Winter in Maine - Gerard Donovan

  • Winter in Maine
    Originaltitel: Julius Winsome
    Gerard Donovan
    ISBN: 978-3630872728
    Luchterhand
    208 Seiten, 17,95 Euro



    Über den Autor: Gerard Donovan wurde 1959 in Irland geboren und lebt heute im Staat New York. Studium der Philosophie und Germanistik, Reisen, klassische Gitarre mit Schwerpunkt J. S. Bach. Werke: drei Gedichtbände, Shortstorys, drei Romane. »Winter in Maine« war »Buch des Jahres 2008« der englischen Tageszeitung »The Guardian«.


    Handlung: Julius Winsome lebt in den Wäldern von Maine. Allein. Seit er denken kann. Die Winter sind lang in Maine, doch er spürt keine Einsamkeit, denn er hat seine Bücher und Hobbes seinen Pitbullterrier, der ihm ein treuer Gefährte geworden ist. Als jemand eines Tages scheinbar absichtlich den Hund erschießt, zerbricht etwas in Julius und sein Leben ändert sich dramatisch…


    Meine Meinung: Vorab eine kleine Empfehlung: Wer dieses Buch genießen will, sollte sich die Begründung der Jury die es zum „Buch des Jahre 2008“ gewählt hat, erst nach der Lektüre gönnen, denn meiner Meinung nach wird darin sehr viel vom Inhalt verraten.


    Julius ist ein Mensch, der in seiner eigenen kleinen Welt lebt, mit ganz eigenen und ungewöhnlichen Denkstrukturen. Ein Außenseiter, dessen Leben sich komplett von dem der Menschen in seinem Umfeld unterscheidet, der immer alles hingenommen und akzeptiert hat, wie es gerade kam, ohne sich Gedanken darum zu machen. Doch nun nach dem Verlust seines Hundes blickt Julius auf sein bisheriges Leben zurück. Ein Leben das von Verlusten geprägt ist. Mutter, Vater und die große Liebe, alles hat er verloren und alles das erlebt man gemeinsam – verliert man zusammen mit dem Protagonisten.


    Donovan hat seine Figur trotz dieser Vita sehr arm an Emotionen entworfen, und es ist, als ob er beim Schreiben die Zuständigkeiten aufgeteilt habe: Julius ist für das Erleben zuständig und der Leser hat die Aufgabe, das Erlebte zu fühlen. Die Schönheit der Sätze wirkt wie ein behutsames Kratzen an der Oberfläche, so intensiv, bis die Oberfläche brüchig wird und man den Sinn des Buches sehr nahe an sich heran lässt und irgendwann merkt man, dass man nicht nur über das Verlorene in dieser Geschichte nachzudenken beginnt…


    Mein Fazit: Den Titel „Buch des Jahres“ der englischen Tageszeitung „The Guardian“ hat dieses Meisterwerk meiner Meinung nach uneingeschränkt verdient. Ich konnte einfach nicht genug bekommen von der Sprache in diesem Buch, die einen einwickelt und überwältigt, die den Leser nachdenklich zurück lässt – so schön, so schmerzlich und so nah geht sie. Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, dass so unter die Haut geht, dessen Stimmung mich so einfangen konnte, wie dieses kleine Juwel.



    Ein Zitat als Anhang, damit man entscheiden kann, ob man die Sprache mag:


    "Maine, der weiße Stern, der ab November leuchtet, herrscht über einen kalten Winkel des Himmels. Hier können nur kurze Sätze und lange Gedanken überleben: Wer nicht aus nördlichem Holz geschnitzt ist, der sollte im Winter nicht hier sein. Die Entfernungen werden riesig, die Zeit wird über den Haufen geworfen. (...) Leute besiegen den Winter, indem sie nächtelang lesen und die Seiten hundertmal schneller umblättern, als ein Tag vergeht, kleine Zahnräder, die während all dieser Monate ein größeres in Bewegung halten. Der Winter ist fünfzig Bücher lang und heftet einen an die Stille, wie ein aufgespießtes Insekt..."

  • Danke für deine Rezi, Eskalina. Nun freue ich mich noch mehr, dass das Buch wohl morgen bei mir eintrudeln wird :-).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Vielen Dank eskalina für deine schöne Rezi. Jetzt freue ich mich noch mehr aufs Lesen, denn ich habe es mir heute morgen gekauft. :wave

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Winter in Maine – Gerard Donovan


    Luchterhand, September 2009
    Originaltitel: Julius Winsome
    Aus dem Englischen von Thomas Gunkel



    Meine Meinung:
    Erwartet hatte ich eine Mischung aus dem Plot von Jack Ketchums „Red“ und dem Stil von Denis Johnsons „Train dreams“, doch dann ist dieser Roman doch etwas vollkommen eigenständiges.
    “Winter in Maine“ lebt von seiner ungewöhnlichen Atmosphäre, die aus stimmungsvollen Bildern und einer klaren Sprache entsteht. Die Kälte des Winters, die einsame, karge Landschaft erscheint deutlich vor dem inneren Auge des Lesers.
    Das ist sehr symbolträchtig angelegt.


    Der Protagonist und Ich-Erzähler lebt schon lange zurückgezogen in den Wäldern. Tief taucht man in seine Gedanken ein. Erinnerungen stehen in Julius Gedanken im Vordergrund, insbesondere die an Claire, mit der er vor Jahren eine kurze Beziehung hatte und die für Julius mit dem Hund gefühlsmäßig verbunden bleibt, aber auch mal an den Vater oder an die Schulzeit.
    Diese Szenen zeigen, wie sehr zurückgezogene lebende, einsame Menschen von Erinnerungen zehren. Hinzu kommen natürlich auch die Überlegungen Julius, um dem Mörder seines Hundes auf die Spur zu kommen.
    Wie nebenbei sind dann die Morde eingestreut.


    Der Roman erscheint mir eher wie eine lange symbolbefrachtete Erzählung und wirkt wie ein Stilleben. Dadurch ist eine vorwärtsgerichtete Entwicklung eingeschränkt. Aber es bleibt ein künstlerisch wertvolles Erzeugnis voller geradliniger Poesie in Prosa.

  • Was für eine Geschichte!
    Ich merke gerade dass ich so garnicht die richtigen Worte dafür finden kann. Auf eine ganz leise, aber doch sehr eindringliche Weise bringt uns der Autor die Gefühlswelt dieses einsamen, zurückgezogenen lebenden Julius näher.
    Bis zu dem Zeitpunkt als sein Hund und Gefährte Hobbes im Wald erschossen wird ist sich Julius über diese Einsamkeit nicht klar, bzw. jetzt erst macht sie ihm etwas aus.


    Dieses Buch muss man nachklingen lassen.

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Mir hat "Winter in Maine" auch sehr gut gefallen.
    Ich fand die Atmosphären, die Donovan geschaffen hat einfach super.
    Die Stille, die Julius umgibt, wurde richtig laut, bei einem Schuss kann man als Leser richtig erschrecken.
    Sehr gelungen fand ich auch diese beiden verschiedenen Welten: das Leben in der nahe gelegenen Ortschaft und im Gegensatz dazu das "Heimkehren" zur ruhigen Hütte, die vom Wald geschützt wird.
    Für mich auf jeden Fall eins der besten Bücher des Jahres! :-)

  • Auch ich kann mich den begeisterten Rezensionen hier nur anschließen!


    Zum Inhalt muß ich ja nichts mehr großartig sagen, nur soviel: Julian tut einem manchmal leid, aber in anderen Momenten kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Wenn man so etwas als Meldung in der Zeitung lesen würde, hätte man mit Sicherheit kein Mitleid mit seiner tragischen Figur!


    Sprachlich ein echtes Highlight, so schöne Sätze und die Idee mit den Shakespeare-Ausdrücken - toll!


    Für alle, die mal wieder in stilsicherer Sprache schwelgen wollen und dabei noch einen echten Pageturner durchschmökern möchten: ab auf die Wunschliste!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Wandert sofort auf meine Wunschliste. Das Zitat hat mich an den Stil von Tana French erinnert, und das habe ich geliebt! Danke für die schönen Rezis!

    Liebe Grüsse von Sirrpa!
    SuB 207
    Splitterherz von Bettina Belitz

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Sirrpa ()

  • Frau Heidenreich hat dieses Buch neulich lobend im Radio erwähnt, dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden.


    Das Thema klingt spannend. Besonders, da man als Leser geschickt auf die Seite eines Mörders gezogen wird. Also ab auf die Wish List.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Zitat

    Original von Fritzi
    Bis jetzt noch nicht. :wave


    Och schade...
    Ich höre gerade Annie Proulx "Hier hat es mir schon immer gefallen", gelesen von Christian Brückner, und ich könnte mir den wunderbar für dieses Buch vorstellen; so vom ersten Eindruck der Geschichte her, ich kenne es ja noch nicht.
    Wie alt schätzt Ihr den Julius?

  • Zitat

    Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, dass so unter die Haut geht, dessen Stimmung mich so einfangen konnte, wie dieses kleine Juwel.


    :write


    Auch mich hat das Buch sehr berührt und ich habe es mit Begeisterung, aber auch mit Erschrecken gelesen. Dabei hat mir die Sprache besonders gut gefallen.
    Ich hoffe, dass bald noch weitere Bücher von Gerard Donovan ins Deutsche übersetzt werden.


  • Wow, das gefällt mir.:anbet
    Jetzt muss ich mir das Buch wirklich bald besorgen... :grin


    Danke für die schöne Rezi!