'Es war einmal Aleppo' - Seiten 001 - 101

  • Danke, Mulle. Auf dem kleinen Smartphone-Bildschirm habe ich das nicht gesehen :wave


    Ich bin schon ziemlich über das erste Leseziel (Kapitel 15) hinausgeschossen, weil die Geschichte mich so fesselt. Ich hatte vor Monaten auf Facebook Mulles Berichte über ihre Erfahrungen und Erlebnisse gelesen und so sind einige Details, die sie beschreibt, nicht mehr neu für mich. Sie allerdings in Zusammenhang mit der Geschichte um die sechszehnjährige Toni zu lesen, lockert das Ganze für mich sehr auf. Ich bin nicht nur betroffen und traurig, sondern gespannt, wie sich die Geschichte entwickeln wird.
    Mulle gibt den zu Beginn eigentlich ganz sympathsich wirkenden Familienmitgliedern verschiedene Stimmen, die ihre individuellen Bedenken und Ängste unzensiert äußern und damit sehr realistisch wirken.


    Ich persönlich fühle mich immer in einer Zwickmühle, wenn ich Bekannte, Freunde, Familie die ich eigentlich mag/mochte, im Grunde ziemlich menschenverachtende Dinge äußern höre, fadenscheinige Ausreden und unreflektierte Gerüchte. Ich versuche, sie vom "Propagandazug" herunter zu holen und sich selbst Gedanken zu machen, zu hinterfragen, aber bei einigen stößt man damit auf einen Filter, der nichts durchlässt, was nicht zu ihrem "Wunschdenken" passt. Das ist ziemlich ernüchternd und enttäuschend und ich habe einige der Beziehungen zu solchen Leuten hinterfragt und sozusagen eingefroren. Man sieht Menschen ja nicht an, wie sie wirklich wären, wenn sie sich nicht gesellschaftskonform verstellen, aber in punkto Flüchtlingsproblematik tritt manches mal etwas in manchen meiner Mitmenschen zutage, das mir richtig Angst macht.


    Aber zurück zur Geschichte. Toni ist sehr unbedarft und obwohl sie vorbelastet ist durch einen Überfall auf sie und ihren Vater geht sie in die Erstaufnahmeeinrichtung, um zu helfen. Zwar muss Fee, ihre beste Freundin sie erst dazu überreden, aber sie kommt mit und macht wertvolle Erfahrungen aus erster Hand, die weit über das hinausgehen, was so geredet oder bei Facebook geschrieben wird. Damit unterscheidet sie sich von ihrem Bruder, der in die Propagandafalle tappt und brav alles nachplappert, was im Netz anscheinend gut ankommt. Auch der Vater ist sehr kritisch, zuerst denkt man, das käme von seinen schlechten Erfahrungen, aber das geht anscheinend noch tiefer. Einzig die Mutter zeigt ein wenig Anteilnahme, lässt sich von der breiten Kritik aber sehr beeindrucken. So ist Toni in ihrer Familie in einer ziemlichen Zwickmühle, weil sie durch ihr Engagement mitbekommt, dass es nicht so einfach ist, wie es sich die Hetzer und Kritiker machen. Keine schöne Situation für sie. Erfrischend unbelastet geht ihre Freundin Fee an die Lage heran und lockert so die Situationen oftmals auf.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

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  • Guten Morgen zusammen und ein frohes neues Jahr. Ich habe gestern den Neujahrsnachmittag genutzt, um den ersten Abschnitt zu lesen. Erstmal ein paar Gedanken von mir dazu:


    Die Famillienmitglieder vertreten die verschiedenen Reaktionen der Menschen auf das "Eindringen" von Flüchtlingen in ihren persönlichen Bereich. Dabei regen sie zum Nachdenken an, weil man Teile ihrer Gedanken verstehen kann, wenn man sie auch nicht für richtig hält. Ab und zu stellt sich die nagende Frage, ob man von den Gedankengängen der anderen Familienmitglieder wirklich ganz frei ist.


    Am schwersten zu verstehen ist der Bruder, der eigentlich nur das nachzuplappern scheint, was er auf Facebook und co liest.
    Den Vater dagegen kann ich verstehen, auch wenn seine Haltung für mich nicht richtig zu sein scheint. Zum einen ist er vorbelastet durch den Überfall, zum anderen macht er sich Sorgen um seine Familie - er fragt sich, ob Gefahr besteht und sieht auch die wirtschaftlichen Folgen, die das möglicherweise für die Familie hat (sinkende Immobilienwerte). Das erscheint auf den ersten Blick kalt und hartherzig (Geld vor Menschen setzen), aber seit wir selbst eine Immobilie haben, kann ich den Gedankengang zumindest nachvollziehen - unser Vermögen steckt vollständig im Haus, es ist noch ein Kredit abzutragen, wenn da der Wert drastisch sinken sollte, wäre das schon unangenehm.
    Die Mutter verhält sich im Prinzip wie die meisten Menschen. Sie hat Mitgefühl, das aber sehr schnell vom Alltag verdrängt wird (hier beziehe ich mich auf die Szene mit der Flüchtlingsfamilie, die sie aus dem Küchenfenster beobachtet). Sie sieht, dass man eigentlich helfen muss ( Außerdem traut sie sich nicht, dafür einzustehen und übernimmt teilweise die Meinung des Vaters. Auch sie hat Angst, wenn bei ihr auch der wirtschaftliche Teil nicht so durchschlägt wie beim Vater. Sie macht sich in erster Linie Sorgen um ihre Tochter. Auch das kann ich gut verstehen - ich bin nicht sonderlich ängstlich, was meine eigene Person betrifft, wenn ich allerdings eine Gefahr für meine Kinder vermute, ist das völlig anders.


    Sehr gelungen finde ich den Aufhänger für Toni, sich zu engagieren. Eigentlich hat sie Angst und will das Flüchtlingsheim gar nicht betreten, aber auf der anderen Seite vor ihrer Freundin Fee auch nicht als Feigling dastehen und auch nicht weniger tun als sie.


    Die Sache mit der Unterschrift wird für Toni sicher noch zu einem größeren Konflikt werden, sie hat sich nicht getraut, für ihre Überzeugung einzutreten und dem Vater nachgegeben.

  • Die vielen Dialoge und die Entwicklung der Gedankengänge zeigt sehr gut, wie vielschichtig und schwierig dieses ganze Thema ist. Selbst wenn man helfen will, ist es erforderlich, dass diese Hilfe halbwegs gerecht, geordnet und koordiniert abläuft. Damit stehen sich dann die Gegensätze der dringend erforderlichen Soforthilfe mit den bürokratisch anmutenden Registrierungsbemühungen gegenüber.


    Aber was hätte besser gemacht werden können? Im Buch steht ja der wichtige und richtige Satz: Die Asylverfahren waren auf diese großen Menschenmengen nicht ausgerichtet. Von daher finde ich das, was geleitet wurde, schon sehr bemerkenswert.


    Jenny wählt für die Familie im Buch die klassische Rollenverteilung einer deutschen Familie. Vater wirtschaftlich und kühl kalkulierend, Mutter emotional und etwas unbedarft, älterer Sohn oberflächlich und jüngere Tochter unerfahren aber interessiert. Es könnte aber auch Donna Leons Brunetti-Familie sein. ;-)

  • Wie bereits im Eröffnungs-Thread gebeichtet, bin ich ja mit dem Buch schon durch... :schaem Einmal angefangen, gab es einfach keine Möglichkeit zu bremsen. ;-)



    Zitat

    Original von Ellemir
    Die Famillienmitglieder vertreten die verschiedenen Reaktionen der Menschen auf das "Eindringen" von Flüchtlingen in ihren persönlichen Bereich. Dabei regen sie zum Nachdenken an, weil man Teile ihrer Gedanken verstehen kann, wenn man sie auch nicht für richtig hält. Ab und zu stellt sich die nagende Frage, ob man von den Gedankengängen der anderen Familienmitglieder wirklich ganz frei ist.


    Für mich ist gerade die Darstellung der diversen Reaktionen und Gedankengänge eine grosse Stärke dieses Buches. Es kommt jede Einstellung zu Wort und die Thematik wird so von allen Seiten beleuchtet. :fingerhoch



    Zitat

    Original von xexos
    Jenny wählt für die Familie im Buch die klassische Rollenverteilung einer deutschen Familie. Vater wirtschaftlich und kühl kalkulierend, Mutter emotional und etwas unbedarft, älterer Sohn oberflächlich und jüngere Tochter unerfahren aber interessiert. Es könnte aber auch Donna Leons Brunetti-Familie sein. ;-)


    Ich finde Jenny hat mit einer klassischen Familie eine sehr kluge Wahl getroffen. Toni und ihre Familie könnten auch deine oder meine Nachbarn sein und jeder Leser kann sich in einer der Figuren wiederfinden. :-)

  • Zitat

    Original von Suzann
    Ich persönlich fühle mich immer in einer Zwickmühle, wenn ich Bekannte, Freunde, Familie die ich eigentlich mag/mochte, im Grunde ziemlich menschenverachtende Dinge äußern höre, fadenscheinige Ausreden und unreflektierte Gerüchte. Ich versuche, sie vom "Propagandazug" herunter zu holen und sich selbst Gedanken zu machen, zu hinterfragen, aber bei einigen stößt man damit auf einen Filter, der nichts durchlässt, was nicht zu ihrem "Wunschdenken" passt. Das ist ziemlich ernüchternd und enttäuschend und ich habe einige der Beziehungen zu solchen Leuten hinterfragt und sozusagen eingefroren. Man sieht Menschen ja nicht an, wie sie wirklich wären, wenn sie sich nicht gesellschaftskonform verstellen, aber in punkto Flüchtlingsproblematik tritt manches mal etwas in manchen meiner Mitmenschen zutage, das mir richtig Angst macht.


    Ich kann mit solchen Situationen auch nur schwer umgehen. Ich bin ja dafür, dass jeder seine eigene Meinung hat - aber bei gewissen Themen gibt es dann für mich doch klare Grenzen. Und ja, auch mir machen Reaktionen und Einstellungen meiner Mitmenschen eine Heidenangst. Wo wird uns das noch alle hinführen? :-(

  • Zitat

    Original von Ayasha
    Für mich ist gerade die Darstellung der diversen Reaktionen und Gedankengänge eine grosse Stärke dieses Buches. Es kommt jede Einstellung zu Wort und die Thematik wird so von allen Seiten beleuchtet. :fingerhoch


    Das sehe ich auch so - und dabei wirkt es nicht im geringsten konstruiert, man kann sich die Gespräche am Abendbrottisch lebhaft vorstellen.


    Zitat

    Original von Ayasha


    Ich finde Jenny hat mit einer klassischen Familie eine sehr kluge Wahl getroffen. Toni und ihre Familie könnten auch deine oder meine Nachbarn sein und jeder Leser kann sich in einer der Figuren wiederfinden. :-)


    Ich denke, die meisten Leser werden sich bis zu einem gewissen Maß in mehreren Figuren wiederfinden. Ich zumindest finde mich in Toni wieder - ich habe, egal wie viel ich dazu lese, das Gefühl, zu wenig zu wissen und möchte helfen. Aber ich finde mich in Teilen auch in den Eltern wieder - wie die Mutter weiß ich, dass geholfen werden muss, aber der Alltag gewinnt häufig die Oberhand. Und wie beide mache ich mir auch Sorgen - wenn auch die Konsequenz für mich nicht bedeutet, dass ich mich um eine Abschiebung der Flüchtlinge aus meinem persönlichen Lebensbereich bemühe (wie es der Vater tut).

  • Ich habe den gestrigen Tag natürlich auch dem Lesen gewidmet.
    Und gleich ziemlich früh, als von dem Überall auf Toni und ihren Vater die Rede war, hätte ich dem Vater, den Nachbarn und den ermittelnden Polizisten am Liebsten die Meinung gegeigt.
    Klar, dunkler Hauttyp, dunkle Haare - Ausländer. Toni's Erkenntnissen zur Sprache sagen aber doch was anderes.
    Schirvans Äußerungen, dass es überall gute und böse Menschen gibt stimmt 100%.
    Dass die Anzahl der Flüchtlinge plötzlich derart steigt, war nicht abzusehen und die Behörden waren und sind total überfordert. Das normalisiert sich mW aber langsam. Das BAMF ist personell erheblich aufgestockt worden.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Wenn es nur eine echte Aufstockung wäre - leider ist es mehr ein Flicken von Lücken, die dafür woanders aufgerissen werden. Ich habe ein Pflegekind und damit mit dem Pflegekinderdienst des Jugendamtes regelmäßig zu tun. Die sind zum Beispiel total überarbeitet, weil zum einen Leute abgezogen werden, zum anderen natürlich neue Fälle dazugekommen sind durch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Da wird im Moment nur auf Krisen reagiert, die normale Arbeit fällt teilweise hintenüber. Noch vorhandene Mitarbeiter sind überarbeitet und da drohen dann weitere Ausfälle. Aber wenn da ein Fehler passiert, schreien wieder alle, warum das Jugendamt es denn nicht rechtzeitig bemerkt hat. In anderen Ämtern läuft es nicht anders.

  • Mich hat bei den ersten Reaktionen der Familie erschreckt, wie sehr ich mich da wiedergefunden habe, und das, obwohl ich in der Flüchtlingshilfe vor Ort auch engagiert war. Es war so ein .. "Oh, das verstehe ich." .. "Oh, das Gefühl kenne ich." .. "Oh. Hm ja, das dachte ich auch".. und letztendlich blieb sehr viel Scham übrig und die Erleichterung, daß man doch über den eigenen Tellerrand hinwegsehen konnte - aber nicht genug getan hat/tut.
    Ich war nicht so mutig wie Toni :)

  • Ich habe das Buch schon vor einiger Zeit gelesen aber es wirkt immer noch nach und macht Mut, sich doch öfter mal einzumischen wenn "blöd" daher geredet wird.
    Ich finde das Buch bietet viel Gesprächsbedarf


    Zitat

    Ich denke, die meisten Leser werden sich bis zu einem gewissen Maß in mehreren Figuren wiederfinden. Ich zumindest finde mich in Toni wieder - ich habe, egal wie viel ich dazu lese, das Gefühl, zu wenig zu wissen und möchte helfen. Aber ich finde mich in Teilen auch in den Eltern wieder - wie die Mutter weiß ich, dass geholfen werden muss, aber der Alltag gewinnt häufig die Oberhand. Und wie beide mache ich mir auch Sorgen - wenn auch die Konsequenz für mich nicht bedeutet, dass ich mich um eine Abschiebung der Flüchtlinge aus meinem persönlichen Lebensbereich bemühe (wie es der Vater tut).


    Das ist ein sehr guter Gedanke
    Jeder Mensch der differenziert denken kann und nicht nur seinen Ängste unterliegt wird sich wieder erkennen
    Leider sind Angst und Unwissenheit aber ein guter Nährboden für Halbwahrheiten

    LG Inge


    Ryle hira - Life is what it is


    Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore


  • Zitat

    Original von Wortfinesse
    Mich hat bei den ersten Reaktionen der Familie erschreckt, wie sehr ich mich da wiedergefunden habe, und daß, obwohl ich in der Flüchtlingshilfe vor Ort auch engagiert war. Es war so ein .. "Oh, das verstehe ich." .. "Oh, das Gefühl kenne ich." .. "Oh. Hm ja, das dachte ich auch".. und letztendlich blieb sehr viel Scham übrig und die Erleichterung, daß man doch über den eigenen Tellerrand hinwegsehen konnte - aber nicht genug getan hat/tut.
    Ich war nicht so mutig wie Toni :)


    Ich auch nicht
    Aber ich habe hier auch einfach nicht die Gelegenheit gehabt, die Flüchtlinge sind -vermeintlich" weit weg ... dass ich auch zu Ihnen gehen könnte, auf die Idee bin ich gar nicht gekommen :gruebel

    LG Inge


    Ryle hira - Life is what it is


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  • Zitat

    Original von xexos


    Welche Alternativen gäbe es dazu? Ein koordinierter Aufbau benötigt Zeit, also kann man aktuell nur umdisponieren.


    Das ist leider so. Trotzdem ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis es in einem anderen Amt mal zu einem Fehler mit heftigen Folgen kommt. Und dann ist das Geschrei wieder groß. Ich erinnere mich noch sehr gut an einige Fälle mit Pflegekindern, wo es hieß "Warum hat das Jugendamt nicht eher was getan?" (höflich formuliert, die Kommentare waren meist deutlich drastischer). Ja, wie denn?


    Wo wir nun bei Ämtern sind - einige der Vorschriften (bezüglich Mitarbeit der Flüchtlinge oder der Obstspende von Toni und Fee) und Vorgehensweisen (Hin- und Herverschiebung der Flüchtlinge von einer Erstaufnahme in die andere, mit erneuter Erfassung und Impfung) kamen mir so widersinnig vor - das muss doch anders gehen.

  • Zitat

    Das ist leider so. Trotzdem ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis es in einem anderen Amt mal zu einem Fehler mit heftigen Folgen kommt. Und dann ist das Geschrei wieder groß. Ich erinnere mich noch sehr gut an einige Fälle mit Pflegekindern, wo es hieß "Warum hat das Jugendamt nicht eher was getan?" (höflich formuliert, die Kommentare waren meist deutlich drastischer). Ja, wie denn?


    Das gut (über) organisierte Deutschland war glaube ich schlicht überfordert mit der Zahl der Flüchtlinge
    Soweit ich weiß läuft es mittlerweile koordinierter , aber kommen ja auch schon wieder weniger Flüchtlinge

    LG Inge


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  • Juii, es geht los. Ich bin aufgeregt :-)


    Ja, ganz ehrlich, angenommen ich hätte plötzlich ein Flüchtlingsheim nebenan - ich wäre auch erst mal nur mäßig begeistert. (Aber fragt mich mal: Ich HABE ein Flüchtlingsheim in der Nachbarschaft und erst nach vier Jahren gemerkt, dass es sich dabei um ein solches handelt ;) ) Ich konnte die Familie auch soweit erst mal irgendwo verstehen. Die wenigsten Menschen freuen sich über einschneidende Überraschungen - man muss auch gar nicht so weit gehen: Setz mal irgendwo einen Kindergarten hin ... Da werden sich auch viele (prinzipiell kinderliebe) Menschen erstmal auf die Hinterbeine stellen.
    Zweifel angesichts einer neuen Situation sind ja auch erst mal nichts schlimmes. Aber wie geht man nun damit um?


    In der Notunterkunft (NUK), in der ich regelmäßig ehrenamtlich tätig war, verhielt es sich übrigens fast genau wie im Buch: Die Nachbarn kamen aus dem Urlaub, wussten von nicht und plötzlich saßen quasi die Flüchtlingskinder auf der Terrasse. Der Zaun kam erst später. :chen


    Dass die Behörde in Deutschland erst mal vollkommen überfordert waren, obwohl viele Menschen wirklich alles Menschenmögliche getan haben, ist richtig.
    Das hätte allerdings nie so geschehen müssen.
    Dass im Sommer 2015 so viele Flüchtlinge kamen, passierte ja nicht aus dem Nichts heraus - die eigentliche Überraschung war, dass es so lange dauerte! Es gibt dazu von Frau Merkel eine oft falsch interpretierte Rede, in der sie sagt, dass sie, wenn sie könnte, die Zeit um einige Jahre zurückdrehen würde. Damit spielt sie genau darauf an: Dass Deutschland nicht vorbereitet wurde, obwohl die Situation deutlich vorhersehbar war.
    Ich kann euch dazu gerne mehr erzählen, wenn ihr Interesse habt?


    Inzwischen läuft es ach außen koordinierter, im Inneren leider alles andere als das. Wer in der Flüchtlingshilfe mal versucht hat, eine Familienzusammenführung zu begleiten, weiß sofort was ich meine.
    Leider ist in der Flüchtlingskoordination sehr vieles grottenschlecht organisiert - ihr werdet im Buch das eine oder andere Mal große Augen machen. Das wurde bisher halt so hingenommen - es betraf ja bloß eine recht kleine Anzahl an Menschen. MMn wird da zu großen Teilen bis heute nicht wirklich an den Strukturen verbessert sondern bloß geflickt.


    Ein prominentes Beispiel ist z.B. Firas, berühmter Youtuber und Autor. Was er hier in diesem kleinen Video erzählt, passiert mehr oder weniger regelmäßig:
    Firas Alshater - Ich bin illegal

  • Zitat

    Original von Suzann


    Ich persönlich fühle mich immer in einer Zwickmühle, wenn ich Bekannte, Freunde, Familie die ich eigentlich mag/mochte, im Grunde ziemlich menschenverachtende Dinge äußern höre, fadenscheinige Ausreden und unreflektierte Gerüchte. Ich versuche, sie vom "Propagandazug" herunter zu holen und sich selbst Gedanken zu machen, zu hinterfragen, aber bei einigen stößt man damit auf einen Filter, der nichts durchlässt, was nicht zu ihrem "Wunschdenken" passt. Das ist ziemlich ernüchternd und enttäuschend und ich habe einige der Beziehungen zu solchen Leuten hinterfragt und sozusagen eingefroren. Man sieht Menschen ja nicht an, wie sie wirklich wären, wenn sie sich nicht gesellschaftskonform verstellen, aber in punkto Flüchtlingsproblematik tritt manches mal etwas in manchen meiner Mitmenschen zutage, das mir richtig Angst macht.


    :write


    Ich finde, dass genau das im Buch sehr gut eingefangen ist. Ich hätte fast angefangen mit den Eltern und mit Alex zu diskutieren ;-)


    Zitat

    Original von Ellemir


    Die Famillienmitglieder vertreten die verschiedenen Reaktionen der Menschen auf das "Eindringen" von Flüchtlingen in ihren persönlichen Bereich. Dabei regen sie zum Nachdenken an, weil man Teile ihrer Gedanken verstehen kann, wenn man sie auch nicht für richtig hält. Ab und zu stellt sich die nagende Frage, ob man von den Gedankengängen der anderen Familienmitglieder wirklich ganz frei ist.


    Ein wenig kann ich sogar nachvollziehen, dass sie Angst haben. Weniger wegen den fremden Menschen, sondern eher, weil das Gebiet umzäunt ist. Man sieht ja nicht mal, was da vor sich geht. Wenn es ein wenig offen wäre (natürlich nicht so, dass man ständig rein glotzen kann), dann wäre es weniger ängstigend. Glaube ich zumindest.


    Zitat

    Original von Ellemir


    Wo wir nun bei Ämtern sind - einige der Vorschriften (bezüglich Mitarbeit der Flüchtlinge oder der Obstspende von Toni und Fee) und Vorgehensweisen (Hin- und Herverschiebung der Flüchtlinge von einer Erstaufnahme in die andere, mit erneuter Erfassung und Impfung) kamen mir so widersinnig vor - das muss doch anders gehen.


    Genau das habe ich mir auch die ganze Zeit gedacht. Ich kann das nur so erklären, dass alle total überfordert waren und jeder an irgend einer Stelle irgendwas blind gemacht hat um Veränderungen her zu führen. Ohne sich mit anderen Bereichen abzusprechen. Für die betroffenen Flüchtlinge ist das der Horror, obwohl die Veranwortlichen vermutlich auch einfach nur helfen wollten bzw. die Lage entschärfen wollten.


    Zitat

    Original von Mulle


    Ich kann euch dazu gerne mehr erzählen, wenn ihr Interesse habt?


    Sehr gerne :-)
    Ich habe auch erst gar nicht realisiert, dass auf einmal so viele Flüchtlinge kamen. Ich war im Urlaub und plötzlich gab es eine Flüchtlingskrise. Mich hat das damals irgendwie kalt erwischt und ich habe dann hinterher versucht alle möglichen Infos zusammen zu tragen.


    Die Seite von Firas habe ich geliked. Das ist wirklich sehr interessant, was er schreibt.