Wollen Leser authentische historische Romane?

  • Zitat

    Original von beowulf
    Man kann auch historische Romane über Figuren schreiben, die nicht viel wichtiger als die genannte Küchenmagd waren, Herr Jedermann eben, wenn ein Autor/ines kann und die Situation die der Protagonist erlebt eben auch in der Zeit ausergewöhnlich war oder wer ist eine Figur wie Titus Annius, oder bei meinem aktuellen Buch Geoff Ingram?


    Aber je mehr ich mich in das Thema eindenke, desto mehr nähere ich mich Toms Provokation von der Fantasy. Es gab bei dem ersten Band von Viola Alvarez Trilogie zur Bronzescheibe von Nebra eine heftige Diskussion in der die Verfechter des historischen Romans dieses Buch als Mischung aus Mystery und Fantasy- und damit nicht tragbar- bezeichneten (abqualifizierten?). Das fand ich absurd- aber in einen größeren Zusammenhang gestellt macht mich das nachdenklich.


    Ein historischer fantasy Roman wäre nicht so mein Ding. Würde ich allenfalls lesen, falls Tom einen derartigen plant. :lache Außerirdische im Mittelalter?


    Aber über die Phantasie des Autors freue ich mich immer! Ok, fast immer :gruebel

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

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  • Zitat

    Original von beowulf
    Aber je mehr ich mich in das Thema eindenke, desto mehr nähere ich mich Toms Provokation von der Fantasy. Es gab bei dem ersten Band von Viola Alvarez Trilogie zur Bronzescheibe von Nebra eine heftige Diskussion in der die Verfechter des historischen Romans dieses Buch als Mischung aus Mystery und Fantasy- und damit nicht tragbar- bezeichneten (abqualifizierten?). Das fand ich absurd- aber in einen größeren Zusammenhang gestellt macht mich das nachdenklich.


    I beg to differ! Dieses Abqualifizieren oder Abschaffenwollen ganzer Genre, weil nicht alles, was publiziert wird, im strengen Sinne den Kriterien entspricht, heißt, das Wasser samt Baby in den Gully zu kippen. :grin


    "Genre" ist eine thematische Einteilung in der Literaturwissenschaft, und wie alles in der Literaturwissenschaft, ist diese Einteilung kein striktes Raster, sondern beschreibt die Zugehörigkeit von Texten zu einem Genre, weil diese Texte bestimmte Kriterien erfüllen.


    Kein Text erfüllt nur *ein* Kriterium, sondern immer mehrere. Ein Roman ist nie nur ein historischer, sondern immer auch etwas anderes, z.B. ein Entwicklungsroman, ein Liebesroman, ein Abenteuerroman, ein Kriegsroman oder was es sonst noch für Oberbegriffe gibt.


    Diese Ordnung ist keineswegs hierarchisch -- nur in dem Sinne, dass Kriterien, welche im Text überwiegen, bei der Einordnung stärker gewichtet werden.


    In Buchhandlungen hat "Genre" inzwischen die Bedeutung einer systematischen Aufteilung in Verkaufsbereiche bekommen, d.h. steht auf einem Buchdeckel "Historischer Roman", landet er in einem speziellen Regal. Dabei ist völlig egal, ob der Roman überhaupt den entsprechenden Kriterien standhält oder nicht -- entscheidend ist, was der Verlag auf den Einband druckt oder wie das Buch in der Verlagsvorschau angekündigt wurde!



    Viola Alvarez sieht ihre Roman verständlicherweise nicht wirklich als "historische Romane" -- es sind literarische Mythenadaptionen. Aber da tun sich Verlag und Buchhandel natürlich schwer, denn das Buch muss ja irgendwo plaziert werden. Also nimmt man das verkaufsträchtigste unter den naheliegenen Etiketten. Ökonomisch gesehen ist das sinnvoll.


    Dass es allerdings zu Frustrationen führt, wenn Historienleser sich enttäuscht glauben oder anspruchsvollere Leser keinen Nerv mehr haben, bei all diesen gleichgeschalteten Aufmachungen nach etwas, das ihren Vorstellungen nahekommt, endlos lange suchen zu müssen, ist verständlich. Mir geht es ja nicht anders.


    Allerdings kommt mir schon die Galle hoch, wenn es den Autoren angelastet wird, nicht alle bereits mit dem Einband verbundenen Lesererwartungen erfüllt zu haben, wenn eigentlich seit langem klar sein müsste, dass diese Aufmachung ebenso wie die Vermarktung weitgehend nach ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet wird und die Autoren ziemlich wenig Einfluss darauf haben!


    Andererseits: Solange die übliche Vorgehensweise sich als die ökonomisch sinnvollste erweist, wird man es in den Verlagen und Buchhandlungen so machen. Verlage und Buchhandlungen sind keine hochgesponserten Wohltätigkeitseinrichtungen, sondern Wirtschaftsunternehmen mit allen dazugehörigen Zwängen. Und solange die überwiegende Mehrheit der Buchkäufer auf bestimmte Versatzstücke wie Glutaugen-und-Dekolletee-Cover, "Die ...in"-Titel, Schwerpunkt Liebe im Klappentext und weibliche Hauptperson fliegt, wird sich an der bestehenden Vorgehensweise zur Etikettierung nichts ändern.

  • Ahllo, Katerina!


    Um nochmal auf deine Eingangsfragen zurückzukommen:

    Zitat

    Original von Katerina
    Kann es den authentischen historischen Roman überhaupt geben?


    Das hängt ganz davon ab, was du unter "authentisch" verstehst. Genau genommen bedeutet "authentisch" "ein und dasselbe seiend", und das geht natürlich nicht.


    Eine Geschichte als sprachliche und erzählerische (poetische) Ausformung einer Handlung ist immer ein Kind ihrer Zeit, weil der Mensch, der diese Ausformung vornimmt, ein Kind seiner Zeit ist.
    Wenn die auszuformende Handlung in der Vergangenheit liegt, dann liegt einiges an Veränderung zwischen Handlung und Ausformung. Ein und dasselbe können sie in keinem Fall mehr sein.


    Deshalb halte ich auch die Verwendung solcher Ausdrücke wie "authentische" und (im anderen Fall) "Identifikation" für ungeeignet, weil sie niemals zutreffen können! Es sind nichts als leere Worthülsen. :grin


    Viel lieber ist mir die Verwendung genauerer Begriffe wie den der "Wahrscheinlichkeit", der besagt, dass etwas "wahr (bzw. wirklich) zu sein scheint".
    Als Erzähler und Autoren können wir nur eine Annäherung versuchen und eine Übertragung dessen, was wir für wahrscheinlich halten, in eine Gestalt, dass unsere Leser das auch verstehen.


    Nicht anders geht es uns doch mit unseren Erinnerungen! Wie oft müssen wir feststellen, dass unsere Erinnerungen uns trügen und keineswegs mit denen anderer an dasselbe Ereignis übereinstimmen!


    Um Wahrscheinlichkeit muss man allerdings hart ringen, die ist leicht nicht zu haben. Aber das Thema haben wir ja schon ausreichend durchgekaut. :-)



    Zitat

    Wird er von den Lesern überhaupt gewünscht?


    Kann man überhaupt von "den Lesern" sprechen?


    Ebenso wie es viele Autoren mit den unterschiedlichsten Ansprüchen an sich selbst und an die eigenen Arbeit gibt, gibt es schier unendlich viele Leser mit den unterschiedlichsten Ansprüchen an sich selbst und z.B. auch an ihre Lektüre. Diese Ansprüche an die eigene Lektüre (auch "Lesebedürfnis" genannt) können bei ein und derselben Person durchaus schwanken, mal trivial mal anspruchsvoll sein.


    Selbstverständlich gibt es Leser, die von Autoren historischer Romane erwarten, sich an die Wahrscheinlichkeit (nicht Beliebigkeit!) zu halten.
    Und im Grunde möchte auch niemand betuppt werden damit, dass "hervorragend recherchiert" draufsteht, aber man nur alten Wein in neue bunte Schläuche gefüllt hat. Dass es dennoch geschieht -- nun, das ist der Markt!

  • Will ich authentische historische Romane?


    Ja und nein. Ich schätze es nicht, wenn Informationen die ich seit langem gespeichert habe, falsch wiedergegeben werden. Da ich aber geschichtlich nicht sonderlich bewandert bin, kann man mir vieles auftischen und es stört mich nicht, weil ich es nicht besser weis.


    Wenn ich aber sichere Kenntnis von in einem Roman geschilderten Umständen habe, stört es mich sehr, wenn diese falsch dargestellt werden. Es führt dann idR dazu, das ich das Buch nicht zuende lese.


    Für mich als (geschichtlich ungenügend gebildete) Leserin ist eine spannende Handlung wichtiger, als die exakten Daten. Wäre ich informierter, sähe dies völlig anders aus.

  • Überaus spannend, was hier alles zu lesen steht.


    Vielleicht ist es erlaubt, die Gedanken einer unbedarften, aber wissbegierigen Leserin, nämlich meiner selbst, einzubringen?


    Zitat

    Original von Katerina
    Mir geht es hier um die Beschränkung auf die Frage: Will und kann der Leser sich überhaupt mit Figuren identifizieren, die nicht unseren heutigen Wertvorstellungen gemäß handeln und denken?


    Ein klares Nein, schlicht weil ich meine Wertvorstellungen nicht abschalten, ausschließen kann, genauso wenig wie ich erwarten kann, dass eine Person aus früherer Zeit sich an diese Wertvorstellungen zu halten imstande ist, die denen ihrer eigenen Zeit oftmals widerspricht; ob ich es will, steht dazu auf einem anderen Blatt. Im Einzelnen:


    Kann ich mich mit einer in einem historischen Roman beschriebenen Figur identifizieren? Nein, ich denke nicht, dass das möglich ist, schon allein deshalb nicht, weil ich meine „heutigen“ Gedanken, mein Wissen, meine Fähigkeiten, auch den – so es nötig ist – sich in den Jahrzehnten bzw. -hunderten gewandelten Glauben nicht einfach ad acta legen kann. Was ich allerdings hin und wieder sehr gerne mache, ist, Zwiesprache mit einer Figur, die mehr aus dem einen oder anderen Grunde ans Herz gewachsen ist oder die ich partout nicht ausstehen kann, zu halten, ihnen in Gedanken Vorhaltungen zu machen etc. Passiert mir das bei historischen Romanen eher als bei moderner Belletristik? Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten, würde für heute allerdings ein „ja“ anfügen, weil ich im Moment sehr viele historische Romane lese.


    Ob ich mich überhaupt mit einer in einem historischen Roman beschriebenen Figur identifizieren will, liegt meiner Meinung nach ein bisschen weniger an mir als vielmehr am Können und Wollen des Autors/der Autorin und zugegebenermaßen meiner Fähigkeit, mich darauf einzulassen. Ob ich nun beispielsweise etwas über einen Heinrich Raspe oder eine Radegunde von Thüringen erfahren will, ist erst einmal meine freie Entscheidung, ob ich aber dem Autor/der Autorin über die ersten Seiten hinaus zu folgen bereit bin, liegt dann ganz allein in deren Hand, nämlich mich für das Thema zu interessieren, mich an den von ihnen gewählten Stoff zu fesseln. Ich will also im Grunde etwas über ein anderes Leben erfahren, mit Sicherheit will ich nicht - gedanklich - ein Leben anstelle von ... leben. Identifizieren würde ich mich höchstens mit einzelnen Aspekten, Gedanken, eventuell einzelnen Handlungen der porträtierten Person wollen, so es denn AutorIn gelingt, mich so an sein/ihr Sujet zu fesseln, dass ich das überhaupt zulassen würde.


    Ein historischer Roman muss mir Fragen beantworten können, nämlich ungefähr die, die ein gewisser B. Brecht in einem seiner – für mich – schönsten Gedichte gestellt hat, nämlich die „Fragen eines lesenden Arbeiters“, sprich: Ich hätte gerne das ganze Leben und nicht nur Herrn König und Frau Königin, sondern auch die kleinen und noch kleineren Menschen „von der Straße“, die Kaufleute und Händler, die Bettler und Kranken, – wenn es denn sein muss – die Maus in der Speisekammer, den Dreck auf den Straßen, den Weihrauch in den Kirchen etc. Ich möchte nicht nur den Herzschlag der Menschen spüren, sondern den der damaligen Zeit, der damaligen Welt – so überhaupt möglich -.


    Was für mich stets immer wieder fast zu einer Herausforderung wird – so mir denn der Roman gefallen hat -, ist die Problematik des „gut recherchiert“. Dankbar kann ich sein, wenn es eine Quellenangabe oder Lektürehinweise gibt. In der Regel ist es aber doch so, dass ich nicht weiß, welcher Aufwand an Recherche betrieben wurde, welche Quellen herangezogen wurden, welche Gesprächspartner „interviewt“ wurden, was Autor/Autorin überhaupt unter dem Begriff versteht.. Ich nehme mit Sicherheit keinen historischen Roman in die Hand mit dem Gedanken „na, ob das wohl alles, stimmt, was du mir erzählen wirst?“, sondern erst einmal glaube ich jedem Autoren und jeder Autorin. Ob sich das Buch für mich „lohnt“, stellt sich nach ein paar Seiten heraus, auch, ob und wie viel ich noch über die Hintergründe wissen will. Und was der Autor/die Autorin eigentlich wirklich wollte, hinterfrage ich zunächst einmal nicht, wenn mir die Inhaltsangabe zu dem Buch gefällt. Natürlich kann ich das in Einzelfällen an Autorennamen festmachen, aber ist das wirklich die Regel? Ich entsinne mich sehr gut an zwei fast schon brutal zu nennende Enttäuschungen, bei denen ich mir ob des Namens viel versprochen hatte. Das „gut recherchiert“ nachzuprüfen, ist mir nun auch nicht in jedem Fall möglich, sei es zeitlich, sei es, weil ich es einfach nicht will oder weil die Recherche zu aufwendig (Fernausleihe etc. etc.) wird. Und wenn ich, wie ich neuerdings gelernt habe, bei christlichen/christlich orientierten historischen Romanen neben den Fragen zu Zeiten, Orten, Kleidungen etc. dazu auch noch die „religiöse Gesinnung“ (um es mal so platt auszudrücken) des Autors/der Autorin hinterfragen sollte, um herauszufinden, wie stimmig (nicht nur im Sinne von einseitig/vielseitig, sondern erst recht im Sinne von des Autors/der Autorin gewählten Glaubensrichtung angemessen, d. h. subjektiv, oder vielleicht doch objektiv im Sinne unseres heutigen Wissensstandes) das von ihm/ihr Beschriebene ist, dann bin ich allerdings an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr weiter will.


    Mein persönliches Nach-Suchen, das Nach-Forschen ist seit meinen Zeiten des Internets erheblich umfangreicher geworden, nimmt daher auch viel mehr Zeit in Anspruch, allerdings ist sie selten fehl investiert. Mich interessieren die Hintergründe einer Epoche, einer Herrschaft, eines Glaubens oder was auch immer in der Regel sehr. Das geht aber nun durchaus nicht jedem Leser, jeder Leserin so, und das ist doch auch in Ordnung. Ich stelle mir schon vor, dass es AutorInnen gibt, die in erster Linie „nur“ unterhalten wollen und sei es halt vor einem historischen Hintergrund. Das Etikett „historischer Roman“ wird ihnen deshalb nicht abgesprochen werden, schon allein aus verkaufsstrategischen Gründen. Und was sollte daran so falsch sein, wenn es Leser gibt, die mit diesen Büchern glücklich werden? Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es diese sonderlich interessiert, ob und was historisch gesehen nicht stimmt. Wenn ich dann mein „aber“ auspacke, weil ich es zufällig einmal besser weiß, werde ich ja doch nur belächelt oder als besserwisserisch abgestempelt. Man mag diese Haltung bedauerlich finden, ändern wird man sie nicht können.


    Andererseits: Wenn es einigermaßen (im Sinne von wesentlich mehr als die grobe Richtung, nur in Details vielleicht nicht) stimmt (sh. z. B. das weiter oben in einem anderen Beitrag angesprochene Handy) oder ich das Gefühl habe, es wird mir einigermaßen schlüssig erzählt, warum sollte ich mich dann nicht einfach mal „nur“ unterhalten lassen wollen? Ich persönlich habe ein unendlich viel größeres Misstrauen gegenüber Romanen, seien sie nun historisch oder was auch immer, die von AutorInnen geschrieben werden, die nicht – auch - unterhalten wollen. Und warum sollte ich glauben wollen, ein Buch, das mich „nur“ gut unterhalten hat, sei nicht so viel „wert“ wie eines, mit dem und um das ich kämpfen musste? Weil eben vielleicht nicht alle Details stimmen?


    Wenn ich einen historischen Roman in die Hand nehme, bin ich in der Regel auch bereit, weite Wege zu gehen, sprich mich mit Themen oder Zeiten oder Gruppen auseinanderzusetzen, die ich nicht kenne, nicht so sehr mag, die ich für mich als „negativ besetzt“ angesehen habe. Exemplarisch kann ich hier nur aus meiner jüngeren Lese-Zeit die Cinna-Romane von Iris anfügen, mit denen habe ich weiß Gott gekämpft, gut, nein sehr gut unterhalten haben sie mich aber auch und ich liebe sie heiß und innig. Es gibt mit Sicherheit LeserInnen, die diese Bücher „nur“ zur Unterhaltung gelesen haben, sich keine weiteren Fragen gestellt haben, nicht noch mehr wissen wollten, zum Teil über Dinge, die man nicht wissen kann. Ein anderes Buch, das von den einen geliebt, von anderen beinahe verdammt wird, ist „Die Frau aus Nazareth“. Mich hat es stellenweise sehr berührt, stellenweise extrem geärgert. Auch wenn ich nicht weiß, ob alles stimmt, hat es mich doch zumindest meistens unterhalten, ob allerdings gut genug, um bei mir bleiben zu dürfen, steht noch nicht fest. Es geht mir aber genauso wenig aus dem Sinn wie „Radegunde von Thüringen“; mit beiden habe ich gedanklich sehr viel Zeit verbracht in letzter Zeit, wobei ich nicht trennen kann und will, ob es nur an der Person bzw. Persönlichkeit der beiden Protagonistinnen und/oder und in welchem Maße auch an dem historischen Hintergrund liegt. Warum die Cinna-Romane (und auch der „Varus“) mir so unendlich viel mehr „wert“ sind wie „Die Frau aus Nazareth“ oder „Radegunde“, liegt in meiner Person begründet; welchen „Wert“ die Bücher literarisch haben, vermag ich selten einzuordnen, da ich kein Profi bin und mich auch ganz einfach weigere, in solchen Kategorien wie „literarisch wertvoll“, „nobelpreisverdächtig“ zu denken. Um es noch einmal ganz platt zu sagen, ich lehne es ab, in einem Satz die Anzahl der Konsonanten und der Vokale abzuzählen und dann zu überprüfen, ob ihr „Mischungsverhältnis“ auch stimmig ist. Ich verlasse mich auf mein Sprachgefühl, mein Sprachempfinden, es sagt mir schon sehr genau, was für mich passt und was nicht.


    Authentisch kann ein historischer Roman meiner Meinung nach doch naturgemäß nur in dem Maße sein, wie der Stand der Forschung zur Zeit der Recherche des Autors/der Autorin gewesen ist. Stellt sich mir die Frage: Sagt mir das auch wirklich etwas darüber, wie die Menschen zu den verschiedensten Zeiten gedacht, gefühlt, gesprochen, „getickt“ haben, aus? Denn gab es nicht schon immer Menschen, die ein klein bisschen mutiger, ein klein bisschen frecher, ein klein bisschen aufmüpfiger waren im Denken und im Handeln? Und: Würde ich meine erste Frage bejahen, würde ich jemandem ein Wissen zubilligen, das er oder sie nicht haben kann, das er oder sie sich aber auch nicht anmaßen sollte zu haben.


    Im Idealfall beschäftigt mich also ein historischer Roman – und nicht nur der – ein kurze oder gar nicht so kurze Zeit weiter. Und ein historischer Roman ist für mich in erster Linie ein Buch, in dem ein Autor/eine Autorin mir ihre Meinung zu einem Thema, einem Objekt oder Subjekt sagt. Ob ich dabei das Gefühl einer Lehrstunde habe, ob ich das Gefühl habe, einen kostbaren Wandteppich zu bestaunen oder ob ich das Buch lese, um eine gewisse Zeit lang gut unterhalten zu werden, liegt meiner Überzeugung nach nicht nur am Können und vielleicht auch Wollen des Schöpfers oder der Schöpferin des Buches, sondern auch in großem Maße an mir, an meiner Bereitschaft und an meiner Fähigkeit, mich auf das Buch einzulassen. Wie viel exakte historische Genauigkeit dazu notwendig ist, wie exakt und genau sie überhaupt sein kann, ist eine Frage, die ich für mich nicht pauschal beantworten würde.


    Lange Rede, kurzer Sinn: Ich möchte auch bei einem historischen Roman in erster Linie eine – stimmige, schlüssige, eventuellen Überprüfungen standhaltende - Geschichte lesen, ich möchte, dass der Autor/die Autorin mir ihre Sicht der Dinge darlegt, ich möchte Anregungen bekommen, ich möchte auch etwas lernen, aber wehe, das Buch unterhält mich nicht. Ich muss aber auch das Gefühl haben, das Buch lasse sich gut lesen und der Autor/die Autorin nimmt mich als Leserin ernst. Nur, was sollte daran so anders sein als an einem Krimi, einem modernen Roman, einer Biografie? Auch bei einem Krimi muss „alles“ stimmen, darf man beispielsweise bei einem Messerstich keinen Knall hören oder eine Kugel im Leib des Getöteten finden. Und gilt nicht das Gleiche bei anderen Büchern, erst recht bei einer Biografie?


    Edit: Immer diese fehlenden Buchstaben!

  • Ich kann die Frage für mich mit einem klaren Jein beantworten. :-)


    Wenn ich historische Romane lese, dient mir das primär zur Unterhaltung. Hält sich ein Roman(!) nicht so dicht an die historische Begebenheiten, finde ich das nicht so tragisch, schließlich handelt es sich ja nicht um ein Sachbuch und gewisse schöpferische Freiheiten setze ich bei den AutorInnen voraus. Bei einem Roman sind mir eine geschickt aufgebaute Handlung, spannende Charaktere und eine vielseitige Sprache viel wichtiger. Wenn sich der Roman dann auch noch dicht an die Geschichte hält, ist das sehr positiv. Für mich als Nicht-Historiker ist das aber in der Regel nicht einfach zu erkennen (von groben Fehlern/Freiheiten abgesehen), deshalb nehme ich historische Romane gerne als Appetitanreger, um über bestimmte Themen noch ein Sachbuch zu lesen.


    Beides von einem Roman zu verlangen, sowohl die spannende Unterhaltung als auch die historische Genauigkeit, klingt für mich nach dem Ruf nach der eierlegenden Wollmilchsau. Schön, dass man ab und zu eine findet, aber nicht unbedingt nötig.

  • Mir ist nach längerer Recherche jetzt ein Beispiel für einen auch bei den Eulen hochgelobtes Buch eingefallen, das ich, weil mich die so ahistorische Geschichte in einem Roman über historische Personen so genervt hat abgebrochen habe, nämlich Die Schwester der Königin, die die Figur der Mary Boleyn, Schwester von Anne Bullen so verzerrt, dass ich Wutanfälle bekam.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Es gab bei dem ersten Band von Viola Alvarez Trilogie zur Bronzescheibe von Nebra eine heftige Diskussion in der die Verfechter des historischen Romans dieses Buch als Mischung aus Mystery und Fantasy- und damit nicht tragbar- bezeichneten (abqualifizierten?).


    Falls Du damit auf mich anspielst: ich habe viel darüber nachgedacht und bin schon vor einiger Zeit zu dem Ergebnis gekommen, daß ich nicht zur Zielgruppe der Trilogie gehöre. Ich habe darob endgültig abgebrochen und das Buch verkauft.




    Zitat

    Original von Lipperin
    (...) ist „Die Frau aus Nazareth“. Mich hat es stellenweise sehr berührt, stellenweise extrem geärgert.


    Dann haben wir zu diesem Buch sehr verschiedene Meinungen. Ohne das jetzt aus dem Stegreif rational begründen zu können, bin ich mir nicht mal sicher, ob das Buch nicht unter „Belletristik“ besser aufgehoben wäre. :rolleyes



    Ansonsten erwarte ich von einem Buch, das sich „historischer Roman“ nennt, daß die darin beschriebenen historischen Fakten stimmen und ein (soweit das nach heutigem Kenntnisstand möglich ist) in sich stimmiges Bild der Zeit entworfen wird, die Personen nach ihren, nicht nach unseren Maßstäben handeln. Auch wenn das für mich als Leser bisweilen hart ist. Und ein Nachwort, das Fakt und Fiktion wenigstens ansatzweise auseinanderklabüstert, soweit sich solches nicht aus dem Buch selbst ergibt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Tereza
    Ein Autor kann mit einem Roman vor historischer Kulisse ganz verschiedene Absichten verfolgen. Vielleicht will er die Leser nur mit einer dramatischen Geschichte unterhalten, vielleicht will er spannend aufbereiteten Geschichtsunterricht erteilen oder er will ganz bewusst Parallelen zur Gegenwart ziehen, um dadurch zum Nachdenken anzuregen. Jeder historische Roman ist für die Leser der Gegenwart geschrieben. Ich frage mich auch, ob es uns modernen Autoren trotz aller Mühe wirklich möglich ist, sich völlig in die Psyche von Menschen aus vergangenen Jahrhunderten einzufühlen.


    Das empfinde ich natürlich als das besonders Reizvolle. ;-) Und oft geschieht es beim Lesen von Originaltexten, dass ich jemandem begegne, dessen Denken (und vielleicht auch dessen Humor) mir erstaunlich "modern" erscheint. Wo etwas mir sehr fremd bleibt, reizt es meinen detektivischen Spürsinn, herauszufinden, was dieses Anderssein begründet. Und so führt die Beschäftigung mit Epochen, die z.B. stark von "abergläubischem" Denken geprägt waren, mich (und vielleicht auch den Leser) dazu, genauer hinzusehen, welche Funktion Aberglaube hatte und hat. Und durch die Beschäftigung mit den Ursachen Aberglaube in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen besser erkennen zu können, vielleicht auch im eigenen Denken.


    Zitat

    Es bleibt immer bei einem Versuch - ebenso, wie wenn man über Menschen aus anderen Kulturkreisen schreibt. Wir können nur darauf bauen, dass Menschen zu jeder Zeit und überall auf der Welt eben immer nur Menschen sind und waren.


    Den Vergleich mit anderen Kulturkreisen finde ich in diesem Zusammenhang immer sehr stimmig. Auch da brauche ich mitunter einen "Übersetzer", der mir erklärt, wie und warum sich zunächst unverständlich erscheinende Verhaltensweisen in einer Kultur entwickelt haben.


    Zitat

    Nun zu der häufig geäußerten Kritik an allzu emanzipierten Frauen in historischen Romanen. Ich habe mich lange mit der Geschichte der Frauenemanzipation beschäftigt. Das ist sozusagen mein Hobby. Und ich weiß: es gab zu allen Zeiten Frauen, die auf irgendeine Art gegen ihre Benachteiligung aufbegehrten. Wichtig ist für mich nur, dass es vor der historischen Kulisse glaubwürdig geschildert wird. Warum denkt die Frau anders als ihre Zeitgenossen? Welche Erlebnisse bringen sie dazu? Es sollte ein allmähliche Entwicklung sein, ein mühsamer Kampf mit gegebenen Erwartungen in dem Bewusstsein, dass sie anecken wird und muss. Der Siegeszug zum freien, selbstbestimmten Leben ohne Selbstzweifel und ohne große Widerstände ist unglaubwürdig, das stimmt.


    Das kann ich nur unterschreiben.


    Zitat

    Wenn kein Mensch in vergangenen Jahrhunderten an der gegebenen Standesordnung gezweifelt hätte, hätte es keine Bauernaufstände gegeben. Es gab auch vereinzelte Stimmen gegen die Erziehung von Kindern mit der Rute. Diese Leute waren natürlich Ausnahmen.


    Wenn ich mich richtig erinnere, schreibt Eco in seiner "Nachschrift zum Namen der Rose" als Antwort auf den häufig gehörten Vorwurf, Personen in historischen Romanen dächten häufig zu modern, schließlich sei keine Idee aus dem Nichts enstanden. Und dass es eben auch gerade spannend sei, jemanden zu beschreiben, der zu denen gehörte, die die Grundlagen für ein neues Denken legten, auch wenn es vielleicht erst viel später in Erscheinung trat.

    Zitat

    Wenn sie in modernen historischen Romanen als Hauptfiguren sehr beliebt sind, liegt es wohl daran, dass wir solche Menschen eben sympathischer finden, ihr Denken besser nachvollziehen können. Das macht sie für den modernen Leser interessant.


    Auch das kann ich wieder nur unterschreiben.


  • Ich denke, es gibt einfach unterschiedliche Lesertypen. Ich verallgemeinere jetzt bewusst:
    Es gibt Leser, die haben das Bedürfnis, mit ihrer Lektüre sich in eine andere Welt zu träumen, zu fliehen. Da stören natürlich gewisse Härten des Lebens, die nicht sofort durch einen edlen Ritter in einem Happy-End aufgelöst werden. Ich unterstelle, dass solche Leser auch eher den Drang haben, sich mit einer Figur zu identifizieren. Da sich die meisten Menschen für gut und edel halten, geht das natürlich nur mit Figuren, die auch nach heutigem Muster sich "edel und gut" verhalten. So weit, so gut.
    Für diese Menschen sind Romane mit ein paar historischen Farben aber ansonsten relativ glatten und/oder modernen Figuren geeignet.


    Es gibt aber m. E. auch Leser, die nicht das dringende Bedürfnis zu Eskapismus und Identifizierung mit Romanfiguren haben, sondern wirklich etwas über eine bestimmte Zeit wissen wollen und dies in einer netten Geschichte verpackt haben wollen, (ich würde da zwar immer noch gute historische Fachbücher vorziehen, aber die Geschmäcker sind unterschiedlich). Oder sie können einen Roman als Alternative, als Darstellung anderer Perspektiven, Gedanken, Handlungsspielräume akzeptieren. Dann kann man zwar immer noch kritisieren, dass Figur X sich in ihrer Zeit unglaubwürdig verhält (z. B. weil der Autor die Figur schlecht entwickelt hat), aber man kann eigentlich nicht mehr auf die Idee kommen, eine Figur des 15. Jahrhunderts dafür zu kritisieren, dass sie noch kein lupenreiner Demokrat, Menschenrechtler, Aufklärer oder sonst was war.


    Ich würde behaupten, dass viele Romane, die unter der Rubrik "Historische Romane" geschrieben wurden, eher auf den ersten Lesertypus zielen.
    Wobei auch klar ist, dass selbst anspruchsvollere Romane sich nie ganz von ihrer eigenen Zeit befreien können. In den 1930er und 40er Jahren wurden viele, teils gut recherchierte und sprachlich sehr ansprechende historische Romane geschrieben. Aber der Blick auf Deutschland war dabei häufig unverkennbar - auch in dem Sinne, dass die beschriebene historische Figur den Bedürfnissen der eigenen Zeit angepasst wurde.


    Wer wirklich "unverfälschte" Eindrücke aus vergangenen Zeiten haben möchte, sollte sich lieber Quellen, Fachbücher und ähnliches zu Gemüte führen und nicht von heutigen Schriftstellern das Wunder erwarten, als mittelalterlicher Romancier aufzutreten.

  • Zitat

    Original von Vulkan
    [Ich unterstelle, dass solche Leser auch eher den Drang haben, sich mit einer Figur zu identifizieren. Da sich die meisten Menschen für gut und edel halten, geht das natürlich nur mit Figuren, die auch nach heutigem Muster sich "edel und gut" verhalten. .


    Off-topic. Das finde ich dermassen clever, dass ich einfach diesen Zug mal anhalten und Beifall klatschen muss.
    Ueber dieses Phaenomen denke ich seit knapp zehn Jahren ziemlich ergebnislos nach.
    Jetzt wird mir endlich klar, was da ablaeuft.


    Ganz herzlichen Dank.


    Unedel und ungut guesst Charlie

  • Ich bin der Meinung, die Figuren in den Romanen sollen sich so verhalten, wie sie es zu ihrer Zeit getan hätten. Sonst bräuchte ich ja kein Buch dieser Art zu lesen. Das wäre ja dann Quatsch! Und genau dieses andere Verhalten macht doch den Reiz aus!

  • Hallo, Vulkan!


    Zitat

    Original von Vulkan
    Wobei auch klar ist, dass selbst anspruchsvollere Romane sich nie ganz von ihrer eigenen Zeit befreien können.


    Warum sollten sie das auch? Es gibt ja auch einen Grund, weshalb der Autor sich für jene ferne Zeit interessiert, und dieses Interesse speist sich in den meisten Fällen aus der Erkenntnis, dass es da Gemeinsamkeiten gibt.


    Ich verweise mal auf Lion Feuchtwangers brillanten Aufsatz Vom Sinn und Unsinn historischer Roman, den ich gerade erst in einer ähnlichen Diskussion herangezogen habe.


    Natürlich schaut jeder Autor historischer Romane durch die Brille seiner Zeit. Aber das kann er ganz unbedacht tun, dann wird das Ergebnis unterhaltsam, aber trivial sein (das ist nur ein literarisches Urteil, kein moralisches!); oder er tut es reflektiert, dann kann etwas herauskommen, das mehr ist als bunter Zeitvertreib.


    Gegen bunten Zeitvertreib ist wirklich nichts zu sagen! Alles zu seiner Zeit. Aber wie öde wäre es, wenn es nur noch eine (sei es diese, sei es eine andere) Sorte Literatur gäbe! :grin


    Für mich zeichnet es ganz grundsätzlich einen guten Roman aus, dass er mir mehr gibt als nur bunten Zeitvertreib. Dass der Autor mich beschenkt, mit dem, was ihn bewegt. Dabei ist mir das Genre völlig einerlei!


    Im historischen Roman schätze ich es nun einmal, wenn mir ein Autor nahebringen kann, inwiefern Menschen früher uns ähnlich und inwiefern sie anders waren. Wie sie dachten, fühlten und handelten, wie sie ihre Schwierigkeiten lösten. Wie sie mit den großen Themen, insbesondere mit Tod und Liebe umgingen, wie sie sie erlebten. Und wie sie selbst in aussichtsloser Lage ihre Menschlichkeit zu bewahren versuchten oder auch nicht.


    Ein solcher Autor puselt nicht einen bunten, "faktengestützten" Hintergrund zu einer Liebesgeschichte zusammen und schweißt auch nicht einfach irgendwelche historischen Ereignisse zu Doku-Dramen mit (evtl. zusätzlichen fiktiven) Identifikationsfiguren zusammen, sondern er zeigt mir in seinen Romanen Alternativen zu meinen gewohnten Denkstrukturen und Meinungen, er entlarvt meine Vorurteile und erweitert meinen Horizont.


    Wenn das nicht gegeben ist, langweilt mich ein Roman. Und auch ich selbst möchte keine Romane schreiben, die mich langweilen.



    Und zum Thema Sachbuch kann ich nur sagen: Wer ernsthaft glaubt, dass populäre Sachbücher historisch korrekter seien als Romane, täuscht sich gewaltig! Auch der Sachbuchmarkt wird von Marktgesetzen beherrscht, und auch dort werden vor allem die Vorurteile der Buchkäufer bedient. Oder glaubt irgendjemand, dass an den Veröffentlichungen der Herren Lincoln, Baigent und Leigh mehr dran ist als Verschwörungstheorien äußerst bedenklicher Herkunft?


    EDIT: Sch...-Tippfehler ... :fetch

  • Zitat

    Wer ernsthaft glaubt, dass populäre Sachbücher historisch korrekter seien als Romane, täuscht sich gewaltig!


    Aber hallo! Es gibt keine Qualifikation "Sachbuchautor". Wer einen Erziehungsratgeber schreiben will, kann das genauso tun wie ein Buch über das Pleistozän oder Goethes Jugendjahre. Wenn er einen Verlag dafür findet, kommt das an den Markt. Natürlich werden die Lektoren, Redakteure und Programmverantwortlichen darauf achten, dass der Autor über eine gewisse Reputation und/oder entsprechende Hintergründe verfügt (oder ersatzweise irgendwie "prominent" ist), die sich auch im Rahmen der Vermarktung nutzen lassen, und möglicherweise wird es einen leisen Aufschrei geben, wenn so jemand Scheißbärendresche favorisiert, von originellen Viechern redet, die es aber offenkundig in der Eiszeit nie gab, oder Goethe die Urheberschaft von "Kabale und Liebe" andichtet. Trotzdem kann er derlei straflos tun; die einzige Gefahr besteht darin, dass das Buch möglicherweise makuliert (oder gerade deswegen ein großer Erfolg) wird. Bücher - gleich welcher Art - müssen nicht (etwa qua Gesetz) "wahr" sein, und das gilt eben auch für Sachbücher. Sie tragen in der Regel Informationen zusammen, die der Autor auch irgendwo recherchiert hat, angereichert zumeist durch eigene Schlussfolgerungen, die auch sehr abwegig sein können. Im Prinzip gilt das aber für fast alle Quellen, die zur Verfügung stehen. Gerade deshalb tun sich manche Autoren historischer Romane so schwer - es ist unglaublich aufwendig, Recherche auf einer Ebene zu betreiben, die halbwegs authentische und verlässliche Informationen bietet. Deshalb setzt dann häufig ein kaskadierender Effekt ein: Autoren wiederholen Unsinn, den andere schon wiederholt haben. Gerade das bei Lesern so beliebte Mittelalter ist in der zeitgenössischen Literatur ein sumpfartiger Biotop, in dem sich viel tummelt, das vermutlich damals kaum oder nicht in dieser Form stattgefunden hat. Daran mag so mancher Sachbuchautor nicht ganz unschuldig sein.

  • Zitat

    Original von Iris


    Warum sollten sie das auch? Es gibt ja auch einen Grund, weshalb der Autor sich für jene ferne Zeit interessiert, und dieses Interesse speist sich in den meisten Fällen aus der Erkenntnis, dass es da Gemeinsamkeiten gibt.


    Sie sollen es nicht. Ich erwarte es nicht (abgesehen dafür, dass ich es für unmöglich halte.) Aber ich erwarte eben ohnehin keine "authentischen historischen Romane" zeitgenössischer Autoren. Es scheint aber Leser zu geben, die sogenanntes "Authentisches" lesen möchten oder gar glauben, es zu tun, wenn sie einen der aktuellen Bestseller aus dem Histo-Regal aufschlagen.
    Ich habe kein Problem mit "Trivialliteratur", solange man in pseudotoleranter Art nicht Triviales und Anspruchsvolleres als qualitativ gleichwertig bezeichnet oder ansieht.


    Danke für die Erwähnung von Feuchtwangers Aufsatz - den kannte ich bisher nicht.


    Zitat

    Im historischen Roman schätze ich es nun einmal, wenn mir ein Autor nahebringen kann, inwiefern Menschen früher uns ähnlich und inwiefern sie anders waren. Wie sie dachten, fühlten und handelten, wie sie ihre Schwierigkeiten lösten. Wie sie mit den großen Themen, insbesondere mit Tod und Liebe umgingen, wie sie sie erlebten. Und wie sie selbst in aussichtsloser Lage ihre Menschlichkeit zu bewahren versuchten oder auch nicht.


    Das sind Aspekte, die jeden Roman lesenswert machen - nicht nur historische.


    Ich sprach übrigens nicht von populären Sachbüchern, sondern einer Kombination von Quellen und wissenschaftlichen Fachbüchern, die es einem zumindest erleichtern, einen Überblick über strittige und offene Fragen zu gewinnen. Das Problem ist ja u. a., dass vieles - gerade aus dem Alltagsleben und -denken der allgemeinen Bevölkerung gar nicht so viel bekannt oder klar ist, wie es manchmal in historischen Romanen scheint.

  • Hallo, Vulkan!


    Zitat

    Original von Vulkan
    Es scheint aber Leser zu geben, die sogenanntes "Authentisches" lesen möchten oder gar glauben, es zu tun, wenn sie einen der aktuellen Bestseller aus dem Histo-Regal aufschlagen.


    Und sich dann meist ein Buch rausziehen, dass nur alten Wein in neue Schläuche füllt. :lache


    Allerdings landet in den Bestsellerlisten nicht ausschließlich Trivialliteratur, zumal es zahllose graduelle Unterschiede gibt.



    Zitat

    Ich habe kein Problem mit "Trivialliteratur", solange man in pseudotoleranter Art nicht Triviales und Anspruchsvolleres als qualitativ gleichwertig bezeichnet oder ansieht.


    Als Autor würdest du für diese Ansicht mit Trollrezis gesteinigt werden! :lache



    Zitat

    Das sind Aspekte, die jeden Roman lesenswert machen - nicht nur historische.


    Stimmt, aber im gut recherchierten historischen Roman erfahre ich, wie Menschen früher (zumindest sehr wahrscheinlich) damit umgegangen sind. Das ist ein Unterschied, denn es sind quasi erprobte Weisen des Umgangs -- sofern man nicht einem Geschichtsbild anhängt, nachdem alles Frühere eh überholter Quatsch ist. Aber solche Leute lesen ja keine historischen Romane, oder?



    Zitat

    Ich sprach übrigens nicht von populären Sachbüchern, sondern einer Kombination von Quellen und wissenschaftlichen Fachbüchern, die es einem zumindest erleichtern, einen Überblick über strittige und offene Fragen zu gewinnen. Das Problem ist ja u. a., dass vieles - gerade aus dem Alltagsleben und -denken der allgemeinen Bevölkerung gar nicht so viel bekannt oder klar ist, wie es manchmal in historischen Romanen scheint.


    Zum einen war meine Bemerkung über Sachbücher nicht auf dich gemünzt, aber im Zusammenhang natürlich missverständlich. Das tut mir leid.


    Mir ging es um das immer wieder vorgetragene Argument, im Roman wolle man sich schließlich unterhalten, und falls man sich für was interessiere, greife man sowieso zum Sachbuch.
    Leider sind Fakten und Fiktionen auf dem Buchmarkt nicht säuberlich durch "non-fiktional" und "fiktional" getrennt -- im Gegenteil! Nicht selten ist ein "non-fiktionales" Sachbuch pure Fiktion.


    Das Problem, dass die Dinge oft nicht so eindeutig erforscht sind, kenne ich nur zu gut. Phantasie allein ist da kein guter Ratgeber, denn genau da schleichen sich die Anachronismen und Wunschvorstellungen ein. Das ist ein sehr schwieriges Feld, in dem man sich behutsam bewegen sollte. Das Ergebnis der Recherche ist immer ein lückenreiches Mosaik aus unendlich vielen kleinen Steinchen, und Löcher in diesem Bild zu rekonstruieren, ist besonders schwierig, wenn man selektiv nur das recherchiert hat, was man "braucht".


    Ich bin ja ohnehin der felsenfesten Überzeugung, dass die Recherche am in erster Linie nicht so sehr dem Buch und damit auch dem interessierten Leser nutzt, sondern dem Autor. :-)

  • Aber genau weil mich die Recherchearbeit so interessiert lese ich historische Romane gerne in Leserunden mit Autor- ich erinnere daran, dass mich z.B. in der Leserunde zur Cinnatrilogie (als einzigen Leser?) die Angriffsgangart der Pferde- der Tölt - irritiert hat und dazu habe ich dann von der Autorin eine befriedigende erklärende Antwort erhalten, während ich sonst doch in der Luft gehangen hätte. Eine Antwort übrigens, die mir bewiesen hat, dass die Autorin sich auch über solche "Kleinigkeiten" , die kaum einem Leser auffallen intensiv Gedanken gemacht hat.

  • Was für eine interessante Diskussion – die ich leider wegen arbeitsbedingter Forumsabstinenz erst jetzt in Ruhe lesen konnte ...


    Viele der geäußerten Meinungen, ob von Autoren- oder Leserseite, finde ich sehr aufschlussreich und informativ, eingehen möchte ich aber Iris’ bemerkenswerten letzten Satz:


    Zitat

    Original von Iris
    Ich bin ja ohnehin der felsenfesten Überzeugung, dass die Recherche am in erster Linie nicht so sehr dem Buch und damit auch dem interessierten Leser nutzt, sondern dem Autor. :-)



    Ja, so ist es wohl.
    Obwohl meine Bücher in der Gegenwart angesiedelt sind, so spielen doch immer wieder wichtige Szenen in der näheren oder ferneren Vergangenheit. Für diese Szenen betreibe ich Recherche (für die Gegenwartsgeschichte auch, aber die ist, dank verfügbarer Augenzeugen, anders gelagert) und staune am Ende, wie wenig von dem Wissen, dass ich mir aus Regalmetern Sekundärliteratur, Originalquellen, Heimatmuseen in den hintersten Winkeln der Welt und Interviews aneigne, in die Geschichte einfließen können und dürfen, wenn ich nicht einen gigantischen Infodump produzieren möchte. Denn in den Geschichten geht es um Menschen – und wenn es sich ums „Fußvolk“ handelt, gibt es kaum direkte Quellen, sprich Tagebücher oder ähnliches. Also muss ich mir Gedanken machen, wie ein Schmied/Soldat/Diener, eine Kurtisane/Akrobatin/Köchin sich wohl verhalten haben mögen, im Kontext ihrer Zeit, der herrschenden Gesellschaftsform und anderer Einflüsse. Dies ist allerdings eine Herausforderung, die nur zu bewältigen ist, wenn die Hausaufgaben gemacht wurden, der Kontext so gut wie möglich recherchiert und hinterfragt wurde, auch wenn dieses Wissen nicht im Manuskript auftaucht, sondern nur unterschwellig den Rahmen vorgibt.


    Und deshalb möchte ich zu Iris’ Satz auch noch ein „Aber“ anfügen:
    Es nutzt dem Leser eben doch. Denn wenn der Autor den Kontext verinnerlicht hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Figuren sich epochen- und kulturadäquat verhalten, zumindest ordentlich gestiegen.


    Dasselbe gilt natürlich auch für die Handlungsweise von Personen aus fremden Kulturkreisen, egal ob in der Gegenwart oder Vergangenheit, wie Katarina schon bemerkte.


    Liebe Grüße von
    SteffiB

  • Interessantes Thema!


    Grundsätzlich halte ich Vielfalt in jedem Bereich für erstrebenswert.
    Historischer Roman mit fiktiven Personen vor historischem Hintergrund soll neben Romanen bestehen können, in welchen historische Persönlichkeiten möglichst faktengetreu, aber doch auch poetisch, zum Leben erweckt werden.


    Der Leser soll jedoch niemals in die Irre geführt werden. Im Klappentext muss stehen, was drinnen ist.


    Jedoch lasse ich mich persönlich mehr von Geschichten begeistern, die tatsächlich passiert sind, und zwar Personen, die auch tatsächlich gelebt haben. Dabei lege ich nicht auf detailgetreue Wiedergabe wert, aber ich möchte die Zeit spüren, ich möchte die Welt mir vorstellen können, ich möchte mich in die Vergangenheit zurückversetzt fühlen können. Es ist mir egal, ob die Dialoge wahrheitsgetreu sind, ob jeder Handlungsschritt belegt ist, ich möchte mir aber gerne vorstellen, dass es so oder ähnlich gewesen hätte sein können.
    Und ganz sicher hat es immer schon Personen gegeben, die aus der Reihe getanzt sind, die ihrer Zeit voraus waren, die modern gedacht haben. Und diese besonderen Personen interessieren mich, ihre - der damaligen Zeit entsprechenden - Mittel ihres Kampfes für mehr Unabhängigkeit, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit usw....


    Für mich macht es einen Unterschied, ob diese handelnde, denkende, fühlende, Person tatsächlich vor langer Zeit über die Erde gewandelt ist, in ähnlicher Art und Weise, wie ich es gerade lese - oder ob diese Person rein aus dem Kopf des Autors/der Autorin entstanden ist.


    mit vielen Grüßen
    Sayyida