'Das Geheimnis der Jaderinge' - Seiten 001 - 146

  • Zitat

    Original von Mulle
    Ich hatte da tatsächlich angenommen, dass mehr Identifikation mit der weiter unten liegenden Gesellschaft stattfinden könnte; einfach aus der Tatsache heraus, dass Viki - sollte sie ihre Arbeit als Gesellschafterin in China verlieren - wohl auch nur noch eine Anstellung als Dienstmädchen wie Magda bleibt, wenn sie nicht auf den Straßen von Shanghai enden will.


    Eine Viktoria hätte kein Mensch als Dienstmädchen eingestellt, denn sie hatte ja keine Ahnung, wie man putzt und bedient. Entlassene Gouvernanten hatten eigentlich nur die Chance, irgendwo eine ähnliche Stelle zu finden. Oder sie mussten sich einen wohlhabenden Herrn suchen, der "sich ihrer annahm".


    Viele Grüße


    Tereza

  • So, nun bin ich auch endlich da. Ich habe gerade den ersten Abschnitt beendet und bin sehr angetan. Stilistisch schön, wie immer, entwickelt sich die Geschichte in einem mir sehr lieben Tempo: nicht zu schnell, nicht zu langsam.
    Wider Erwarten hat die Geschichte mich gleich in Hamburg abgeholt – einen leisen Verdacht hatte ich ja doch, dass es mir ähnlich wie harimau geht und ich erst in China richtig Geschmack an der Geschichte finde.
    Aber nein, dem war nicht so. Viele Hinweise werden gestreut, die von meinen Vorposten beschworene schwarze Wolke dräut, und Viktoria macht, allen Lektorinnen zum Trotz, was Menschen immer und überall und selbst im Deutschland oder England von 1870 gemacht haben: Sie geht mit ihrem Angebeteten in die Büsche, um ihn nicht zu verlieren. Menschlich, allzu menschlich. Erstaunlicherweise sind die Folgen für sie (gesellschaftliche Ächtung) nicht sonderlich schlimm, es findet sich sogar ein Heiratskandidat. Ist das realistisch? Oder hat man's eben doch nicht ganz so eng gesehen, wie die einschlägige Literatur uns immer glauben macht?
    Ebenso wie harimau gefiel mir der Mutter-Tochter-Dialog ausgesprochen gut. Tragisch, dramatisch und ungemein emotional. Gänsehaut!


    Der Sprung nach Schanghai war ziemlich flott und reibungslos, allerdings habe ich auf die zweitausenddrölfste Schiffsüberfahrt auch gut verzichten können. Man kommt ja trotzdem gleich an in der Internationalen Konzession. Hier kommt mein erster Wermutstropfen: Ich sehe die Konzession nicht so recht vor mir, es fehlen Bilder in meinem Kopf. Ich hoffe auf weitere Beschreibungen, denn bei L & L ist mir persönlich das zweite L genauso wichtig wie das erste.
    Ein weiterer Punkt, den ich nicht so ganz gelungen fand, war die Einführung des Andrew-Geheimnisses. Nicht, dass es eins gibt, sondern das Wie. Andererseits, irgendwie musst du es der guten Margret ja aus der Nase ziehen...


    Richtig klasse hingegen finde ich die Beschreibung von Sassoon und Annette. Die beiden hüpfen richtig vom Blatt!
    Und noch besser ist dir mMn die Beschreibung von Vickis Situation als Gesellschafterin gelungen. Dieses Aufbegehren-Wollen-und-nicht-dürfen, dieses Schlucken, wo sie sonst Gift und Galle gespuckt hätte – wunderbar.
    Der chinesische Junge ist gut eingeführt, der Jinrikisha-Chinese ebenfalls. Bin gespannt, welche Rollen diesen beiden noch zukommen werden. Überhaupt bin ich gespannt, wie's weitergeht!

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Noch 'ne Frage: Da Wei = Großer Irgendwas
    Was denn? Du hast doch bestimmt den Namen mit Bedacht gewählt.


    (Ich habe übrigens schon weiter gelesen. Die Bilder stellen sich ein :-])

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Ich muss ehrlich gestehen, dass ich etwas Mühe hatte, in den Roman hineinzukommen.


    Der Anfang spielt in Hamburg und Viktoria wird vorgestellt. Ihr Name transportiert das, was auch ihren Charakter ausmacht, eine sich überlegen fühlende, verwöhnte und verzogene Tochter aus angesehenem Haus. Das ist normalerweise der Punkt, an dem ich so einen Roman aus der Hand legen würde. Aber: In meinem Jahr bei den Büchereulen habe ich so viele tolle Bücher kennengelernt, die ich vorher nie gelesen hätte und zweitens will ich ja unbedingt nach China reisen. Also weiter!


    Vater und Tochter Vierchow sind eine verschworene Gemeinschaft und lieben die Kunst. Schnell wird klar, dass die Eltern eine unglückliche Ehe führen, was ja durchaus üblich war.
    Viktoria behandelt ihre Mutter sehr abweisend und steht ihr fern. Dieses Beziehungsgeflecht finde ich gelungen umgesetzt. Durch das Siezen und Duzen wird sehr deutlich, wie die Familienmitglieder zueinandre stehen. Es ist nach dem Selbstmord des Vaters und der Pleite des Unternehmens unumgänglich, dass sich die Wege von Mutter und Tochter trennen. In dem Gespräch als die Mutter sich kurz Viktoria gegenüber öffnet, dachte ich kurz, dass die beiden Frauen vielleicht gemeinsam ihr Schicksal in die Hand nehmen, bin aber froh, dass es nicht so ist. Amalia wäre bestimmt niemals nach China gereist.
    Etwas erstaunt hat mich, dass Viktoria relativ klaglos in dem billigen Hotel absteigt und sich sogar eine Arbeit sucht. Ich hätte da mehr Aufmüpfigkeit erwartet, aber dieses bisschen Demut, was sie dann doch an den Tag legt, macht sie mir wieder ein Stück sympathischer und ich kann mir vorstellen, mit ihr eine Weile zu verbringen.


    Magda hilft ihr aus ihrer Notlage heraus. Das hat mir gefallen. Sie wirft die Standesvorbehalte über den Haufen und kümmert sich um ihre ehemalige Herrin. Mal sehen, ob wir noch erfahren, ob sie mit ihrem Richard glücklich wird.


    Richard ermöglicht Viktoria, als Gesellschafterin eine Anstellung zu finden. Und das ausgerechnet bei den Huntingdons, deren Sohn mitverantwortlich für den Untergang der Reederei ist. Und an dieser Stelle hätte ich mehr Konflikte erwartet. So aufmüpfig und zickig wie Viktoria am Anfang des Buches war, so klaglos nimmt sie das jetzt hin. Da überrascht mich Viktoria. Ich hätte mir gut vorstellen können, dass sie der Familie Huntingdon hochnäsig begegnet. Aber sie scheint dazugelernt zu haben und sie entwickelt sich weiter. Und das finde ich richtig gut.


    Die Handlung, die in Schanghai spielt, habe ich verschlungen. Magaret mochte ich von Anfang an. Sie ist eine weltoffene Frau und behandelt die Menschen ihrem Umfeld respektvoll. Klasse!
    Sie ist es auch, die es Viktoria ermöglicht, das Haus zu verlassen. Zunächst auf den Ball, auf dem sie dann Anette kennenlernt, die ihr mit ihren Verabredungen die Möglichkeit gibt, etwas die Stadt zu erkunden.
    Es kommt wie es kommen muss: Der erste Ausflug ins richtige Leben endet mit einem Unfall. Viktoria kauft einem Menschenhändler Dewei ab. Der Teil hat mir am besten gefallen. Da wird nicht drumherum geredet, sondern ich kann mir gut vorstellen, dass diese Szene genauso gewesen sein könnte.
    Viktoria schmuggelt Dewei ins Haus und wieder ist es Margaret, der der Junge als erstes vertraut.
    Infolge eines weiteren Schlaganfalls spricht Margaret von ihrem zweiten Sohn Andrew, der irgendwie verschwunden ist. Sie bittet Viktoria, sich Robert gegenüber nichts anmerken zu lassen. Und von einem Ring, den sie unbedingt sehen will.
    Und was macht sie?
    :gruebel Bei erstbester Gelegenheit plappert sie natürlich bei Robert über Andrew und schleicht nachts durchs Haus und wühlt in der Schmuckschatulle nach dem Ring. Jetzt wundert es mich wirklich, dass sie den Ring nicht auch noch genommen hat, so kurzsichtig wie sie da wieder denkt.
    Andrew scheint in den Taiping-Aufstand verwickelt gewesen zu sein. Das verspricht Spannung und Konfliktpotential.


    Jetzt lese ich mal, was die anderen so geschrieben haben.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Nachtgedanken
    Ich mag Vicki, ich finde sie sehr lebensecht, gerade weil sie zum Beispiel wider alle Vernunft mit ihrem Verlobten in die Kiste hüpft. Mal ganz ehrlich, wer hat denn nicht schon unvernünftig gehandelt, wenn es um die Liebe geht? Da gibt es bestimmt irgend so ein Glückshormon, dass allen Verstand ausschaltet.
    ...


    Gerade diese Szene hat mich nicht so überzeugt. Sie verschwindet ja nicht mit ihm ins Gebüsch, weil sie Lust und Leidenschaft spürt und ihre sexuellen Gefühlen ausprobieren möchte, sondern zum großen Teil auch, weil sie merkt, dass Anton das von ihr erwartet und sie ihn nicht verlieren möchte.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Gerade diese Szene hat mich nicht so überzeugt. Sie verschwindet ja nicht mit ihm ins Gebüsch, weil sie Lust und Leidenschaft spürt und ihre sexuellen Gefühlen ausprobieren möchte, sondern zum großen Teil auch, weil sie merkt, dass Anton das von ihr erwartet und sie ihn nicht verlieren möchte.


    Das habe ich übrigens gar nicht so empfunden.
    Ich hatte eher den Eindruck, dass sie da pragmatisch gedacht hat: Wir werden es eh tun - dann können wir es auch jetzt tun. Ich habe den Eindruck, dass da viel Neugier im Spiel war - sie hatte schließlich keinerlei Ahnung - und gar nicht so schrecklich viel Druck.
    Um sich Druck machen zu lassen, schien mir Viki zu Anfang zu sehr von sich überzeugt.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Der Anfang spielt in Hamburg und Viktoria wird vorgestellt. Ihr Name transportiert das, was auch ihren Charakter ausmacht, eine sich überlegen fühlende, verwöhnte und verzogene Tochter aus angesehenem Haus. Das ist normalerweise der Punkt, an dem ich so einen Roman aus der Hand legen würde.


    Darf ich hier mal näher drauf eingehen.
    Das ist nämlich eine Frage, die sich mir immer wieder stellt.


    Erwarten sich manche Leser eine von Anfang an sympathische, liebe, starke und herzensgute Hauptfigur? Aber wie soll der Autor diese dann noch sinnvoll wachsen lassen, wenn er sie weder schwach, noch verzogen noch naiv darstellen kann?
    Man wünscht sich ja immer eine psychologische Weiterentwicklung der Figuren - aber dazu muss man sie doch an einer Stelle abholen, wo echter Bedarf nach dieser Entwicklung besteht.
    Daher irritiert mich das immer, wenn ich lese "habe das Buch nach 10/ 50/ 100 Seiten weggelegt, weil ich die Hauptfigur nicht mochte."


  • Danke schön! Klasse, ich liebe es, die Handlung auf entsprechenden Karten zu verfolgen. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin


  • Gut, dass du das ansprichst, Mulle.
    Ich muss ehrlich gestehen, dass sich mein Leseverhalten seit den Eulen sehr geändert hat. Zum einen lese ich jetzt viel mehr, weil das Lesen einfach wieder einen viel höheren Stellenwert in meinem Leben bekommen hat, zum anderen lese ich jetzt unvoreingenommener.
    Darüber bin ich sehr froh, denn mir wären so einige tiefgründige Lese-Erfahrungen verborgen geblieben.
    Früher war das anders. Da habe ich engstirnig gedacht und hätte Viktoria wahrscheinlich keine große Chance gegeben. Sie erinnert mich an "Trotzkopf", das habe ich als Kind ganz furchtbar gefunden. Gott sei Dank entwickeln sich nicht nur Romanfiguren, sondern auch die Leser weiter.
    Dehalb müsste der Satz eigentlich heißen:
    Das ist normalerweise der Punkt, an dem ich so einen Roman aus der Hand gelegt hätte.
    Ich habe vor den Eulen ziemlich unreflektiert gelesen, gebe ich zu.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Noch 'ne Frage: Da Wei = Großer Irgendwas
    Was denn? Du hast doch bestimmt den Namen mit Bedacht gewählt.


    (Ich habe übrigens schon weiter gelesen. Die Bilder stellen sich ein :-])


    Schau mal hier: http://www.babynames.com/name/DEWEI


    Aber wenn ich ehrlich bin: ich habe diesen Namen einfach irgendwo "geklaut", in der Zeitung oder im Internet, ich weiss nicht mehr. Da hieß ein Chinese so und mir gefiel der Klang seines Namens. Manche der chinesischen Namen in dem Buch habe ich aber bewusst nach ihrer Bedeutung gewählt. In dem Fall wird das aber erwähnt.


    Ansonsten bin ich froh, dass sich die Bilder bei dir jetzt langsam einstellen. :wave


    Tereza

  • Liebe Leute,


    ich find es interessant, hier die zahlreichen Eindrücke zu verfolgen - und dabei fest zu stellen, wie widersprüchlich sie ausfallen können. Was der eine Leser gut findet, scheint dem nächsten wieder total unrealistisch. Da fragt man sich als Autor zwar, wie man es denn "richtig" machen soll, aber die Antwort ist wohl, dass man es weiter so machen sollte, wie man es selbst für richtig hält.


    Zu Viktoria und ihrem Anton: das ist meines Erachtens so die typische Jungmädchenschwärmerei für den "obercoolen Typ", der so klasse aussieht, die angesagten Klamotten trägt, auf jeder Party im Mittelpunkt steht und jedes Mädchen haben könnte. Da ist Viktoria einfach wahnsinnig stoz, dass er ausgerechnet sie gewählt hat. Zwar sind sie beide verwöhnte, oberflächliche Egoisten, aber in der Beziehung ist Viktoria die schwächere, da sie emotional stärker engagiert ist. Ihr "moralischer Tabubruch" am Alsterufer war meines Erachtens eine Mischung aus Neugier, Pragmatismus (wir tun es ja eh bald, wenn wir verheiratet sind) - aber auch dem Wunsch, es sich mit Anton nicht zu verderben. Menschen sind nicht unbedingt immer stark, nur weil sie arrogant sind.


    Steffi: über Viktoria kursieren Gerüchte, aber sie wurde mit Anton nicht in flagranti ertappt und ist auch nicht schwanger. Ich denke, in diesem Fall konnte eine Frau noch hoffen, dass ein Mann so angetan von ihr war, darüber hinweg zu sehen. Mama macht ihr ja auch sehr deutlich klar, dass sie es sich nicht mehr leisten kann, wählerisch zu sein.



    Mulle: ich habe ehrlich gesagt den Eindruck, dass die meisten Leser tatsächlich von vornherein perfekte Charaktere wollen. Es ist so, wie Regenfisch sagte: man muss ein etwas kritischerer Vielleser sein, um etwas realistischere Darstellungen zu schätzen. Ich habe allerdings das Problem, dass es mir bei makellosen Figuren ebenso geht wie derweil der guten Jane Austen: "And pictures of perfection, as you know, make me sick and wicked." :grin



    Viele Grüße


    Tereza

  • Wenn ich das jetzt alles so hier lese - dann führt für mich wohl kein Weg an diesem Buch vorbei. Es scheint ja ein wirklich interessantes Leseerlebnis zu sein. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Mulle
    ...
    Das habe ich übrigens gar nicht so empfunden.
    Ich hatte eher den Eindruck, dass sie da pragmatisch gedacht hat: Wir werden es eh tun - dann können wir es auch jetzt tun. Ich habe den Eindruck, dass da viel Neugier im Spiel war - sie hatte schließlich keinerlei Ahnung - und gar nicht so schrecklich viel Druck.
    Um sich Druck machen zu lassen, schien mir Viki zu Anfang zu sehr von sich überzeugt.


    In dem Moment als Anton ihr das Korsett aufschnürt, setzt bei Viktoria wieder der Verstand ein. "Doch sie staunte, wie viel Unbehagen ihr die Vorstellung einflößte, diese Tabus endgültig zu brechen." (S.17)
    Und dann wird er ungehalten. "Sie zwang sich mit klarem Verstand abzuwägen. (...) Warum einen Streit riskieren, wenn sie sich selbst weiter nach seinen Berührungen sehnte?"
    Ich lese da schon heraus, dass ihr Berührungen gereicht hätten und sie nachgibt, weil sie Anton gegenüber nicht als prüde gelten will.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Tereza
    Liebe Leute,


    ich find es interessant, hier die zahlreichen Eindrücke zu verfolgen - und dabei fest zu stellen, wie widersprüchlich sie ausfallen können. Was der eine Leser gut findet, scheint dem nächsten wieder total unrealistisch. Da fragt man sich als Autor zwar, wie man es denn "richtig" machen soll, aber die Antwort ist wohl, dass man es weiter so machen sollte, wie man es selbst für richtig hält.


    So, wie du es schreibst, ist es richtig. Ein Buch wird für mich lebendig, wenn es bei den Lesern unterschiedliche Gefühle auslöst. Wichtig ist mir beim Lesen, dass es Gefühle auslöst. Und das tut dein Buch zu vollster Zufriedenheit. :-]

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Wenn ich das jetzt alles so hier lese - dann führt für mich wohl kein Weg an diesem Buch vorbei. Es scheint ja ein wirklich interessantes Leseerlebnis zu sein. :wave


    Auf jeden Fall, Voltaire. Du wirst es nicht bereuen.

    smilie_sp_274.gif
    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von harimau


    Es ist dir scheißegal? :yikes Das darf es nicht nur, das sollte es auch sein. Als Leser will ich ein gutes Buch, der Rest interessiert mich nicht, aber die meisten Verlage haben eben nicht den einzelnen Leser, sondern ganze Zielgruppen im Visier. Wenn sie diese nicht mit einem erprobten Rezept, also aus einer bestimmten Schublade bedienen können, werden sie schnell zögerlich und neigen aus Furcht vor einem Flop zu Ablehnungen. Aus diesem Grund liegt z.B. mein bisher definitiv bestes Manuskript seit neun Monaten bewegungslos in einer Schublade, aus diesem Grund ist Steffis mit riesigem Engagement ein halbes Jahr lang betriebenes Projekt krachend gegen die Wand gefahren. Ich bin sicher, dass viele Autoren ein bitteres Lied davon singen könnten. Umso glücklicher bin ich darüber, dass es Tereza gelungen ist, einen Verlag für die "Jaderinge" zu finden. Natürlich ist das Buch gut und allemal eine Veröffentlichung wert, wovon wir uns gerade überzeugen dürfen. Trotzdem dürfte es aus Verlagssicht nicht unbedingt per se als massenkompatibel angesehen worden sein. Wie Charlie weiter oben richtig schrieb, gehört der Roman inhaltlich nicht zu den "typischen" L&L Büchern. Er besitzt nicht nur eine sehr hohe Qualität, er verlangt dem Leser auch einiges ab, wie zum Beispiel eine eben nicht aalglatte, makellose Protagonistin oder das Einlassen auf das richtige, handfeste, derbe China mit zum Teil schonungslos realistischen Darstellungen, während die fremden Länder / Handlungsorte sonst oft nur als exotische Kulisse für Küsse im tropischen Mondschein herhalten. Wenn der Verlag es dennoch auf dieser Schiene anbietet, vermute ich ganz klar Verkaufstaktik dahinter. Ich würde es Tereza und den Jaderingen von Herzen wünschen, dass sie aufgeht. Letztenendes zählt für uns als Leser eben wirklich nur, dass der Roman den Weg zu uns findet.


    Willst du damit sagen, dass man als Autor leichter einen Verlag findet, wenn man massenkompatibel, also nicht zu anspruchsvoll, weichgespült, oberflächlich und schubladenkonform schreibt? Wieder einmal bröckelt ein Stückchen von meinem Weltbild ab. :-(
    Ich bin mir nicht bewusst, schon einmal einen typischen L&L-Roman gelesen zu haben, weil ich aus einer anderen Genre-Ecke komme. Ich lese am liebsten SF und Fantasy, deswegen weiß ich nicht, was für L&L typisch ist und ob es mir gefallen würde. Wahrscheinlich eher nicht, denn ich mag keine vorhersehbaren Nullachtfünfzehngeschichten mit kantenlosen Protagonisten. Bis zu einem gewissen Grad bin ich für solche Bücher vielleicht empfänglich, wenn sie bestimmte Stimmungen transportieren, bei denen ich mich wohlfühle, dann stelle ich nicht so hohe Ansprüche an den Inhalt. Aber wenn alles nach Schema F abläuft, komme ich mir irgendwann veräppelt vor und lass die Finger von dem Zeug. Ich sag nur Nora Roberts. Warum diese Frau eine Bestsellerautorin ist, hat sich mir bis heute nicht erschlossen ?(



    Zitat

    Original von harimau


    Den Erfordernissen auf jeden Fall, wie das Wort schon verrät. Vi-Ki kann in Dialogen natürlich nicht reden wie eine Figur von Bukowsky oder Charlotte Roche, sondern muss sich einer zeit- und standesgemäßen Sprache bedienen. Dementsprechend werden sich auch die beschreibenden Passagen im Allgemeinen nicht allzu weit von diesem Duktus entfernen. Innerhalb dieser vorgegebenen Bedingungen bleibt allerdings sehr viel Spielraum. Das kann in salbungsvolles Geschwafel ausarten, oder wie hier eine kräftige, schöne Sprache hervorbringen. Auch wenn Ausdruck und Vokabular nicht immer meinen Geschmack treffen, verkenne ich doch nicht, wie gut Tereza auch in diesem Roman wieder schreibt. :-)


    Mir ist schon klar, dass Viktoria wie ein Kind ihrer Zeit und ihres Standes reden muss, was ich meinte war, dass man, wenn man ein Buch in der L & L -Szene veröffentlichen will, seine schriftstellerischen Fähigkeiten dem Aufnahmevermögen der anivisierten Leserschaft anpassen muss? Also kommt hypothetisch und überspitzt ausgedrückt die Anweisung vom Verlag: keine dreisilbigen Wörter und keine Sätze mit mehr als einem Komma?

    smilie_sp_274.gif
    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Es wurde im Prinzip schon fast alles gesagt, was ich zu diesem Abschnitt beitragen wollte. ;-)
    Ich wollte aber noch anmerken, dass ich die Entwicklung von Viktoria toll finde. Nach und nach verändert sie sich, aber nicht schlagartig von einem Tag auf den anderen, wie es in anderen Romanen oft der Fall ist. Die Entwicklung wirkt herrlich realistisch, man kann sie tatsächlich nachvollziehen. Auch dadurch, dass immer wieder ihr altes Ich zum Vorschein kommt, das sie natürlich nicht vollkommen ablegen kann, wirkt die Entwicklung authentisch.
    Es sind auch solche Dinge, die einen tollen Roman ausmachen. :anbet

  • Zitat

    Original von Mulle
    Erwarten sich manche Leser eine von Anfang an sympathische, liebe, starke und herzensgute Hauptfigur?


    Ich habe den Eindruck, dass für einen nicht geringen Teil der Leserschaft gilt: Finde ich den Protagonisten doof (in dem Sinne, dass er sich nicht wünschenswert verhält), finde ich auch das Buch doof. Das ist eine Frage des Geschmacks und ihr gutes Recht, auch wenn ich selbst anders lese und schreibe.


    Zitat

    Aber wie soll der Autor diese dann noch sinnvoll wachsen lassen, wenn er sie weder schwach, noch verzogen noch naiv darstellen kann?
    Man wünscht sich ja immer eine psychologische Weiterentwicklung der Figuren - aber dazu muss man sie doch an einer Stelle abholen, wo echter Bedarf nach dieser Entwicklung besteht.


    Nicht für jeden Leser steht psychologische Weiterentwicklung weit oben auf dem Wunschzettel für Bücherinhalte. Begnüge dich damit, für den - glücklichwerweise immer noch großen - Rest zu schreiben, oder du gerätst in einen unlösbaren Konflikt. Allen kann man nicht gefallen. ;-)


    Zitat

    Daher irritiert mich das immer, wenn ich lese "habe das Buch nach 10/ 50/ 100 Seiten weggelegt, weil ich die Hauptfigur nicht mochte."


    Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Buch weggelegt zu haben, weil ich die Hauptfigur nicht mochte. Dies passiert nur, wenn ich sie und ihr Verhalten unplausibel oder schlicht langweilig finde. In diesem Sinne hat es mich, wie ich weiter oben schon schrieb, auch überhaupt nicht gestört, dass mir Viktoria anfangs nicht sympathisch war. Ich fand sie glaubwürdig, entwicklungsfähig und war obendrein neugierig auf ihren weiteren Weg. Das sind die besten Voraussetzungen, um mich bei der Stange zu halten. :-)

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Tereza
    Liebe Leute,


    ich find es interessant, hier die zahlreichen Eindrücke zu verfolgen - und dabei fest zu stellen, wie widersprüchlich sie ausfallen können. Was der eine Leser gut findet, scheint dem nächsten wieder total unrealistisch. Da fragt man sich als Autor zwar, wie man es denn "richtig" machen soll, aber die Antwort ist wohl, dass man es weiter so machen sollte, wie man es selbst für richtig hält.


    Ich finde es gar nicht schlimm, wenn ein Roman beim Leser unterschiedliche Wahrnehmungen und auch psychologische Interpretationen zulässt. Ob er dann gefällt, ist letztlich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Bisher kommst du mit deinen Romanen doch sehr gut an, also machst du sehr viel richtig. :knuddel1


    Zitat

    Zu Viktoria und ihrem Anton: das ist meines Erachtens so die typische Jungmädchenschwärmerei für den "obercoolen Typ", der so klasse aussieht, die angesagten Klamotten trägt, auf jeder Party im Mittelpunkt steht und jedes Mädchen haben könnte. Da ist Viktoria einfach wahnsinnig stoz, dass er ausgerechnet sie gewählt hat. Zwar sind sie beide verwöhnte, oberflächliche Egoisten, aber in der Beziehung ist Viktoria die schwächere, da sie emotional stärker engagiert ist. Ihr "moralischer Tabubruch" am Alsterufer war meines Erachtens eine Mischung aus Neugier, Pragmatismus (wir tun es ja eh bald, wenn wir verheiratet sind) - aber auch dem Wunsch, es sich mit Anton nicht zu verderben. Menschen sind nicht unbedingt immer stark, nur weil sie arrogant sind.


    Damit fasst du meine Wahrnehmung der Beziehung und der Geschehnisse am Alsterufer perfekt zusammen.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • ich bin auch super in die Geschichte reingekommen.
    Da ich Terezas Schreibstil total mag, war es für mich wie ein "sich fallen lassen in das Buch" um darin zu versinken. Es wurde eine lange Nacht (aber wer braucht schon Schlaf :lache) und heute morgen habe ich mich dann gleich wieder auf die Jaderinge gestürzt, um den ersten Abschnitt fertig zu lesen.


    Ich finde, es ist Tereza vortrefflich gelungen, Viktorias Gefühle, die Liebe für Ihren Vater und die Ablehnung für die Mutter zu beschreiben. Leider kommt Ihr Vater eher schöngeistig daher und wirkte in meinen Augen eigentlich unfähig, eine Reederei mit Erfolg zu führen. Er kann die Schmach nicht überwinden, der Selbstmord ist daher eine logische Folge davon :-(
    Die Mutter kommt sehr beherrscht mit einer starken Persönlichkeit rüber. Das Gespräch der beiden hat mir sehr gut gefallen. Zeigte es mir doch, dass beide den gleichen unbeugsamen Willen inne haben. Sie will lieber ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und arbeiten, als sich mit diesem "Windbeutel" verkuppeln zu lassen!
    Durch Viktorias schlechten Ruf bekommt sie leider keine feste Anstellung in Hamburg!
    Da erhält sie die Chance als Gesellschafterin in Shanghai zu arbeiten. Ausgerechnet für die Mutter des Mannes, der Schuld am Bankrott Ihres Vaters hatte.


    In China angekommen, erweist sich die alte Dame Lady Margaret Huntingdon als absoluter Glücksgriff für Viktoria. Sie ist so erfrischend anders als ihr Sohn Robert oder Schwiegertochter Emily.
    Die Beweggründe, warum Viktoria den chinesischen Jungen Dewei so spontan im Chinesenviertel freikauft, konnte ich nicht so ganz nachvollziehen.
    Versteht mich nicht falsch, ich fand die Rettung gut, aber die Beweggründe dafür, wurden mir nicht schlüssig erkärt. Immerhin ist sie ja sehr knapp bei Kasse!
    Ob ein 7-jähriger so eine perfekte Begleitung für sie ist? :gruebel


    Margaret scheint noch einen zweiten Sohn Andrew zu haben. Was ist mit ihm passiert? Kurz bevor er verschwand, überreichte er seiner Mutter einen Jade Ring und 2 Papiere mit chinesischem Text. Robert behauptet, Andrew wäre nie zurückgekehrt, doch Viktoria findet in Margarets Schmuckschatulle den Beweis, dass sie die Wahrheit gesagt hat.
    Keiner in der Familie will so Recht über Andrew reden und als Victoria neugierig danach fragt, erleidet Margaret kurz darauf einen leichten Schlaganfall.

    to handle yourself, use your head, to handle others, use your heart
    SUB 15
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    :kuh:lesend