'Die geteilten Jahre' - Seiten 096 - 206

  • Man konnte den Wehrdienst schon verweigern, musste dann allerdings ins Gefängnis /Totalverweigerer) oder durfte in dieser Zeit fleißig für den Staat und am Aufbau des Sozialismus arbeiten als Bausoldaten. Keine wirkliche Alternative. Bausoldaten waren auch in Kasernen untergebracht und unterstanden militärischem Befehlsgehorsam, aber ohne Waffe.

    ... und waren für den Rest ihres Lebens abgestempelt.

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)

  • Gab es denn auch sogenannte T-Gruppen?

    Hier gab es ja die sogenannte Untauglichkeit, mit der man dann nicht eingezogen werden konnte.

    Ich glaub, das begehrt T5 oder T6 hieß das, soweit ich mich erinnere.

    Da hofften ja doch einige drauf, da es eben nicht so ganz einfach war, Zivildienst statt Bundeswehr zu machen.

    Ich hatte auch auf die Untauglichkeitsbescheinigung gehofft, aber das war ein Wort mit X. :) Heute kann man drüber lachen, damals allerdings nicht.

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)

  • Eher nicht, der Name ist verfälscht. Bei einem Roman darf man keine echten Namen verwenden, wenn die betreffenden Personen keine Zeitzeugen sind. Außer, sie geben wie Frau Klump ihr Einverständnis.

    Generell weiß ich dies, bin aber über mein Kopfkino *es könnte ja sein* gestolpert.:)

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Ich hatte auch auf die Untauglichkeitsbescheinigung gehofft, aber das war ein Wort mit X. :) Heute kann man drüber lachen, damals allerdings nicht.

    Wären Deine Chancen darauf größer gewesen, wenn Deine Familie parteitreu gewesen wäre?

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • ... und waren für den Rest ihres Lebens abgestempelt.

    Die Totalverweigerer auf jeden Fall. Da bekamst du nie wieder einen Fuß in irgendeine Tür.

    Wie die Repressalien für Bausoldaten waren, weiß ich nicht. Wie schon gesagt, ich war zur Wende noch recht jung, gerade erst volljährig geworden. Im September/Oktober 89 hatte ich regen Briefwechsel mit einem Freund aus unserer Gemeinde , der da gerade Bausoldat war, aber direkt darüber natürlich nichts schreiben durfte. Ein Zuckerschlecken war das nicht.

  • Wären Deine Chancen darauf größer gewesen, wenn Deine Familie parteitreu gewesen wäre?

    Nein, ich denke nicht. Das war denen egal, die haben so gut wie jeden gezogen, um ihn mindestens 18 Monate in die Mangel zu nehmen. Wie man sich vorstellen konnte, durch diese Schikanen "allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten" zu formen wird mir allerdings ewig ein Rätsel bleiben.

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  • Und wieder habe ich eine Menge erfahren, von dem ich vorher nichts wusste. Ich habe gewusst, dass es Strafmaßnahmen gab, aber nicht wie weit diese gegangen sind. Auch von der Macht der Stasi hatte ich gehört, aber auch da war mir der tatsächliche Einfluss nicht bewusst.

    Die mangelhafte Arbeitseinstellung scheint mir aber auch ein Problem von Großbetrieben zu sein. Etliche glauben, dass ihr Einsatz nicht von Nöten ist und arbeiten entsprechend. Und die positive Bewertung von sozialer Gesinnung ähnelt der Vetternwirtschaft.

    Manchmal scheint mir Marcus ziemlich verbohrt zu sein, weil er in gewissen Dingen keinerlei Zugeständnisse macht. Dann ist er einerseits beim Aufbau der Reitsportgruppe sehr aufmerksam, während er bei der Vorführung der Kabarettisten ziemlich blauäugig agiert. Manchmal scheint es mir wie ein Ritt auf der Rasierklinge. Als brauche man diese Gefahr, um seine Fähigkeiten voll nutzen zu können. Oder ist es das Symbol des Widerstandes, den es zum Leben braucht?

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Was die Behandlung junger Soldaten angeht, so kann ich aus meiner Bundeswehrzeit als W15-er (1976/77) sagen, dass es nicht so schlimm wie bei der NVA war, aber es schon Hierarchien und Rituale (oder wie immer man das nennen mag) gegeben hat. Ab und zu kommen ja noch heute solche Missstände an die Oberfläche, meist auch noch bei "Eliten".

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Die Erzählung der Großmutter war sehr eindrücklich und das Schicksal vom Opa zwar interessant und ereignisreich, am Ende aber sehr tragisch. Wie oft mögen sie gedacht haben "Hätte ich ihn nur nicht nach Leipzig geholt?".


    1999 war ich in Buchenwald. Ich kann mich nicht erinnern, dass dort irgendwo ein Hinweis war, dass dieser Ort auch von den Russen als Lager genutzt wurde. Das kann aber auch nicht lange so möglich gewesen sein, denn die ganzen Baracken wurden ja relativ schnell abgebrannt und abgerissen. Heute steht dort nur noch das Eingangstor mit der widerlichen, zynischen Inschrift "Jedem das Seine" und einzelne Dokumentationsgebäude. Erschreckend ist aber, dass diese alten KZs von der DDR auch als Gelöbnisorte der NVA weiterhin genutzt wurden.


    VIele Begrifflichkeiten, die Marcus bei der NVA berichtet, kenne ich auch von der Bundeswehr. Machtstrukturen und perfide Machtspielereien gehören wohl leider zum Manschen dazu. In abgeschwächter Form gibt es dies ja auch in der Wirtschaft und wird heute Mobbing genannt. Eindrücklich war für mich mal die Lektüre des Buches "Fassonschnitt" von Jürgen Fuchs. Das hätte fast alles auch im Westen passieren können.

    ASIN/ISBN: 3499124807


    Die Episode mit dem Wachturm war genial. Spiele mit den Vorgesetzten, wenn auch nicht ganz so drastisch, haben wir uns auch immer erlaubt. Nach einer Geländeübung wurden wir mal zusammen geschrien, dass wir angeblich die Gewehre nicht gründlich genug gereinigt hätten. 30 Minuten hätten wir nun noch einmal Zeit für eine Nachreinigung. Ich habe meines dann in meiner Stube nur wütend gegen den Spind geschlagen, es dann darin eingeschlossen und mich anschließend lediglich auf dem Klo eingeschlossen und die Zeit abgewartet. Bei der Nachkontrolle hieß es dann einfach nur "Ja, so muss ein sauberes Gewehr aussehen. Warum nicht gleich so?" Den Hinweis, dass ich das Ding kein zweites Mal gereinigt habe, habe ich mir aber verkniffen. Alles nur blödsinnige Einschüchterung.

  • Dann warst du wohl reifer als ich oder besser informiert oder was auch immer.


    Ich habe gerade extra nochmal meinen Mann gefragt, der ein Jahr älter ist als ich uns in der gleichen Gegend aufwuchs wie ich, sehr ländlich. Auch er meint, dass das überhaupt keine Thematik war. Vielleicht eher in der Stadt, keine Ahnung, aber so ist es.

    Clare, ich habe in der tiefsten Provinz gewohnt. Im Osten gab es nichts, im Westen zehn Kilometer weiter den Grenzstreifen. Nur in meinem Elternhaus wurde alles politisiert.

    Eine Woche vor meiner Einschulung wurde damit begonnen, mir einzutrichtern, dass ich in der Schule nichts vom Westfernsehen erzähle. Jeder Lehrer/jede Lehrerin bzw. die dje jeweiligen Ehepartner wurde von meinem Eltern auf Stasiverdacht gecheckt und genau mit diesen Instruktionen bin ich eingeschult worden. Erst später bekam ich mit, dass mein Vater seine Emotionen auf das System in der Öffentlichkeit nicht zurückhalten konnte und ich rechnete einige Jahre später fast täglich damit, dass mein Vater abgeholt wird.

  • Clare, ich habe in der tiefsten Provinz gewohnt. Im Osten gab es nichts, im Westen zehn Kilometer weiter den Grenzstreifen. Nur in meinem Elternhaus wurde alles politisiert.

    Eine Woche vor meiner Einschulung wurde damit begonnen, mir einzutrichtern, dass ich in der Schule nichts vom Westfernsehen erzähle. Jeder Lehrer/jede Lehrerin bzw. die dje jeweiligen Ehepartner wurde von meinem Eltern auf Stasiverdacht gecheckt und genau mit diesen Instruktionen bin ich eingeschult worden. Erst später bekam ich mit, dass mein Vater seine Emotionen auf das System in der Öffentlichkeit nicht zurückhalten konnte und ich rechnete einige Jahre später fast täglich damit, dass mein Vater abgeholt wird.

    In meinem Elternhaus wurde gar nicht über Politik geredet. Anders kann ich es nicht sagen. Mein politisches Bewusstsein entwickelte ich erst im Internat der EOS und in der jungen Gemeinde, so mit 16 aufwärts. Ich glaube, das hat meinen Eltern ganz schön Sorgen gemacht.

    Westfernsehen hatten wir nicht, weil es nicht empfangbar war.

  • In meinem Elternhaus wurde gar nicht über Politik geredet. Anders kann ich es nicht sagen. Mein politisches Bewusstsein entwickelte ich erst im Internat der EOS und in der jungen Gemeinde, so mit 16 aufwärts. Ich glaube, das hat meinen Eltern ganz schön Sorgen gemacht.

    Westfernsehen hatten wir nicht, weil es nicht empfangbar war.

    Konnte man in der DDR unpolitisch sein?

    Meine Eltern haben in meinem 6.Schuljahr ausgehandelt: Konfirmation und Jugendweihe gegen Zulassung zur Erweiterten Oberschule, allerdings mit ganz direktem Hinweis schon in der 8.Klasse, dass meinem Studienwunsch nicht entsprochen wird.

    Ich habe zwei Lehrerinnen gehen sehen wegen gestellter Ausreiseanträge.

    Zwei junge Männer habe ich aus Bautzen und Schwedt zurückkommen sehen, physisch und psychisch gebrochen.

    Mein Bruder sollte als Kind aufgrund ärztlicher Empfehlung zu einer Kur nach Jugoslawien, abgelehnt mit Verweis auf ein mögliches Treffen mit unserer Westverwandtschaft.

    Mir würden noch unzählige weitere Beispiele einfallen und es soll nichts bemerkbar gewesen sein?

  • Hab ich gesagt, dass meine Eltern unpolitisch waren? Hab ich nicht.

    Hab ich gesagt, dass wir nichts bemerkt haben? Hab ich auch nicht, lediglich, dass manches wie zum Beispiel Jugendwerkhöfe, kein Thema waren.

    Ich finde nicht, dass wir uns vorrechnen müssen, wer der beste, bewussteste und schon immer oppositionelle Mensch war in diesen Zeiten.


    Meine Eltern haben sich vor uns sehr zurückgehalten, zwar schon von Sachen aus dem Betrieb oder Kolegen erzählt, aber sich da, will soll ich es sagen, unverfänglich verhalten. Ich denke, dass sie uns Kinder schützen wollten und sich auch. Das magst man falsch oder feige oder unreflektiert finden, aber ich meine, es steht mir nicht zu, sie dafür zu verurteilen. Sie haben dafür gesorgt, dass wir auch zur Jugendweihe gingen trotz Konfirmation, damit wir Abitur machen konnten. Auch das mag man falsch finden, aber sie haben sich so entschieden. Sie wollten das Beste und machten es so, wie sie es eben konnten.

    Meinst du, dass ich alles glaubte, was im Stabü-Unterricht gelehrt und posaunt wurde? Das hat man über sich ergehen lassen.



    Edit:

    So, ich habe jetzt nochmal editiert, weil ich ziemlich emotional reagiert habe und ich nicht finde, dass das hier her gehört.:wave

    - Freiheit, die den Himmel streift -

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Clare ()

  • Ich finde nicht, dass wir uns vorrechnen müssen, wer der beste, bewussteste und schon immer oppositionelle Mensch war in diesen Zeiten.


    Sie haben dafür gesorgt, dass wir auch zur Jugendweihe gingen trotz Konfirmation, damit wir Abitur machen konnten. Auch das mag man falsch finden, aber sie haben sich so entschieden. Sie wollten das Beste und machten es so, wie sie es eben konnten.

    Das sehe ich auch so. :wave

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)