'Frauen und Töchter' - Seiten 001 - 078

  • An Rache habe ich dabei gar nicht gedacht - eher an Sorge um seine Tochter, die noch zu kindlich für romantische Verwirrungen gesehen wird - oder auch Egoismus, weil Dr. Gibson seine Tochter nicht als kleines Mädchen, für das er die wichtigste Person ist, verlieren will.

    Darum habe ich "rächen" auch unter Anführungszeichen gesetzt. Coxe wird es so empfunden haben, aber Gibson glaubt sicher, fürsorglich zu sein.

    Das kreide ich Gibson auch nicht an. Aber dass er Molly erst im letzten Moment informiert, sodass das Mädchen nicht einmal Zeit hatte, für angemessene Garderobe zu sorgen, das finde ich einfach nur feige. Was das für Molly bedeutete, war ihm egal. Hauptsache, er musste sich nicht der Situation stellen. Ein konfliktscheuer Arzt - das ist für mich schon sehr bedenklich. Vom Vater gar nicht zu reden. Aber die Kindererziehung damals war schon grundlegend anders.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Ich würde es eher so sehen, dass damals generell erwartet wurde, dass Männer die Dinge selbständig regeln, die sie angehen. Und Väter regelten die Dinge für ihre Töchter. Dass er nicht an die benötigte Garderobe dachte, war eben typisch Single-Mann. Hätte er sein Vorhaben irgendeiner Frau mitgeteilt, hätte die ihm schon klar gemacht, dass das Mädchen etwas Hübsches zum Anziehen braucht. Er ist einfach etwas unpraktisch und wenig welterfahren.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ich würde es eher so sehen, dass damals generell erwartet wurde, dass Männer die Dinge selbständig regeln, die sie angehen. Und Väter regelten die Dinge für ihre Töchter. Dass er nicht an die benötigte Garderobe dachte, war eben typisch Single-Mann. Hätte er sein Vorhaben irgendeiner Frau mitgeteilt, hätte die ihm schon klar gemacht, dass das Mädchen etwas Hübsches zum Anziehen braucht. Er ist einfach etwas unpraktisch und wenig welterfahren.

    Auf den Punkt gebracht. Gerade als die Sprache auf die Garderobe kam musste ich schmunzeln - wohl typisch Mann seinerzeit:lache

    Wobei, meinem Mann sind seine Klamotten auch herzlich egal, Hauptsache was an.

  • Ich denke, Tante Li, das zu verstehen, sind wir von dieserZeit zu weit entfernt. Ein Vater sollte seineGefühle offenbaren? Für einen Gentleman jener Tage wohl eine kurioseVorstellung.

    Das gleiche gilt für die Brisanz, ein junges Mädchen ineinem Haus mit zwei ledigen jungen Männern ohne eine greifbare Anstandsdame zuhaben. Auch dieser in der Gesellschaft jener Zeit untragbare Zustand ist füruns heute schwer nachzuvollziehen.

    :write Man sollte das aus der Sicht der Zeit, in der das spielt, sehen, auch wenn es uns heutigen in einer Zeit, in der eigentlich alles erlaubt und (überspitzt!) die einzige Regel ist, daß es keine Regeln gibt, schwer fällt, so etwas zu akzeptieren.



    Vielleicht wirkt auch die Sprache völlig anders als in der Übersetzung und ich bin mir noch nicht sicher, ob es eine gute Idee war, den Roman im Original zu lesen.

    Hm, "North And South" habe ich auf Englisch gelesen, das hätte ich bei dem Buch hier auch gemacht, wenn mir mehr Zeit zur Verfügung stünde (ich habe das erste Quartal, was ich so möglichst auch nicht mehr tun werde) lesemäßig mit Leserunden relativ dicht "zugepflastert", so daß ich bis zu einem bestimmten Termin fertig sein muß. Andererseits ist die Übersetzung von Andrea Ott (für meine Begriffe) ganz hervorragend gelungen. Ein wunderbares Deutsch, erinnert mich fast schon etwas an Adalbert Stifter der (Entschuldigung Brigitte) für mich das bisher absolut beste Deutsch geschrieben hat, das ich je bei einem Autor gelesen habe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ups, das wollte ich eigentlich zuerst schreibe:


    Inzwischen im dritten Abschnitt, es es nicht ganz leicht, noch den Rest zum ersten zu schreiben.


    So so, Mollys Vater will sie also aus dem Haus bringen, um die „Gefahr“, die von jungen Herren ausgeht, auszuschalten. Das wird auf Dauer vermutlich nicht gut gehen, zumal - wenn ich das recht im Kopf habe - 17 damals doch schon ein gut heiratsfähiges Alter war?!


    Grinsen mußte ich auf S. 74 über die Sätze des Squire: „Die Leute sind nicht mehr das, was sie in unserer Jugend waren. Soweit ich sehe, ist die Liebe heutzutage nur eine dumme Spinnerei und gefühlsduselige Romanze.“ :grin


    Zum Stil: der macht mir nun keine Probleme, eher im Gegenteil. Ich mag lange und verschachtelte Sätze. Probleme bekomme ich eher, wenn ein Roman aus lauter relativ kurzen, aneinandergereihten Sätzen besteht. Das hemmt bei mir dann doch sehr den Lesefluß.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • So so, Mollys Vater will sie also aus dem Haus bringen, um die „Gefahr“, die von jungen Herren ausgeht, auszuschalten. Das wird auf Dauer vermutlich nicht gut gehen, zumal -wenn ich das recht im Kopf habe - 17 damals doch schon ein gut heiratsfähiges Alter war?!

    Ja, mich hat auch gewundert, wie ihr Vater (im Film) meinte, sie wäre noch viel zu jung zum Heiraten. :wow

    Sasaornifee :eiskristall



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    "Wer seid ihr und was wollt ihr?" - Die unendliche Geschichte - Michael Ende


  • Andererseits ist die Übersetzung von Andrea Ott (für meine Begriffe) ganz hervorragend gelungen. Ein wunderbares Deutsch, erinnert mich fast schon etwas an Adalbert Stifter der (Entschuldigung Brigitte) für mich das bisher absolut beste Deutsch geschrieben hat, das ich je bei einem Autor gelesen habe.


    Andrea Ott hat auch Stolz und Vorurteil übersetzt. Ich halte diese für die beste Übersetzung des Austenbuches.


    Und, SiCollier, Du musst Dich nicht bei mir entschuldigen, dass Du Adalbert Stifters Deutsch für das beste hältst, was du je gelesen hast. Mir käme es nicht in den Sinn, mich mit ihm zu vergleichen.

  • Hallo SiCollier,


    da Du die Übersetzung von Andrea Ott lobst, nutze ich die Gelegenheit zu fragen, ob in der deutschen Fassung Squire tatsächlich nicht übersetzt wurde?

    Bei der Lektüre im Original fragte ich mich, wie das Wort übertragen wurde, da die Wörterbücher u.a. Junker, Großgrundbesitzer, Kavalier etc. vorschlagen und Spielraum anbieten.

  • Salonlöwin


    Diese Frage kann ich Dir auch beantworten, Salonlöwin.


    Ott übernimmt den Titel Squire.

    Wie wird denn dieses "my lady" übersetzt, das Gaskell gern und exklusiv für Lady Cumnor verwendet?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Andrea Ott hat auch Stolz und Vorurteil übersetzt. Ich halte diese für die beste Übersetzung des Austenbuches.

    Oh, das ist interessant. Als ich das erste Mal SuV lesen wollte, mußte ich mir erst eine Ausgabe besorgen (das war noch, bevor wir uns kannten). Als ich im Internet nach Informationen suchte, fand ich öfters, daß die Übersetzung von Christian Grawe die beste sei, weswegen ich die erworben habe. Nach den jetzigen Erfahrungen sollte ich mir aber doch noch die von Frau Ott zulegen. Danke für den Hinweis.



    Interessantweise übersetzt Ott aber den Titel Earl mit Graf.

    Bei englischen Adelstiteln habe ich immer so meine Schwierigkeiten, da blicke ich oft gar nicht durch. Deren Adeslssystem scheint sich vom (ehemaligen) deutschen doch zu unterscheiden.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wenn ich etwas Zeit habe, versuche ich hier auch ein bisschen mitzumachen, auch wenn ich erst im 6. Kapitel bin.

    Wie schon erwähnt, die oft ironischen Beschreibungen der Charaktere und einige Dialoge gefallen mir sehr gut; die Beschreibung von Inneneinrichtungen von Gebäuden (und hier in diesem Buch auch die von Landschaften) finde ich ziemlich zäh.


    "Ich würde mich jedesmal verirren, wenn ich meine Haube holen müsste, oder schon lange vor einem Spaziergang von den langen Fluren und großen Treppenhäusern müde werden."


    Vielleicht ist Gaskell dasselbe während dem Schreiben (literarisch gesehen) auch manchmal passiert? :)


    Ein paar Parallelen zu "Krieg und Frieden" habe ich auch gefunden: Lord Cumnor erinnert mich mit seiner Freundlichkeit und Zerstreutheit ein wenig an Graf Ilja Rostow; Lord Hollingford ("der große, ernste, wenig gewandte Erbe ihrer Lehenstreue"; "In Wirklichkeit war er nur befangen und tat sich schwer, banale Gespräche zu führen") ein wenig an Graf Pierre Besuchow.

  • (...) Lord Hollingford ("der große, ernste, wenig gewandte Erbe ihrer Lehenstreue"; "In Wirklichkeit war er nur befangen und tat sich schwer, banale Gespräche zu führen") ein wenig an Graf Pierre Besuchow.

    Hm, also das kann ich nun so gar nicht empfinden. Ich habe im November "Krieg und Frieden" das zweite Mal zu lesen begonnen und zu Beginn dieses Jahres für Leserunden (u. a. diese) unterbrochen, insofern ist mir vor allem Pierre recht präsent. Aber mit Lord Hollingford würde ich den nun überhaupt nicht vergleichen

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")