'Septimus Harding, Spitalvorsteher' - Kapitel 16 - Ende

  • Seit heute Morgen bin ich auch - wie ein paar andere wohl - mit dem Roman fertig. Die letzten Kapitel bringen Hardings Reise nach London und die Versöhnung zwischen den Kontrahenten aller Seiten.
    Hardings Londonaufenthalt ist wieder ein Kabinettstückchen der Erzählkunst. Sowohl das Hotel mit seiner verstaubten geistlichen Atmosphäre, die selbst im gewichtíg-langsamen Schritt des alten Kellners deutlich wird, als auch der stundenlange Aufenthalt in Westminster Abbey und der Besuch des fischduftgeschwängerten Restaurants, das ist schon sehr gut eingefangen.

    Ansonsten ist der Rest recht konventionell: Alle vertragen sich wieder, auch für Harding findet sich eine Möglichkeit, das Kantorenamt mit einer kleinen, naheliegenden Pfarre zu kombinieren und er darf am Ende wieder im Haushalt seiner jüngeren Tochter, der neuen Mrs.Bold, eine gewisse Bequemlichkeit und seine familiären Bindungen genießen. Auch wieder so schön aus dem Leben gegriffen ist die kurze Anmerkung, wie die Kleinstadtbevölkerung nun endlich den neuen Namen von Eleanor kicherfrei aussprechen kann. Gerade diese kleinen Beobachtungen machen die Schilderungen Trollopes so liebenswert und lebensecht.

    Insgesamt hat mir der Roman so gut gefallen, dass ich erstmal tief in die Tasche gegriffen habe und alle Romane, die auf Deutsch entweder als E-Book oder bei Manesse erschienen sind, angeschafft habe. Ich danke euch sehr, dass ihr mich durch diese Leserunde auf Trollope gebracht habt. Vielleicht lesen wir hier ja mal wieder einen anderen Band zusammen?!

  • Also, ich bin noch nicht durch - ich hatte das Buch ja erstmal zur Seite gelegt und habe heute Morgen mit dem letzten Abschnitt angefangen.

    Ein Tag in London - schon der Vergleich eines Tagesablaufs zwischen Septimus Harding und mir hat mich aus dem Lachen kaum herausgebracht. Westminster Abbey ist wirklich schön und sehenswert. Aber fast ein ganzer Tag dort...? Allerdings muss ich mich in London auch nicht vor übergriffigen Schwiegersöhnen verstecken. :lache

  • Ich bin jetzt auch durch, komme aber erst morgen dazu, ausführlicher zu schreiben.


    Vielleicht lesen wir hier ja mal wieder einen anderen Band zusammen?!

    Von mir aus gerne. :-) (Dann vielleicht zu einem besseren Zeitpunkt mit mehr Elan meinerseits.)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wie euch haben mich die Beschreibungen und die mit scharfem Blick beobachteten Einzelheiten begeistert.

    Insgesamt fand ich die "Moral von der Geschicht" aber ziemlich bitter.

    Aus der gewünschten Gerechtigkeit ist gar nichts geworden, für die "neuen" Armen gibt es keine Bleibe mehr und die Stiftungsgelder dürften irgendwo ungenutzt herumliegen.

  • Ich bin jetzt seit zwei Tagen mit dem Lesen fertig. Mir schwirren leider sehr viele Gedanken im Kopf herum, so dass ich es gar nicht richtig in Worte fassen kann. Irgendwie war dieser Kampf sinnlos. Was hat es gebracht? Die Verlierer dieser Angelegenheit sind klar. Aber nun wird das Testament auch nicht mehr eingehalten. Es gibt keine neuen Bewohner mehr. Die Anlage verkommt. Traurig

  • Im letzten Kapitel gelingt es dem Autor, entgegen meiner Erwartung, tatsächlich, das Buch gut ausklingen zu lassen. Doch der Reihe nach.


    Mr. Harding muß also einen ganzen Tag in London „totschlagen“. Eine langweilige Angelegenheit; ich entsinne mich noch, wenn meine Außendiensttermine sich einfach nicht sinnvoll legen ließen, und ich nur ein paar Stunden irgendwie rumkriegen mußte - das war schon langweilig. Dann erst ein ganzer Tag!


    Immerhin gelingt es ihm, Sir Abraham zu überraschen und den Erzdiakon zu überlisten! Das ist doch auch etwas. :grin


    S. 306 (Manesse): „Ein Geistlicher läßt sich nicht gern mit Bibelzitaten widerlegen; er ist dann genauso beleidigt wie ein Arzt, dem eine alte Frau ihr Lieblingsheilkraut empfiehlt, oder wie ein Anwalt, den ein Laie mit einer Spitzfindigkeit zum Schweigen bringen will.“ :chen


    Zum Thema „mit Bibelzitaten schlagen“ sei auf die Pfarrer Braun Filme mit Ottfried Fischer in der Hauptrolle verwiesen. Der schlägt seinen Bischof dauernd mit Bibelzitaten. :grin


    Es kommt, wie es kommen mußte: Mr. Harding tritt zurück, der Bischof zeigt Charakterstärke und läßt sich auf die Mauscheleien des Erzdiakons nicht ein, wodurch die Stelle des Vorstands unbesetzt bleibt. Das Haus verfällt, die Insassen sterben, neue kommen nicht nach - das dürfte das Ende der Einrichtung sein.


    Und die Moral von der Geschicht? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Etwas, was für Aktivisten aller Zeiten Gültigkeit hat. Ich habe nämlich (meistens) den Eindruck, daß man - wie Mr. Bold - alles nur sehr einseitig durch eine getönte Brille sieht, danach handelt - und das große Ganze völlig aus dem Blick verliert. Mit entsprechenden Konsequenzen. Aber an die denken diese Aktivisten ja nicht, denn für die müssen sie weder gerade stehen noch gar Verantwortung übernehmen.


    Im Nachwort meiner Ausgabe heißt es übrigens zum Abschluß desselben (S. 381): „Die folgenlose Aufrichtigkeit des Spitalvorstehers, die für andere als reine Donquichotterie erscheint und Harding an den Rang sprachlicher und gesellschaftlicher Konventionen rückt, ist insofern ein beredeter Kommentar Trollopes auf seine eigene Zeit.

    Inwiefern dies auch ein „Kommentar auf andere Zeiten“ ist, bliebe zu untersuchen.



    Noch zu S. 355 (Manesse): „(...) ist er nie krank und wird vermutlich eines Tages langsam und kampflos sterben, wie ein Funke erlischt.

    Wer so einen „erlöschenden Funken“ bei seinem letzten Weg begleiten möchte, der sei auf Fjodor M. Dostojewskis „Die Dämonen“ verwiesen, vorletztes Kapitel „Stepan Trofimowitschs letzte Wanderschaft“:

    "Stepan Trofimowitsch verschied erst am dritten Tage, nachdem er die letzte Zeit bereits in vollkommener Bewußtlosigkeit gelegen hatte. Es war wie ein stilles Erlöschen eines zu Ende brennenden Lichts.

    (zitiert nach F. M. Dostojewski, Sämtliche Werke in zehn Bänden, Nr. 4 „Die Dämonen“, R. Piper & Co. Verlag, München und Zürich, 1980, S. 973)

    Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich „Die Dämonen“ nicht mehr gelesen. Dem sollte ich wieder mal näher treten.



    Abschließend: das ist einer der ganz wenigen Fälle, da ich ein Buch begonnen habe, ohne mich vorher über den Inhalt zu informieren, einfach deshalb, weil ich schon lange etewas von Trollope lesen wollte. Ob ich das gelesen hätte, hätte ich die Thematik gekannt, weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat es mir stilistisch außerordentlich gut gefallen. Der Humor, die Ironie und auch der Sarkasmus des Autors - besser geht es eigentlich nicht. Insofern bin ich froh, es gelesen zu haben. Ich kann mir durchaus vorstellen, auch die anderen Barchester-Bücher zu lesen. Soweit nicht übersetzt, auch im Original. Ich habe immer mal in die englische Ausgabe hineingelinst, so schwer scheint das gar nicht verständlich zu sein.



    Insgesamt fand ich die "Moral von der Geschicht" aber ziemlich bitter.

    Bitter - aber realistisch.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Heute Nachmittag bin ich nun auch fertig geworden. Das Ende habe ich so geahnt - natürlich nicht in den Einzelheiten, aber insoweit, dass es keine Gewinner gibt.

    Zumindest Mr Harding ist aber glaubhaft beschrieben, er ist wenigstens nicht todtraurig, sondern kann mit seiner Entscheidung gut leben.


    Ich bin bei weiteren Büchern von Anthony Trollope gerne dabei, bei den nicht übersetzen auch im Original. Die Manesse-Ausgabe hat mir aber sehr gut gefallen.

  • Und die Moral von der Geschicht? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Etwas, was für Aktivisten aller Zeiten Gültigkeit hat. Ich habe nämlich (meistens) den Eindruck, daß man - wie Mr. Bold - alles nur sehr einseitig durch eine getönte Brille sieht, danach handelt - und das große Ganze völlig aus dem Blick verliert. Mit entsprechenden Konsequenzen. Aber an die denken diese Aktivisten ja nicht, denn für die müssen sie weder gerade stehen noch gar Verantwortung übernehmen.

    Ich stimme dir voll und ganz zu.


    Der Schreibstil von Trollope hat mir wirklich auch gut gefallen, so dass ich mir demnächst ein weiteres vornehmen werde.

  • Ich habe das Buch inzwischen auch fertig gelesen. Vor allem der Schreibstil des Autors hat mir wahnsinnig gut gefallen.

    Ich habe bis zum letzten Kapitel noch gehofft, dass es eine andere Lösung für Mr. Harding geben könnte. Das er in seinem Spital als Vorsteher bleiben und seinem Gerechtigkeitssinn trotzdem genüge getan werden könnte. Schade, dass es nicht so war.


    Ich muss mich bei Euch entschuldigen, dass ich mich in der Leserunde so wenig gemeldet habe und nicht wirklich aktiv war. Ich habe im Moment ein Problem mit Leserunden. Es liegt an mir selbst. Wahrscheinlich habe ich in der Vergangenheit zu viele Leserunden mitgemacht. Jetzt fehlt mir gerade die Lust dazu und ich kann mich einfach nicht aufraffen viel zu dem Gelesenen zu Schreiben.

    Ich habe mir vorgenommen, erst mal mit Leserunden kürzer zu trefen. Vielleicht habe ich dann irgendwann mal wieder mehr Lust darauf.

  • Und die Moral von der Geschicht? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Etwas, was für Aktivisten aller Zeiten Gültigkeit hat. Ich habe nämlich (meistens) den Eindruck, daß man - wie Mr. Bold - alles nur sehr einseitig durch eine getönte Brille sieht, danach handelt - und das große Ganze völlig aus dem Blick verliert. Mit entsprechenden Konsequenzen. Aber an die denken diese Aktivisten ja nicht, denn für die müssen sie weder gerade stehen noch gar Verantwortung übernehmen.

    Ich stimme Dir auch völlig zu, SiCollier. Du hast das Dilemma auf den Punkt gebracht. Ich wollte in Bold zumindest noch jemanden sehen, dessen Engagement nicht nur aus purer Eitelkeit geschieht. Aber die Tatsache, wie wenig ihn der Ausgang und damit das Desaster für die Armenhäusler im Nachhinein interessiert, zeigt seinen blinden Aktionismus.


    Was mich besonders an der Geschichte berührt hat, war, wie einfühlsam Trollope die Folgen des Rufmords an Mr. Harding beschreibt. Wie sehr geschriebene/gedruckte Worte verletzen können. Darüber - habe ich das Gefühl - machen sich heute viele, die munter im Internet auf andere verbal eindreschen, überhaupt keine Gedanken. Mich hat versöhnt, dass Mr. Harding für sich einen Weg aus dem Dilemma gefunden hat. Er konnte sich am Ende auch noch glücklich schätzen. Bei denen, um deren Verbesserung der Lebensumstände es angeblich gehen sollte, sieht das ja ganz anders aus. Mehr konnten sie nicht verlieren. Einen schlechteren Dienst denen, die nach ihnen von der Einrichtung hätten profitieren können, nicht erweisen können.


    Abschließend stelle ich einmal mehr fest, egal wie alt ein Text ist, es finden sich immer (erstaunliche/erschreckende) Parallelen zu unserer heutigen Zeit. So höre ich zurzeit Manzonis Die Verlobten. Das Buch erschien 1825-27. Die Handlung spielt im 17. Jahrhundert. In unpathetischer Direktheit beschreibt Manzoni die Pest, die im Jahre 1630 von Landsknechten des Dreißigjährigen Krieges nach Oberitalien eingeschleppt wird. Als ich vor dreißig Jahren das Buch zum ersten Mal las, hätte ich mir nicht träumen lassen, jemals ähnliche Zeiten der Unsicherheit zu erleben.

  • Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, Mr Hardings Tag in London war einfach herlich beschrieben und auch ansonsten hat mir der Schreibstil sehr gut gefallen.

    Wie euch haben mich die Beschreibungen und die mit scharfem Blick beobachteten Einzelheiten begeistert.

    Insgesamt fand ich die "Moral von der Geschicht" aber ziemlich bitter.

    :write

    Gut gefallen hat mir, dass Mr Harding es geschafft hat, sich in seinem neuen Leben gut einzurichten, im Gegensatz zu den Alten, die ja die größten Verlierer bei der ganzen Sache waren.

  • Ich bin bei weiteren Büchern von Anthony Trollope gerne dabei, bei den nicht übersetzen auch im Original. Die Manesse-Ausgabe hat mir aber sehr gut gefallen.

    :write




    Abschließend stelle ich einmal mehr fest, egal wie alt ein Text ist, esfinden sich immer (erstaunliche/erschreckende) Parallelen zu unserer heutigenZeit. So höre ich zurzeit Manzonis Die Verlobten. Das Buch erschien 1825-27.Die Handlung spielt im 17. Jahrhundert. In unpathetischer Direktheit beschreibtManzoni die Pest, die im Jahre 1630 von Landsknechten des DreißigjährigenKrieges nach Oberitalien eingeschleppt wird. Als ich vor dreißig Jahren dasBuch zum ersten Mal las, hätte ich mir nicht träumen lassen, jemals ähnlicheZeiten der Unsicherheit zu erleben.

    Danke für die Erinnerung an "Die Verlobten". Das habe ich vor so langer Zeit gelesen, daß ich kaum noch Erinnerungen daran habe; nur eines weiß ich noch: ich war begeistert von dem Buch. Wenn es mir ein Lehrer empfohlen hatte, dann ist das Lesen gut 40+ Jahre her, war es einer der Dozenten der VHS-Kurse, die ich früher besucht habe, dann um die 32-35. Wie dem auch sei: dem Buch sollte ich auch mal wieder näher treten.

    ASIN/ISBN: 3458350896
     
    ASIN/ISBN: 3446198741
       
    ASIN/ISBN: 3746625696

    (Als Qual der Wahl gleich drei lieferbare Ausgaben verlinkt.)



    Mehr konnten sie nicht verlieren. Einenschlechteren Dienst denen, die nach ihnen von der Einrichtung hättenprofitieren können, nicht erweisen können.


    Abschließend stelle ich einmal mehr fest, egal wie alt ein Text ist, esfinden sich immer (erstaunliche/erschreckende) Parallelen zu unserer heutigenZeit.

    Für mich war es ein großartiges Buch, das eine bittere Wahrheit vermittelt. Um die wirkliche Gerechtigkeit geht es selten.

    :write



    Sinnigerweise ist in der heutigen WELT am SONNTAG (26.07.2020) ein Artikel, der zur Thematik des Buches paßt: S. 5 „Dieses Milieu ist für mich kein Umfeld“. Es geht um einen Oberstleutnant, der vom NDR „Panorama“ wegen einiger Likes als „Rechtsradikaler“ eingestuft wird. Vereinfacht gesagt mußte ich an die Kampagne des Jupiter gegen Mr. Harding denken. Ein „schwacher Beitrag“ (SPD-MbB Fritz Felgentreu). Für den NDR waren die paar gefundenen Likes die „Substanz eines durchrecherchierten Beitrags“.


    Auch seriöse Medien können irren. Und sich um die Folgen einen Dreck scheren...

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")