'Imperium' - Seiten 111 - 180

  • Mir geht ständig die Redewendung "pushing up the daisies" durch den Kopf, die in diesem Abschnitt vorkommt und, wie ich schon vermutet hatte, die englische Entsprechung der Radieschen sind :grin
    Aber nun wieder ernst:


    Dieser Abschnitt ist geprägt von Einsamkeit, der Einsamkeit Engelhardts.


    Er hat sich eingelebt, geniest sein Leben auf seiner Insel mit seiner Lebensphilosophie, aber er ist tief drinnen einsam und leicht depressiv. Gesundheitlich machen sich die ersten Langzeit-Mangelerscheinungen bemerkbar, an den Geschwüren seiner haut und den Verstimmungen in seinem Gemüt. Der erste Besuch, den er bekommt, entpuppt sich als "Mistkerl", und wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat Engelhardt ihn selbst getöte, um seinen Diener Makali zu rächen. Dieser Aueckens stößt ihn außerdem mit seinem Antisemitismus ab. Die große Weltpolitik mit ihren Unruhen holt ihn auch auf seiner fernen Insel ein. Als zweiter kommt der des Stadtlebens überdrüssige Lützow mit seinem Klavier, aber E's Einsamkeit durchbricht auch der nicht. Und dann die Ankunft der "Jünger", die völlig mittellos und heilsgläubig in Neupommern ankommen. Das hat er wohl nicht gewollt...


    Zum Schluss erfahen wir noch von seinen wilden, wirren Träumen, die ihn zu Gewaltphantasien führen, die ihn wohl selbst am meisten erschrecken.
    Ich bin gespannt, wie das alles, dieses Experiment, endet...

  • Kapitel 7 ist schon bemerkenswert. Da bekommt Engelhardt einen Besucher, der ihn bewundert und Engelhardt ist geschmeichelt, dann aber schon bald abgestoßen vom offenen Antisemitismus und geschlechtlicher Aggressivität des Gastes.
    Wie schon der allwissende Erzähler angekündigt hat, wird Aueckens schnell wieder abtreten; und das Paradies ist erst einmal wieder ungestört.

  • Wenn es denn ein Paradies ist!


    Denn immer mehr wird deutlich, dass Engelhardt - aus welchen Gründen auch immer - verschroben und eigenartig wird. Geradezu unheimlich, die immer stärker werdende Marotte des Daumenlutschens.


    Es berührt schon seltsam - er, der sich als Verkünder einer neuen Lebensweise und Heilsbringer sieht, fühlt sich von Anhängern seines "Ordens" eher gestört. Dabei hat er doch Werbebriefe in alle Welt verschickt.
    Für mich macht es den Anschein, als verlöre er nach und nach den Verstand.

  • Heinrich Aueckens war von Engelhardts Buch “Ein sorgenfreies Leben” angefixt.
    Diese obskure Buch ist tatsächlich im Internet auf der National Library of Australia zu
    finden.
    http://nla.gov.au/nla.obj-5286…06300829#page/n7/mode/1up


    Wie zu erwarten ganz schön krudes Zeug! Teilweise mit Gedichten aufgemotzt.
    Lange kann man das nicht lesen.


    Immerhin aber ist das eine Möglichkeit auch einmal August Engelhardts eigene Stimme, ungefiltert von Krachts spöttischen allwissenden Erzähler, wahrzunehmen.

  • Der Mensch ist halt ein soziales Wesen. Engelhardt hätte sich vielleicht mehr in die Gemeinschaft der Einheimischen auf seiner Insel einbringen sollen. Und die Mangelernährung nicht mit Finger- und Fußnägeln kompensieren sollen. :uebel


    Und zu Hause in Berlin und Deutschland herrscht mit der Kaiserzeit das genaue Gegenteil seiner Lebensumstände. Grundsätzlich wäre gegen so ein Inselleben ja auch nichts einzuwenden, etwas weniger dogmatisch organisiert sollte es aber wohl sein.


    Danke für den Link zu Engelhardts Buch.

  • Dieses Büchlein ist ja für heutige Leser wirklich kaum lesbar.
    Zudem hat er vieles auch aus anderen Büchern zusammengetragen und mit eigenen Ideen vermischt.


    Zu seiner Ehrenrettung muss man sagen, dass der Schreibstil damals so war. Probiert mal, Rudolf Steiner im Original zu lesen. Der war zwar ein anderes Kaliber, aber in manchen Denkweisen ähnlich.

  • Mich wundert, dass Engelhardt seinen eigenen schlechten Gesundheitszustand kaum Beachtung schenkt. Er ignoriert seine Krätze und Ohrausfluss etc. überwiegend und führt das nicht einmal ansatzweise auf sein Fehl- und Mangelernährung zurück. Er glaubt vollständig an seine Thesen, komme da was wolle.


    Ich hingegen muss mich schon kratzen, wenn ich das nur lese! Suggestion!

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Er glaubt vollständig an seine Thesen, komme da was wolle.


    So ein Verhalten zieht sich ja komplett durch die Menschheitsgeschichte, vom geozentrischen Weltbild über Götteranbetung bis zu allen politischen Überzeugungen der Neuzeit. Ich bin gespannt, ob Erhardt Engelhardt nun eher durch seine gesundheitlichen Beschränkungen oder durch den finanziellen Bankrott scheitert. Wahrscheinlich werden aber beide Dinge dazu führen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Mich wundert, dass Engelhardt seinen eigenen schlechten Gesundheitszustand kaum Beachtung schenkt. Er ignoriert seine Krätze und Ohrausfluss etc. überwiegend und führt das nicht einmal ansatzweise auf sein Fehl- und Mangelernährung zurück. Er glaubt vollständig an seine Thesen, komme da was wolle.


    Ich hingegen muss mich schon kratzen, wenn ich das nur lese! Suggestion!


    Das wundert mich auch, aber vielleicht oder wahrscheinlich ist er zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr selbstreflektiert genug, um das zu erkennen. Er wähnt sich auf dem richtigen Weg, gesundheitlich und erst recht spirituell. Die permanente Mangelernährung dürfte auch eine leichte Euphorie aufrecht erhalten haben. Er war ja nicht am verhungern, nur fehlernährt.


    Und ich möchte mich beim lesen auch kratzen. :yikes

  • Zitat

    Original von xexos
    So ein Verhalten zieht sich ja komplett durch die Menschheitsgeschichte, vom geozentrischen Weltbild über Götteranbetung bis zu allen politischen Überzeugungen der Neuzeit. Ich bin gespannt, ob Erhardt Engelhardt nun eher durch seine gesundheitlichen Beschränkungen oder durch den finanziellen Bankrott scheitert. Wahrscheinlich werden aber beide Dinge dazu führen.


    Stimmt, solche Lebensphilosophien finden sich quer durch die Geschichte.
    Und sein Scheitern erwartet man schon von Anfang an. Ich habe ja eher über weiter Strecken den finanziellen Kollaps vermutet, aber ob das so eintrifft...

  • Erschütternd, diesen Verfall zu lesen.
    Engelhardt fällt in einen infantilen Zustand zurück. Das macht sich z.B. daran bemerkbar, dass er einfach dem Geld anschwört, just in dem Moment, in dem er total pleite ist.
    Auch ich empfinde das Daumenlustchen als kaum erträglich zu lesen, ebenfalls das Befummeln der Grindes und das Essen der Nägel. Psychisch ganz schön angeschlagen ist der Gute.


    Dass er seine Anhänger zurück schickt, ist wohl ein erstes Anzeichen dafür, dass er seinen eigenen Ideen nicht ganz traut.


    Interessant und eigentlich auch logisch, dass sich Lützow und Engelhardt über kurz oder lang ordentlich streiten. Der Ober-Kokovore duldet keinen zweiten neben sich.


    Am Ende zeigt sich, dass Lützow wohl auch nicht mehr lange zu leben hat. Gamz schön gefährlich ist das Leben im Kokosnuss-Orden. :grin

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Erschütternd, diesen Verfall zu lesen.
    Engelhardt fällt in einen infantilen Zustand zurück. Das macht sich z.B. daran bemerkbar, dass er einfach dem Geld anschwört, just in dem Moment, in dem er total pleite ist.
    Auch ich empfinde das Daumenlustchen als kaum erträglich zu lesen, ebenfalls das Befummeln der Grindes und das Essen der Nägel. Psychisch ganz schön angeschlagen ist der Gute.


    Dieses Daumenlutschen und die anderen Unappetilichkeiten fand ich auch schlimm. Für mich zeigen sie den Grad seiner Labilität, nervösen Verstimmungen und Depressionen.


    Zitat

    Dass er seine Anhänger zurück schickt, ist wohl ein erstes Anzeichen dafür, dass er seinen eigenen Ideen nicht ganz traut.


    Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ertraut niemandem mehr zu, dass er sich der reinen Lehre widmen kann, unterstellt innerlich allen außer sich selbst eigennützige Motive. Zu dem Zeitpunkt ist er vielleicht auch gar nicht mehr zur wirklichen Gemeinschaft fähig.


    Zitat

    Interessant und eigentlich auch logisch, dass sich Lützow und Engelhardt über kurz oder lang ordentlich streiten. Der Ober-Kokovore duldet keinen zweiten neben sich.


    Am Ende zeigt sich, dass Lützow wohl auch nicht mehr lange zu leben hat. Gamz schön gefährlich ist das Leben im Kokosnuss-Orden. :grin


    Die wirren Träume und Mordphantasien Engelhardts entspringen seinem geistigen Verfall, der wohl eine Kombination aus Mangelernährung und Einsamkeit ist. Ich möchte ihn eigentlich bedauern, aber man hat immer eine Wahl, und seinen Absprungpunkt hat er verpasst, ist auch nicht mehr unschuldig.

  • Irgendwo hat es für mich in diesem Abschnitt einen Punkt gegeben, an dem mich das Buch nicht weiter packen konnte. Ich empfinde vor allem die Darstellung Engelhardts als zu gewollt. Vielleicht ist das auch einfach nur Ekel? Ich denke noch darüber nach. Hier verliert für mich auch der Stil seinen Reiz, obwohl er der Hauptgrund ist, warum ich das Buch zu Ende lesen möchte. Mal sehen, was der letzte Abschnitt noch so bereit hält.


    Mich erinnert vieles aber auch an die so modern gewordenen Verschwörunhstheorien. Mich würde nicht wundern, wenn plötzlich Aluhüte auftauchen würden. ;-)

  • Zitat

    Original von Saiya
    Irgendwo hat es für mich in diesem Abschnitt einen Punkt gegeben, an dem mich das Buch nicht weiter packen konnte. Ich empfinde vor allem die Darstellung Engelhardts als zu gewollt. Vielleicht ist das auch einfach nur Ekel? Ich denke noch darüber nach. Hier verliert für mich auch der Stil seinen Reiz, obwohl er der Hauptgrund ist, warum ich das Buch zu Ende lesen möchte. Mal sehen, was der letzte Abschnitt noch so bereit hält.


    Mich erinnert vieles aber auch an die so modern gewordenen Verschwörunhstheorien. Mich würde nicht wundern, wenn plötzlich Aluhüte auftauchen würden. ;-)


    Mich hat der Autor zum Ende zu leider auch verloren. Eigentlich schade.
    Ich kann diesen ganzen Ekel als künstlerisches Mittel nicht einordnen. Für mich führen diese Schilderungen zu nichts oder ich kann es nur nicht erkennen.

  • Ohne Sozialisierung verroht der Mensch anscheinend, wenn die intrinsische Motivation nicht groß genug ist. Engelhardt wird immer mehr zum Naturmenschen bzw. fast zum Tier. Bei Affen im Zoo kann man fast das gleiche Verhalten beobachten. Die probieren auch alles vom eigenen Körper. Für uns - ohne Kokosnussdiät - ist das aber alles nur :uebel

  • Ich habe jetzt den Abschnitt fertig gelesen und ich finde das Buch immer noch ganz amüsant. Mir gefällt auch der Stil weiterhin recht gut.
    Klar sind diese ganzen Beschreibungen von Hauterkrankungen und Ohrenausfluss etwas ekelig. Aber ich finde das nicht so schlimm beim Lesen. Ich lese das Ganze eher aus einer großen Distanz, was wahrscheinlich auch durch den Schreibstil kommt. Aber so als Beobachter von außen finde ich die Entwicklung von Engelhardt eher interessant. So wie wenn man den Verlauf eines Experimentes bestaunen würde. Anders kann ich es nicht beschreiben.



    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen


    Es berührt schon seltsam - er, der sich als Verkünder einer neuen Lebensweise und Heilsbringer sieht, fühlt sich von Anhängern seines "Ordens" eher gestört. Dabei hat er doch Werbebriefe in alle Welt verschickt..



    Das habe ich auch nicht so ganz nachvollziehen können. Er schreibt doch so viele Werbebriefe für seine Lebensweise und seine Insel. Und hat er sich nicht einen großen "Sonnenorden" vorgestellt?? Da muss er doch damit rechnen, dass Leute zu ihm auf die Insel kommen wollen.Warum schickt er dann seine ganzen Jünger schnurstracks wieder nach Hause?



    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Für mich macht es den Anschein, als verlöre er nach und nach den Verstand.


    Ja für mich sieht das auch so aus. Anscheinend kann er auf Grund seiner Mangelernährung schon nicht mehr richtig denken.


    Ich bin jetzt auf das Ende gespannt und rechne mit dem Schlimmsten.