Inhaltsangabe:
Larissa Gräfin Rothenstayn, die in der DDR aufwuchs und 1975 in den Westen fliehen konnte, bittet die Münchner Ghostwriterin Kea Laverde, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Dann wird sie in ihrem Schloss in Unterfranken von einem Unbekannten schwer verletzt, die Polizei spricht von versuchtem Mord.
Kea arbeitet sich durch das Familienarchiv. Ihre Recherchen führen sie zurück in das Jahr 1968 und zu einem Verbrechen, das nie gesühnt wurde.
Über die Autorin:
Friederike Schmöe wurde 1967 in Coburg geboren. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Romanistik, promovierte und habilitierte sich an der Universität Bamberg, wo sie inzwischen über zehn Jahre als Dozentin tätig ist. Sie lebt mit ihrem Mann in Bamberg.
Meine Meinung:
„Fliehganzleis“ ist nach „Schweigfeinstill“ der zweite Teil einer Serie um die Ghostwriterin Kea Laverde. Man braucht den ersten Teil nicht zu kennen, wie meistens ist es aber schöner, ihn vorher gelesen zu haben …
Nachdem Kea Laverde in „Schweigfeinstill“ einem Aphasiker zu einer Stimme verholfen hat, sind es nun die Memoiren der Gräfin Rothenstayn, die zu verfassen Kea beaufragt wird. Noch bevor die Ghostwriterin tiefer in die Vergangenheit ihrer Kundin eintauchen kann, wird ein Mordanschlag auf die Gräfin verübt. Wer hat Interesse daran, Larissa Rothenstayn mundtot zu machen? Und warum? Diesen Fragen geht Kea nach und stößt dabei auf ein dunkles Kapitel deutsch-deutscher Vergangenheit …
„Fliehganzleis“ hat mir sogar etwas besser gefallen als „Schweigfeinstill“. Es liest sich flüssiger, irgendwie unverkrampfter und die Figuren, ganz besonders Kea, entwickeln sich in glaubwürdiger Art und Weise, so dass man als Leser gerne Anteil nimmt. Die Krimihandlung verläuft eher ruhig. Es fließt kaum Blut und wenn, dann wird das ganz beiläufig in einen Nebensatz eingeflochten. Auch Action gibt es keine, alles ganz behäbig und beschaulich. Man könnte meinen, das müsse eine ziemlich langweilige Angelegenheit sein. Ist es aber nicht. Denn Friederike Schmöe erzählt so fesselnd und intensiv, dass man förmlich an ihren Lippen hängt. In Rückblenden wird der Leser häppchenweise mit Vergangenem „angefüttert“, die Mosaiksteinchen setzen sich freilich erst am Schluss zu einem Bild zusammen, auch dadurch bleibt es spannend.
Friederike Schmöe thematisiert in „Fliehganzleis“ die Republikflucht aus der ehemaligen DDR. Sie hat sorgfältig recherchiert, wie sie im Nachwort belegt, einige Figuren sind historischen Persönlichkeiten nachempfunden. Was mich aber besonders beeindruckt hat, ist das Talent der Autorin, ihre Geschichte und ihre Charaktere mit Leben zu füllen, die Fakten mit Emotionen zu verknüpfen. Es gelingt ihr, das Klima aus Wut, Angst, Ohnmacht und Verzweiflung greifbar zu machen, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken.
Obwohl ich kein großer Freund von Krimis mit historisch-politischem Bezug bin, hat mich „Fliehganzleis“ außerordentlich gut unterhalten und ich habe en passant sogar noch etwas über die jüngere deutsche Geschichte gelernt. Was will man mehr? Ja, klar, einen neuen Fall mit Kea Laverde natürlich!