Adressat unbekannt - Kressmann Taylor

  • Zitat

    Original von Batcat
    Ich war übrigens SO begeistert von dem Buch, daß ich mir auch das andere von Kressmann Taylor mit ähnlicher Thematik zugelegt (vergriffen, aber mit viel Glück bei Amazon Marketplace gebunden und noch eingeschweißt für ca. 6 EUR bekommen *freu*) habe.


    Da wäre ich sehr an einer Rezi interessiert !! :wave

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Ich bin jetzt schon fertig, war ja ganz dünn.


    Mir hat es sehr gut gefallen. Wir behandeln das Thema zur Zeit auch wieder im Unterricht und deshalb ist das für mich grade ziemlich aktuell.
    Besonders gut gefiel mir der rachegedanke, der Max beherrscht hat. Es war ja keinesfalls normal, dass sich Juden gerächt haben, wie ja auch im Vorwort von Elke Heidenreich noch mal erwähnt wird. Gerade deshalb fand ich es sehr ansprechend, dass Max sich an Martin gerächt hat.
    Es war wirklich eine krasse Kehrtwendung, erst diese innige Freundschaft und dann der abgrundtiefe Hass. Und das alles auf 50 Seiten... :wow

  • Das Buch hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich schließe mich hier allen an, die den kleinen Brefroman empfehlen! Er umspannt die Zeit von November 1932 - März 1934. Die beiden Freunde und Geschäftspartner Martin Schulse und Max Eisenstein stehen miteinander im Briefkontakt, nachdem Martin aus San Francisco nach München zurückkehrt.


    Aus den ersten Briefen wird deutlich, wie sehr die beiden einander verbunden sind: sie vertrauen sich ihre Geheimnisse an, herzen sich und sprechen ehrlich miteinander.
    Im März 1933 äußert Martin noch Zweifel an Hitler, erfreut sich aber auch der Aussicht, dass Deutschlands "Geschichte auf ein weißes, neues Blatt geschrieben" werden wird. Er verfällt dem "hysterischen Befreiungsrausch", tritt in die Partei ein, macht Karriere in einem Regierungsposten und verkehrt mit dem Landadel. Ihm geht es gut. Doch mit welchen Folgen und auf wessen Kosten?


    Innerhalb kürzester Zeit verfällt Martin der Propaganda. Er saugt sie förmlich auf und begegnet seinem ehemaligem Freund kalt und herzlos. Als er sagt, dass "wir [...] das bittere Brot der Scham und die dünne Suppe der Armut gegessen" haben, wird klar, dass er seine ehemaligen Ideale durch die Verführungen der Zeit ausgetauscht hat. Er identifiziert sich mit einem Lebensstil, den er nie kennengelernt hat.


    Mehr mag ich an dieser Stelle nicht verraten, denn das was folgt, ist voller Emotionen! Ich möchte nicht zuviel verraten.


    Zum Buch (dem Nachwort entnommene Informationen):
    "Adressat unbekannt" von Katherine Kressmann Taylor erschien erstmals 1938 in der Zeitschrift "Story". Innerhalb von zehn Tagen war die gesamte Auflage vergriffen. 1939 wurde der Briefroman bei Simon / Schuster als Buch herausgegeben.


    1992 druckte "Story" die Geschichte erneut ab und erzeugte dadurch eine große Resonanz.


    Meine Meinung:


    Eigentlich mag ich so kurze Bücher nicht, weil ich meist dann mit den Personen warm geworden bin, wenn das Ende vor mir steht. Aber hier ist nicht ein Wort zu wenig und zu viel verwandt worden.


    Die Pointe, sofern man davon sprechen kann, jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.


    Besonders bitter wird wohl jedem aufgestoßen der folgende Satz aufgestoßen sein:


    Zitat

    "Dem Himmel sei dank, dass er [Hitler] ein wahrer Führer ist und nicht ein Engel des Todes."


    Absolut empfehlenswertes Büchlein mit brisanter und schockierender Handlung! Es ist zwar schnell gelesen, aber der Effekt hallt nach!

  • Danke für diesen Thread.


    Habe mich damit mal wieder an das Buch erinnert, daß ich ungefähr vor 5 Jahren mal gekauft und auch gelesen habe.
    Es hat mich damals sehr beeindruckt.
    Ich finde es sogar gut, daß es so ein 'dünner' Band ist. Nicht, weil man es dann schnell durchhat, sondern weil hunderte von Briefen hin und zurück auch irgendwie unrealistisch gewesen wäre.
    So bleibt es sehr dicht und unglaublich dramatisch. Wie die Freundschaft durch braunes Gedankengut vergiftet wird, ist eindringlich und regt zum Nachdenken an.
    Ich denke, man sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre in der Schule machen. Ich glaube, das hätte mich als 14/15jährige mehr beeindruckt, als trockene Schulbücher mit Berichten aus der Zeit.

  • Zitat


    Original von BronteSister
    Ich denke, man sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre in der Schule machen. Ich glaube, das hätte mich als 14/15jährige mehr beeindruckt, als trockene Schulbücher mit Berichten aus der Zeit.


    Genau das habe ich nach dem Lesen auch gedacht!
    Und vor allem ist es auch für diejenigen, die nicht so gerne lesen, so eine große Hürde, weil es so schmal ist. Und der Inhalt wird jedem ohne viele Worte verständlich.

  • (Katherine) Kressmann Taylor hat "Adress unknown" 1938 erstmals als Fortsetzungsgeschichte im Magazin "Story" veröffentlicht, deren Auflage innerhalb von zehn Tagen ausverkauft war. 1939 veröffentlichte der Verlag Simon and Schuster das "Büchlein" (Ingrid Müller-Münch in der Frankfurter Rundschau, 2001) als vollständige Ausgabe. Und doch dürfte jedem auffallen, auch nachdem das Buch erst 1992 wieder entdeckt und gedruckt wurde, dass der Name Kressmann Taylor nicht Programm ist in der amerikanischen Literaturgeschichte; sie wird in keinem der Fachbücher zur amerikanischen Literaturgeschichte jemals erwähnt und so bleibt die Autorin selbst, über die nicht mehr bekannt ist als dass sie verheiratet (war/ist) und drei Kinder hat(te) sowie in den USA lebt(e) und als Werbetexterin gearbeitet hat, auch im Dunkeln.


    Die Geschichte des Briefromans lässt sich kurz zusammenfassen: Max Eisenstein und Martin Schulse sind Geschäftspartner und Freunde. In San Francisco haben sie eine gemeinsame Kunstgalerie aufgebaut; jedoch zieht Martin mit seiner Frau Elsa und den Kindern zurück nach Deutschland Anfangs schreiben sie sich noch sehr intime, zart-verbundene Zeilen wie "Wir werden auf dich, den lieben Onkel Max trinken und an dich denken!" bis Max, ein Jude, eine deutliche antisemitische Stimmung in Deutschland mitbekommt - Nicht durch Berichte von Freunden sondern auch in den Briefen von Martin. Zuerst zweifelt Martin selbst noch an dieser Regierung, bezeichnet Hitler dennoch als "guten Schock für Deutschland", den es nötig hat um "zu erwachen". Er konstatiert: "Dem Himmel sei dank, dass er [Hitler] ein wahrer Führer ist und nicht ein Engel des Todes."
    Martin scheint eingenommen von dem neuen System, dass einer Familie, vor allem seinen Söhnen, einen Aufstieg beschert; sie werden regelmäßig von einem Baron besucht, sein Sohn ist einer der "Besten" im Jungvolk und selbst seine Frau Elsa, wieder einmal mit einem Kind schwanger, schwärmt "von dem neuen Führer, den sie so verehrt".
    Er äußert seine Überzeugung gegenüber Max, der ihn "so oder so nicht verstehe, weil er nur an die Ungerechtigkeit gegenüber seines Volkes denkt"; kurzum: Er bittet ihn ihn nicht mehr zu schreiben und verweigert sogar die Hilfe der Schwester von Max' als sie von SA-Schergen verfolgt um hilfesuchend vor seiner Tür steht.
    Von da an beginnt die Pointe, beginnt die Rache des "Juden Max" an seinem ehemaligen Freund...


    Dieses Buch ist nur 64 Seiten lang und besteht aus 19 Briefen und einem Telegramm; die Länge ist nicht wichtig, der Inhalt ist es und der hat es in sich. Kressmann Taylor weiß, wie sie die Sprache einsetzen muss, damit man zwar erst langsam, aber dann in all seiner Heftigkeit die Umkehrung von Martin bemerkt. Werden anfangs noch die Briefe mit "Mein lieber Freund Max" begonnen, so starten sie schluss endlich mit "Heil Hitler!". Kein Wort ist zuviel, kein Wort zu wenig. Der Leser wird mit der Pointe fast erschlagen; mir blieb der Mund offen stehen, ich hatte glänzende Augen. Warum? Weil ich mir folgendes dachte: Endlich! Endlich gibt es einen Menschen, einen Protagonisten, der nicht sein Haupt senkt und von einer Freundschaft Abschied nimmt. Er nimmt keine Freundschaftskündigung hin, er reißt seinen ehemaligen Freund ins Verderben. Und ich muss sagen: Endlich ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit.


    Fazit: Ein sehr bedrückendes, nachdenklich machendes Stück Literatur und Zeitdokument; auch, wenn es nur 64 Seiten hat - Sie werden einen erschlagen und aufrütteln.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Meine Tochter bespricht dieses Buch gerade im Deutschunterricht. Allerdings hat der Lehrer bei allen Büchern das Vorwort von Elke Heidenreich zugeklebt, damit die Schüler es nicht zuerst lesen. ;-)


    Interessehalber habe ich mir dieses Büchlein auch vorgeknöpft.


    Es ist ein kleines, leises Buch mit großer Wirkung. Es ist schon erstaunlich, wie man so viel Geschichte in so wenige Seiten packen kann. Das überraschende Ende läßt einen sprachlos uns sehr nachdenklich zurück.


    Ein kleines Zeitdokument, das unglaublich viel zu sagen hat. Tolle Lektüre!




    Edit: Es ist auch unglaublich, wie viele Schreibfehler man in so wenige Worte packen kann :lache

    Liebe Grüße


    ricki :wave


    - Das verlorene Smybol - Dan Brown

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  • 62 Seiten. 18 Briefe. 1 Telegramm. Von 1932 bis 1934.
    Vom Umfang her eher eine Kurzgeschichte, ist es ein zwar kleiner Roman, der jedoch mit einem bitterbösen Ende aufwartet. Zwar habe ich mich gefragt, ob die Zustände im Jahr 1934 tatsächlich schon so schlimm waren (ich dachte immer, das sei erst später der Fall gewesen), aber es ist eine eindringliche Geschichte. Auf wenigen Seiten wird eine Entwicklung dargestellt, die berührt. Diese Geschichte, die mit so wenigen Seiten auskommt, verfolgt den Leser länger als so manch anderer, wesentlich umfangreicher Roman.


    Wichtig ist aber - wie hier auch schon erwähnt -, das Vorwort Elke Heidenreichs unbedingt erst am Schluß zu lesen!

    liebe Grüße
    Nell


    Ich bin zu alt um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein (Goethe)

  • Ein beeindruckendes und wichtiges Büchlein. Das Besondere ist vor allem die Verarbeitung der Mitläuferschaft-Thematik. Sätze, wie "Deutschland folgt seinem Führer in den Triumph" oder "…aber du weißt, daß ich mit aller Aufrichtigkeit spreche, wenn ich sage, daß ich dir nicht wegen, sondern trotz deiner Rasse gewogen bin." aus den Briefen des Deutschen an seinen jüdischen Freund in Amerika lösen ein Schaudern aus, war er doch kurz zuvor noch der beste Freund, dem es in keiner Weise auf die religiöse Gesinnung seines guten Freundes ankam.
    Auf wenigen Seiten, in wenigen Briefen und anhand zweier Personen hat Kressman Taylor zusammengefasst, was die Machtergreifung Hitlers und dessen Propaganda in den Köpfen vieler Menschen in kurzer Zeit ausgelöst haben.
    Was mir allerdings an dieser Geschichte fehlt, sind Hintergründe. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass ein Mann, dem es augenscheinlich gut ging in Amerika, ohne Angabe weiterer Gründe und zu einer sehr katastrophalen Zeit zurück nach Deutschland kehrte. Weiterhin galt er in Deutschland in Folge als wohlhabend. Warum also empfing er dann, offensichtlich ohne seine bisherigen Erfahrungen hinzuzuziehen, diese dramatische politische Entwicklung mit offenen Armen? Ein bisschen mehr Verstand und Weitsicht hätte man dieser Figur schon mitgeben können. Gerade weil er aus einer völlig anderen Lebenssituation heraus kam, die ihn von den Leiden der schlechten wirtschaftlichen Lage Deutschlands verschont ließ. Auch in kultureller Hinsicht dürfte er zumindest im Ansatz einen kritischeren und weitaus toleranteren Blickwinkel gehabt haben dürfen.

  • „Adressat unbekannt", erstmals 1938 im New Yorker "Story Magazine" veröffentlicht, ist ein literarisches Meisterwerk von beklemmender Aktualität. Gestaltet als Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem amerikanischen Juden in den Jahren 1933/34, zeichnet dieser kurze Roman in bewegender Schlichtheit die dramatische Entwicklung einer Freundschaft. Der Text wurde 1938 als Fortsetzung in einer Zeitschrift veröffentlicht, geriet dann über sechzig Jahre lang in Vergessenheit. Eine Geschichte mit Konflikt, Verrat und Rache.
    Ausgezeichnet konstruiert und interessant zu lesen. Ein schmales Büchlein von kaum 50 Seiten, das man schnell gelesen hat, doch es wirkt nach. Als unkommentierter Briefwechsel abgefasst, zusammengesetzt aus 19 fiktiven Briefen, zieht das Buch den Leser schnell in seinen Bann. Sicher auch als Schullektüre geeignet.


    Leider nimmt das Vorwort von Elke Heidenreich die Pointe des Buches vorweg. Besser nicht vor dem Haupttext lesen!!! Dies stellte ich fest und „zwang“ dann meinen Vater es auch zu lesen, leider vergaß ich ihm den Vorwort-nicht-zuerst-lesen-Rat zu geben.


    Ich habe das Buch vor über einem Jahr gelesen und doch laufen mir wenn ich an den folgenreichen Inhalt des schmalen Buches denke, Schauer über den Rücken. Ein wichtiges Buch, welches möglichst viele Menschen lesen sollten. Ein wirklich beeindruckendes nachdenkliches Buch.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Was soll man zu diesem Buch nur sagen? Man ist gefangen genommen, ergriffen von diesen Briefen, man geht durch ein Wechselbad der Gefühle – so erging es mir.
    Was sagt man nur? Eine Freundschaft, die an den Zeitläufen zerbricht, genauer gesagt wegen der Zeitläufe? Die Geschichte einer perfekten Rache? Oder wäre es nicht so besser: Ein kleines Meisterwerk, gerade einmal 50 Seiten umfassend.


    18 Briefe, ein Telegramm: Zwei Lebensläufe, zwei Männer, die einerander vertrauten und durch Freundchaft verbunden waren, einer Liebhaber wohl für kurze Zeit der Schwester des anderen, zwei Wege, die immer stärker voneinander wegdrifteten, weil der eine sich den Gegebenheiten anschloss, anschließen wollte. Einer ist Jude, einer ist immer stolzer darauf, Deutscher zu sein, Arier, so wie es verlangt wurde. Einer blieb der, der er war, integer erscheint er mir, Mitinhaber einer Galerie wie der andere auch, der sich allerdings den Parolen der Nationalsozialisten nicht verschließt, im Gegenteil, er macht sie sich zu eigen, macht mit, läuft mit. Da bittet einer um Hilfe für die Schwester, da verweigert sie ein anderer, macht sich (mit)schuldig. Einer appelliert an den Freund, einer kündigt die Freundschaft auf. Einer schreibt Briefe, in den Verzweiflung und Bitterkeit durchschimmert, ein anderer schreibt ebenfalls mit zunehmender Verzweiflung, allerdings aus völlig anderen Gründen, denn Geschäfte mit Juden, Freundschaft mit Juden, das wurde zunehmend zu einem nicht mehr tolerierten Verhalten.


    18 Briefe, ein Telegramm: Vom 12. November 1932 bis zum 03. März 1934 datieren sie. Bewunderungswürdig erscheint mir, mit welcher Knappheit, mit wie wenigen Worten und Seiten es Kressmann Taylor versteht, eine Geschichte, ein Drama zu entwickeln, ganz dicht an die historischen Gegebenheiten gelehnt. Sicherlich ahnt man, welchen Ausgang das Ganze nehmen wird, doch tut das der Spannung keinen Abbruch. Mir erscheint dieses schmale Büchlein schlicht auf den Punkt gebracht, egal ob man nun die Charaktere nimmt oder das, was die zeitlichen Umstände hergaben und verlangten. Es geht gar nicht darum, ob der eine nun gut und der andere dagegen böse wäre. Es geht um Leben und Überleben, um Humanität und Aufkündigung jeglicher Humanität. Es geht um Rache, weil Recht verweigert wird, Gerechtigkeit nicht erlangt werden kann.


    Fast atemberaubend, wie wenige Zeilen der Autorin genügen, um die Entwicklung des nach Deutschland zurückgekehrten Martin Schulse aufzuzeigen, der innerhalb kürzester Zeit zu einem Mitläufer wurde, dessen Briefe immer mehr verletzen, immer mehr abstoßen. Die Entwicklung von Max ist nicht minder fesselnd, mit welcher fast ans Perfide grenzenden, aus der Verzweiflung geborenen Art und Weise er seine Rache betreibt, macht fast sprachlos.


    Das einschließlich der beiden Nachworte von Lois Rosenthal und Elke Heidenreich gerade einmal 64 Seiten starke Buch ist sehr schnell durchgelesen, seine Nachwirkung allerdings ist in meinem Fall immens. Vielleicht verschwendet man noch den einen oder anderen Gedanken an das Ungesagte: War da beispielsweise keine Trauer um die zerbrochene Freundschaft? Aber die Reduzierung auf das Wesentliche, auf zwei Pole macht das Buch zu einem großartigen Kammerspiel.

  • Adressart unbekannt - Kressmann Taylor


    Mein Eindruck:
    Endlich habe ich diesen kleinen Klassiker, der bei den Büchereulen so empfohlen wurde, auch gelesen.


    Der kurze Briefwechsel ist wirklich gut gemacht und glaubhaft. Es bewegt auch deswegen, weil es wirklich aus dieser Zeit stammt und 1938 erschien.
    Ich musste ein wenig an die Schreibe von Hans Keilson denken.
    Bei aller kürze sind in dieser Erzählung doch einige Sätze von bemerkenswerter Klarheit enthalten.
    Die Brief”freunde” der Erzählung sind sowohl glaubwürdig und individuell gestaltet als auch exemplarisch. Deswegen funktioniert die Geschichte so gut!


    Die damaligen Proteste der Eulen u.a. gegen das zu viel verratene Vorwort von Elke Heidenreich haben anscheinend Erfolg gehabt, denn in der 7 Auflage (Ausgabe von 2014) ist das ehemalige Vorwort ein Nachwort und das ist auch gut so.

  • Ein unglaublich dichter, genial komponierter Briefroman, der innerhalb weniger Zeilen so vieles zeigt, was andere Romane auf hunderten von Seiten nicht schaffen. Das Zerbrechen einer Freundschaft, wie aus einem Deutschen ein Arier, ein Nazi wird, wie die Stimmung in Deutschland sich wandelt, was an Hitler faszinierend war (aus Sicht des Protagonisten), wie aus Verletzung Rache wird...

    Ein kleiner Band, der mich sehr berührt und bewegt hat, und den ich sofort meinen Kindern in die Hand gedrückt habe. Dieses Buch darf nicht in Vergessenheit geraten.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Was mir allerdings an dieser Geschichte fehlt, sind Hintergründe. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass ein Mann, dem es augenscheinlich gut ging in Amerika, ohne Angabe weiterer Gründe und zu einer sehr katastrophalen Zeit zurück nach Deutschland kehrte. Weiterhin galt er in Deutschland in Folge als wohlhabend. Warum also empfing er dann, offensichtlich ohne seine bisherigen Erfahrungen hinzuzuziehen, diese dramatische politische Entwicklung mit offenen Armen?

    (...)

    Auch in kultureller Hinsicht dürfte er zumindest im Ansatz einen kritischeren und weitaus toleranteren Blickwinkel gehabt haben dürfen.

    Das ist genau das, was mich an dem Buch auch etwas gestört hat. Martins Motivation sowohl für den Umzug nach Deutschland als auch für seine Wandlung zum kaltherzigen Anhänger des Nationalsozialismus bleibt im Dunklen. Es geht im ja schon vor der Machtübernahme Hitlers sehr gut bzw. sogar deutlich besser als den meisten seiner neuen Landsleute.


    Abgesehen davon hat mir das Buch sehr gut gefallen, besonders die etwas altmodische und kultivierte Sprache.