'Wenn Martha tanzt' - Seiten 221 - Ende

  • Puhhh, die Geschichte ist spannend, wenn auch etwas bemüht, sämtliche Katastrophen der Neuzeit in Einklang zu bringen. Der arme Thomas, Marthas Verhalten kann ich nicht nachvollziehen.

    Dass nach Krieg und Verschleppung und Schiffsuntergang auch noch 0/11 herhalten muss, was für mich etwas zu viel des Guten.

    Dass Ella aber einfach so ihr Kind hergibt, Martha es auch noch gegen alle Vernunft annimmt, verstehe wer will.

    Ich bin jetzt echt unschlüssig, wie mir das Buch gefallen hat. Ein bisschen mehr Tiefgang, mehr Beschäftigung mit den einzelnen Protagonisten hätten ihm sicher gut getan. So hetzt man von einer Katastrophe oder Wendung in die nächste, ohne dass sich bei den Beteiligten groß Emotionen ablesen lassen.

  • Was kannst Du an Marthas Verhalten nicht nachvollziehen?


    Ja, mit 9/11 war mir jetzt auch ein wenig zu viel und etwas überdramatisiert. Grundsätzlich hat mir das Buch aber recht gut gefallen, lediglich die New Yorker Story fand ich zu abgedreht. Mehr Beschäftigung mit einzelnen Personen brauche ich immer noch nicht, für mich war das im ausreichenden Ausmaß.

  • Was kannst Du an Marthas Verhalten nicht nachvollziehen?

    Dass sie Thomas nach dem Abend einfach so abserviert. Ich meine, er kann ja zu der ganzen Geschichte am wenigsten. So als Urgroßenkel. Vielleicht aber ist sie sich auch selber böse, dass sie ihre Suche nach Hedwig nicht länger durchgezogen hat. Meine Großeltern haben ihren Sohn noch Jahre nach Kriegsende durch das DRK suchen lassen. Und nicht nach 2 Jahren aufgegeben oder das vermisst als endgültig erachtet.

    Zum Rest denke ich, dass das einfach Geschmackssache ist, oder auch an der Erwartungshaltung liegt, die das Buch nicht ganz erfüllt hat.

  • Martha hatte ihn weggeschickt, weil sie nicht mit ihm verwandt ist. Er ist nicht ihr Urgroßsohn, da Hedi nicht ihre Tochter ist. Ungewöhnlich ist dieses barsche Verhalten trotzdem. Ich buche das auch mal als Überdramatisierung.


    Klar ist es Geschmacksache, wie viel Emotionen man in einem Buch benötigt. Ich wollte auch einfach mal ne Gegenposition darstellen. ;)

  • 9/11 war mir auch zu dick aufgetragen, vor allem, dass Martha ihrem Urenkel das Leben rettet, indem sie ihn so abserviert, das hätte die Geschichte echt nicht gebraucht.


    Dass Ella ihr Kind weggibt, von dem her, was wir im Buch über sie erfahren passt es zu ihr, auch wenn ich nie verstehen werde, wie Frauen so etwas tun können ...

    Ich glaube, Martha war sich einfach so sicher, dass ihre unorthodoxe Familie auch ihr uneheliches Kind mit offenen Armen aufnehmen würde, da kann ich schon verstehen, dass sie diesen Schritt getan hat.


    Marthas Verhalten kann ich schon nachvollziehen, das muss ja ein gewaltiger Schock gewesen sein, die Erkenntnis, dass Hedi überlebt hat, nur diese letzte, übertriebene Dramatik mit 9/11 stört da eben gewaltig ...

  • Es gab ja schon im Abschnitt vorher eine verräterische Stelle, als Martha mit dem neugeborenen Kind putzmunter in Pommern ankam. Ihre Brüste waren leer hieß es da, sie hat das Mädchen einer Amme überlassen müssen.

    Zusammen mit dem erstaunlichen Wohlbefinden so kurz nach der Geburt habe ich mir doch Gedanken gemacht.


    Mir hat die alte Martha dann doch sehr leid getan. Das war zu viel für sie, diese Mitteilung, dass die Tochter doch überlebt hat. Jetzt sind die Schuldgefühle andere. "Zum Glück" brauchte sie damit dann nicht lange leben - das fand ich dann ein starkes Stück, da 9/11 zu bemühen.


    Passt aber zu der gesamten Geschichte, immer weiter, immer etwas Neues.


    Ich habe es ganz gerne gelesen, mehr aber nicht.

  • Mir hat die alte Martha dann doch sehr leid getan. Das war zu viel für sie, diese Mitteilung, dass die Tochter doch überlebt hat. Jetzt sind die Schuldgefühle andere. "Zum Glück" brauchte sie damit dann nicht lange leben - das fand ich dann ein starkes Stück, da 9/11 zu bemühen.

    Aber wie xexos schreibt, es war ja nicht mal ihre Tochter.

    Aber irgendwie passt es dann auch nicht, über Hedwig zu jammern, und den Urenkel, der ja Hedwigs wirklicher Enkel ist, so rüde zu behandeln.

  • Der Autor hat Thomas sicher auch weggeschickt, damit er später was von 45 Minuten schreiben kann, die Thomas mit dem Leben davongekommen ist.


    Wenn ich mich so lange um Hedi gekümmert hätte und später zusammen mit Hedis Freund Adam die emotionale Bindung aufrecht erhalte und meine eigene Familie nicht mehr lebt, dann würde mich Hedis Nachkommen sicher interessieren. Aber wer weiß schon, wie wir mal mit 101 Lebensjahren reagieren werden.

  • Ich habe es ganz gerne gelesen, mehr aber nicht.

    So kann man es wohl ganz gut zusammenfassen. :grin Manchmal reißt ja der letzte Teil ein Buch nochmal raus, hier war ich jetzt froh, als es zum Ende kam. Zu kitschig (z. B. beim gemeinsamen zitieren der Briefe), viel zu übertrieben (muss jetzt Ella auch noch einen millionenschweren Stahlbeton heiraten???) und überladen bis zum geht nicht mehr (9/11). Da hätte der Autor lieber drei Bücher drausgemacht, als alles in eins zu packen.


    Ich glaube nicht, dass es für Martha eine Rolle gespielt hat,dass Hedi nicht ihre leibliche Tochter ist. Sie hat sie als Tochter angenommen und geliebt.

    Das sehe ich auch so und deswegen ist es für mich auch kein Argument für den Rauschmiss, dass Thomas nicht ihr leiblicher Urenkel ist. Ich sehe es eher so, dass es ihr zuviel geworden ist und sie erst mal zur Ruhe kommen wollte. Allerdings passt da der sofort geschriebene Brief nicht dazu. Es war ganz bestimmt ein heftiger Schock zu erfahren, dass Hedi doch überlebt hat. An sich wäre es wahrscheinlich nicht so schwer gewesen, sie zu finden. Sie lebte in Westdeutschland unter ihrem Geburtsnamen. Aber das möchte ich Martha gar nicht vorwerfen, wahrscheinlich war es für sie besser, irgendwann abzuschließen und in Amerika neu anzufangen. Es stellt sich ja auch die Frage, warum nicht Hedi ihrerseits oder auch Adam versucht haben, die jeweils andere Seite zu finden bzw. das Verschwinden endgültig aufzuklären. Aber wenn man von etwas felsenfest überzeugt ist ...


    Zum Rest denke ich, dass das einfach Geschmackssache ist, oder auch an der Erwartungshaltung liegt, die das Buch nicht ganz erfüllt hat.

    Auch da :write. Nach "Ein neues Blau" hätte ich was anders erwartet. Manchmal entspricht ein Buch ja nicht den eigenen Erwartungen und gefällt trotzdem, hier konnte es mich leider nicht begeistern.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Aber wie xexos schreibt, es war ja nicht mal ihre Tochter.

    Aber irgendwie passt es dann auch nicht, über Hedwig zu jammern, und den Urenkel, der ja Hedwigs wirklicher Enkel ist, so rüde zu behandeln.

    Das finde ich auch, das finde ich auch unlogisch und nicht nachvollziehbar. Mir hat der Schluss überhaupt nicht gefallen. Als Rahmenhandlung hatte mir die Anfangsszene gereicht, der Ur-Enkel, der das Tagebuch entdeckt und sich seine Gedanken macht. Diese ganze New-York-Handlung vollkommen überflüssig und auch sehr kompliziert. Dafür hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht. Damit meine ich nicht, mehr Gefühlsduselei, das brauche ich auch nicht. Aber mehr Entwicklung der Protagonisten, vor allem Marthas und Ellas.

    Ich muss noch lernen, Bücher abzubrechen. Ganz schrecklich fand ich es auch nicht, aber

    wenn auch etwas bemüht

    Das passt für mich sehr gut als Zusammenfassung.

    Übrigens gefällt mir Sallers Selbsteinschätzung in der Danksagung sehr gut. :anbet

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Auf die ganze New York- Handlubg hätte ich auch gut verzichten können. Der Einstieg mit der Versteigerung des Tagesbuchs hat mir noch gut gefallen, am Ende war es aber einfach "too much".

    Selbst die Versteigerung hätte ich nicht gebraucht. Was bringt es für die Handlung der Kern-Geschichte, also Marthas Geschichte, wenn diese ganzen Verwirrungen auftauchen?

    Thomas hätte das Tagebuch auch einfach finden können und recherchieren können.

    Komisch finde ich auch, dass er seinen Eltern Marthas Existenz verschweigt. :gruebel

    Im Nachwort gibt Saller ja als eine Quelle einen Bericht seiner Großmutter an. Wahrscheinlich ist es ein Teil seiner eigenen Familiengeschichte, die er hier beschreibt. Vielleicht war er zu dicht dran und musste deshalb einen solchen Abstand beim Schreiben schaffen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Im Nachwort gibt Saller ja als eine Quelle einen Bericht seiner Großmutter an. Wahrscheinlich ist es ein Teil seiner eigenen Familiengeschichte, die er hier beschreibt. Vielleicht war er zu dicht dran und musste deshalb einen solchen Abstand beim Schreiben schaffen.

    So habe ich es auch verstanden, also, dass es Teil seiner eigenen Geschichte ist.

    Vielleicht wollte er durch das Schweigen, seine Eltern einfach schützen?

  • "Wenn Martha tanzt" ist ja Tom Sallers Debütroman und ich könnte mir vorstellen, dass er erst mal ausprobieren musste, was geht und was passt.


    Aber ihr habt recht - ohne diese New-York-Handlung würde das Buch genausogut funktionieren und es bliebe sehr viel Platz für anderes. Wahrscheinlich sollte damit auch die Besonderheit und Wichtigkeit der enthaltenen Zeichnungen hervorgehoben werden - wobei die aber auch nur eine kleine Rolle in der Handlung spielen.


    Komisch finde ich auch, dass er seinen Eltern Marthas Existenz verschweigt. :gruebel

    Das stimmt, aber ich glaube, ihm ist diese ganze Geschichte selber so unangenehm, dass er sie lieber nicht mit anderen teilen möchte. Was soll er auch sagen: ich hab meine Urgroßmutter getroffen, die mich dann aber rüde hinausgeworfen hat? Wirft kein gutes Bild auf die Familiengeschichte!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021