‚Warum’, so fragt die Heldin dieses Romans auf Seite 28, ‚haben lustige Frauenbücher immer gezeichnete Cover?’
Das Buch hier har auch eines. Eine Frauengestalt, gekleidet in etwas, das an einen altmodischen schwarzen Badeanzug erinnert, lehnt sich den Betrachtenden entgegen über etwas, das aussieht wie ein altmodischer Gymnastikball. Ob das eins der glatten runden Ding des Titels ist? Die Frau scheint ein wenig zu lächeln, da ist ein Hauch von Mona Lisa.
Die Frage der Protagonistin, Sabine, knapp vierzig Jahre alt, mit einer extrem kleinen Statur, extremer Oberweite und dem auffallenden Nachnamen Rosenbrot versehen, wird die Frage nicht beantworten, wie so viele Fragen in diesem Buch.
Eine Frage kann man nach der Lektüre aber klären: das hier ist kein ‚lustiges Frauenbuch’. Schwieriger zu lösen ist die Frage, was dieses Buch dann ist.
Werfen wir einen Blick auf die Handlung. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin wird nach einem absurd geführten Streit mit einem Schaffner zum Verlassen des Zugs aufgefordert. So landet sie auf dem Bahnhofsvorplatz von Wolfsburg. Verärgert und verwirrt gerät sie infolge einer Verwechslung in ein Hotel als Schriftstellerin Michaela Sends. Das schüttelt sie zwar schnell wieder ab, nicht aber ihre auf einmal geweckte Lust, etwas Ungewöhnliches zu tun. Statt zu ihren Freundinnen nach Berlin zu fahren, fährt sie nach Hannover, sucht sich ein Zimmer und einen Job.
Durch ein einleitendes Wort vor Einsetzen der Handlung, das eine Art vorläufige Bilanz und Rückblick der Geschehnisse durch Sabine selbst darstellt, sind wir über sie schon recht gut informiert (wie auch darüber, daß das nichts war mit ihrer Flucht). Wir wissen, daß sie Phobikerin ist, also eine Person, die von Dutzenden irrationaler Ängste geplagt wird. Auch ihr Handeln ist rational nicht leicht erklärlich. Oder gibt es tatsächlich einen überzeugenden Grund dafür, daß sie ihre ‚armreifgroßen goldenen Kreolen’ im Hotelzimmer, das eigentlich für die Schriftstellerin reserviert ist, an die Duschstange hängt und dafür einen Ring der Vorhang-Halterung mitnimmt? Möglicherweise den, daß so ein Vorhangring glatt und rund ist, die Ohrringe dagegen von Sabines Lebensgefährten Ralf stammen, mit dem sie gar nicht mehr zufrieden ist.
In Hannover findet Sabine ein Zimmer bei Jessica (mit Jot!) und einem Job in dem Enthaarungsstudio, in dem auch Jessica arbeitet. Es gibt eindrückliche Szenen aus dem Arbeitsleben im Studio, ja doch.
Wichtiger aber ist, daß Sabine wieder auf Michaela Sends stößt. Diesmal besucht sie ihre Lesung - und stiehlt ihr in einer Signierpause den goldenen Kuli. Als Gruß legt sie ihr dafür den Duschring aus dem Hotelzimmer hin. Eine Woche später erfährt sie aus dem Fernsehen, daß Frau Sends von einer Stalkerin verfolgt wird. Die Beschreibung paßt genau auf Sabine.
Hals über Kopf flüchtet sie.
Inzwischen wissen wir, daß die ‚glatten runden Dinger’ des Titels Sabines Trostmittel in ihren fast halbstündlich ausbrechenden emotionalen Krisen sind. Gleich ob eßbar, wie Schokolinsen, Oliven oder hartgekochte Eier, oder zum Anfassen, wie Glasmurmeln, es ist das einzige Beruhigungsmittel für sie. Aber soviele ‚glatte runde Dinger’ wie eine gegen den Vorwurf bräuchte, Stalkerin zu sein, gibt es gar nicht. Da hilft nur Flucht.
Unterwegs trifft sie eine Varieté-Truppe und wird Assistentin von Jamie, dem Handstandakrobaten. Die Tour führt nach Hamburg. Dort stolpert Sabine erneut über Michaela Sends und den Stalkerinnen-Vorwurf. Und über die Verwicklungen innerhalb der Varieté - Truppe. Vor allem aber über sich selbst.
Am Ende hat sich manches geklärt, das Meiste aber nicht. Es gibt einen Neuanfang für Sabine, allein. Von glatten runden Dingern ist nicht mehr die Rede, doch wer weiß?
Erzählt wird das Ganze mit vielen Rückblicken auf die Kindheit und Familiengeschichte, auf Freundinnen und den Lebensgefährten. Das lenkt mitunter vom Handlungsablauf ab, ist aber wohl beabsichtigt, denn die Protagonistin will sich ja ganz klar werden darüber, wie es aussieht mit ihr und ihrem Leben. Allerdings deutet sie meist falsch, sie sieht vor allem sich. An einer Stelle gibt sie auch zu, daß Egoistin ist.
Eigentlich ist ihre Geschichte sehr bedrückend. Von Kind auf hat sie das Gefühl, Außenseiterin zu sein, zu klein, in die falschen Familie geboren, in die falsche Welt. Mit Schwierigkeiten wird sie nicht fertig, sie entwickelt nur die nächste Phobie. Nach außen hin funktionstüchtig, ist sie tatsächlich in einer eigenen Welt eingeschlossen, aus der sie nicht ausbrechen kann. Auf ihre Art ist sie der Mittelpunkt eines ‚glatten runden Dings’, das sie beschützt, zugleich aber einsperrt.
Bei den Menschen um sie herum ist das aber kaum anders. Die Kommunikation ist zum Scheitern verurteilt. Auf eine seltsame Art sitzt jede und jeder in einem ‚glatten runden Ding’. Zugleich ist keine und keiner, was sie zu sein scheinen. Das wird beim Varieté ganz deutlich. Nicht einmal mehr die Geschlechter sind mehr zu bestimmen. Männer treten als Frauen auf, Frauen als Männer. Man hat nur ein Bild vom anderen, demgemäß handelt man. So handelt man meist falsch. Am Ende war alles ‚nicht so gemeint’, aber auf die Frage, wie es denn gemeint war, gibt es keine Antwort.
Es ist ein ungemein trauriges Buch. Eine Geschichte vom unablässigen Scheitern, an den anderen, an sich und am meisten dann, wenn man es ‚gutmeint’. Beklemmend fand ich die Darstellung des deutsch-russischen Ehepaars in der Truppe, die sich, wenn sie nicht auf der Bühne stehen, ständig zurufen, aber sich nie aufeinander zu bewegen. Da steht die Frau, dort der Mann, der Weg dazwischen scheint nicht zu bewältigen. Oder Sabines Versuch, an ihrem vierzigsten Geburtstag vierzig fremden Menschen ein kleines Geschenk zu machen, der kläglich scheitert.
Es ist ein Dasein ohne jede Orientierung. Alles ist eine Verwechslung, alles ist verzerrt. Nur wo ist das scharfe Bild? Darauf gibt es keine Antwort.
Und ist es damit getan, wenn man die Oberfläche zerbricht? Ein Eisbrecher auf dem Mittellandkanal scheint Sabine die Lösung zu sein. Am Ende fährt sie los, um selbst Schiffsführerin auf einem Eisbrecher zu werden. Ob die harten, kantigen ‚Scherben’ tatsächlich eine Antwort auf ‚glatte runde Dinger’ sind?
Traurig stimmt aber vor allem, daß ein Buch, das ein grandioser Roman hätte werden können, so grandios danebengegangen ist. Das hat zwei Gründe. Zum einen fehlt der Autorin der Ernst, den eine solche Geschichte in der Bearbeitung fordert, zum anderen fehlen die Fähigkeiten, es schriftstellerisch umzusetzen.
Immer wieder lockt der ‚lustige Frauenroman’. Die Autorin läßt sich fast durchgängig ablenken, pfiffige Bemerkungen, Kalauer, Allgemeinplätze sitzen eben schneller und leichter auf dem Papier als durchdachte und dieser schwierigen Romanidee angemessene Formulierungen. In der Regel geht sie den leichteren Weg. Die Intimrasur im Salon z.B., die Elemente enthält, die tatsächlich zu einer Schlüsselszene in der Frage von Sabines eigener Körperwahrnehmung verbunden mit der Wahrnehmung eines lebendigen Gegenübers - ein Schritt aus dem ‚runden Ding’ heraus - hätte werden müssen, verkommt nahezu zur voyeuristischen Szene à la ‚Feuchtgebiete. Die Geburtstagsgeschichte wird plattes Gutmenschentum.
Die Motive passen nicht ganz zusammen. Eindringlich und fast angsteinflößend die Szene mit dem harten Ei, aber ein Ei ist nicht rund, so sehr seine Glätte im gekochten Zustand auch zur Beschreibung verlocken mag. Ebensowenig sind es Oliven oder Schokolinsen, und ein Duschring ist zwar rund, aber ihm fehlt eine Dimension zur Kugel. Was nun, Oval, Kugel oder Ring? Runde Dinger eben. So vage wie der Titel, ist die Idee dahinter geblieben oder anders ausgedrückt: das unbestimmte Titelwort ‚Dinger’ zeigt schon, wie wenig durchdacht das Ganze ist.
Das Buch hat keinen Humor, auch wenn ihm der Ernst fast völlig fehlt. Es gibt ein wenig Komik, sie wirkt aber fast automatisch, als ob man schnell einen Lacher hätte einbauen wollen. Es fehlt deutlich der Mut zur Ernsthaftigkeit und daher verpufft vieles von dem, was wichtig gewesen, oft noch vor dem Knall, es wird oberflächlich, platt, trivial. Nicht selten gerät es in die Nähe des Bieder-Behäbigen, Altvertrauten.
Es ist trotz eingehender Beschreibung von Eßwaren und so manchen intimen Szenen ein ganz unsinnliches Buch. Auch hier fehlte vor allem der Mut, sich einzulassen auf das, was erzählt werden sollte und auf die dazugehörige Sprache. Was sonst soll Sinnlichkeit bringen in einem Buch? Die ‚griffigen’ Formulierung schwächen den Text durchgehend; etwas z.B., das eine wilde Bettszene hätte werden sollen, verkommt nahezu zur technisch-nüchternen Betriebsanleitung eines beliebigen Sex-Spielzeugs.
Und natürlich hat man trotz vieler origineller Ausgangsideen am Ende das Gefühl, daß man dieses Buch schon einmal gelesen hat.
Die Geschichte ist traurig, der Grundton ist traurig, kein noch so alberner Witz kann das überdecken. Am traurigsten aber ist, daß das Buch nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Kein lustiges Frauenbuch, kein Roman über bestimmte Befindlichkeiten dieser Zeit, sondern eine halbgare Mischung aus einigem wenigen Gelungenen und viel Mißlungenem. Nicht rund, alles andere als das.
Was das Buch in meinen Augen allerdings darstellt, ist ein weiterer Beleg für eine seltsame Zweiteilung der derzeitigen bundesdeutschen jungen Literaturlandschaft. Sie äußert sich so: Diejenigen, die schriftstellerisch das Zeug haben, wandern auf höchst abgelegenen oder völlig ausgetretenen Pfaden. Diejenigen dagegen, die ein Auge haben für etwas, das man den Nerv der Zeit nennen könnte oder sogar Neuland, verfügen nicht über die schriftstellerische Vermögen, es angemessen zu bearbeiten.
Das hält aber keine und keinen davon ab, Bücher auf dem Markt zu werfen, denn entsprechende Selbstkritik fehlt in beiden Gruppen, gründlich.