'Die geteilten Jahre' - Seiten 096 - 206

  • Das Buch rüttelt mich immernoch ganz schön. Aber erinnern und reflektieren ist auch gut, auch wenn es manchmal weh tut.


    Gleich zu Beginn des Abschnittes erzählt die Großmutter vom Schicksal ihres Mannes, der für ihn glimpflichen Kriegsgefangenschaft und der anschließenden Inhaftierung in der DDR. Hier stellt Marcus unbewusst eine Parallele her. Im Raum steht der Vorwurf an die Großelterngeneration, vor der Gewalt und den Greultaten der Nazis die Augen verschlossen zu haben. Und das Gleiche findet man auch im neuen, sozialistischen System. Jede Diktatur beansprucht die Wahrheit, das Recht und die moralische Unfehlbarkeit für sich und setzt diese mit allen Mitteln durch. Da waren die Kommunisten keinen Deut besser als die Nazis!

    Diese familiäre Szene ist sehr intensiv. Oma redet mit Marcus, damals 14, wie mit einem Erwachsenen, und sie hat Glück, dass er so verständig ist und sich wirklich nicht irgendwo verplappert. Erstaunlich finde ich, wie viel Marcus zu dem Zeitpunkt schon weiß und durchschaut. Mit 14 wusste ich noch nichts von Jugendwerkhöfen und Knast. Ich bin aber auch behütet auf dem Land groß geworden.


    Marcus wurstelt sich durch, erst durch die Schule, dann durch die "Asche", wobei die Männer jeder DDR-Familie wohl viele solcher traumatischer Geschichten zu erzählen haben. Clever die Geschichte mit dem Weihnachtswachdienst des "nachtblinden" Marcus. Ist das so passiert?:grin


    Ich mag die Figur des Marcus. Er gibt nicht auf, packt an, wartet nicht, bis die Anderen es machen.

  • Die Geschichte des Großvaters hat mich auch sehr mitgenommen. Dass in Buchenwald ein Internierungslager der Roten Armee wusste ich und auch dass es wohl einfach totgeschwiegen wurde, was dort passiert ist. Passte ja auch nicht zum sozialistischen Bruder, der nur das Beste für die Werktätigen wollte....


    Ein Einzelschicksal nimmt doch immer mehr mit als nur die nackten Tatsachen....


    Marcus hat aber auch großes Glück in seinem Leben, die Reiterei gibt ihm Halt und am Ende auch einen Job, der ihm hoffentlich Spaß machen wird. Sein Chef ist glücklicherweise ja kein Parteisturkopf, sondern handelt mehr nach menschlichen Gefühl, als nach sozialistischer Doktrin.


    Der Abschnitt bei der NVA war wirklich heftig. Wobei ich die Aktion am Wachturm auch ziemlich genial fand. Da kann man nur sagen: Alles richtig gemacht!

  • Auch wenn ich nicht mitlese, möchte ich kurz auf die oben markierte Stelle eingehen.

    Clare, bei ähnlicher Sozialisation und ähnlichem Alter, wusste ich mit 14 bereits, was Jugendwerkhof bedeutet. Um so mehr hat mich damals das Jugendbuch "Neuzugang" von Dorothea Iser aus einer Jugendbuchreihe des Verlags Neues Leben überrascht, dass sich dem Thema sowohl aus der Sicht einer Betroffenen als auch aus der Sicht einer Erzieherin nähert. Das Buch hat mich damals ziemlich verstört; ich wollte tatsächliche Einblicke in das mir nur aus Erzählungen bekannte und negativ besetzte

    ASIN/ISBN:
    Thema gewinnen, stattdessen bestätigte sich mein Eindruck, dass auf die Jugendlichen erzieherisch und politisch eingewirkt wurde und dass die Figur der idealistischen Erzieherin sehr schnell begriff, dass es nicht um Unterstützung, sondern Beugung schwieriger Jugendlicher ging. Soweit ich mich erinnere löste, die Autorin den Konflikt nicht auf; ihre offensichtliche Systemkritik hat mich jedoch sehr beeindruckt. Offensichtlich so sehr, dass ich mich nach mehr als drei Jahrzehnten erinnert und nach kurzer Suche das Buch wieder gefunden habe.

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    Edit:

    Am Tablet lässt sich die ASIN leider nicht einfügen.

  • Zitat

    Die Geschichte des Großvaters hat mich auch sehr mitgenommen. Dass in Buchenwald ein Internierungslager der Roten Armee wusste ich und auch dass es wohl einfach totgeschwiegen wurde, was dort passiert ist. Passte ja auch nicht zum sozialistischen Bruder, der nur das Beste für die Werktätigen wollte....


    Ein Einzelschicksal nimmt doch immer mehr mit als nur die nackten Tatsachen....

    Dass es solche Internierungslager gab wusste ich, dass die rote Armee aber Buchenwald quasi weitergeführt hat, wusste ich nicht, das fand ich schon schockierend.

    Yes. Und jetzt weißt du auch, wieso meine Helden alles Rebellen sind. :)

    Die Szene hat aber auch wirklich ein kleines bisschen was von Robin Hood. ;)

  • Marcus hat aber auch großes Glück in seinem Leben, die Reiterei gibt ihm Halt und am Ende auch einen Job, der ihm hoffentlich Spaß machen wird.

    Das denke ich auch. Er kann wirklich froh sein, dass sich für ihn nach dem Fechten nochmal etwas auftat, was ihn so erfüllen und begeistern konnte. Vielleicht ist es das, was ihn gerettet hat, ihn nicht hat verzweifeln und abstumpfen lassen.

  • Clare, bei ähnlicher Sozialisation und ähnlichem Alter, wusste ich mit 14 bereits, was Jugendwerkhof bedeutet.

    Dann warst du wohl reifer als ich oder besser informiert oder was auch immer.


    Ich habe gerade extra nochmal meinen Mann gefragt, der ein Jahr älter ist als ich uns in der gleichen Gegend aufwuchs wie ich, sehr ländlich. Auch er meint, dass das überhaupt keine Thematik war. Vielleicht eher in der Stadt, keine Ahnung, aber so ist es.

  • Die Geschichte des Großvaters hat mich sehr berührt. Wie Marcus alles hinterfragt und Zusammenhänge herstellt ist beachtlich. Ob ich das mit 14 schon so durchschaut hätte? Ich glaube eher nicht.

    Marcus hat aber auch großes Glück in seinem Leben, die Reiterei gibt ihm Halt und am Ende auch einen Job, der ihm hoffentlich Spaß machen wird

    Da hatte ich ja ein bisschen Sorge, dass ihm nach dem Unfall nichts mehr soviel Spaß macht. Da hat er ja zum Glück schnell die Kurve gekriegt und wirklich was gefunden, was ihn ausfüllt und ihm den nötigen Halt gibt.

  • Die Geschichte des Großvaters hat mich sehr berührt. Wie Marcus alles hinterfragt und Zusammenhänge herstellt ist beachtlich. Ob ich das mit 14 schon so durchschaut hätte? Ich glaube eher nicht.

    Marcus hatte das Glück, seine Großmutter all das fragen zu können. Ich war noch klein, als meine Großeltern starben. Ich bedauere heute noch, dass ich, Kind wie ich war, nicht mehr gefragt habe, sondern nur die heiteren Geschichten von meiner Oma hörte. Die Hintergründe unserer Familie sind ganz ähnlich, beide Familien aus Schlesien geflohen.

    Da hat er ja zum Glück schnell die Kurve gekriegt und wirklich was gefunden, was ihn ausfüllt und ihm den nötigen Halt gibt.

    Marcus ist ein Kämpfer.

    Die Eltern haben ihn aber auch unterstützt in seinem Drang, da nicht aufgeben zu wollen. Das war nicht einfach in den Zeiten.

  • Marcus hatte das Glück, seine Großmutter all das fragen zu können. Ich war noch klein, als meine Großeltern starben. Ich bedauere heute noch, dass ich, Kind wie ich war, nicht mehr gefragt habe, sondern nur die heiteren Geschichten von meiner Oma hörte.

    Das geht mir ähnlich. Meine Großeltern sind auch aus Schlesien geflohen. Mein Opa lebt leider nicht mehr und meine Oma ist inzwischen so verwirrt, sie kann man nicht mehr fragen. Bzw. würde sie das zu sehr aus der Bahn werfen. Ich bedauere das inzwischen auch sehr, dass ich nicht mehr gefragt habe.

  • Mein Vater ist auch geborener Breslauer, allerdings war er 9 Jahre alt, als sie von dort geflohen sind.

    Seine Mutter ist 45 kurz bevor Breslau zur Festung gemacht wurde noch weg und hat ihn in Hirschberg aus der Kinderlandverschickung geholt.

    Von da aus sind sie nach München, weil da die Halbweisenrente ausbezahlt wurde. Meine Großmutter hat auch nichts erzählt, mein Vater lässt nur wenig über die Zeit raus und auch nur Leuten gegenüber, denen er vertraut. Von seiner Zeit in Breslau weiß er auch nicht mehr viel.

  • Die Erzählung der Großmutter fand ich auch sehr berührend.

    Furchtbar, daß es in der DDR dann nicht anders gehandhabt wurde, als zur Nazi Zeit.


    Die NVA Zeit muß ja richtig grausam gewesen sein.

    Vor allem, da es nicht möglich war, den Wehrdienst zu verweigern.

    Ok, hier war es in den 80ger Jahren jetzt auch kein Zuckerschlecken, wenn man lieber Zivildienst machen wollte. Damals gab es noch die fürchterlichen Befragungen und damals hatte ich einen Freund, der sich da richtiggehend darauf vorbereiten mußte, da es gar nicht soo leicht war.

    Aber im Vergleich zur DDR war es ja eher locker.


    Ob sie hier beim Bund genauso grausam waren, wie die Vorgesetzten der NVA, weiß ich nicht. Zum Glück mußte ich da ja nie hin.

    Muß ich direkt mal nachfragen bei den Männern, die das noch mitmachen mußten.

    Woher diese Grausamkeit kam? Das klingt ja fast wie ein fließender Übergang der Nazi-Vorgesetzten Grausamkeit zur NVA Grausamkeit.

    Scheinbar haben weder die einen, noch die andern einen vernünftigen Umgang mit Macht gelernt.

    War wohl auch nicht geqwünscht. Leider.

  • Ich habe den zweiten Leseabschnitt schon am Sonntag beendet und bevor ich hoffentlich mal zum Weiterlesen komme, meine Gedanken:


    Das Buch liest man nicht so weg, es lässt einen innehalten und ich für mich muss sagen, dass ich vieles nicht gewusst habe. In der Schule musste man das Thema DDR nur noch kurz streifen und durch das Buch lerne ich eben so manches hinzu. So bekommt ein Leser für sein Geld nicht nur einen Roman, der auf Tatsachen beruht, sondern ein Gefühl für eine ihm vielleicht auch nicht so bekanntes Leben hinter der DDR Mauer.


    Ich finde erstaunlich, wie die Oma dem damals 14-jährigen Markus so vertraut, dass sie ihm die Geschichte um Kriegsgefangenschaft, spätere Inhaftierung des Großvaters erzählt. Als ich im Juni Weimar besuchte, habe ich Buchenwald nicht besucht, ich wollte mir die Urlaubsstimmung nicht trüben lassen. Hätte ich es getan, hätte ich vermutlich schon mehr über seinen Zweck gewusst.


    Unglaublich, dass Markus trotz der fast verlorenen Sehkraft links seinen Dienst in der JVA leisten muss. Beim Lesen der Schilderung um die Bewachung des leeren Munitionslagers und der vorgetäuschten Nachtblindheit musste ich ordentlich schmunzeln. Mit Soldaten wurde aber wohl auf beiden Seiten der Mauer zu der Zeit noch sehr speziell umgegangen. Sicher waren die Strafen im Osten wohl härter und durch Einträge in Kaderakten wurden unverrückbare Steine in den Weg im Leben geschoben. In den alten Bundesländern hatte ein Wehrpflichtiger sicher nach seiner Dienstzeit nichts mehr mit seinem Betragen und Verhalten während seiner Dienstzeit zu tun.


    Zu dem Studiengang der Veterinäringenieure wurde ich vor einigen Jahren durch einen Vet-Pharma-Außendienst informiert, der mir seinen Berufsweg erklärte und von den früheren Einsatzgebieten erzählte. Falls ich ihn am kommenden Wochenende sehe, kann ich ihn ja mal fragen, ob er in Rostock oder Beichlingen unterrichtet wurde.


    Schon tragisch, dass man bei der Bildungsstätte in Beichlingen über keinen für Großtiere ausgelegten OP verfügt, wo doch die unterrichteten Tierarten Nutztiere und Pferde umfassten. Vermutlich weil Behandlungsaufwand/ Kosten mit Tierwert nicht zusammenpassten. Markus hat sehr gute Ideen um den Reitzweig in Beichlingen Aufrecht zu erhalten und durch den Rektor einen Fürsprecher an seiner Seite, der ihn fordert, fördert und unterstützt – und das ohne Markus Parteimitglied sein muss. Ob wohl der Leiter der Klinik für kleine Klauentiere an der TiHo Hannover Prof. Dr. Karl-Heinz Waldmann ein Nachfahre vom dortigen Rektor ist?


    :)Zur Vervollständigung, mein Vater ist auch in Breslau geboren, mit sechs kam statt Einschulung der Weg mit kleinem Gepäck zum Bahnhof.:knuddel1

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Die NVA Zeit muß ja richtig grausam gewesen sein.

    Vor allem, da es nicht möglich war, den Wehrdienst zu verweigern.

    Man konnte den Wehrdienst schon verweigern, musste dann allerdings ins Gefängnis /Totalverweigerer) oder durfte in dieser Zeit fleißig für den Staat und am Aufbau des Sozialismus arbeiten als Bausoldaten. Keine wirkliche Alternative. Bausoldaten waren auch in Kasernen untergebracht und unterstanden militärischem Befehlsgehorsam, aber ohne Waffe.

  • Man konnte den Wehrdienst schon verweigern, musste dann allerdings ins Gefängnis /Totalverweigerer) oder durfte in dieser Zeit fleißig für den Staat und am Aufbau des Sozialismus arbeiten als Bausoldaten. Keine wirkliche Alternative. Bausoldaten waren auch in Kasernen untergebracht und unterstanden militärischem Befehlsgehorsam, aber ohne Waffe.

    Gab es denn auch sogenannte T-Gruppen?

    Hier gab es ja die sogenannte Untauglichkeit, mit der man dann nicht eingezogen werden konnte.

    Ich glaub, das begehrt T5 oder T6 hieß das, soweit ich mich erinnere.

    Da hofften ja doch einige drauf, da es eben nicht so ganz einfach war, Zivildienst statt Bundeswehr zu machen.

  • Siehe markierter Absatz.

    Noch Anfang der 2000-er während meiner Ausbildung in Strafsachen habe ich einige junge Männer kennengelernt, die sich wegen eigenmächtiger Entfernung von der Truppe strafrechtlich verantworten sollten. Das geschah manchmal auch erst anderthalb Jahre nach Erfüllung der Wehrpflicht. Da bereits innerhalb der Bundeswehr disziplinarische Maßnahmen vorangegangen waren, wurde meistens das Verfahren eingestellt.

  • Dann möchtest Du bestimmt nicht wissen, was in den russischen Kasernen in der DDR los war.

  • Das Buch liest man nicht so weg, es lässt einen innehalten und ich für mich muss sagen, dass ich vieles nicht gewusst habe. In der Schule musste man das Thema DDR nur noch kurz streifen

    So geht es mir auch. Natürlich hat man auch nach der Schule einiges gehört, oder gelesen/gesehen, trotzdem war mir vieles nicht klar.

  • Ob wohl der Leiter der Klinik für kleine Klauentiere an der TiHo Hannover Prof. Dr. Karl-Heinz Waldmann ein Nachfahre vom dortigen Rektor ist?

    Eher nicht, der Name ist verfälscht. Bei einem Roman darf man keine echten Namen verwenden, wenn die betreffenden Personen keine Zeitzeugen sind. Außer, sie geben wie Frau Klump ihr Einverständnis.

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)