Wird heute "besser" recherchiert?

  • Zitat

    Original von SabineW


    Ich glaube, du meinst die Ilias. Es sei denn, du hast nähere Kenntnisse darüber, wo sein Schreibtisch stand. :grin
    .


    Mir ging es um den Standplatz des Zeltes, nicht des Schreibtisches auch nicht um den Buchtitel, sondern um das Ereignis Rückzug ins Zelt, die Kameraden im Stich lassen, Feigheit vor dem Feind, totaler Rückzug in sich selbst, aus Trauer über den sinnlosen Verlust des Freundes, das alles als Symptome eines PTBS.

  • Zitat

    Original von Tilia Salix



    Es geht (für mich) nicht darum, Sachwissen aus einem Roman zu beziehen, aber ich finde es nett, das eine oder andere Wissen en passant aufzuschnappen. Und wenn es nur Anekdoten über historische Personen sind.


    Ja. Damit habe ich keine Probleme, abgesehen von dem Problem, das Anekdoten an und für sich darstellen. Sie sind als Pointe zu sehen, nicht als 'Wahrheit'. 99% der sog. historischen Anekdoten sind einfach falsch.
    Aber es sind schöne Geschichten.


    Zitat

    Und ja, auch Interesse an einem Thema lasse ich gerne durch einen Roman in mir wecken. Und natürlich bin ich mir der Fiktionalität eines Romanes bewusst, aber wenn ein Autor seine Geschichte in ein bestimmtes Sachgebiet bettet, und dieses Sachgebiet bestimmend für den Roman ist, ...


    Ich hake hier ein, weil das eines meiner Argumente ist: wenn das Sachgebiet bestimmend für den Roman ist.
    Trotzdem sollte das Sachgebiet hinter dem zurücktreten, was den Roman ausmacht. Sonst habe ich eben Infotainment, einen belebten Lexikonartikel.
    Was will die Autorin denn vermitteln? Das ist doch die Frage.
    Ich habe den Eindruck, daß heutzutage, sprich, seit ca. 10 Jahren, Autorinnen auch im Material ertrinken, Oder sich so in das erworbene Wissen verlieben, daß sie auch ihren Leserinnen ihre Erkenntnisse mitteilen wollen und damit durchaus auch iher Freude an den Erkenntnissen.
    Aber das ist doch nicht Sinn eines Romans.


    Zitat

    quasi dessen Besonderheit darstellt, dann erwarte ich schon, dass sich der Autor Wissen über dieses Theman angeeignet hat, dass über mein Schulwissen hinaus geht. Sprich: wenn Donna W. Cross in ihrem Roman um die Päpstin u.a. die Hexenverfolgung mehrere Jahrhunderte vorverlegt, sich aber gleichzeitig im Nachwort der sorgfältigsten Recherche rühmt, dann ärgert mich das.


    Das ärgert mich auch. Das habe ich angesprochen, als ich gestern weiter oben schrieb. daß die sorgfältig recherchierten Fakten dann eben doch romanhaft zurechtgebogen werden.
    Was ist denn nun wichtig, das ist meine Frage. Der Roman oder die Recherche?
    Das Dumme daran ist, daß ich oft den Eindruck gewinne, daß die Autorinnen für beides gelobt werden wollen, den Roman und die Rechcherche, obwohl die beiden zusammengenommen das jeweils andere verfälschen oder sogar zerstören.
    Sage ich: da ist ein Sachfehler, kommt: ich habe ja einen Roman geschrieben.
    Sage ich: das ist ein Roman, kommt: ich habe aber fachlich recherchiert.



    Zitat

    Oder wenn ein historischer Roman schlecht geschrieben ist und dann noch lauter geschichtliche Fehler drin stecken, ärgert's mich auch. Wenn mich die Geschichte nicht packt, stolpere ich eher über Unstimmigkeiten und bin auch eher geneigt, sie dem Autor um die Ohren zu Hauen.


    Genau dann fallen mir auch die Fehler auf. Es geht mir also genauso wie Dir.
    Je schlechter der Roman ist, desto mehr stören Sachfehler.


    Zitat

    Fiktionalität hin oder her, gewisse Dinge müssen einfach korrekt sein, sonst macht mir das Buch keinen Spaß. Wenn ein Buch in Hamburg spielt, und der Hamburger Hafen plötzlich am Main liegt, dann, ja, dann runzel ich schon die Stirn. Ich mag nicht glauben, dass es dir anders geht.


    Es geht mir anders, weil es anders ist. Weil es, wie Du so richtig schreibst, sich um Fiktionalität handel.
    Wenn die erfundene Geschichte erfordert, daß der Hamburger Hafen siebzig Meilen rechts vom Mond liegt und der Main zur Venus fließt, dann IST das so. Und die Autorin muß sich eben etwas einfallen lassen, mich genau davon zu überzeugen. Das ist ihr Job.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von beowulf
    Ein posttraumatisches Belastungssyndrom hat schon Homer in der Troas beschrieben



    Nein. Homer hat menschliches Leiden beschreiben. Auf eine ganz bestimmte literarische Art.
    Psychiatrische Erkenntnisse, fachlicher oder laienhafter Natur, haben damit nullkommagarnichts zu tun.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Niemand kann sagen, ob heute besser recherchiert wird, denn keiner liest repräsentativ alle Neuerscheinungen. Zweitens muss ein Vergleichszeitraum eindeutig definiert werden. Worüber wir nix wissen, sollten wir schweigen. Doch eins ist klar: Heute ist Recherche viel einfacher als vor 30 Jahren: Mit Google Earth müssen wir nicht mehr reisen und mit Wiki brauchen wir uns nicht mehr durch Archive zu wühlen.

  • Die Ausgangsfrage, ob Autoren früher mehr oder weniger, bessere oder schlechtere Recherche betrieben haben als heute, ist wohl genauso zu beantworten wie jene, ob die Apfelernten früher besser waren: von Fall zu Fall.


    Interessant finde ich die von magali angesprochene Frage, wie viel Recherche in einen Roman einfließen soll, darf, muss. Ich habe mehrere Jahre in Malaysia gelebt, mich in dieser Zeit intensiv mit Geschichte, Sozialstruktur und anderen Aspekten der Gesellschaft auseinandergesetzt. Statt eines Romans hätte ich auch einen Reise- oder Kulturführer über das Land schreiben können. Das wollte ich aber nicht. So begnüge ich mich damit, Informationen zur Landeskunde nur dort anzubringen, wo sie dazu dienen, die Fundamente der Geschichte zu erklären, bzw. sie voranzutreiben. Das war zumindest meine Absicht. In Anbetracht der Tatsache, dass ich ein den meisten Lesern vermutlich unbekanntes Land nicht nur als austauschbaren Hintergrund vorstellen wollte, empfand ich es als eine teilweise recht schwierige Aufgabe, ausreichend zu informieren, ohne den Leser mit für die Geschichte überflüssigem Wissen zu überschütten.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von magali


    Es geht mir anders, weil es anders ist. Weil es, wie Du so richtig schreibst, sich um Fiktionalität handel.
    Wenn die erfundene Geschichte erfordert, daß der Hamburger Hafen siebzig Meilen rechts vom Mond liegt und der Main zur Venus fließt, dann IST das so. Und die Autorin muß sich eben etwas einfallen lassen, mich genau davon zu überzeugen. Das ist ihr Job.


    Und genau daran hapert's dann oft - Fakten werden zurecht gebogen, damit die Geschichte erzählt werden kann, ohne dass überlegt wird, ob es nicht vielleicht sinniger wäre, die Geschichte an diesem Punkt noch einmal zu überdenken. Ich gehe davon aus, dass ich in mehr als 90 % der Fälle nicht bemerke, wenn an den Fakten gedreht wird, damit eine Geschichte stimmig erzählt werden kann. In den restlichen, geschätzten 10% hat der Autor seine Hausaufgaben nicht besonders gut gemacht. Letztendlich ist beides Teil der hohen Kunst: Sachwissen korrekt in einen Roman einfließen zu lassen, ohne das Fiktionale zu überlagern ebenso wie das Anpassen der Fakten an die Erfordernisse der Fiktion.

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Doch eins ist klar: Heute ist Recherche viel einfacher als vor 30 Jahren: Mit Google Earth müssen wir nicht mehr reisen


    Das ist genau der Trugschluss. Selbst für die vergleichsweise seltenen Fälle, wo für einen Ort auf dieser Erde Streetview zur Verfügung steht, kann ich mit Google Earth nur soviel (Pseudo)Authentizität erlangen, wie sie durch einen kleinen Ausschnitt sichtbar wird.


    Stellen wir uns vor, ich wolle einen Regionalkrimi schreiben. Da Rötz in der Oberpfalz mein Sehnsuchtsort ist, nehme ich das als Schauplatz, obwohl ich selbst leider noch nie da hinreisen konnte.


    Bei google sehe ich vielleicht, dass das Rathaus von Rötz blau angestrichen ist und dass davor eine Linde steht. Wenn ich maps ausgiebig studiere, kann ich die ganze Topographie fehlerfrei in meinem Roman nachstellen, also ob es neben der Schule einen Bäcker gibt, wie die Kneipen heißen und ob das Autohaus vor Ort Opel oder VW verkauft.


    Aber wie sollen mir diese Information auch annähernd einen Anhaltspunkt geben, wie es ist, in Rötz zu leben, welche Geschichten sich dort abspielen könnten?


    Den Regionalkrimi würde mir wahrscheinlich jeder um die Ohren hauen. Seltsamerweise juckt es keinen, wenn ich so einen Roman schreibe, der in Puerto Ayacucho spielt

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)


  • Hm also in dem Fall wärs mir dann aber auch lieber ,Autor denkt sich selbst einen Ortsnamen aus, den es gar nicht gibt oder über den so wenig bekannt ist, dass es egal ist wie sie den beschreibt... Da kann der Autor sich doch frei entfalten....

  • Draper, stimmt für Regio, aber weniger für eine Metropole. Wo spielt Literatur? Beim Bauernmädel in der Provinz oder bei der Großkotz-Heuschrecke in der Großstadt?

  • Zitat

    Original von harimau
    Ich habe mehrere Jahre in Malaysia gelebt, mich in dieser Zeit intensiv mit Geschichte, Sozialstruktur und anderen Aspekten der Gesellschaft auseinandergesetzt. Statt eines Romans hätte ich auch einen Reise- oder Kulturführer über das Land schreiben können. Das wollte ich aber nicht. So begnüge ich mich damit, Informationen zur Landeskunde nur dort anzubringen, wo sie dazu dienen, die Fundamente der Geschichte zu erklären, bzw. sie voranzutreiben. Das war zumindest meine Absicht. In Anbetracht der Tatsache, dass ich ein den meisten Lesern vermutlich unbekanntes Land nicht nur als austauschbaren Hintergrund vorstellen wollte, empfand ich es als eine teilweise recht schwierige Aufgabe, ausreichend zu informieren, ohne den Leser mit für die Geschichte überflüssigem Wissen zu überschütten.


    genau diese Art von Roman, in die wirklich erlebtes Hintergrundwissen einfließt, finde ich wirklich gut, aber man findet das eben viel zu selten. Wobei ich schätze, dass das wirklich eine Gratwanderung für den Autor ist, und man bei manchem sich vielleicht gar nicht bewusst ist, was der Durchschnittsleser nun weiß oder nicht.
    Und wenn man etwas mehr Ahnung von einem Land hat, fällt einem als Leser eben auf, ob der Autor wirklich Erfahrung damit hat, oder ob er es sich nur anzulesen versucht hat.


    Ansonsten, was die Hexenverfolgungen und Verbrennungen angeht, das war für mein Gefühl schon immer in Romanen so, dass die zeitlich irgendwohin gelegt wurden, wo sie dem Autor in den Kram passten und nicht notwendigerweise dahin wo sie tatsächlich in der Geschichte verankert sind.

  • Warum schreiben die Autoren nicht einfach über das, was sie kennen?


    Das sind mir persönlich eh die liebsten. John Irving, Philip Roth, Philippe Djian, Charles Bukowski, Leon de Winter etc. Sobald man schreiben will über was, wovon man null Ahnung vorher hat und erstmal groß sich einlesen muss, dann wird es doch eh nichts. Zumindest Grundkenntnisse oder eine vorhandene Leidenschaft fürs Thema sollten doch da sein. Und wenn ich Rom schon seit meiner Kindheit liebe, dann muss ich da nicht groß recherchieren. Bücher, wo jemand über was schreibt, wovon er vorher keine Ahnung hatte und sich auch nie dafür interessiert, die sind mir suspekt. Und ich finde, man merkt es den Büchern dann auch an, dass da jemand nur lieblos recherchiert hat.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Zitat

    Original von beisswenger
    Draper, stimmt für Regio, aber weniger für eine Metropole. Wo spielt Literatur? Beim Bauernmädel in der Provinz oder bei der Großkotz-Heuschrecke in der Großstadt?


    Versteh ich nicht. Oder verstehe ich so: Regio ist selten Literatur (Zustimmung), Metropole schon eher (ähm, Sophie Kinsella ist Finanzjournalistin in London :wow).


    Literatur hängt vom Autor ab, man kann großartige Literatur schreiben, die in der Provinz spielt (etwa Grenzgang von Stephan Thome), oder mittelmäßige über Heuschrecken in London (Kapital von John Lanchaster).


    Ersetze Rötz in der Oberpfalz durch New York, dann kann ich mir angucken, ob das New Yorker Rathaus auch blau ist und ob da eine Linde steht, aber wie es ist, da zu leben und welche Geschchichten sich da zutragen könnten, weiß ich genausowenig.


    Es sei denn, ich habe (und das ist bei New York wahrscheinlicher als bei Rötz) schon viel über meinen Sehnsuchtsort gelesen und gesehen. Damit verarbeite ich aber nur das Zeug, was andere Leute bereits von sich gegeben haben...

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Frettchen
    Warum schreiben die Autoren nicht einfach über das, was sie kennen?


    Weil Menschen sich im Laufe ihres Lebens weiterentwickeln und nicht stehen bleiben,
    weil es Spaß macht, sich neue Gebiete zu erschließen,
    weil sie Lust dazu haben,
    weil sie neugierige Menschen sind,
    weil ...
    Und das nehme ich als Leser gerne in Anspruch.


    Zitat

    Original von Frettchen
    Bücher, wo jemand über was schreibt, wovon er vorher keine Ahnung hatte und sich auch nie dafür interessiert, die sind mir suspekt. Und ich finde, man merkt es den Büchern dann auch an, dass da jemand nur lieblos recherchiert hat.


    Warum sollte jemand über ein Thema schreiben, dass ihn nicht interessiert? Das wäre ja Selbstkasteiung.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin