Die Stadt der Sehenden - José Saramago

  • Die Stadt der Sehenden - José Saramago


    Inhalt: In der Hauptstadt eines westlichen Staates finden Wahlen statt - und den ganzen Vormmitag kommt aufgrund des schlechten Wetters kaum jemand wählen. Als man sich schon große Sorgen zu machen beginnt, kommt die ganze Bevölkerung plötzlich um 16:00 Uhr um ihre Stimme abzugeben. Entspannung macht sich in der Regierung breit, jedoch hält diese nur bis zu dem Zeitpunkt an, wo das Ergebnis der Stimmen feststeht - denn eine überwältigende Mehrheit der Bewohner hat einen weißen Stimmzettel abgegeben! Erschrecken macht sich unter den Politikern breit und nachdem auch die Neuwahl kein besseres Ergebnis bringt, beginnt man die Hauptstadt von der restlichen Welt zu isolieren...


    Meinung: Das Buch ist in dem typischen Stil Saramagos geschrieben, also ohne besondere Abtrennung von wörtlicher Rede und dies unter Verwendung von sehr langen Sätzen. Zudem ist es in diesem Buch auch manchmal schwer zu unterscheiden, was sich der Erzähler vorstellt und was er dann auch wirklich davon umsetzt. Trotzdem sollte man wohl sagen, dass das Buch dadurch auch eine gewisse -durchaus positive- Einzigartigkeit erreicht - und die Leute, die Saramago kaufen, werden auch in den meisten Fällen wissen, was sie da kaufen ;-) .


    Das Thema ist erschreckenderweisen ziemlich realitätsnah und wird auf den ganzen Seiten auch realistisch beschrieben. Trotzdem bleibt dem Leser sehr viel Fantasiefreiheit und auch am Ende des Buches bleiben eigentlich noch sehr viele Fragen offen, die sich der Leser selbst aumalen kann. Das Ende hatte mich zwar vorerst etwas verwirrt, aber inzwischen find ich es doch ganz logisch ;-) . Interessant ist auch der Wechsel der Erzählperspektiven, da somit Zeitsprünge oder Übergänge ganz gut überbrückt werden.


    Zwar besitzt das Buch eine Namensähnlichkeit mit einem weiteren Buch von José Saramago -Die Stadt der Blinden- und bezieht sich auch bei einigen Personen auch auf die dortigen Handlungen, jedoch ist es zum Verständnis des Buches nicht unbedingt nötig den Namensvetter zu kennen. Wem "Stadt der Blinden" gefallen hat, könnte ich jedenfalls das Buch schon ziemlich empfehlen, zumindest ähnelt es diesem stilistisch und wie gesagt kommen auch einige Personen (im Grunde das ganze "Hauptgrüppchen") auch wieder vor...


    Insgesamt fand ich es also durchaus lesenswert, auch wenn der Preis irgendwie schon ein bisschen abschreckt....

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

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  • "Die Stadt der Sehenden" von José Saramago ist laut Klappentext die Weiterführung von "Die Stadt der Blinden". Doch auch ohne den Vorgänger gelesen zu haben (liegt noch auf meinem SUB), versteht man dieses Buch.
    Die Geschichte beginnt mit einem ungewöhnlichem Ereignis und entwickelt sich sehr interessant. Allerdings wird es im letzten Viertel meiner Meinung nach etwas "gewöhnlich". Ich hätte mir einen anderen Verlauf und ein anderes Ende gewünscht. Es passt, finde ich, nicht unbedingt zur Idee des Werkes.
    Gefallen haben mir jedoch die eigentümliche Interpunktion (z.B. wörtliche Rede, die nicht als solche gekennzeichnet wird) sowie die Erzählperspektive.
    Ein sehr gutes Buch, bei dem mir nur der Schluss nicht zusagt.

  • Karrlchen du sagst es, wir brauchen viele Stunden um zu lesen.
    Also warum arbeiten gehen, hat man noch mehr Zeit zum lesen.
    Aber haben wollen tue ich das Buch auch.

  • Aufgeblasene, zähe Kurzgeschichte


    Die Titelähnlichkeit zum grandiosen "Die Stadt der Blinden" ist nicht nur Marketingtrick. Wie im "Vorgänger" skizziert Saramago eine Grenzsituation, beobachtet seine - namenlosen und häufig nur angedeuteten - Figuren bei ihren Aktionen und Reaktionen. Allerdings gibt es erhebliche, entscheidende Unterschiede.


    In der Hauptstadt des - ebenfalls namenlosen - Landes kommt es bei Kommunalwahlen zum Eklat: Erst geht niemand hin, und dann, als sich um Punkt 16:00 Uhr doch noch die Wahllokale füllen, wählen die Bürger nicht richtig. Bei der Auszählung stellt sich heraus, daß die meisten leere ("weiße") Stimmzettel abgegeben haben. Die rasch angesetzte Wiederholung der Wahl zeitigt das gleiche Ergebnis. Kurzerhand ruft die Regierung, beherrscht von der PDR, der Partei der Rechten (das Dreiparteiensystem besteht aus der PDR, der Partei der Mitte und der Partei der Linken), den Notstand aus. In der Folge eskaliert die Situation, es kommt zu Bespitzelung, Folter, Mord und vielem mehr.


    Mit Verlaub, dieser Roman ist bestenfalls geeignet, das Ansehen des Literaturnobelpreisträgers zu verschlechtern. Von fast schon lächerlicher Naivität gekennzeichnet und mit vielen inhaltlichen Fehlern durchsetzt, bietet das zähe, mühselig erzählte und weitgehend unspannende Buch weder ein Aha-Erlebnis, noch, wie das "Die Stadt der Blinden" tat, eine nachvollziehbare, tatsächlich ängstigende Ausgangssituation. Saramagos fiktiver Staat mit seiner klischeehaften Besetzung der Machtpositionen entspricht einem Gesellschaftsentwurf, der in dieser Form kaum auf reale Verhältnisse adaptierbar ist. Das Buch liest sich wie der Angsttraum eines sehr naiven Linken. Und Saramagos Stil, der in "Die Stadt der Blinden" noch geeignet war, die überaus deprimierende, aber zwingende Handlungsfolge zu transportieren, nervt hier nur. Zudem gibt es viele, zu viele Parallelen, aber das Was-wäre-wenn-Szenario in "Die Stadt der Sehenden" hätte bestenfalls für eine Kurzgeschichte ausgereicht.


    Jedenfalls mußte ich beim Lesen ständig gegen die Ermüdung ankämpfen.

  • Im Gegensatz zu Tom, habe ich die "Stadt der Sehenden" VOR dem hier oft zitierten "Stadt der Blinden" gelesen und hatte vielleicht nicht diese unermesslich hohe Erwartungshaltung.
    Gut so, sagt man.


    Denn...
    Saramago's Roman ist eine wirklich zu Lachen komische und zum Weinen traurige Parabel, durchaus nachvollziehbar erscheint das Verhalten der Städter, denen es ganz einfach reicht, dass man auf ihrem Rücken große Politik spielt.
    Mündige Bürger beginnen sich still zu wehren, gewaltloser Widerstand der dann auf die Hilflosigkeit der scheinbar so Mächtigen trifft. Eine wunderbare Idee und wunderbar ausgeführt.


    Man sollte diesen Roman nicht als Nachfolger der "Blinden" sehen, obschon der Marketingtrick - anders mag man es nicht bezeichnen - ein durchsichtiger ist.
    Dem Werk selbst wird dadurch unrecht getan, denn irgendwie ist Saramago's Satire fast Pflichtlektüre für den mündigen Bürger, der sich schließlich täglich auf der Nase herumtanzen lässt.


    LG
    David

  • Achje, nun kaue ich schon seit Tagen auf diesem Roman herum und er findet einfach kein Ende. Die Idee ist ja ganz interessant - doch wie Tom bereits bemerkt hat, ließe sich das alles locker auch in einer Kurzgeschichte unterbringen. Die ganzen, sich ständig wiederholenden Ausführungen sind einfach nur zäh und langweilig. Auch der Stil gefällt mir keineswegs. Diese ach so gewollte Unpersönlichkeit dieses Buches mag zwar zu dem Thema passen, als Leser wünscht man sich dann aber doch ein wenig mehr Persönlichkeit... man will sich ja in die Situation hineinfühlen, sich identifizieren können. Und genau das ist mir nicht möglich und macht es mir schwer, auch nur ein bisschen Interesse an dem Buch zu bekommen.
    Ich werde es wohl zuende lesen, da ich - ein großer Fehler meinerseits - kein Buch einfach so abbrechen kann, aber ich werde auch froh sein, wenn ich es endlich durch habe.



    edit: ich hab's jetzt doch abgebrochen :anbet

  • Wie in der Stadt der Blinden brauchte ich auch hier einige Zeit, um ins Buch reinzukommen. Vor allem das Fehlen jeglicher Redezeichen erschwert das Lesen, ebenso der sehr spärliche Einsatz von Absätzen. Es ist ein Buch, dessen Handlung seitenweise in einem Durchlauf erzählt wird, man kaum Atempausen in Form von Absätzen hat und deren Sätze oft über mehr als eine Seite gehen... Sehr anstrengend.


    Aber es lohnt sich, durchzuhalten. Nach einiger Zeit hat man sich an den Stil gewöhnt. Die Handlung ist sehr gut, sehr spannend und außerordentlich beklemmend. 83 Prozent einer Stadt geben einen leeren Stimmzettel ab, was eine Staatskrise ersten Ranges auslöst. Und die Lösung für das Problem der Nichtwählenden ist ebenso abstoßend wie logisch. Auch in diesem Buch gibt es keine Namen, aber alle Charaktere sind derart ausgefeilt, dass sie auch keine brauchen.


    Meiner Meinung nach ein schwieriges, zeitloses, beeindruckendes Buch.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde