Jan Weiler - Drachensaat

  • Ein Postbote. Ein Busfahrer. Ein Rentner. Eine Sachbearbeiterin. Ein Architekt.
    Fünf Menschen, in deren Leben irgendwann mal etwas richtig schief gegangen ist. Fünf ganz normale Verrückte und ihr ehrgeiziger Art. Dem die Behandlung langsam aus dem Ruder läuft. Bis die fünf eines Tages ausbrechen...


    Jan Weiler kennt man als Autor von "Maria, ihm schmeckts nicht". Als einen, der leichtere Kost schreibt. Bücher für zwischendurch, kleine Lesehappen.
    Mit "Drachensaat" ist dem Autor ein vollwertiges Literaturmenü gelungen: da ist zum Beispiel Protagonist Bernhard Schade. Als kleiner Junge wollte er Maler werden. Aber ohne Talent muss das ein Traum bleiben. Bernhard entdeckt, dass er Türen und Fenster malen kann - und wird deswegen Architekt. Und zwar einer, dem der Erfolg nur so nachrennt: Schades Sohn ist behindert. Der Junge mit dem Down-Syndrom sagt dem Vater, wo mehr Farbe ins Gebäude soll, wo weniger Ecken. Schade wird zum gefeierten Star der Behindertenarchitektur. Bis zu jenem Tag, an dem sein Sohn 18 Jahre alt wird - und Schade ihn im Puff zum Mann machen will. Ein Fiasko - seine Frau trennt sich, der Sohn will fliegen und stürzt in den Tod. Irgendwann hat Schade den Punkt erreicht, an dem er zur Pistole seines Großvaters greift. Bei den Bayreuther Festspielen will er sterben. Dumm nur, dass er in dem Moment, als er den Lauf der Pistole auf seine Stirn richtet, auf der Schleppe seiner Nebensitzerin ausrutscht und statt dessen auf einen Minister a.D. schießt...
    Da ist auch ein Postbote, der Angst vor Briefschlitzen hat. Der tausende von Briefen bei sich zu Hause sortiert, aber nicht austrägt. Bis zu jenem Tag, als er samt Briefen und Wohnzimmereinrichtung einen Stock tiefer kracht.
    Da ist ein Mann, dem alles egal ist. Und der deswegen neun Jahre lang seine tote Mutter im Sessel sitzen lässt. Er hatte sich so an Mutti gewöhnt...
    Da ist ein schwuler türkischer Busfahrer, der eines Tages keine Lust hat anzuhalten. Erst in Thrüringen ist sein Tank leer - die vermeintliche Entführung der Fahrgäste bringt ihn, wie die anderen "Irren", in die Anstalt.
    Und da ist Dr. Zens, der im Schwarzwald ein Sanatorium betreibt, in dem er eine völlig neue Art der Therapie ausprobieren will. Und die schlägt an - denn eines Tages nehmen die Irren ihr Schicksal selbst in die Hand...
    Ich hab schallend gelacht beim Lesen. Jan Weiler erzählt locker, gekonnt humorvoll - und exzellent recherchiert. Die psychischen Krankheitsbilder sind auf den Punkt genau beschrieben und, selbst Betroffene dürfen das, zum Brüllen komisch.
    Aber, und das macht das Buch für mich bemerkenswert, Weiler hat in "Drachensaat" nicht nur eine Collage unserer Gesellschaft gezeichnet, die ihresgleichen sucht - das Buch ist eine Kritik an der Gesellschaft, spielt mit Träumen, Sehnsüchten und einer Lösung, die das Leben lebenswerter machen könnte.
    Mein Tipp: lesen. Unbedingt! Leider gibts das Buch im Moment nur in der teuren Hardcoverausgabe, aber das Taschebuch kommt hoffentlich bald.


    Und das sagt amazon:
    Kurzbeschreibung
    Benno Tiggelkamp hat Mist gebaut. Diesmal so richtig. Und ist erwischt worden. Deshalb sitzt er jetzt beim Heiner und soll reden. Benno weiß auch nicht, wozu das gut ist. Aber er wird ja nicht gefragt. Der Psychotherapeut Dr. Heiner Zins glaubt fest an seine Entdeckung einer Zivilisationskrankheit. Deshalb lässt er zu Forschungszwecken sechs schwere Fälle in seine Klinik verlegen. Die Sitzungen des Arztes erzeugen bei den Patienten nicht nur ein bisher ungekanntes Selbstbewusstsein, sondern bald auch den Wunsch nach Ruhm und Anerkennung. Schnell verliert der ehrgeizige Arzt die Kontrolle und kann nicht verhindern, dass die Gruppe ausbricht ... -- Dieser Text bezieht sich auf eine andere Ausgabe: Audio CD .


    Über den Autor
    Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, arbeitete als Texter in der Werbung, absolvierte dann die Deutsche Journalistenschule in München und war viele Jahre Chefredakteur des "Süddeutsche Zeitung Magazins". Heute lebt er als Autor mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München.

  • Nach einer wirklich guten Empfehlung der Bücherute hab ich es mir diese Woche gekauft, und vorhin begonnen. Liest sich sehr gut...auch wenn ich für den Vater der seinen behinderten Sohn ins Bordell schleift nicht wirklich Verständnis habe :rolleyes.

    LG Katja :wave


    "Die reinste Form des Wahnsinns ist es ,
    alles beim alten zu lassen .
    Und gleichzeitig zu hoffen , das sich etwas ändert."-Albert Einstein ."


    :lesend "FÜNF "- Ursula Poznanski

  • Habe das Buch auch vor einiger Zeit gelesen und war positiv überrascht. Vorher hatte ich von Autor schon "Maria - ihm schmeckts nicht" gelesen, was ich naja so mittelmäßig fand, aber Drachensaat hat mich nun wirklich vom Stuhl gehauen. Die Sprache ist präzise und der Autor verfügt über eine wunderbare Fantasie. Detailreich erzählt er die traurige Geschichte von jedem Einzelnen, auf so lockere und lustige Weise, dass man mit den Personen leidet, aber auch lacht.
    Einziger Minuspunkt: Das Ende fand ich nicht gut, hätte mir anstatt kurzer Berichte, lieber eine genauere Beschreibung der Vorgänge gewünscht.

    Neun von zehn Stimmen in meinen Kopf sagen ich bin nicht verrückt. Die andere summt die Melodie von Tetris.

  • Ich bin gerade fertig geworden und kann mich keinkomma anschließen - ein wunderbares Buch.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich kann mich Keinkommas Meinung leider nicht anschliessen. Die ersten beiden Teile konnten mich auch noch überzeugen. Im drittel Teil als das Geschehen aus der Sicht des Opfers beschrieben wurde, begann das Buch mich so langsam zu langweilen. Den letzten Abschnitt, Pressemitteilungen, habe ich dann nur noch quer gelesen. Interessantes Thema aber zum Teil schlechte Umsetzung. :-(

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Ich bin bei diesem Buch sehr zwiegespalten.


    Der erste Teil, in der die einzelnen Protagonisten vorgestellt werden war ausgezeichnet. Die Personen wurden klasse umschrieben und ich war sehr positiv überrascht, dass Jan Weiler auch "ernste" Themen so geschickt hin bekommt. Jede einzelne Person machte das Lesevergnügen noch spannender.
    Tja wenn es dann nicht den Mittelteil und das Ende gegeben hätte. Die Story aus Sicht des Opfers fand ich zu lang gezogen. Da hätte der Autor kürzen können. Die Pressemitteilungen am Ende fand ich überhaupt nicht gut. Auch wenn dort über die einzelnen Personen gesprochen wurde und man dadurch erfuhr was mit ihnen geschah, war mir das zu wenig. Ich hätte mir gewünscht Jan Weiler hätte so aufgehört wie er angefangen hat. Dann wäre das ein glattes 10-Punkte-Buch geworden.
    So kann ich nur 7 Punkte geben, und das alleine wegen dem ersten Teil. Die anderen beiden Abschnitte hätten von mir nämlich lediglich 5 Punkte bekommen.
    Der Schreibstil des Autors fand ich sehr angenehm. Die Gesellschaftskritik in diesem Buch ist klasse mit der Story verbandel worden. Respekt.
    Steiler, überragender Anfang, langsamer Absturz und dann volle Bruchlandung.
    Schade. Da wäre und ist mehr drin gewesen.

  • Oh mann, der erste Teil soll noch gut sein? Ich bin gerade mal am Ende des erstens Teils und würde schon fast am liebsten abbrechen... Argh, das war wohl mal wieder ein Fehlgriff.... :fetch

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Ich kann mich den kritischen Stimmen nur anschließen - der erste Teil gefiel mir richtig gut, der aus der Sicht des Entführten geschilderte Teil ging so an (einige Details fand ich schön, zum Beispiel die Sache mit dem toten Reh), aber gegen Ende war ich zunehmend genervt. Abgesehen von dem Anfangserzähler Bernhard Schade kamen mir alle anderen Heiminsassen wie Panoptikumfiguren vor; vielleicht hätte der Autor gut daran getan, sie selbst eingehender zu Wort kommen zu lassen (besonders Rita). Die Presseschau im letzten Teil besteht nur aus billigen Knalleffekten.
    Ich habe es ganz gern gelesen, aber es ist kein Buch, das ich behalten möchte; ich werde es zum Tausch einstellen.


    Gruß von Zefira

  • Jan Weiler erzählt die Geschichten von fünf Menschen, die mit unserer Gesellschaft nicht so ganz mithalten können. Manchmal zum Lachen, mal ernst, mal zum nachdenken. :gruebel
    Besonders der türkische Busfahrer Ünal Yilmaz entlockt einem schon mal ein Lächeln. Außerdem gibt es auch einen altbekannten aus Weilers Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“: Benno Tiggelkamp!


    Leider ist das Ende nicht so toll geschrieben wie der Rest des Buches.
    Ich mochte diesen Roman, von mir 8 Punkte.

  • Ich hatte gehofft, mich würde das Buch genauso begeistern, wie Jan Weilers andere Bücher, doch leider hat mich der Roman eher verschreckt. Ich finde, ihm fehlt der Witz, den ich an den anderen Büchern so gemacht habe.
    Bestimmt ein hervorragendes Werk, aber nichts für mich. Etwa nach zwei Dritteln habe ich es abgebrochen.

    Man kann sich nicht an etwas festhalten, ohne mitgerissen zu werden.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Elisa ()

  • Mir hat das Buch sehr gefallen. Sehr gesellschaftskritisch auf den Punkt gebracht. Allerdings fand ich die Pressemitteilungen auch total langweilig und habe sie nur quer gelesen.

  • Was mir an dem Buch besonders gefallen hat, war die Gegenüberstellung zweier sich fundamental unterscheidender Sichtweisen auf unser Gesellschaftssystem und seine Auswüchse. Dazu hat Weiler einen Haufen seltsamer, allesamt tragischer und zum Teil amüsanter Figuren erschaffen und um sie herum eine ziemlich wilde Geschichte aufgebaut. Leider rutscht ihm dabei gelegentlich die Feder aus, und er kann nicht widerstehen, seine Protagonisten, insbesondere den schwulen Türken Ünal Yilmaz, zugusten einer fragwürdigen Pointe der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei sind die fünf Patienten / Versuchskaninchen ansonsten in sich sehr schlüssig und bei aller Abseitigkeit sympathisch gezeichnet.


    Geschrieben ist das Buch sehr ordentlich, passender Stil, überlegter Aufbau der Geschichte, zumindest in den ersten beiden Teilen. Der letzte, die Pressemitteilungen, erschien dem Autor vermutlich originell, aber ich muss mich der Mehrheit der bisherigen Eulenkommentare anschließen: Er war eher langweilig, wenn auch zum Verständnis der Geschichte unerlässlich, was allerdings auch eine andere Erzählform zugelassen hätte. Wollte uns der Autor beweisen, wie gut er den Ton der jeweiligen Medien parodieren kann? Zwar ist ihm das handwerklich gut gelungen, aber wenn man das Große und Ganze betrachtet, hat es dem Roman leider geschadet.


    Alles in allem eine fantasievolle, im besten Sinne an den Haaren herbeigezogene Geschichte, die mir Spaß gemacht, mich aber nicht übermäßig begeistert hat. Sieben Punkte.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann