Die ersten drei Sätze eures aktuellen Buches (ab 07.06.2024)

  • Im Sommer 2023 wuchs das Gras weiter, als wäre nichts geschehen: es wuchs, als ginge es gar nicht anders, wie um ein weiteres Mal zu zeigen, dass es an einer Absicht festhielt, aus der Erde zu spriessen, ganz egal wie viel auf deren Oberfläche gemordet wurde. Sein Farbton war vielleicht matter als gewöhnlich, und die milchige Unschuld der ersten Tage büsste es gleich wieder ein, aber davon lies es sich nicht stören. Im Gegenteil, die Wasserknappheit motivierte es, sich noch fester an den Boden zu klammern und in breiten Trieben in die Höhe zu schiessen, die vertrockneten, ehe sie ausgewachsen waren.


  • Knirschend bahnte sich der Zug seinen Weg über die vereisten Schienen, auf die schneegekrönten Gipfel der Karpaten zu, die wie Reißzähne vor uns aufragten. Wir hatten Bukarest hinter uns gelassen, und der Farbton des Gebirges, dem wir uns näherten, ließ mich an verblassende Blutergüsse denken. Es schneite in dicken, schweren Flocken, und die Berge wirkten kalt wie totes Fleisch.


  • An manchen Tagen, dachte Albin, lag etwas in der Luft. Man spürte es, man roch es, schmeckte es - also: abgesehen davon, dass Frühling war und die Provence süß und köstlich und frisch duftete. Irgendwas war anders als sonst.


    Aktuelle Lektüre: Die Erfindung der Sehnsucht - Tom Diesbrock | Der Steg - Petra Johann
    SUB: 100

  • Es ist kurz vor Tagesanbruch. Frannie liegt in der Dunkelheit des Schlafzimmers, neben ihr im Bett Rowan. Irgendetwas hat sie geweckt.



  • Es gab einmal eine Zeit, da lag am Waschbecken eines jeden öffentlichen WCs ein Stück Kernseife und daneben hing ein Handtuch. So richtig appetitlich sah das nicht immer aus, vor allem, wenn das Gasthaus voll war oder die Bahnhofstoilette stark frequentiert. Weder Seife noch Handtuch konnten bei großem Andrang zwischendurch richtig trocknen. Wenn man Pech hatte, war die Seife vom vielen Benutzen matschig, das Handtuch noch feucht oder auch schon nass.

  • Professor Vivienne Carter lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und starrte auf die geprägten schwarzen Buchstaben auf der knallroten Visitenkarte:


    Selene

    Domina


    Auf der Rückseite standen eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse.

    Die Visitenkarte war aus einem Buch gerutscht, das Vivienne nur ihrer Schwester zuliebe gekauft hatte.


  • Sein Blick schweifte über das majestätische Panorama von Manhattan, sechundsechzig Meter weiter unten. Da unterbrach ihn der Alarm.


    Bei der Arbeit war ihm dieser hartnäckig pulsierende elektronische Warnton noch nie untergekommen, nur damals in der Ausbildung, als er den Sicherheitsschein gemacht hatte.


  • Stanislaw Petrow lebte mit Frau und Kindern in einem Städtchen, das auf keiner Karte zu finden war. Der Name des Städtchens war auf keinem Strassenschild oder Busfahrplan zu lesen. Wenn Petrows Kinder ihre Grossmutter in Odessa besuchten, durften sie niemandem erzählen woher sie kamen.

  • Das Nächstbeste

    Die Sache verlangte eigentlich nicht, dass er sich ihrer persönlich annahm, aber da sein Englisch als sehr gut – gelegentlich sogar als »perfekt« – betrachtet wurde und hier womöglich der Besuch eines britischen Militärangehörigen bevorstand, hatte Herr Büchner beschlossen, sich selbst um die Angelegenheit zu kümmern. Ohnehin war das Gesuch bei ihm gelandet, was oft geschah, wenn die Post an keine bestimmte Person adressiert war; es kam von einem Major Wilkes, dem befehlshabenden Offizier des Betroffenen – geschrieben, das musste man sagen, in ziemlich dürftigem Deutsch.

    Wie passend, dass der Brief in die Hände eines Mannes mit (fast) perfektem Englisch gelangt war.

  • Der Neujahrsnachmittag an Bord der Etruria glich dem Beginn eines Märchens, was der erste Hinweis auf den bereits am Horizont lauernden Albtraum war, der - wie es Unholde zutun pflegten - nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um zuzuschlagen. Während unser Passagierschiff darauf vorbereitet wurde, den Hafen zu verlassen, ignorierte ich meine ungute Vorahnung zugunsten der opulenten Fantasiewelt vor uns. Dies war der Beginn eines anderen Jahrs, ein neues Kapitel, eine wunderbare Gelegenheit, die dunklen Ereignisse der Vergangenheit hinter uns zu lassen und in eine strahlende Zukunft voranzuschreiten.


  • Vademecum


    Erst die Rheinebene, Schiffbestände, ausgreifende Wasserarme, Kopfweiden, Wildwuchs, eine langsame Fahrt auf die Berge zu, ein dunkles Schimmern im Grün, vereinzelte Wolken, gelassen über den Hügelzügen, die aufragen. Und einer, der leicht spitz ins Blau wirkt, der hohe Berg genannt in alter Zeit, und jetzt den Namen einer Heiligen trägt, Mont Sainte-Odile.

    Unterwegs durch Dörfer mit klingenden Namen: Goxweiler, Heiligenstein, Sankt Simonsbrunnen.

  • Wien, 1900


    Karolina zog den löchrigen Wollschal enger um ihre Schultern in der Hoffnung, die Kälte zu vertreiben, doch der eisige Nieselregen ließ sich vom dünnen Stoff nicht aufhalten und drang tief bis in ihre Knochen vor. Sie zitterte, als eine neue Wehe sie zum Stehenbleiben zwang. Diesmal hatte der Schmerz sich nicht angekündigt und durchbohrte ihren Körper wie eine scharfe Klinge.


    Aktuelle Lektüre: Die Erfindung der Sehnsucht - Tom Diesbrock | Der Steg - Petra Johann
    SUB: 100

  • Freitagnachmittag, und der Verkehr war absolut mörderisch. Belinda "Billy" Kidd hätte nicht so dumm sein dürfen, in der Rushhour über die Autobahn zu fahren. Noch dazu fühlte sie sich nach dem Langstreckenflug von Australien alles andere als topfit.


  • Es könnte ein perfekter Tag sein in diesem Spätsommer 1960. Isa ist vor einigen Tagen achtzehn geworden, endlich volljährig. Die Mittagssonne wärm ihr Gesicht.


  • Rebekka Stein beobachtete den Mann ihr gegenüber aufmerksam. Ralf Schüpferling versuchte, gelassen zu wirken, aber sein Blick wich dem ihren permanent aus. Wenn sie darauf achtete, konnte sie unter dem Tisch das nervöse Wippen seiner Füße hören.


    Aktuelle Lektüre: Die Erfindung der Sehnsucht - Tom Diesbrock | Der Steg - Petra Johann
    SUB: 100

  • Rebekka Stein beobachtete den Mann ihr gegenüber aufmerksam. Ralf Schüpferling versuchte, gelassen zu wirken, aber sein Blick wich dem ihren permanent aus. Wenn sie darauf achtete, konnte sie unter dem Tisch das nervöse Wippen seiner Füße hören.


    Na sowas! in meinem aktuellen Buch stehen exakt die gleichen Sätze. :wow :zwinker

  • Eine mondlose Nacht hatte sich über die Altstadt von Ruhrort gesenkt, nur wenige Laternen erleuchteten die Gassen. Der Frühling ließ auf sich warten, Ende Februar hatte noch einmal starker Frost eingesetzt, und in den Nächten wurde es empfindlich kalt. Vielleicht war das der Grund dafür, dass es gegen zehn Uhr abends bereits still wurde auf den Straßen.