Und Nietzsche weinte von Irvin D. Yalom

  • So ein schönes Buch! Ich habe Zeile um Zeile genossen und freue mich bereits jetzt auf das nächste mal Lesen, wenn einiges sicher noch deutlicher klar wird bzw. sich in meinem Gehirn verankert. Bei manchen Gedankengängen wird mir im Moment noch schwindlig.
    Und auch Nietzsche, den ich bisher eher gar nicht verstanden habe, wurde mir ein Spürchen sympathischer.

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • Hallo!


    Ich fand das Buch ganz großartig, es hat mich zutiefst aufgewühlt.


    Alleine für die Idee gehört Yalom eine Auszeichnung! Reale Personen, die einander nie begegnet sind in dieser Konstellation auftreten zu lassen und diese Begegnung so wirklichkeitsnah und unkonstruiert zu schildern, das hat schon was


    Dr. Breuer und Nietzsche sind sind nach außen hin extrem wesensverschiedene Personen. Dr. Breuer der erfolgreiche, in höchsten Kreisen angesehene Arzt mit Herzeige-Familie, begütert, könnte ein sorgenfreies Leben leben und ist doch unzufrieden. Im Gegensatz dazu Friedrich Nietzsche, absoluter Einzelgänger, geprägt von Rastlosigkeit und Todessehnsucht.


    Die Anfänge der Psychiatrie werden ebenso beleuchtet wie die Deutung und Bedeutung von Träumen und nicht zuletzt bekam ich einen guten Zugang zu Nietzsches Philosophie.


    Außerdem ist dieser Roman brilliant geschrieben. Nach einem doch eher langatmigen Einstieg wird man von der Geschichte gefesselt, die Vorzeichen vertauschen sich, alles spitzt sich zu ..... und das Ende ist einfach schön.



    Ein ganz wunderbares Buch, voller Lebensbejahung, voller Weisheit, frei unter dem Motto:


    Werde, der du bist und liebe das Leben

  • Ich habe mal eine Frage: Kommt in diesem Buch auch Malwida von Meysenbug vor? Sie ist eine enge Freundin Nietzsches und auch eine Freundin von Lou Salome gewesen - da ich mich intensivst mit MvM beschäftige, würde mich auch dies Buch interessieren und es würde in der Prioritätenliste nach oben rutschen, wenn Malwida dort erwähnt wird... :-)


    Bianca

  • Hallo Bianca,


    ich kann mich an keine Malwida von Meysenbug in diesem Buch erinnern. :gruebel


    Wenn ich mich recht entsinne, war Lou Salome zumindest in diesem Buch auch die erste große Liebe von Nietzsche.


    An enge weibliche Freundinnen Nietzsches vermag ich mich nicht zu erinnern.


    Trotzdem ist das Buch sehr lesenswert. ;-)


    Lieben Gruß,


    die Fride. :wave

  • Dieses Buch gehört dieser speziellen Gattung von Schriftstücken an, die einen Seite für Seite darüber staunen lassen, was doch ein paar aneinander gereihte Buchstaben und Zeichen bewirken können. Zu Ende der Lektüre hat man als Leser zu weinen, schon allein aufgrund der Tatsache, dass man Professor Nietsche, seinen Doktor und den jungen Freud, nie wieder auf eine diese Weise wird interagieren hören.

    Man muß noch Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern gebären zu können.


    - Nietzsche -

  • Ich habe dieses Buch vor ziemlich langer Zeit gelesen, aber die Eindrücke, die es bei mir hinterlassen hat, wirken bis heute nach.
    Selten habe ich einen Roman gelesen, der derart intensiv und psychologisch-philosophisch, gleichzeitig aber unterhaltsam und fesselnd war.
    In wunderschöner, melodischer Sprache und mit feinen Pinselstrichen malt Yalom ein farbenprächtiges, lebendiges Romanporträt, in dessen Zentrum die Figur Nietzsche steht.
    Die liebevolle, distanzierte Haltung, die Yalom seinen Figuren gegenüber einnimmt, die tiefen, gehaltvollen Dialoge und eine Auflösung, die bei mir einen dicken Kloß im Hals verursacht hat, machen "Und Nietzsche weinte" zu einem Buch, das immer einen besonderen Platz in meinem Gedächtnis und meinem Bücherregal einnehmen wird und das ich mit Sicherheit wieder einmal lesen werde.


    10 Punkte!


    Edit: Rechtschreibung & Formatierung.

    Man muss ins Gelingen verliebt sein,
    nicht ins Scheitern.
    Ernst Bloch

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  • >>Menschliches, allzu Menschliches...<<


    Philosophie und Fiktion ergibt: Irvin D. Yaloms "Und Nietzsche weinte"




    Friedrich Wilhelm Nietzsche, Philosoph, Misanthrop, Verächter des weiblichen Geschlechtes.


    Aphorismen wie „Der Mann macht sich das Bild des Weibes, und das Weib bildet sich nach diesem Bilde“ [1] sowie „Hoffnung ist das Übel allen Übels“[2] werden referiert, wiedergekäut, um nur noch ein Abziehbild darzustellen. Abziehbild von einer Philosophie, die durch das dritte Reich und nicht zuletzt durch seine Schwester oftmals einer Fehlinterpretation aufgesessen ist. Nur wenige beschäftigen sich mit dem Hintergrund seiner Werke, bezeichnen ihn ohne jemals in die Komplexität seiner Werke eingetaucht zu sein, als Anti-Feministen, der dem weiblichen Geschlecht sprichwörtlich die Pest an den Hals wünscht. Als Anti-Christen, der in christlicher Nächstenliebe und Toleranz das eigentliche Böse erkannte. Als Anti-Utilitaristen, der Altruismus und Sozialismus als „pöbelhafte Instinkte und Nativitäten“[3].


    “Mein wahres Selbst muss ich verbergen, denn hat viele verabscheuungswürdige Seiten.“*


    Doch, wer war Nietzsche? Die Negativität des Bildes bzw. die starke Idealisierung seiner Persönlichkeit kann für mich kein ausreichendes Charakteristikum seiner Figur sein. Kein Mensch ist „nur“ gut und „nur“ schlecht. Dieser Meinung schließt sich der amerikanische emeritierte Professor für Psychiatrie der Univertät Stanford in seinem 1992 erschienen Roman „Und Nietzsche weinte“ an.


    “Man muss noch Chaos um sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären.“*


    Im Milieu des Wiener Fin de siècle im Jahr 1882 trifft der an Migräne erkrankte Nietzsche auf Dr. Josef Breuer, späterer Mitbegründer der Psychoanalyse (außerdem Internist und Physiologe), allerdings nicht aus eigenen Stücken. Eine Intrige, eingeleitet durch die spätere Schriftstellerin, Essayistin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé, bringt den im mittleren Alter sich befindenden Philologen und Philosophen Nietzsche mit dem Arzt Breuer zusammen. Zunächst haben sie ein sehr distanziertes Verhältnis; später entwickeln sie ein spielerisches, fast auf Konkurrenz basierendes Verhältnis. Wie in einem Schachspiel schlagen sie Bauern (Argumente), weichen aus, gehen in die Offen- oder Defensive. Nietzsche gewinnt, sein ganzes Genie auslebend. Bis Breuer ihn ein Angebot macht – Nietzsche soll ihm aus seiner Verzweiflung erretten, ihn von seiner Obsession gegenüber Anna O. alias Bertha Pappenheimer befreien. Und Nietzsche? Breuer will ihm von seiner Migräne kurieren, an ihm neue Behandlungsmöglichkeiten ausprobieren.
    Ihr Verhältnis wandelt sich wiederum, vom Patienten zum Patienten; anfangs ist es nur ein Spiel, gedacht um Nietzsche aus seinem Versteck zu locken, um ihn das ‚Geständnis‘ seiner Melancholie zu entlocken. Und doch bleibt die Frage des Verhältnisses. Die Frage auch danach, wer an Melancholie, an Depressionen, an Problemen in seinem Leben leidet. . .


    “Er möchte meinen Weg entdecken und ihn selber gehen. Noch versteht er nicht, dass es meinen und deinen Weg gibt, aber nicht DEN Weg.“*


    Yalom lässt zwei Menschen aufeinander treffen, die von ihren Emotionen und Glaubensansätzen und Haltungen gegenüber dem Leben unterschiedlicher nicht sein können. Breuer, zwar jüdischer aber nicht orthodoxer Idealist, versus Nietzsche, aufgewachsen als Sohn eines lutherischen Pastoren und Religionspessimisten.
    Breuer will als Arzt dem Patienten Hoffnung schenken, ihn vor der Wahrheit des Todes bewahren. Nietzsche verneint die Hoffnung als „Das Übel aller Übel“ und spricht vom Recht des Patienten auf „seinen Tod“.
    Breuer sieht in seiner „Rede-Kur“ eine gute Methodenbasis, um den Philosophen über Privates und Emotionales zur Lösung seiner Migräne zu veranlassen. Nietzsche empfindet diesen Eingriff in seine Privatsphäre als Versuch Breuers mit „ihm gemeinsamen bei den Schweinen im Schlamm zu wühlen“.


    In diesem gänzlich fiktiven, dialogisch angelegten Roman werden nicht nur Personen, auch Lebensperspektiven, Philosophien, Denkansätze gegenüber gestellt in einer anspruchsvollen, mit vielen redundant erläuterten Details ausgestatten sprachlichen Stil. Porträtiert werden nicht nur Nietzsche und Breuer, auch andere Größen dieser Zeit wie den Protegé und Schüler Breuers Sigmund Freud und Richard Wagner. Fast wie in einem Drama tauchen diese Figuren kurz auf und haben nur eine Funktion, nämlich das Spiel und die Intrige in ihrer Gesamtheit darzustellen, den Verrat fast allmählich als Folge mehrerer Akte gegen Nietzsche zu führen, den Verrat Breuers als unumgänglich zu zeigen aufgrund von Nietzsches Gefühlsleiden.
    Das Ende ist auch nicht als so positiv zu sehen, wie viele es empfinden. Für Breuer mag ein Neuanfang möglich sein, doch ist er das auch für Nietzsche? Und wenn ja, mit welchem Preis?


    Yalom gelingt das, was vielen anderen Romanen fehlt: Ein gelungener Spagat zwischen Fakten und Fiktion. Man lauscht gespannt den Ideen Nietzsches, man lauscht aber genauso, wenn Breuer seine Träume schildert oder aber ein Gespräch konsequent wieder gegeben wird. Filigran und unaufdringlich werden Aphorismen eingebaut. Kleine humoristische Einlagen lassen sich ebenso finden, wie ein schönes Gemälde des Wiens um 1882, fast am Übergang zur Jahrhundertwende.


    „Stehen nicht auch sie hilflos da und betrauern das Leben, das Sie nie gelebt haben?“*


    Und noch etwas kann man diesem Roman positiv anrechnen: Man lernt etwas über sich selbst. Meiner einer hat sehr lange über den dargebrachten Altruismus und Sozialismus nachdenken müssen, genauso wie über die Idee nicht vom Leben gelebt zu werden, sondern sich selbst Befehle zu geben, um sein Leben selbst zu leben. Ein schönes, nachdenklicher machender Gedanke.
    Ein schönes, nachdenklich machendes Buch ebenso. Man sollte dieses Buch zuklappen und sich folgenden Satz zu Herzen nehmen, den er bildet die Quintessenz von allem: „Werde, der du bist, und liebe das Leben“





    [1] Aphorismen-Sammlung
    [2] Ebenda
    [3] Informationen über die Philosophie Nietzsches in Kurzform
    [*]Irvin D.Yalom: Und Nietzsche weinte. Roman, Verlagsgruppe Random House, 1.Wiederauflage, 2008

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

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  • Obwohl ich Nietzsche sehr mag und deswegen auch das Buch gelesen habe, hat es mir nicht gefallen.
    Aber ich glaube, ich war damals zu unkonzentriert und habe gleich geahnt, dass es nicht die richtige Zeit für diese Lektüre war.
    Jetzt habt Ihr mich mit Eurer Begeisterung angesteckt, und ich werde es, hoffentlich mit mehr Gewinn, noch einmal lesen.


    Liebe Grüße, Sylli

  • So schön kann die Psychoanalyse sein; Dr. Breuer, S. Freud, Salome, Nietzsche, vereint in einem Buch; einfach Weltklassen-Literatur.

    "Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören." Hermann Hesse

  • Ich habe es bisher nur angefangen und nicht durchbekommen, weil ich es nur ausgeliehen hatte und wieder abgeben musste. Aber es hat mir sehr gefallen und ich werde es bei Gelegenheit auf jeden Fall nochmal holen und dann auch durchlesen. (;

  • Ich kann nicht mehr viel hinzufügen.


    Ich wollte mir Zeit nehmen und habe es trotzdem verschlungen. Es hat mich vom ersten Satz an mitgerissen und mich sehr überzeugt. Vor allem die unterschiedlichen starken Charaktere werden sehr schön deutlich.
    Die Philosophie Nietzsches wird sehr gut dargestellt und ich habe das Gefühl, sehr viel gelernt zu haben.
    Das Ende - eine sehr gute Mischung aus Sad- und Happy-End - hat mich zum Weinen gebracht.


    Wenn man sich genug Zeit lässt, ist dieses Buch ein wahrer Genuss und bietet sich an, es ein zweites Mal zu lesen.

  • Zur Info: Im Rahmen der Wiener Buchaktion "Eine Stadt - Ein Buch" werden vom 12. bis 16. November 100.000 kostenlose Exemplare des Romans " Und Nietzsche weinte " verteilt. Der US-Schriftsteller Irvin D. Yalom wird persönlich am 12./13. nach Wien kommen. Weitere Infos siehe Internet.

    "Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören." Hermann Hesse

  • Nach gut vierzig Seiten überlege ich bereits, den Roman abzubrechen.
    Mit Sicherheit ist die Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit höchst aufschlussreich und nicht unintelligent erzählt.
    Dennoch stören mich die gestelzte Sprache und der Eindruck, von Altmännerfantasien lesen zu müssen. Breuer schwärmt unentwegt von seiner Patientin Bertha Pappenheim, die für ihn unerreichbar bleibt und ihn in Konflikt zu seinem Berufsethos setzt.
    Im Hinblick auf die Redekur zwischen Breuer und Nietzsche und dem heutigen Besuch des Films "Eine dunkle Begierde", der mich nicht euphorisch aus dem Kino gehen lassen hat, ahne ich bereits, was mich im weiteren Verlauf des Buches erwarten wird.

  • Zitat

    Salonlöwin
    Dennoch stören mich die gestelzte Sprache und der Eindruck, von Altmännerfantasien lesen zu müssen. Breuer schwärmt unentwegt von seiner Patientin Bertha Pappenheim, die für ihn unerreichbar bleibt und ihn in Konflikt zu seinem Berufsethos setzt.


    Salonlöwin
    Ich bin in der TB-Ausgabe (Gratisbuchaktion der Stadt Wien) gar nur bis auf S. 30 gekommen. Solange war ich in den Öffis unterwegs. Und ich habe mir genau das gleiche gedacht wie Du... Als ich hier im Thread diese zahllosen euphorischen Kommentare las, dachte ich, dass ich halt "nicht so" sein solle.
    Aber wenn man den Faden weiterspinnt... Arme Bertha :unschuld (alias Anna O.)! Das wird wohl eine lange "Redekur" geworden sein. Mir graust!
    Also ich habe genug mitgekriegt. Das Buch wandert wieder retour in die Rückgabeklappte der Leihbibliothek.


    Noch eine kleine Andekdote über Sigmund Freud: In einem Radiointerview sagte seine Enkelin, dass ihn seine Zahnprothese immer so gedrückt hätte, dass er beim Reden immer einen Finger auf dem oberen, künstlichen Gaumen behielt.