Mark Haddon - Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone

  • Luc
    Zu den medizinisch-pschologischen Aspekten kann ich mangels Kenntnissen nichts sagen. Ich gehe aber mal davon aus, daß es auch bei Autismus durchaus unterschiedliche "Level" der Ausprägung geben mag.


    Der getötete Hund spielt mMn eh nur eine untergeordnete Rolle und hätte auch durch irgendein anderes Ereignis ersetzt werden können. Letztlich ist es die Familiengeschichte der Christopher mehr oder weniger ungewollt und zufällig auf die Spur kommt. Das klingt aber leider geheimnisvoller, als es sich dann tatsächlich ergibt. Denn der Leser kann die Eindrücke, die der Protagonist eben nur schwerlich in Beziehung zueinander setzen kann, recht schnell zusammenkombinieren.


    Gruss,


    Doc

  • Als ich studiert habe, hatten wir auch einen Autisten mit in der Seminargruppe. Also finde ich die Ausgangslage des Buches nicht unbedingt konstruiert. Wenn man als Autist studieren kann, ist es auch nicht so abwegig, Nachforschungen über einen toten Hund anzustellen. Kommt wohl wirklich auf den Grad der Ausprägung an.

  • Ja, es ist das Asperger-Syndrom, an welchem Christopher leidet. Und gerade Menschen mit diesem Asperger-Syndrom entwickeln erstaunliche Fähigkeiten (siehe Rain Man). Ich habe einmal eine Rezension zu diesem Buch gelesen, in dem eine Mutter mit Aspergerkind, ganz ähnliche Verhaltensmuster bei ihrem Kind beschrieb und dies Buch als sehr gute Lektüre empfahl.. Allerdings als Roman, nicht als Sachbuch!


    Ich liebe dieses Buch einfach total!!!

  • Als ich mal in der Berufsschule kurz etwas zum Thema Autismus gelernt habe, wurde uns erzählt, dass Dustin Hoffman im Film "Rain Man" am Aspergersyndrom litt - allerdings lege ich für meine Lehrerin dort NICHT meine Hand ins Feuer! :grin Ich lasse mich gern und sofort eines besseren belehren

  • Naja, ich bin auch nicht die Expertin. Ich hab eine Bekannte mit Asperger Autismus und die unterscheidet sich schon sehr deutlich von Rainman. Aber der Artikel sagt ja auch:


    Zitat

    Sowohl die Übergänge innerhalb des Spektrums als auch der Übergang vom Asperger-Syndrom zur „Normalität“ sind fließend.


    Möglicherweise ist Rainman an einem Ende und sie am anderen Ende des Asperger-Spektrums.

  • Bei Autismus unterscheidet man ja unter so vielen Formen, ich denke auch, dass man dafür garantiert schon Medizin studiert haben sollte, damit man einiges versteht...und das ist mir das Buch dann doch nicht so wirklich wert - und erst recht sind meine Noten nicht gut genug dafür :lache
    Früher habe ich mal in einem Buch gelesen, dass Dyskalkulie ebenfalls eine Form des Autismus war, dann wäre ich auch Autismuspatientin (ich denke aber, dass ich ganz gesund bin, halt nur ne Rechenschwäche habe).


    *delphinhandreich*

  • Ich schreib meine Rezension auch hier zur englischen Ausgabe. Die Schreibweise ist ja wirklich einfach genug, dass man es durchaus im Original lesen sollte.


    Trotz des sehr einfach gehaltenen Schreibstils, der die Sicht des autistischen Christopher spiegeln soll, ist dieses Buch wunderbar fesselnd geschrieben. Fuer mich der erste TOP Titel in diesem Jahr!


    Auch meine 10jaehrige Tochter hat es gelesen und fand es sehr gut. Sie hat 2 autistische Jungs in ihrer Klasse, einen kennt sie schon seit Jahren. Er lebt in unserer Nachbarschaft und sie findet, dass das Buch sehr gut beschreibt wie dieser Junge denkt. Es erklaert wirklich die besondere Logik und Verhaltensweisen autistischer Menschen in gut verstaendlicher Form und dabei auch noch unterhaltsam.


    Fuer mich war es durchaus beeindruckend wie sich die Geschichte aus der Sicht des Jungen entwickelt und wie doch noch durchschimmert, was es fuer die Menschen um ihn herum bedeutet. Die Eltern sind sehr menschlich beschrieben, sie wachsen an der Herausforderung mit Christopher zu leben, sie versagen aber auch und muessen wieder neue Wege suchen.


    Autismus ist ein grosses Spektrum von mehr oder weniger starken Stoerungen. Wo genau Christopher angesiedelt ist, laesst sich sicherlich nicht sagen, ist aber auch nicht so wichtig fuer die Geschichte. Asperger ist es aber m.M. nach nicht (wo wird das denn in dem Buch erwaehnt????), da es meist so ausgepraegt ist, dass man diesen Menschen die Stoerungen nicht unbedingt auf den ersten Blick ansieht. Es wird ja z.B. auch stark vermutet, dass Leute wie Einstein und Bill Gates Asperger haben koennten. Auch den Jungen und Erwachsenen mit Asperger, die ich persoenlich kenne sind da mit Christopher nicht zu vergleichen. Unser Nachbarsjunge mit high functioning Autismus ist auch 'umgaenglicher' als Christopher und durchaus mit Hilfslehrerin in einer normalen Schulklasse integriert.


    Ich hoff noch, dass ich unserer Nachbarin die Tage mal sehe und sie nach ihrer Meinung zu diesem Buch fragen kann.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Jetzt bin ich mal ueber eine ganz andere Rezension zu diesem Buch gestolpert. Diese ist naemlich von der Mathematical Association of America und schaut sich das Buch in erster Linie von der mathematisch/logischen Seite an. Sehr interessant, selbst fuer Nicht-Mathegenies!


    http://www.maa.org/reviews/dogincident.html

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Danke Beatrix für den Link, das ist ja mal interessant zu lesen und mal Literatur vom mathematischen Standpunkt zu betrachten was Neues. Ich hab ja ne ausgesprägte Rechenschwäche und war daher damals skeptisch wegen den Primzahlen etc. aber ich habs dann doch irgendwie gerafft :-)


    Interessant fand ich auch, dass deine Tochter das Buch für sehr realistisch hält, ich glaub, ich werde das Buch auch nochmal im Original lesen.


    Bibi

  • Ich fand das Buch auch höchst interessant. Von einem autistischen Rezenten habe ich übrigens gelesen, dass er das Buch für sehr akurat hält, was die Sichtweise eines Autisten betrifft. Ist schon irre, was da alles im Kopf eines von außen bloß verstört wirkenden Menschen vorgeht ...

  • Ich hab's auch gelesen:


    Der fünfzehnjährige Christopher leidet am Asperger-Syndrom, er ist Autist. Christopher verfügt über extrem gute visuelle Wahrnehmungsmöglichkeiten, ein fotographisches Gedächtnis und hohe mathematische Fähigkeiten - er kann die Primzahlen bis 8000 auswendig, und wenn er Probleme hat, löst er zur Entspannung quadratische Gleichungen im Kopf. Er scheitert daran, Mimik zu interpretieren, sich in fremden Umfeldern zu bewegen oder mit Menschen direkten Kontakt aufzunehmen. Seine Emotionalität ist eingeschränkt, er haßt die Farben gelb und braun. Um zurechtzukommen, skizziert er seine Umgebung, hält rote Lebensmittelfarbe bereit, um sein Lieblingscurry essen zu können. Obwohl Christopher auf eine Sonderschule geht, wird er bald das Mathematik-Abitur machen. Darauf freut er sich sehr.
    Und dann findet er den Hund der Nachbarin, tot, mit einer Heugabel erstochen. Christopher mag Hunde, und er beschließt, das Rätsel zu lösen, wie Sherlock Holmes das getan hätte, den er sehr verehrt. Unter Anleitung seiner Lehrerin Shioban beginnt er, ein Buch über diese detektivischen Ermittlungen zu schreiben, und um seine Welt zu verdeutlichen, durchsetzt er es mit mathematischen Denkspielen, zuweilen aber auch philosophierenden Abschnitten, die durchaus verblüffen.


    Dieses Buch lesen wir. Christopher entdeckt, daß es zwischen der Nachbarin und seinem Vater Verbindungen gibt, die über Freundschaft hinausgehen, und als er herausfindet, wer der Mörder des Hundes war und daß die totgeglaubte Mutter doch noch lebt, tritt er eine Odyssee an: Er versucht, ganz alleine nach London zu fahren.


    Haddon gelingt es auf eindrucksvolle Weise, eine glaubhafte Sprache und Bilderwelt eines fünfzehnjährigen Autisten zu zeichen; das Buch vermittelt Authentizität, wenn es sie in diesem Zusammenhang überhaupt geben kann. Es liest sich zudem flüssig und spannend, und es baut Nähe zur Figur auf, ohne je weinerlich zu werden. Interessante, lehrreiche Lektüre, nicht nur für Menschen, die von Berufs wegen oder aus familiären Gründen mit dem Thema konfrontiert sind. Ein schönes Buch über besondere Menschen.