Der norwegische Gast - Anne Holt

  • Hier auch meine Rezi!


    Frostige Faszination!
    Durch die Leseprobe konnte man leicht erkennen das dies ein Buch werden würde mit einer Protagonistin über die sich die Welt leicht streiten könnte. Normalerweise rümpfe ich die Nase wenn es um einen Krimi geht aber gerade diese Tatsache hat das Buch für mich so faszinierend wirken lassen.
    Die Protagonistin ist eine ehemalige Ermittlerin die durch einen „Berufsunfall“ an den Rollstuhl gebunden ist. Von Anfang an wird dem Leser signalisiert, das es sich hierbei um eine Frau handelt die Mitmenschen gegenüber eher kühl, abweisend und auch gefühllos und mürrisch erscheint, was von ihr durchaus beabsichtigt wird. Sie verabscheut es durch ihr Handicap mitleidige Blicke auf sich zuziehen und sich auch noch helfen lassen zu müssen. Bitten tut sie grundsätzlich nur in Ausnahmefällen. Aber durch die „Finse-Katastrophe“ wie dieses Ereignis später genannt wird, ändert sich auch dieses Verhalten, stockend und langsam, aber es verändert sich. Hilfe ist bitter nötig, nicht nur für sie, sondern auch für alle andern unfreiwilligen Hotelgäste.


    Der Kriminalroman lebt von außergewöhnlichen und sehr skurrilen Charakteren die sich herrlich miteinander verbinden und sprichwörtlich ein Netz weben. Sei dabei der kleinwüchsige Dr. Streng, der verschlossen-mürrische und häufig offen anklagende Jugendliche Adrian oder die undurchsichtige Geistlichen-Gemeinschaft zu nennen.
    Der spezielle Charakter der Hauptperson Hanne, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, nähert sich auf mitreißende Weise ebenso seltsamen Menschen, die sich selber anziehen, aber auch abstoßen, gegenseitig Aufmerksamkeit einheimsen oder einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen.


    Eine Gruppe, in einer Extremsituation, auf sich alleine gestellt. Schnell taucht die Frage auf, wer nun eigentlich das Sagen hat. Demokratie? Gruppenbildung? Ausgrenzung? Schon hier wirkt das Buch kritisierend und zugleich verwirrend. Passend dazu befinden sich Ausländer, verschleierte und „farbige“ Menschen unter den Gästen.


    Häufig tauchen in kurzen aber (in)-gehaltvollen Dialogen aktuelle Themen auf, wie al-Quaida oder die allgemeine Terrorpolitik in den USA.
    Durch lustige, ernste, groteske oder einfach erschreckende Aussagen gerät der Leser in einen Strudel von Lachen und Stirnrunzeln.


    Da die Protagonistin selber eine erfahren Frau ist, an deren Gedanken man nicht nur die Behinderung erkennt, sondern auch einfach die Tatsache das sie „gelebt hat“ erscheinen viele Situationen anders als man es als Außenstehender erwartet hätte. Selbst von Zweifeln geplagt und an alte Vorurteile denkend kann der Leser auch eintauchen in philosophisch-religiöse Fragen. Um nur ein Beispiel anzubringen:
    „Was bedeutet es, ein guter Mensch zu sein? Ist man einer, wenn man Gutes tut? Oder ist es, da wir Menschen nun einmal mit einem ungeheurem Egoismus ausgestattet sind, eher eine Frage der Fähigkeit, unsere Mängel einzusehen und unsere Fehler zu bedauern?“


    Anne Holt gelingt es mit Feingefühl und Gespür für den wirklich richtigen Moment Witz, Ironie aber auch Verzweiflung, Wut und Ernsthaftigkeit genau abzuwiegen und dem Leser das zu präsentieren wonach er gerade zwischen den Zeilen anfängt zu suchen.
    Immer noch faszinierend finde ich die Figur der Hanne, die ich kaum so beschrieben kann wie ich sie erlebt habe.
    Das einzige was ich zu kritisieren habe, sind die Vorrausdeutungen. Sätze wie "Aber das alles wusste ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht". Ab und an, habe ich über diesen Sätzen die Augen gerollt, obwohl es eine doch recht ausgefallene Art und Weise ist, solche Geschehnisse zu beschreiben.


    Wer mit einem ab und an recht frostigem aber mitreißendem Haupt-Charakter umgehen kann, und sich auch einmal in eine andere Art des „Miterlebens“ hineinfühlen möchte, für den ist dieses Buch ein muss!

  • Der norwegische Gast
    "1222", Anne Holt 2007

    Übersetzung aus dem Norwegischen: Gabriele Haefs, 2008
    Piper "Nordiska", ISBN: 978-3492046930


    Ich mag keine Krimis, ich finde das Schildern von Ermittlungen gähnend langweilig, kann bei Schilderungen zu grauslich zugerichten Leichen nicht den erwünschten Schauer genießen und deswegen mache ich normalerweise einen großen Bogen um alles, das einem Kriminalroman oder Thriller ähnelt.


    Anne Holt hat jedoch geschafft, dass sich das ändern wird. Ihre Ermittlerin Hanne Wilhelmsen, aus dem Polizeidienst ausgeschieden und im Rollstuhl sitzend, ist durch ihre bissigen Kommentare und eigenwilligen Aktionen einfach zu sympathisch, um sie nicht zu mögen. Und der Fall gibt vieles her - eine Bahn mit mysteriösem Sonderwaggon entgleist, 196 Menschen müssen in orkanartigen Winden zusammengepfercht im Hotel Finse 1222 auf Rettung warten.


    Während Hanne noch darüber nachdenkt, wann es - statistisch gesehen unter Berücksichtigung des übermäßigen Vorhandenseins von Pfarrern und Ärzten - zum ersten Verbrechen kommen müsste, der Wind tobt und das Hotel sich um seine Überraschungsgäste kümmert, passiert das erste Unglück. Und es werden weitere folgen. Der Vergleich zu den 10 kleinen Negerlein, der herangezogen wird, - political correctness hin oder her - passt zwar nur bedingt, die Atmosphäre im eingeschneiten Hotel ist jedoch ähnlich unangenehm und spannungsgeladen. Ein Mörder geht um, und dann sind da noch die Leute aus dem Sonderwaggon ...


    Die Ermittlerin Hanne Wilhemsen, die sich trotz ihrem Wunsch nach Absonderung um andere bemüht, wirkt in ihrer Eigenheit und ihrer Verletzlichkeit ein wenig wie ein gebranntes Kind - zusammen mit ihren Kommentaren, die so manchmal entwaffnend zutreffen und mich mehrmals zum Grinsen brachten, ist sie eine uneingeschränkt liebenswerte Person, der man gerne beim Ermitteln über die Schulter blickt.
    Ebenso sind die meisten Nebencharaktere sind überzeugend und tiefgehend dargestellt. Kari Thue, die Frau, die mit ihrem selbstischeren Auftreten und ihrer Wirkung auf Menschen, einem mehr Angst einjagen kann als viele andere, der kleine Dr. Magnus, der seinen Nachnamen im Verlauf des Buches wechseln muss und alle anderen überzeugen durch Individualität und Wiedererkennungswert - leider wirken jedoch Adrian und Veronica in ihrer überzeichneten jugendlichen, pubertierenden Absonderlichkeit überzeichnet, zumindest das Gefühl für Jugendsprache scheint der Autorin und/oder der Übersetzerin völlig abzugehen.


    Kleine Kritikpunkte sind das nicht stringente Benutzen von Du bzw. Sie, sondern ein Wechseln, das zwar nicht unbedingt ins Auge springt, dennoch ein wenig befremdlich wirkt, die unglaubwürdige Jugendsprache, und kleinere Macken, wie der wechselnde Nachname Dr. Magnus Bergs/Strengs.


    Fazit
    Anne Holt ist durch die Verknüpfung zweier Handlungsfäden, die atemberaubende Atmosphäre des zugeschneiten Berghotels, und vor allem aber äußerst lebendige Charaktere und eine außergewöhnliche Ermittlerin ein Krimi gelungen, der mich als Krimi-Muffel dazu bringen wird, in nächster Zeit doch den einen oder anderen Krimi zu versuchen. Den ersten Band der Serie um Hanne werde ich mir sicher bald zulegen.


    9/10 Punkten


    :wave bartimaeus


    Edit:
    Die im Buch erwähnte Erzählung von Roald Dahl mit der Lammkeule klingt übrigens sehr interessant skurril - weiß jemand zufällig den Titel?

  • Ich lese die Rezis hier nur quer, weil ich das Buch ohnehin lesen werde, sobald es als TB da ist, und da will ich vorher noch möglichst wenig darüber wissen.


    Aber zum "du/Sie"-Problem: In einem der ersten Hanne-Wilhelmsen-Krimis, vermutlich sogar im allerersten, wurde das vorne im Buch erklärt. Im Norwegischen duze man sich viel eher als im Deutschen, und darum werde das auch in der Übersetzung so beibehalten. Das "Du" auch unter Fremden soll also für Lokalkolorit sorgen - ob das gut oder schlecht ist, darüber kann man diskutieren.


    Wenn innerhalb des Buchs dann auf unlogische Weise gewechselt wird, ist das natürlich kein Lokalkolorit, sondern falsch. ;-)

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von bartimaeus


    Die im Buch erwähnte Erzählung von Roald Dahl mit der Lammkeule klingt übrigens sehr interessant skurril - weiß jemand zufällig den Titel?


    "Lamb to the Slaughter", zu Deutsch "Lammkeule"
    mehr Info

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Mary, es war so, daß sie sich erst duzen und dann wieder siezen, das war störend und es wechselte mehrfach :rolleyes
    Ändert aber nichts daran, daß es ein rundum gutes Buch war

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Mary, es war so, daß sie sich erst duzen und dann wieder siezen, das war störend und es wechselte mehrfach :rolleyes


    Ja, sag ich ja, das war dann falsch. :grin
    Naja, bis zur TB-Ausgabe wird sich das möglicherweise schon erledigt haben. :-]

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • In dem neusten Buch von Anne Holt wird die ehemalige Polizistin Hanne Wilhelmsen, die mittlerweile im Rollstuhl sitzt, durch ein Zugunglück im hohen Norden eher unfreiwillig wieder in ihre alte Ermittler-Rolle befördert.
    196 Menschen sitzen eingeschneit in dem Hotel 1222 in Finse fest und es dauert nicht lange bis der erste Mord geschieht...


    Die Protagonistin Hanne Wilhelmsen, die mir auch schon aus vorherigen Romanen bekannt ist, ist für mich trotz oder gerade wegen ihrer schroffen, distanzierten Art eine absolute Sympathieträgerin, die ohne technische Hilfsmittel sondern nur durch bloße Beobachtung und Kombination letztendlich den Fall löst.


    "Der norwegische Gast" ist ein solider, klassischer Krimi, der auch ohne blutrünstige Elemente zu fesseln vermag, aber für mich nicht zu den besten von Anne Holt gehört. Das mag zum einen an den kleineren Fehlern liegen die sich in das Buch eingeschlichen haben, wie z.B. Wechsel zwischen Du/Sie oder falsche Namen oder aber auch daran, dass mich der zweite Handlungsstrang nicht überzeugen konnte, mir eher überflüssig erschien und mich zum Schluss hin auch verwirrte.


    Die Aufmachung des Buches gefällt mir ganz gut, dass Cover passt zum Inhalt und auch an das mit Werbung bedruckte Lesebändchen gewöhnt man sich schnell. Die Einteilung der Kapitel in die Beaufort-Skala fand ich zunächst gelungen, hinterher aber überflüssig, da sie keinen Bezug zu dem jeweiligen Inhalt der Geschichte hatten.


    edit: Inhaltlichen Fehler ausgemerzt

  • Zitat

    Original von MaryRead
    Oh, das freut mich, dass euch das Buch gefällt, da bleibt es sicher auf meiner Wunschliste. :-)


    Ich weiß, ihr habt das Buch umsonst gekriegt, da nimmt man halt, was man kriegt, aber allen, die Lust darauf bekommen, empfehle ich, die Hanne-Wilhelmsen-Reihe chronologisch zu lesen und nicht mit dem bisher letzten Band anzufangen. Der erste Band der Serie ist "Blinde Göttin" (siehe unten).


    Denn bei Anne Holt sind die Fälle zwar in sich abgeschlossen, aber das Privatleben der Ermittler spielt auch immer eine Rolle, und das entwickelt sich halt im Laufe der Bände.


    Blinde Göttin ist eben bei mir angekommen.... aber dazu gibts ja noch gar keine Rezi :gruebel

  • Also ich habe "Blinde Göttin" lange vor meiner Eulenzeit gelesen.


    Zu einer Rezi reicht das nicht mehr.
    Es hat mir jedenfalls so gut gefallen, dass ich alle weiteren Hanne-Wilhelmsen-Krimis gelesen habe :-).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Also ich habe "Blinde Göttin" lange vor meiner Eulenzeit gelesen.


    Zu einer Rezi reicht das nicht mehr.
    Es hat mir jedenfalls so gut gefallen, dass ich alle weiteren Hanne-Wilhelmsen-Krimis gelesen habe :-).


    Same here! :lache

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Anne Holt - Der norwegische Gast


    Innentext:


    Seit Stunden wütet über dem unzugänglichen norwegischen Bergdorf Finse ein Schneesturm. Der einzige Zug dorthin ist in einer Schneewehe entgleist, die Passagiere, unter denen auch die ehemalige Kommissarin Hanne Wilhelmsen ist, finden Zuflucht im nahen Hotel. Die Reisenden machen sich miteinander bekannt, und bald drehen sich die Gespräche vor allem um eines: Was haben die Wachen vor den Türen des Hotels zu bedeuten? Wen sollen sie schützen? Die königliche Familie, einen ausländischen Ter roristen? Während die Vermutungen ins Kraut schießen, geschieht ein brutaler Mord - ein mitgereister Pastor, der durch seine Fernsehauftritte große Bekanntheit genießt, liegt tot im Schnee vor dem Haus. Panik macht sich unter den Eingeschlossenen breit, und als Hanne Wilhelmsen glaubt, einen Zeugen gefunden zu haben, wird auch er ermordet.


    Meine Meinung:


    Die Situation in "Der norwegische Gast" ist alles andere als angenehm. Durch eine Zugentgleisung landen die Passagiere in einem Hotel und sind von der Außenwelt abgeschnitten. Doch das ist noch nicht alles, denn bereits in der ersten Nacht geschieht ein grausamer Mord und die Menschen wissen nicht, wem sie trauen können und wem nicht.
    Und dann ist da noch dieser geheimnisvolle Waggon und niemand weiß, wer denn eigentlich da versteckt wurde?


    Bisher habe ich von Anne Holt noch nichts gelesen, aber mir hat dieser Krimi gut gefallen.
    Hanne Wilhelmsen scheint keine einfache Person zu sein. Seit einem Dienstunfall sitzt sie im Rollstuhl und versucht sich von ihren Mitmenschen zu isolieren, nur zwei Menschen lässt sie in ihrem jetzigen Leben noch an sich heran.
    Im Laufe des Buches allerdings lässt sie diese Fassade ab und zu mal etwas einreißen und nähert sich anderen Personen.
    Ihre Gedanken mitzubekommen finde ich sehr interessant, und auch dass sie es schafft den Fall nur durch ihre starke Beobachtungsgabe zu lösen, ohne die Hilfe von irgendwelchen (technischen) Mitteln.


    Auch die anderen Personen in dem Hotel finde ich ganz interessant und vorallem mitzuerleben, wie die verschiedenen Menschen in so einer Extremsituation reagieren. Die Auflösung war mir bis zum Ende hin unklar. Zwar hatte ich hier und da eine Vermutung, allerdings wechselte diese mit jeder gelesenen Seite.
    Zwar wurde die Geschichte um den geheimnisvollen Mann in dem Waggon nicht gelüftet, aber das hat mich nicht weiter gestört. Im Gegenteil, dieses "offene" Ergebnis hat mir sogar gefallen. Dem Leser bleibt es sozusagen selbst überlassen, was er daraus macht. Entweder handelt es sich wirklich um einen Terroristen (fiktiver oder real) oder vielleicht war es tatsächlich nur ein kleines Experiment?
    Man weiß es nicht, aber man kann es sich selbst, individuell zurechtlegen.


    Die Atmosphäre in diesem Krimi empfand ich als sehr beklemmend und angespannt. Das Rütteln des Sturmes und der Schnee konnte ich gut miterleben, obwohl es natürlich noch besser gewesen wäre, wenn man dieses Buch im tiefsten Winter bei Eis und Schnee lesen würde.


    Für mich war es insgesamt ein gutes Leseerlebnis und ich werde Hanne Wilhelmsen bestimmt mal wiedertreffen.

  • Danke für die vielen schönen Rezis!
    Ich bin noch am grübeln was dieses Buch betrifft. :gruebel

    Versuche zu kriegen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du kriegst
    :lesend"Herren der Unterwelt;Schwarzer Kuss" Gena Showalter

  • Ja, man kann an Agatha Christie denken, oder an griechisches Theater wegen der Einheit von Zeit und Raum, des closed-up und der Auflösung durch den Protagonisten im Beisein der Polizei vor allen Tatverdächtigen.


    Nein, mit Agatha Christie hat Anne Holt nichts gemein. Ihre Hanne Wilhelmsen passt nicht in Rahmen skurille Aussenseiter wie Hercule Poirot (Belgier- nicht Franzose) oder die alte Dame Miss Marple. Hanne Wilhelmsen ist zwar Aussenseiterin- nicht mehr aktiv bei der Polizei, nicht mehr aktiv auf zwei Beinen, sexuell anders orientiert, aber sie ist Norwegerin unter Norwegern, Frau unter Frauen und Katastrophenopfer unter Katastrophenopfern. Nicht sie ist das Alphatierchen, das sich entfaltet, das ist die Hoteldirektorin Berit, Hanne findet in der Beobachterposition, in der Position derjenigen, die übersehen wird, in der selbst gewählten Nische zunächst ihre gewohnte Position. Anne Holt lässt den Leser an der Entwicklung ihrer Figuren teilhaben, so eben an der Entwicklung von Figuren wie Adrian, Berit und Geir, aber auch am Wiedererwachen von Hanne. Hanne, die merkt, dass diese Nische, die sie als Schutz nach der persönlichen Tragödie gewählt hat, doch nicht die richtige Lösung für sie ist, die bemerkt, dass das Schneckenhaus, das sie um sich herum errichtet hat zu eng wird und die sich in dieser Erkenntnis traut und zutraut die Mordfälle zu lösen. Hercule bleibt Hercule, Miss Marple bleibt Miss Marple- nein Hanne am Anfang dieses Buches ist nicht Hanne am Ende dieses Buches, oder soll ich sagen am Ende dieser drei Tage? Das die Krimihandlung vor diesem eigentlichen Entwicklungsvorgang nicht zurücktritt, sondern beide Entwicklungen ineinander gleichwertig erzählt werden macht die Stärke des Buches aus.


    Ich hoffe, dass ich von Hanne Wilhelmsen noch viel hören werde, das Anne Holt gekonnt erzählen kann.


    Noch eine Nachbemerkung: Ich hätte dieses Buch normalerweise erst als Taschenbuch gekauft, was ich wahrscheinlich sogar noch mache, über die Tatsache, das ich es als Wanderbuch einer Gewinnerin bei vorablesen.de erhalten habe, konnte ich jetzt das HC lesen- die anderen Holts habe ich alle schon (soweit als TB erschienen) im Regal stehen.

  • So, meine Rezi kommt auch noch:



    Anne Holt versetzt den Leser/die Leserin in eine geradezu klassische Krimisituation: Eine Gruppe von Menschen sitzt nach einem Zugunglück in einem eingeschneiten Hotel fest, in dem dann zwei Morde geschehen. Holt schafft es dabei, das Geschehen und die einzelnen Personen in ihrer Gegensätzlichkeit sehr treffend zu beschreiben. Die Spannung wird bis zum Schluss aufrecht erhalten und die Auflösung des Falles birgt die ein oder andere Überraschung. Zusätzliche Neugier weckt die Frage nach den Passagieren im letzten Wagen des Zuges, die nach dessen Entgleisen von den anderen Reisenden abgeschottet werden.
    Hanne Wilhelmsen, die Protagonistin des Buches, ist eine außergewöhnliche Ermittlerin, die für mich in ihrer sehr spröden, schroffen Art zu Anfang zwar etwas gewöhnungsbedürftig war, mir aber im Laufe des Buches durch ihren herrlichen Sarkasmus und ihren immer wieder hindurchblitzenden weichen Kern sehr sympatisch wurde.
    Im Mittelpunkt des Buches stehen ganz klar die von der Autorin sehr gut beobachtete Situation - das Aufeinandertreffen zum Teil sehr diverser Charaktere auf engem Raum - und die Beobachtungen und Ermittlungen von Hanne Wilhelmsen. Der Schilderung der Morde wird dem gegenüber weniger Raum zugemessen, diese fällt sehr unblutig aus. Dies ist möglicherweise auch der Grund dafür, warum sich beim Lesen zwar ein ungutes Gefühl breit macht, aber die Spannung nicht unbedingt nervenzerreißend ist.
    Als negativer Aspekt muss leider die Übersetzung angeführt werden, die in den Dialogen häufig vom Duzen zum Siezen und wieder zurück springt, was sich störend auf den Lesefluss auswirkt.


    Insgesamt ist "Der norwegische Gast" ein gelungener, eher ruhiger Krimi, der neugierig auf die vorgehenden Teile der Reihe um Hanne Wilhelmsen macht.
    Ich würde 7,5 von 10 Punkten vergeben.

  • Nach einem Zugunglück bei tosendem Sturm mit rund 200 anderen, fremden, Menschen in einem abgelegenen Hotel einquartiert zu sein, ist an sich schon eine Situation, die an den Nerven der Betroffenen zerrt. Dann stirbt der Fussballpastor Cato Hammer - er wird ermordet. Unter den Eingeschlossenen, die durch den Sturm nicht nur von der Aussenwelt abgeschottet sind, sondern auch um ihre Sicherheit im Hotel, das den Kräften langsam nachzugeben scheint, fürchten müssen, bricht ein diffuses Gefühl von Panik aus. Gerüchte über unheimliche Vorgänge finden schnell einmal Nahrung bei den Menschen, deren Nerven blank liegen. Angeheizt durch verschiedene Stimmungsmacher droht die Situation zu eskalieren...
    Anne Holt hat ein wunderbares Psychogramm einer Gruppe Menschen erstellt, die durch das Schicksal verbunden aber ohne jede Gemeinsamkeit ist. Ganz feinfühlig beschrieben schälen sich aus der Geschichte nach und nach die verschiedenen Charaktere heraus. Sei es nun die menschenfeindliche - und mit sich selber im Unreinen befindliche - Komissarin Hanne Wilhelmsen, der unzugängliche aber hochgebildete Teenager Adrian oder die Stimmungsmacherin Kari Thue, die mit ihrer Hyperaktivität die Stimmung der Anwesenden ernsthaft zum Kippen zu bringen droht, sie alle sind so beschrieben, dass man sie vor sich zu sehen glaubt.Nicht so sehr die Frage, wer denn nun Cato Hammer wirklich umgebracht hat, beschäftigt beim Lesen dieses Krimis als vielmehr die Frage, wie die Menschen diese Tage in Finse überleben sollen. Denn so mancher ist nicht das, was er zu sein vorgibt und damit knüpft Anne Holt mühelos einen Spannungsbogen, der über die ganze Geschichte hinweg nie nachlässt.
    Die atmosphärisch dicht gewebte Spannung, die schon auf den ersten Seiten aufgebaut wird, lässt vor dem geistigen Auge eine Welt auferstehen, die so real und greifbar scheint. Fast ist es so, als ob man einer der Menschen wäre, die im Hotel eingesperrt sind und sich der Situation ausgeliefert fühlen. Besonders die Erzählweise der Protagonistin, die aus ihren persönlichen Problemen im Umgang mit den Menschen keinen Hehl macht, unterstreicht die Spannung.
    Alles in allem ist "Der norwegische Gast" von Anne Holt ein hervorragend ausgearbeiteter Krimi, der wesentlich mehr Ansprüche an die Leserschaft stellt, als ein durchschnittlicher Krimi. Und doch ist er so geschrieben, dass es niemandem schwer fallen dürfte, der Geschichte zu folgen und sich als Teil davon zu fühlen. Ein wirklich bemerkenswertes Werk.


    Von mir bekommt dieses Buch 9 von 10 Punkten.

  • Zu meiner großen Freude habe ich dieses Buch bei "vorablesen" als Leseexemplar bekommen. :-]



    Originaltitel: 1222
    318 Seiten


    8.Fall, Kommissarin Hanne Wilhelmsen



    Meine Meinung:
    Als ein Zug im norwegischen Finse im Schneesturm entgleist, müssen alle Passagiere im nahegelegenen Berghotel untergebracht werden, wo allerdings bereits nach kurzer Zeit ein Mord an einem Pastor passiert. Da aber alles zugeschneit ist und niemand das Hotel erreichen noch von dort weg kann, spitzt sich die Lage mit der Zeit zu. Noch dazu, wo sich einige Menschen in einem anderen Trakt befinden und sich von den anderen total abschotten. Niemand weiß wer sie sind.


    Man erfährt während des Aufenthalts im Hotel eine ganze Menge über die einzelnen Fahrgäste, unter denen sich nun ein Mörder befindet. Unter anderem befindet sich auch die ehemalige Kommissarin Hanne Wilhelmsen unter ihnen, die vor ein paar Jahren bei einem Einsatz angeschossen wurde und seitdem im Rollstuhl sitzt.


    Die Geschichte ist äußerst interessant und Anne Holt ist eine gute Mischung von Details und kriminalistischer Erzählung gelungen. Die einzelnen Personen sind sehr intensiv gezeichnet und haben großteils sehr extreme Charaktere. Trotzdem alles sehr ausführlich beschrieben wird, ist es keine Sekunde langweilig und man hat das Gefühl, man befindet sich selbst unter all den Menschen im Hotel.


    Hanne Wilhelmsen hat in ihrem Rollstuhl sehr viel Zeit, um alle Gäste genau zu beobachten und einiges über sie in Erfahrung zu bringen und nach und nach wird ihr klar, wie alles zusammenhängt und wer der Mörder ist. Eine wirklich tolle Geschichte, die nicht nach 08/15 abläuft. Es gibt zwar ein paar Fehler mit "Du" und "Sie" und einmal eine Namensverwechslung, aber es hat nicht sonderlich gestört.


    Leider habe ich bis jetzt noch keinen Hanne Wilhelmsen-Krimi gelesen und mir fehlt daher das ganze Insiderwissen über die Kommissarin, was ich sehr bedaure. Werde aber bei Gelegenheit vielleicht doch noch mit dem 1.Fall der Serie beginnen.