Über Amor gegen Goliath zu schreiben, vermutlich überhaupt über ein Buch von Frank Schulz zu schreiben, heißt zunächst über Sprachvirtuosität zu schreiben.
Ich fühlte mich bei Amor gegen Goliath sehr schnell an die 10 rules for good writing von Elmore Leonard erinnert.
Z.B. die 2. Avoid prologues
Schulz bringt davon gleich eine Handvoll mit, netterweise auch hinten am Roman angehängt.
Oder die 3. Never use a verb other than "said" to carry dialogue.
Das ist so'n Lieblingsding von Lektoren, nur bestimmte Verben - Verben des Sagens - dürfen verwendet werden. Und weil das so 'ne einfache Regel ist, wird entsprechend lektoriert, egal ob der Text funktioniert oder auch nicht.
Scholz setzt sich da nicht nur souverän drüber weg, sondern reibt es Lektoren geradezu ins Auge (dabei nebenbei auch noch der uns allen bekannte Regel, Wortwiederholungen zu vermeiden, eine Faust ins Auge donnernd):
"Aber", aberte Büttner, ...
Nehmen wir Leonards 10. Regel, Try to leave out the part that readers tend to skip.
Würde man diese Regel befolgen, es bliebe wohl nichts aus Amor gegen Goliath übrig.
Oder eben doch alles.
Amor gegen Goliath und vermutlich auch andere Bücher von Frank Schulz, sind die Antithese zu Leonards Schreibregeln. Bzw. zu Schreibregeln überhaupt.
Und genau das ist es, was Schulz so lesenswert macht: Hier ist ein Meister der Sprache unterwegs, für den vermutlich jede Regel ein Ansporn wäre, sie mit einem Gegenbeispiel zu widerlegen. Und er kann das ohne Zweifel nicht nur immer, sondern es wäre auch immer die bessere Lösung. Kann nur sonst keiner (naja kaum einer, Tom Robbins fällt mir da z.B. spontan ein).
(Ich habe auch mal in die Leseprobe des ersten Onno Viets-Romans reingelesen, dort wird die Mutter aller Schreibregeln Show, don't tell auf die Schippe genommen, indem ein Rechtsanwalt erzählt, was er in einem Internetvideo sieht und hört inkl. der eingeblendeten Untertitel, die den Dialekt übersetzen [Achja und naturlich auch gegen Regel 7 Elmore Leonard verstoßend: Use regional dialect, patois, sparingly])
Amor gegen Goliath strotzt vor sprachlicher Virtuosität mit intelligenten Wortspielen weitab von allen Klischees. In den besten Momenten ist es, als würde unsere Sprache neu erfunden. Es ist, als würde man einen neuen Kontinent mit neuen Möglichkeiten entdecken.
Gleichzeitig, und das könnte man, wenn man möchte - ich sicherlich nicht - diesem Roman vorwerfen, ist Schulz diese Virtuosität häufig wichtiger als die Geschichte. Anders als z.B. bei David Mitchell, bei dem die Sprache in ihrer Virtuosität immer der erzählten Geschichte (und ihrer Metaebene) dient und sich immer stark der jeweiligen Perspektive anpasst, kommt es mir vor, als wäre hier die Geschichte vor allem die Bühne für diese Sprachvirtuosität.
Dieser Eindruck liegt natürlich auch daran, dass es kaum eine Handlung gibt, die hier auf über 700 Seiten erzählt wird. Wer sich nicht an dieser Sprache erfreuen kann, wird mit Amor gegen Goliath nicht viel anfangen können.
Inhaltlich bildet das Buch aus meiner Sicht gut unsere Gesellschaft in der (erlebnisarmen) Corona- und der (ihren Zielen nicht näherkommenden) Fridays for future-Zeit ab.
Erschreckend war dabei für mich vor allem, das es mir angesichts der aktuellen Entwicklungen, also der Geschwindigkeit mit der die Welt überall in Richtung von nationalen Me First-Autokratien zu rutschen scheint, so vorkommt, als läge die Corona/Fridays For Future-Zeit etwa so lange zurück, wie die Datenschutz-Diskussion in den Achtzigern.
Klimawandel ist vordergründig das zentrale Thema hier. Und die Polarisierung der Gesellschaft, der begegnet werden soll, entsprechend auch. Trumps erste Amtszeit wird angesprochen. Und die Superreichen. Und vieles andere auch.
Aber es wirkt schon jetzt wie ein Blick von gestern auf diese Themen, nicht weil diese nicht aktuell sind, sondern weil sich durch Trumps zweite Amtszeit die Entwicklung nochmal unglaublich beschleunigt hat. Z.B. die kurze Episode über Wokeness war sicherlich vor 2 Jahren ein Thema, vielleicht auch letztes Jahr noch, aber dieses Jahr sind wir bereits in einer sehr heftigen Gegenbewegung. Das Harvard zerstört werden soll, weil es zu woke ist, war letztes Jahr einfach noch völlig undenkbar.
Es ist eine schwere Zeit für Autoren, wenn sie auf aktuelle politische Entwicklungen in einem Roman eingehen wollen.
Amor gegen Goliath ist einerseits hochaktuell, andererseits schon überholt. Das ist der Nachteil davon, dass dieser Roman in Teilen sehr konkret ist, statt hintergründiger auf einer Metaebene zu agieren.
Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen...