Ein Klassiker, erschienen 1857 und zunächst umstritten wegen einiger anstößiger Szenen.
Die Handlung, salopp zusammengefasst: Romantisch-schwärmerisch-naive Bauerntochter heiratet den erstbesten, der vorbeikommt, nämlich den Landarzt Bovary. Das Eheleben ist schnell ernüchternd, die Sehnsüchte nach wahrer Liebe, Reichtum und einem Dasein als Frau von Welt bleiben. Madame Bovary fühlt sich zu Leon hingezogen, der ähnlich wie sie schöngeistige Gedanken hegt. Es bleibt beim Schwärmen. Als Rodolphe, ein erfahrener Schürzenjäger, auftaucht, schafft er es mit Leichtigkeit, Emma Bovary zu erobern. Später taucht Leon wieder auf und diesmal bleibt es nicht beim schwärmerischen Entsagen. Emma, überfordert und schwankend zwischen Schwärmereien, der Suche nach Glück und der Flucht vor der kleinstädtischen Enge, verstrickt sich heillos und gibt mehr Geld aus als vorhanden. Das führt zur Katastrophe ...
Die Nebenfiguren (der Händler Lheureux, der Apotheker als Freund und Konkurrent, der Pfarrer) sind treffend gezeichnet und liefern ein überzogenes Abbild des ländlichen Lebens und der Versuche nach Höherem zu streben.
Warum hat dieser Roman soviel Aufsehen erregt?
Ich denke, eine Frau auf dem Weg ins Verderben zu zeigen, war 1857 ein Riesenskandal. Auch dürften die Nebenfiguren eine Reihe von Leuten geärgert haben, denen Flaubert einen Spiegel vorhält: Der Apotheker, dem mit seinem kindischen Streben nach Ruhm und schnellem wissenschaftlichem Erfolg jedes Mittel recht ist, der Pfarrer, der kein Ohr für echte Nöte und Gewissenskonflikte seiner Gemeindemitglieder hat, die Vertreter der Landwirtschaft, die einen Kongress abhalten, der Slapstickelemente enthält, die Reichen, die zwar über Besitz, nicht aber über Verstand verfügen. Die Hauptpersonen Emma und ihr Gatte sind übrigens auch keine Leute mit Verstand und Vorbildcharakter, Flaubert lässt sie re-agieren und überlässt sie zufälligen Begegnungen und Schicksalsschlägen.
Ich hatte zunächst einige Schwierigkeiten, das Buch zu lesen, weil von Anfang an klar war, dass Madame Bovary zielstrebig, entschuldigt den Ausdruck, in die Scheiße reitet und ich öfter das Bedürfnis hatte, das Mädel wachzurütteln. Mit etwas Abstand – schließlich handelt es sich nur um ein Buch – verging dieses Gefühl und der Lesegenuss überwog. Flaubert ist ein ausgezeichneter „Maler“, er beschreibt Gegenden, die Atmosphäre eines Hauses, den Charakter der einzelnen Figuren mit Liebe zum Detail.
Madame Bovary ist mehrfach verfilmt worden – ich weiß noch nicht, ob ich den Leseeindruck mit einem Film verwässere oder bereichere. Wenn jemand von euch mit einem Film Erfahrung gemacht hat, sagt bitte Bescheid, mich interessiert eure Meinung.
Ein Makel: Ich nörgle gern über schludrige Übersetzungen. Madame Bovary ist häufig neu übersetzt worden, meine Ausgabe (übersetzt von Ilse Perker und Ernst Sander) ist weder schlecht noch gut, sie ist eine von vielen. Das Ärgerliche an der französischen Sprache ist für mich die unzureichende Übertragbarkeit. Ein Beispiel: Der Satz „On parle“ ist wörtlich mit „Man redet“ idiotisch übersetzt, erfordert interpretierendes Übersetzen: Sie reden – Alle reden – Es wird geredet.
Aus diesem Grund habe ich eine gekürzte Ausgabe in der Originalsprache parallel gelesen und bin im Nachhinein zufrieden.
Reclam Universal-Bibliothek: Madame Bovary, Èdition abrégée, ISBN 3-15-009142-X
In einer alten Ausgabe der Fischer-Bücherei des Wissens (TB von 1969, Interpretationen VI, Französische Literatur von Beaumarchais bis Camus, keine ISBN) habe ich noch einen Beitrag zu Madame Bovary gefunden, der Hintergrundinformationen liefert.
polli