Die Amish People - Peter Ester

  • “Wir verlieren unser Erbe!“
    David Stoltzfus, Seite 162


    200 Seiten, einige Abbildungen, kartoniert
    Originaltitel: De stillen op het land
    Aus dem Neiderländigschen von Frans Beersmans, bearbeitet von Peter Ester
    Fotos von Peter Ester und Dennis Hughes
    Verlag: Patmos Verlag, Düsseldorf, 2008
    ISBN-10: 3-491-69439-6
    ISBN-13: 978-3-491-69439-2




    Kurzinhalt / Klappentext


    Sie leben wie in einem anderen Jahrhundert. Der minimalistische Lebensstil der Amish-People ist geprägt von ihrem streng orthodoxen Glauben, absoluter Einheitlichkeit und einer scheinbaren Ablehnung jeglichen Fortschritts und Kontakten zur Nicht-Amish-Welt. Diese fragt sich zunehmend, wie die Amish in unserer modernen Welt überhaupt zurecht kommen können.


    Peter Ester schildert die Erfahrungen, die er machte, als er selbst mit den Amish gelebt hat und gibt einen interessanten Überblick über ihre sozialen Strukturen, ihre Religion und ihre Kultur. Gleichzeitig untersucht er, inwiefern sich die Amish an ihre moderne Umgebung angepasst haben und wie es ihnen gelingt bzw. ob es ihnen auch in Zukunft gelingen wird, ihre Tradition dennoch zu bewahren.




    Über den Autor


    Peter Ester wurde 1953 geboren. Er ist Professor für Soziologie an der Universität Tilburg (Niederlande) und Direktor des Instituts für Labour Studies.
    < Klick > - hier die Seite über ihn auf der Website der Universität Tilburg (in englischer Sprache)
    [URL=http://www.oecd.org/speaker/0,3438,en_21571361_31938349_38290740_1_1_1_1,00.html]< Klick >[/URL] - hier die Biographieseite bei der OECD (in englischer Sprache)




    Webseiten / Informationen über die Amish


    - < Klick > - der deutsche Wikipedia-Artikel
    - < Klick > - der englische Wikipedia-Artikel
    - < Klick > - der deutsche Wikipedia-Artikel über die Mennoniten
    - < Klick > - in englischer Sprache ein Artikel über die Amish auf einer Website für religiöse Toleranz in Nordamerika. Unten ein Link zu einem Artikel über das Massaker an einer Amish-Schule am 3. Oktober 2006
    - < Klick > - die Seite der Zeitschrift Amish-Heartland (in englischer Sprache)
    - < Klick > - hier noch die Site Amish-Net, eine Informations- und Übersichtsseite. Gedacht als Information von den Amish über die Amish selbst sowie als Wegweiser zu Firmen, die Produkte der Amish vertreiben.




    Meine Meinung


    Eigentlich könnte ich meine Meinung komplett aus Zitaten aus dem Buch zusammenstellen. Was andeutet, daß Peter Ester ein sehr umfassendes Werk vorgelegt hat. Ziemlich am Anfang, nämlich auf Seite 21, findet sich beispielsweise diese Aussage:
    Das Befragen der Amish nach ihren Werten und Normen bedeutet, dass man selber auch nach seinen eigenen Werten und Normen befragt wird. Das hat konfrontierende, sogar peinliche, aber auch läuternde Seiten. (...) Man stellt Fragen, auf die man eigentlich selbst keine Antwort weiß.
    Damit ist die Problematik, wenn man sich auf das Thema einläßt, und nicht einfach nur neugierig über eine fremd erscheinende Menschengruppe, die man als „Versuchsobjekt“ oder wie in einem Museum befindlich betrachtet, treffend beschrieben. Denn die Auseinandersetzung mit der Lebensweise der Amish ist eine ständige Hinterfragung der eigenen Position. In dieser Hinsicht ging es mir nicht besser als dem Autor.


    Das Buch selbst ist in vier Kapitel eingeteilt:
    - Die Geschichte der Amish (Entstehung in Europa und Auswanderung in die USA)
    - Religion, Kultur und soziale Struktur
    - Kulturelle Abgrenzung: Auseinandersetzung mit Modernität
    - Die Zukunft der Amish


    Ich gebe zu, für mich waren die „(Wieder-)Täufer“ bisher nicht viel mehr als ein abstrakter Begriff. Diesen hat Peter Ester mit Leben, grausamem Leben erfüllt. Bei all der heutigen Literatur über Hexenverfolgung und Verfehlungen der katholischen Kirche gerät die Verfolgung der (Wieder-)Täufer, aus denen die Amish hervorgingen, auch und gerade durch die Protestanten etwas aus dem Blickfeld. Allerdings, ehrlich gesagt, möchte ich keinen Roman über diese Verfolgungen lesen. Die reinen historischen Fakten, nüchtern erzählt wie in diesem Buch, reichen mir völlig, um das Grauen nachvollziehen zu können, das die Mennoniten und Amish in ihren Anfängen durchmachen mußten. Er erklärt dabei auch die Entstehung des Schleitheimer Bekenntnisses sowie des bei den Amish heute noch gültigen Dordrechter Bekenntnisses.


    Im zweiten Kapitel geht der Autor auf die Religion der Amish, ihren Glauben und ihre Rituale ein. Er hat im Rahmen seiner Studie eine Zeitlang bei den Amish gewohnt, etliche interviewt und an den Ritualen teilgenommen. Dabei war ihm sein Wohnort nahe Dordrecht eine Art „Türöffner“, wie er vermerkt.


    Danach folgt im dritten Teil eine Beschreibung der Amish-Kultur und Sichtweise der Welt. Wie auch die Probleme, die sie mit der sie umgebenden amerikanischen Gesellschaft haben. Vom Schulwesen angefangen bis hin zur Sozialversicherung. Es war dieses Kapitel, was mich am meisten zum Nachdenken über unsere eigene Gesellschaft angeregt hat. (Näheres siehe unten.)


    Nachdem er so das Bild einer jahrhundertealten blühenden Kultur entworfen hat, folgt schließlich die Ernüchterung: über dreihundert Jahre haben die Amish alle Stürme überlebt. Doch die moderne Zeit länger als eine oder zwei Generationen zu überleben, dürfte schwierig bis unmöglich sein. Dramatisch gestiegene Bodenpreise in Verbindung mit starkem Bevölkerungswachstum machen es nahezu unmöglich, eine für die Amish grundlegende bäuerliche Existenz zu führen. Um Arbeit und Einkommen zu haben, sind immer mehr Amish gezwungen, außerhalb eines Bauernhofes zu arbeiten. Sei es im eigenen (kleinen) Unternehmen, sei es als Angestellter bei einem Amish oder gar einem „Englischen“ (= Nicht-Amish). Noch gelingt es, diese Anforderungen und Veränderungen mit ihrer eigenen Tradition in Einklang zu bringen. Doch sehr deutlich entwirft Peter Ester ein recht düsteres Bild der Zukunft der Amish. Denn eine bäuerliche Existenz stellt ganz andere Anforderungen als eine als (womöglich) erfolgreicher Unternehmer. Als Stichwort sei die Unmöglichkeit für den Unternehmer, sich von der Welt fernzuhalten, genannt. Oder das Erfordernis, ein eigenes Telefon zu haben.


    Der faszinierendste Aspekt der Amish ist in meinen Augen, dass sie, anders als ihre moderneren Zeitgenossen, nicht kopflos und wie Hühner jeder Neuerung hinterherrennen. (Seite 172) Genau dies ist etwas, was mir immer wieder beim Lesen durch den Kopf gegangen ist. Im Gegensatz zu uns werden Neuerungen, neue Entwicklungen nicht hurraschreiend übernommen, sondern zunächst hinterfragt und nur, wenn sie sich mit den eigenen Werten in Übereinstimmung bringen lassen bzw. im Einklang befinden, übernommen. Der „Gesellschaftsentwurf“ der Amish ist ein ganz anderer als unserer. Er ist sehr auf die Gemeinschaft, nicht so auf den einzelnen, auf kleine Einheiten und nicht Globalisierung, auf Demut, Gelassenheit und Weltabgewandtheit hin ausgelegt. Die Amish sind der lebende Beweis, daß unsere Gesellschaftsform nicht die einzig mögliche (und damit richtige) ist, daß es durchaus andere Werte gibt, die sich im Leben verwirklichen lassen.


    Es hat sich mir immer wieder die Frage gestellt, inwieweit eine Gesellschaft das Recht hat, ihre Werte und Vorstellungen grundsätzlich allen Menschen als selbstverständlich aufzuoktroyieren. Bis zu diesem Buch hätte ich diese Frage ohne groß Nachzudenken recht eindeutig beantwortet. Jetzt kann ich das nicht mehr. Es gibt sicherlich gewisse Menschenrechte, um diesen Ausdruck zu benutzen, die nicht verhandelbar sind. Doch ob eine Gesellschaft alles, was darüber hinaus geht, wirklich so unbedingt und absolut durchsetzen darf, wie wir das von unserem Rechtssystem (da unterscheidet sich das amerikanische nicht von europäischen) gewohnt sind - diese Problematik taucht immer wieder im Buch auf.


    Wie eingangs angedeutet, zwingt die Auseinandersetzung mit den Amish dazu, ständig die eigene Position und die eigenen Werte zu hinterfragen, bisweilen sogar zu begründen. Nicht immer habe ich mich dabei in der besseren Situation, mit den besseren Argumenten ausgestattet gefunden. Es gibt einen „Gegenentwurf“ zu unserer Gesellschaft, der alles andere als rückständig oder zu belächeln ist. Das ist der Stachel, der bleibt. Das ist die Anfrage an die eigene Position, die man - beschäftigt man sich ernsthaft mit der Thematik - irgendwann beantworten muß. Und wenn man sich ehrlich dieser Frage nähert, mit zu Beginn offenem Ausgang. Keine angenehme Situation.




    Kurzfassung:


    Eine gut lesbare Darstellung der Geschichte der Amish, ihrer Religion, Kultur und Gesellschaft. Für meine Begriffe als Einstieg ins Thema gut geeignet.


    ASIN/ISBN: 3491694396

    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von SiCollier ()

  • Wunderschöne Rezi, SiCollier, danke!


    Mich interessieren diese Gruppen schon seit meinem 1. Amerikabesuch vor 10 oder noch mehr Jahren. Vorher hatte ich noch nie von ihnen gehört; dort haben wir sie des öfteren mit ihren Kutschen fahren gesehen und mein damaliger Freund hat mir dann erstmals von ihnen erzählt.


    Für mich sind diese Menschen, die Prinzipien haben, und dann auch gegen viele Widerstände dazu stehen, wirklich bewunderswert.

  • Danke für diese tolle Rezi. :anbet


    Ich bin vor ein paar Jahren mal durchs Lancaster County in Pennsylvania gefahren und habe abseits der highways ein paar Amishdörfer durchquert. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man an der Supermarktkasse hinter Menschen steht, die so ganz anders aussehen, als die anderen Kunden. Das Buch kommt auf die Wunschliste.

  • Ich bin übers Patchwork mit den Amish People in Berührung gekommen. Die Farben und die einfachen Muster haben mich fasziniert. Aus diesem Grund bin ich auf das Buch "So einfach wie das Leben" von Sue Bender gestossen und obwohl ich dieses Buch vor 15 JAhren zum ersten mal gelesen habe nehme ich es immer mal wieder in die Hand und lese es. Besonders dann, wenn es mal wieder besonder stressig und hektisch war. Man kommt immer wieder auf den Boden zurück und fragt sich was brauche ich wirklich um Glücklich zu sein. Wenn ihr es irgendwie bekommen könnte kann ich es nur sehr empfehlen. Es ist von einer Amerikanerin geschrieben die einige Zeit bei den Amish People leben durfte, es ist kein Sachbuch sondern eine Art "Reisebericht".

  • Dieses Buch bietet allen Amish Interessierten eine guten Einblick in das Leben dieser Menschen die mich in ihrer bescheidenen Lebensart sehr faszinieren. Ein bisschen fehlen mir die Worte, das Buch hinterlässt in mir manch kritische Gedanken zu unserem überschwänglichen Leben...

  • Zitat

    Original von Idgie



    Ich bin vor ein paar Jahren mal durchs Lancaster County in Pennsylvania gefahren und habe abseits der highways ein paar Amishdörfer durchquert. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man an der Supermarktkasse hinter Menschen steht, die so ganz anders aussehen, als die anderen Kunden. Das Buch kommt auf die Wunschliste.


    Ja, da werden Erinnerungen wach. Vor Jahren habe ich diese Pennsylvania Dutch auch mal besucht.


    Allein ihre Sprache ist schon faszinierend - wie auch ihr Lebensstil.

    Man sollte nichts auf morgen verschieben, wenn man es genausogut auch übermorgen erledigen kann. (Mark Twain)

  • Was für eine überzeugende Rezension! Ich hatte sie schon mal gelesen, das Thema dann aber aus den Augen verloren. Leider ist das Buch zur Zeit nicht erhältlich, weder über Amazon, noch über booklooker oder Tauschticket und auch meine Bibliotheken haben es nicht im Sortiment. Hoffentlich finde ich im Amish-Bücher-Sammelthread noch etwas adäquates.


    edit: Leider bin ich in dem Sammelthread nicht fündig geworden, wenn also noch jemand ein Buch kennt, das in diese Richtung geht, würde ich mich über einen Hinweis freuen.

  • Danke für das Lob. :-)



    Zitat

    Original von Bell
    edit: Leider bin ich in dem Sammelthread nicht fündig geworden, wenn also noch jemand ein Buch kennt, das in diese Richtung geht, würde ich mich über einen Hinweis freuen.


    Ich habe jetzt nicht viel Zeit, aber ich weiß, daß ich einige Bücher über die Amish habe, und von etlichen weiß (weil auf meiner "bald zu beschaffen Liste"). Dürfen es auch Titel in englischer Sprache sein? :wave (Ich suche und schreibe später.)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Englischsprachige gab es in dem Sammelthread sehr viele, das ist mir aber zu anstrengend, fürchte ich. Mein Englisch ist zwar nicht schlecht, aber da ich, von Amazonrezensionen auf den com- und co.uk-Varianten abgesehen, nie auf englisch lese, müsste ich viel zu viel nachschlagen. Im Notfall wäre es aber ein guter Grund, mal ein bisschen Anstrengung in die Auffrischung meiner Englischkenntnisse zu investieren ;-)

  • @ Bell


    Ich habe > hier im Amisch-Bücher-Thread < noch zwei deutsche Bücher gepostet. Meine englischen sind bereits dort vertreten. Sollten mir in der nächsten Zeit noch Bücher begegnen, poste ich sie auch dort. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hallo,


    das Beste an dem Buch war für mich, dass ich neben den vielen Einblicken und historischen Hintergründen, sehr viel über mich selbst/meine Einstellungen dazugelernt, bzw. mir selbst verdeutlicht habe.


    Für Einsteiger sicher sehr gut.
    Ich hatte mich auch vorher schon mit dieser Lebensform beschäftigt, fand das Buch trotzdem sehr informativ und lesenswert.


    Es wird vieles kritisch hinterfragt.
    Für mich, der ich immer wieder feststellen muss, wieviel ich im Leben nicht
    brauche, wäre es trotzdem nicht vorstellbar, dort zu leben.


    LG