts nur überflogen.


    Auch nur ganz kurz, welche Szenen ich besonders im Kopf habe:


    - die 'Sitzung' auf der Wiese bei tollem Wetter und mitten im Klatschmohn. Ein rechtes Idyll - und im Hintergrund das 'Kriegsdonnern'
    - die Freude über ausreichend Verpflegung und extra Rationen Zigaretten - weil so viele andere nicht zurückkamen
    - die Geschichte mit den Stiefel aus dem tollen Leder, die so gute Dienste tun und etwas ganz besonderes sind - man bekommt sie, weil der Kamerad stirbt


    Mir geht besonders durch den Kopf, dass die jungen Leute als besonders rational beschrieben werden und doch in keinster weise emotionslos kalt (ist vielleicht das bessere Wort) wirken.
    Vielleicht einfach abgestumpft und daher nur auf das Wesentliche aus :gruebel


    Auch die Überlegung, was der Krieg aus den 20jährigen macht im Verhältnis zu den Männern, die zu Hause bereits mitten im Leben stehen finde ich sehr interessant.



    Oh, nun ist es doch länger geworden..... bis morgen :wave

    Anna Karenina (LR), Der blinde Mörder (LR), Alias Grace (LR), Die Bücherdiebin (LR), Das Rosenholzzimmer (LR), Töchter des Nordlichts

  • Besonders bemerkenswert fand ich die Feststellung, was aus dem "kleinen Mann" wird, wenn er Macht erhält - und warum sich das so verhält.
    Es ging da um den Unteroffizier Himmelstoß, den Schleifer. Und desweiteren auch um die kalt genossene Rache.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von Beatrix


    Ist eine Variation von "Rache ist suess", aber die Herkunft ist unklar. Manche vermuten einen Zusammenhang mit der blutrünstigen Tragödie "Titus Andronicus" von William Shakespeare. Der Titelheld tötet dabei seine Feinde und verarbeitet sie aus Rache zu einer Pastete


    Ich kenn den Satz übrigens so: Rache ist Blutwurst und wird am besten kalt genossen.
    Aber das ist wohl von Region zu Region auch noch einmal unterschiedlich.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen


    Ich kenn den Satz übrigens so: Rache ist Blutwurst und wird am besten kalt genossen.
    Aber das ist wohl von Region zu Region auch noch einmal unterschiedlich.


    Ich kenne beide Sätze, wobei ich mir nicht sicher bin, welcher in der Gegend gesprochen wird, in der ich aufgewachsen bin und welcher ich von Verwandten oder sogar aus Büchern gelernt habe. :gruebel

  • Ich habe jetzt auch angefangen. Man merkt den Personen an, das sie ihre Naivität verloren haben, das sie aber versuchen das beste daraus zu machen.



    Ich habe das Buch schon einmal vor fast 25 Jahren gelesen, da hat es mir meine Mutter in die Hand gedrückt , im Ausgleich zu den Büchern , die ich Schulzeit lesen musste, Werner Holt, Wie der Stahl gehärtet wurde.


    Mein Opa war im ersten Weltkrieg, für den zweiten Weltkrieg war er zu alt, ausserdem war er gegen Krieg im allgemeinen. Er ist 1945 sehr schnell in die SED eingetreten, weil er keinen Krieg mehr haben wollte und das obwohl er es als Mittelständiger der selbständig war, bestimmt nicht immer einfach hatte.
    Er hatte in den 80er noch Kontakt zu alten Kriegskameraden, aber das war nie wie waren die Zeiten schön

  • Entschuldigung, wenn ich erst jetzt ein paar Laute von mir gebe. Das Buch hat mich zutiefst getroffen, mir ging dermaßen viel im Kopf herum, dass ich irgendwann davor zurückgescheut bin, allzu viel darüber sagen zu wollen. Deshalb von mir nur wenige Gedanken:


    Zitat

    Original von Macska


    Ich denke nicht das Remarque irgendeine Kriegshandlung legitimieren wollte, weil diese Aktion mit Himmelsstoß für mich einfach keine Kriegshandlung ist. Es ist eine körperliche Gewalt während des Krieges und auch durch den Drill im Krieg ausgelöst, aber die Aktion an und für sich hat nichts mit dem eigentlichen Krieg zu tun.


    Ich glaube nicht, dass Remarque überhaupt irgendetwas rechtfertigen oder legitimieren wollte, sondern meiner Meinung nach wollte er einfach "nur" beschreiben, wie Krieg "funktioniert" aus der Sicht des kleinen Soldaten, der nur Befehle zu befolgen hat, er wollte zeigen, was er aus den Menschen macht, wie viel da verloren geht, wie der Einzelne darum kämpfen muss, "Mensch" zu bleiben. Sowohl die Szene mit den Stiefeln als auch die "Prügelszene" stehen für mich dafür exemplarisch.