Hallo, Christa.
Ich beteiligte mich seit fast zwölf Jahren an öffentlicher Textarbeit u.a. im Rahmen der wöchentlichen "Besprechungstexte" bei den 42erAutoren. Nur wenige Texte musste ich auslassen, ich habe viele tausend Seiten und mehrere hundert Autoren gelesen und kritisch begutachtet. Insgesamt viermal war ich inzwischen Juror bei Literaturpreisen, im Rahmen dessen habe ich gut und gerne zweitausend Wettbewerbsbeiträge gelesen. Die Teilnahme war immer anonym, aber verblüffenderweise waren die Sieger dieser Wettbewerbe fast durch die Bank Leute, die bereits gegen Geld (nicht ihres!) veröffentlicht hatten.
Unter diesen vielen Autoren waren einige, denen ich durchaus Talent attestieren würde. Viele waren "auf dem Weg", manche sind es noch. Die überwiegende Mehrheit aber offenbarte so oder so, in einem wesentlichen Bereich (oder in allen) nicht das richtige Gefühl für die Sache zu haben. Ein Gutteil der Texte waren absolute Katastrophen, einfach unrettbar und eine Qual für den Leser. Ganz, ganz wenige Beiträge - im einstelligen Prozentbereich - hätte ich, wäre ich ein Entscheider, für eine Veröffentlichung durchgewunken. Zuweilen war es außerordentlich schwer, eine Handvoll Texte für die Endausscheidungen zu nominieren. Manchmal wurden nicht alle Preise vergeben, weil es trotz mehrerer hundert Einsendungen nicht genügend Texte gab, die preiswürdig erschienen.
Zehntausend Leute bewerben sich Jahr für Jahr für das "Superstar"-Casting. Diese Veranstaltung lebt von denen - der großen Mehrheit -, die von Anfang an keine Chance haben, weil ihnen eine oder alle Eigenschaften fehlen, die nötig sind, um vor einem Publikum zu bestehen. Selbst die Finalisten, also jene zwei Dutzend, die es in irgendwelche Endrunden schaffen, würden ohne diese Veranstaltung vermutlich nie auf eine Platte gepresst oder für eine Konzertreise gebucht werden.
Was ich damit sagen will: Ja, der Buchmarkt ist eng und die Plätze für neue Autoren sind rar. Es ist aber umgekehrt einfach so, dass nur ein kleiner Teil derjenigen, die es versuchen, auch wirklich dazu in der Lage ist, auf diesem Markt zu bestehen - vorsichtig ausgedrückt. Die anderen schreiben irgendwelche Texte, drehen sich verkopft um sich selbst, haben kein Sprachgefühl, keines für Dramaturgie, erzählen langweilige und/oder epigonenhafte Geschichten, beweisen mangelnde Empathie, mühen sich an Themen ab, für die sie kein wirkliches Interesse haben, zu denen ihnen der Zugang fehlt, an denen sie sich maßlos verheben, kupfern ab oder arbeiten mit Versatzstücken. Sie überschätzen sich (wie die DSDS-Teilnehmer), wenn sie glauben, Literaturpreise gewinnen oder einen Verlagsvertrag ergattern zu können. Und damit geht auch einher, dass sich nur sehr, sehr wenige Leser für diese Texte interessieren würden, gäbe es sie in veröffentlichter Form.
Ja, der Buchmarkt siebt aus, und zwar mit einem extrem feinen Sieb. Und dennoch werden sehr viele Bücher bei Publikumsverlagen veröffentlicht, die floppen und noch in der ersten Auflage makuliert werden. Die Mehrheit der Neuerscheinungen entert niemals irgendwelche Bestenlisten oder das Feuilleton der Premium-Tageszeitungen. Selbst durch dieses feine Sieb rutschen also Leute, die ein Veröffentlichungsrisiko darstellen oder sich nachträglich als ein solches erweisen. Wenn diese Autoren Pech haben, endet die Karriere mit dem ersten Buch auch gleich wieder - und das sind keineswegs Außenseiter! Natürlich geht es dabei, wie schon mehrfach gesagt, längst nicht nur um "literarische" Aspekte. Der Buchkäufer ist ein komplexes Wesen, sein Verhalten ist schwer zu antizipieren. Was man aber von vorneherein von ihm weiß: Er würde diese ganzen Übungstexte der vielen, vielen tausend Autoren, die sich in Foren tummeln und gegenseitig beweihräuchern, auf keinen Fall kaufen. Ausnahmen bestätigen diese Regel nur.
Schreiben ist eine großartige Beschäftigung, die nicht selten auch therapeutische Aspekte hat. Fraglos ist - wenigstens für sie selbst - sehr wichtig, was viele Autoren schreiben, die sich nur so genannt werden, weil sie es selbst tun. Eine Investition im fünfstelligen Bereich macht aus den Texten dieser Leute aber keineswegs etwas, das irgendwen interessieren würde. Wie auch eine Karaokebox oder ein Heimstudio aus den Gesangsproben der zehntausend DSDS-Teilnehmer keine Musik machen würde, die plötzlich alle hören wollen.
Das beschämende bei dieser Angelegenheit besteht nicht darin, eine Karaokebox oder einen "Verlag" zu betreiben, der einfach alles druckt. Sondern das zu tun und den Leuten weiszumachen, es hätte irgendeinen Nutzen, ihr Gesang oder ihre Texte wären geeignet, ein breiteres Publikum zu erreichen. Das ist nicht der Fall. Und zwar in weit mehr als der Mehrheit der Fälle.