'Da gehen doch nur Bekloppte hin' - Seiten 054 – 088

  • Die Überecksitzsituation ist aber auch eine klassische Verhörsituation. Der Vernehmer sitzt (Burg!) hinter seinem Schreibtisch, der Verdächtige ungeschützt und ganz beobachtbar im rechten Winkel dazu, was ihn verunsichert.

  • Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist der ärztliche Psychotherapeut in erster Linie Arzt? Der ist nämlich im 53 gar nicht gesondert aufgeführt, d.h. er hat einfach ärztliches Schweigerecht. Woraus ergibt sich den die Schweigepflicht? Gibt es da Berufsordnungen mit Gesetzesrang?

  • Zitat

    Original von beowulf
    Die Überecksitzsituation ist aber auch eine klassische Verhörsituation. Der Vernehmer sitzt (Burg!) hinter seinem Schreibtisch, der Verdächtige ungeschützt und ganz beobachtbar im rechten Winkel dazu, was ihn verunsichert.


    Bei uns ist der Schreibtisch ja tabu, und wenn ich früher einen Psychotherapie-Ausbildungskandidaten erwischt habe, der einen Schreibtisch gestand, hab ich ihm die Ohren langezogen.
    Bei uns soll die Überecksitzsituation eben gerade nicht das Gefühl einer Situation aufkommen lassen, in der man sich unter Druck fühlt ("Die guckt mich an, ich muss jetzt was sagen, aber was bloß?"), sondern man soll den Blick des Therapeuten auch meiden können, wenn man will. (Oft will man das am Anfang etwas mehr als später.)


    Zitat

    Original von beowulf
    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist der ärztliche Psychotherapeut in erster Linie Arzt? Der ist nämlich im 53 gar nicht gesondert aufgeführt, d.h. er hat einfach ärztliches Schweigerecht. Woraus ergibt sich den die Schweigepflicht? Gibt es da Berufsordnungen mit Gesetzesrang?


    § 203 StGB, außer es liegt ein rechtfertigender Notstand vor.

  • Warum kann der Psychotherapeut keine Medikamente verschreiben und muss seine Patienten zum Psychiater schicken? Darf ein Psychotherapeut noch ein Zusatzstudium machen um auch noch Psychiater zu sein? Wieviel weitere Jahre Studium wären das?


    Nach dem Erstgespräch werden die Patienten sortiert. Gibt es auch Patienten denen man einfach sagt, sie bräuchten gar keine Therapie? Weder Paar, noch Alkohol noch sonst irgendetwas? Weil ich mir schon vorstelle, dass es Menschen geben könnten, die zum Psychotherapeuten kommen weil sie das interessiert oder was weiss ich, andererseits ist es, aber sicher schwer diese Leute herauszufiltern.


    Ein Jahr bis zwei Jahre Therapie finde ich sehr lange. Brechen nicht viele ab, weil es nicht schnell geht oder merken die Menschen schon früh, dass es ihnen guttut und eben länger braucht um auf Dauer zu helfen? Wahrscheinlich kommt das noch, aber im Moment frage ich mich, was da stundenlang geredet werden könnte. Erzählt man schlimme Erlebnisse immer wieder um den Schrecken zu nehmen? Das wäre sehr hart.

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    Original von xania
    Warum kann der Psychotherapeut keine Medikamente verschreiben und muss seine Patienten zum Psychiater schicken?


    Ein Ärztlicher Psychotherapeut darf Medikamente verschreiben, ein Psychologischer Psychotherapeut nicht. Die Möglichkeit, zu verschreiben, ist also immer noch ans erfolgte Medizinstudium gekoppelt. Allerdings wird darüber diskutiert, diese Möglichkeit (zumindest was Psychopharmaka betrifft) auch den Psychologischen Psychotherapeuten (natürlich nach entsprechender Zusatzausbildung) zu geben.


    Zitat

    Darf ein Psychotherapeut noch ein Zusatzstudium machen um auch noch Psychiater zu sein? Wieviel weitere Jahre Studium wären das?


    Ich habe noch nie erlebt, dass das einer getan hat. Vom intensiven Kontakt mit den Patienten hin zu kürzeren, selteneren Kontakten, die überwiegend darin bestehen, Medikamente zu verschreiben - das erscheint wohl den wenigsten Psychotherapeuten erstrebenswert.
    Umgekehrt kommt das schon häufiger vor, dass eine Psychiater eine zusätzliche Ausbildung in Psychotherapie macht.


    Zitat

    Nach dem Erstgespräch werden die Patienten sortiert. Gibt es auch Patienten denen man einfach sagt, sie bräuchten gar keine Therapie? Weder Paar, noch Alkohol noch sonst irgendetwas? Weil ich mir schon vorstelle, dass es Menschen geben könnten, die zum Psychotherapeuten kommen weil sie das interessiert oder was weiss ich, andererseits ist es, aber sicher schwer diese Leute herauszufiltern.


    Ich kenne praktisch nur Patienten, die nach langem Leidensweg und mit viel Herzklopfen kommen. In all den Jahren habe ich vielleicht zwei Patienten erlebt, die ich wieder weggeschickt habe, weil ich nicht fand, dass eine Therapie für sie das Richtige wäre.


    Zitat

    Ein Jahr bis zwei Jahre Therapie finde ich sehr lange. Brechen nicht viele ab, weil es nicht schnell geht oder merken die Menschen schon früh, dass es ihnen guttut und eben länger braucht um auf Dauer zu helfen?


    Viele sind am Anfang erstmal überrascht, wenn ich ihnen sage, was da zeitlich auf sie zukommen kann. Aber was sich über viele Jahre (oft die gesamte Lebenszeit) verfestigt hat, braucht halt auch ein bisschen, um wieder beweglich zu werden. In der Regel merken die Patienten sehr schnell, dass es ihnen gut tut. Oft schon im ersten Gespräch. Weil es eben eine Art des Verstehens und des Respekts ist, die sie vielleicht noch nie zuvor kennengelernt haben.


    Zitat

    Wahrscheinlich kommt das noch, aber im Moment frage ich mich, was da stundenlang geredet werden könnte. Erzählt man schlimme Erlebnisse immer wieder um den Schrecken zu nehmen? Das wäre sehr hart.


    Die Themen, mit denen die Patienten am Anfang kommen, werden häufig durch völlig andere abgelöst, die oft die eigentlich dahinterstehenden sind.
    Ja, manche Patienten erzählen tatsächlich schlimme Erlebnisse immer wieder. (Schon allein deshalb muss man als Therapeut stabil sein, um das aushalten zu können.) Sie brauchen das schon allein deshalb, weil sie früher mit den traumatischen Dingen allein gelassen wurde. Und da kann es schon eine geraume Zeit dauern, bis sie irgendwann das Gefühl haben: So, und jetzt ist es gut. Oder besser gesagt, nicht gut, aber es kann jetzt verstaut werden und kommt nicht mehr von allein immer wieder aus dem Schrank gesprungen.

  • Ich fand die Erklärungen der unterschiedlichen Berufsfelder und der üblichen Tätigkeiten auch informativ. Mit der Medikation war mir vorher gar nicht so bewusst. Stimmungsaufhellende Medikamente hätte ich jetzt jeden verschreiben lassen. :grin

  • Zitat

    Original von Katerina


    Viele sind am Anfang erstmal überrascht, wenn ich ihnen sage, was da zeitlich auf sie zukommen kann. Aber was sich über viele Jahre (oft die gesamte Lebenszeit) verfestigt hat, braucht halt auch ein bisschen, um wieder beweglich zu werden. In der Regel merken die Patienten sehr schnell, dass es ihnen gut tut. Oft schon im ersten Gespräch. Weil es eben eine Art des Verstehens und des Respekts ist, die sie vielleicht noch nie zuvor kennengelernt haben...


    Gibt es nicht viele Abbrecher, die nach begonnener Therapie und wenn die ersten Ursachen aus der Vergangenheit frei gelegt wurden, denken, dass sie die Ursachen ja nun kennen und sich daher schon selbst frei schaufeln könnten?
    Und die Frage, die sich mir als nächste stellt: Kann der Patient sich überhaupt selbst Münchhausen gleich am Schopf herausziehen, wenn er weiß, was in der Kindheit falsch gelaufen ist und woher seine Depressionen z.B. kommen?

    - Freiheit, die den Himmel streift -

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    Original von Clare
    Gibt es nicht viele Abbrecher, die nach begonnener Therapie und wenn die ersten Ursachen aus der Vergangenheit frei gelegt wurden, denken, dass sie die Ursachen ja nun kennen und sich daher schon selbst frei schaufeln könnten?


    Absolut nicht. Im Gegenteil, viele Patienten kennen oder ahnen zumindest schon die Ursachen ihrer Erkrankung, wenn sie kommen, aber genützt hat ihnen das nicht viel. Es ist nicht das Wissen, das heilt, sondern die therapeutische Beziehung. Der Patient hat zu sich selbst am Anfang oft die Beziehung, die die Eltern zu ihm hatten, d.h. er wertet sich ab, hält nichts von sich etc. Und oft weiß er auch, woher das kommt. Aber es dauert eine ganze Zeit, bis er sich anders, mit freundlichen Augen sehen kann. Du kannst nicht tun, was gut für dich ist, so lange du glaubst, es gar nicht wert zu sein.


    Zitat

    Und die Frage, die sich mir als nächste stellt: Kann der Patient sich überhaupt selbst Münchhausen gleich am Schopf herausziehen, wenn er weiß, was in der Kindheit falsch gelaufen ist und woher seine Depressionen z.B. kommen?


    Genau aus den oben genannten Gründen funktioniert das nicht.
    Ich habe mal vor langer Zeit in einem Psychotherapielehrbuch gelesen, dass eine Psychotherapie dann beendet ist, wenn der Patient mit sich selbst die Beziehung eingehen kann, die ihm der Therapeut vorher angeboten hat, d.h. freundlich und wertschätzend (das hatte ich glaube ich auch im Buch erwähnt).
    Deshalb ist für den Erfolg einer Therapie auch weniger die theoretische Ausrichtung des Therapeuten maßgebend als vielmehr die Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und Patient, wie viele Untersuchungen gezeigt haben.

  • Diesen Abschnitt auch beendet.
    Ich fand es auch wieder wunderbar, dort Deine Worte mit ihrem Humor zu lesen :grin


    Inhaltlich war es ja so gesehen nix neues für mich, aber die Art und Weise fand ich eben einfach gut.


    Ok, da ich ja eher in die Richtung VT neige, muß ich natürlich meckern, daß mir das zu wenig beleuchtet wurde, aber das macht nix. :grin


    Verwunderlich finde ich nur, daß die Kassen noch immer keine GT (Gesprächstherapie) zahlen. Auch daß es öffentlich so wenig Erwähnung findet.
    Nicht, daß das meine Lieblingsrichtung wäre - aber wir wurden da doch ziemlich viel im Studium mit konfrontiert - hatten einen Dozenten, der natürlich völlig überzeugt davon war und total auf Rogers schwor, daß ich halt noch immer nicht verstehe, nach welchen Kriterien die Kassen die Behandlung übernehmen.

  • Zitat

    Original von Johanna
    Ok, da ich ja eher in die Richtung VT neige, muß ich natürlich meckern, daß mir das zu wenig beleuchtet wurde, aber das macht nix. :grin


    Hömma, den VTler möcht ich sehen, der in seinem Buch so nett über Tiefenpsychologie schreibt wie ich über die VT! :lache


    Zitat

    Verwunderlich finde ich nur, daß die Kassen noch immer keine GT (Gesprächstherapie) zahlen. Auch daß es öffentlich so wenig Erwähnung findet.
    Nicht, daß das meine Lieblingsrichtung wäre - aber wir wurden da doch ziemlich viel im Studium mit konfrontiert - hatten einen Dozenten, der natürlich völlig überzeugt davon war und total auf Rogers schwor, daß ich halt noch immer nicht verstehe, nach welchen Kriterien die Kassen die Behandlung übernehmen.


    Mit der Wirksamkeit hat das nix zu tun, eher damit, dass man das Angebot aus finanziellen Gründen nicht ausweiten will. :-(
    Ich habe selbst eine Gesprächspsychotherapieausbildung und finde das sehr schade, denn sich eine Scheibe Menschenfreundlichkeit von Rogers' Weltbild abzuschneiden schadet bestimmt keinem Therapeuten. Außerdem fände ich persönlich (auch wenn ich keine diesbezügliche Ausbildung habe) es noch sehr schön, wenn Familientherapie kassenzugelassen würde.

  • Zitat

    Original von Katerina


    Absolut nicht. Im Gegenteil, viele Patienten kennen oder ahnen zumindest schon die Ursachen ihrer Erkrankung, wenn sie kommen, aber genützt hat ihnen das nicht viel. Es ist nicht das Wissen, das heilt, sondern die therapeutische Beziehung. Der Patient hat zu sich selbst am Anfang oft die Beziehung, die die Eltern zu ihm hatten, d.h. er wertet sich ab, hält nichts von sich etc. Und oft weiß er auch, woher das kommt. Aber es dauert eine ganze Zeit, bis er sich anders, mit freundlichen Augen sehen kann. Du kannst nicht tun, was gut für dich ist, so lange du glaubst, es gar nicht wert zu sein.
    ...


    Vielen Dank für deine Antwort! Ich finde das wirklich ungemein interessant.
    Mir war nicht klar, dass viele deiner Patienten wissen, woher ihre Probleme wahrscheinlich kommen. Wahrscheinlich ist es, trotz allen Wissens, das große Problem, dass man sich eben nicht selber helfen kann.

  • Zitat

    Original von Katerina


    Außerdem fände ich persönlich (auch wenn ich keine diesbezügliche Ausbildung habe) es noch sehr schön, wenn Familientherapie kassenzugelassen würde.


    Oh ja, auf jeden Fall.
    Auch Paartherapie müßte da unbedingt mit aufgenommern werden.


    Gerade diese Therapie können sich viele Menschen nicht leisten, denen sie helfen könnte und die sich eventuell auch viel Leid damit ersparen könnten.


    Sei es bsp. eine Scheidung zu verhindern, oder eben den Weg zu einer Trennung herauszufinden aus einer Beziehung, die ihnen nicht gut tut.


    Theoretisch würde die Kassen damit ja sogar noch sparen können - was ihnen ja so wichtig zu sein scheint. (Ich möcht ja zu gerne einmal mit jemanden sprechen, der entscheidet, was übernommen wird und was nicht - der würde einiges zu hören bekommen....)


    Wenn die Menschen eine frühere Hilfe bekämen, die ihnen bezahlt wird, könnten man damit viele "postpartnerschaftliche" Probleme einfach früher erkennen, verhindern.
    Seien es Probleme und gravierenden Veränderungen und Krisen nach Scheidungen und den oft daraus entstehenden Depressionen oder anderen Problemen oder eben Störungen verhindern, verringern, die in einer sehr ungesunden Beziehung enstehen können.

  • Die Krankenkassen zahlen gern erst wenn der Totalschaden eingetreten ist, Bremsen reparieren ist doof, erst wenn es so richtig gecrasht hat wird (teuer) repariert..


    Bei Scheidungen führt der Weg nicht selten direkt abwärts und mit Johnny W. im Arm direkt in die Suchtklinik.

  • Zitat

    Original von Johanna
    Wenn die Menschen eine frühere Hilfe bekämen, die ihnen bezahlt wird, könnten man damit viele "postpartnerschaftliche" Probleme einfach früher erkennen, verhindern.


    Seit einiger Zeit wird ja diskutiert, ob man das Schulfach Glück einführt bzw. teilweise gibt es dies ja schon. Ich kenne keine weiteren Inhalte und Konzepte dieses Faches, finde die Idee aber grundsätzlich sehr gut.

  • Das zweite Kapitel habe ich gestern auch noch zu Ende lesen können. Die grundsätzlichen Fachrichtungen und Unterschiede waren mir schon bekannt, auch wenn es hier noch einmal schön differenziert aufgearbeitet wurde. Sehr interessant fand ich die unterschiedlichen Therapieansätze und auch die Prozentangaben zur Verteilung in Deutschland.


    Meine Kritik (Link) hatte ich fälschlicherweise zum ersten Kapitel geschrieben. Hätte ich zunächst das zweite Kapitel gelesen, hätte ich mir diesen Beitrag sparen können.


    Danke für das Buch, es gefällt mir bislang richtig gut und ich denke, dass sich auch nach den weiteren Kapiteln meine Meinung kaum mehr ändert.

  • Der zweite Abschnitt war sehr informativ. Vieles war mir schon bekannt, anderes wiederum nicht. Bei den statistischen Angaben musste ich immer mitrechnen und hab mich prompt angesprochen gefühlt. :grin


    Das Thema Verhaltenstherapie ist vielleicht ein wenig kurz geraten, die tiefenpsychologischen Einblicke sind dafür ausführlicher - ich find's insgesamt hochinteressant.

  • Zitat

    Original von xexos


    Seit einiger Zeit wird ja diskutiert, ob man das Schulfach Glück einführt bzw. teilweise gibt es dies ja schon. Ich kenne keine weiteren Inhalte und Konzepte dieses Faches, finde die Idee aber grundsätzlich sehr gut.


    Generell eine gute Idee - aber lässt sich das schulisch umsetzen? :gruebel Glück bzw. glücklich sein ist doch für jeden individuell und lässt sich nicht einfach "lernen" im herkömmlichen Sinne.