Historische Propaganda - historischer Roman

  • Ein Buch sollte man erst dann beurteilen, wenn man es ganz gelesen hat. Mich bewegt aber nachdem ich kürzlich Der Bastard gelesen habe und jetzt vom selben Autorenpaar Der vierte König lese meine ich ein Propagandabuch zu lesen, das Propaganda für eine historische Figur (John Lackland) macht und Propaganda gegen seinen positiv besetzten Vorgänger und Bruder (Richard Coer de lion) macht.


    Ist euch so etwas auch schon passiert, das ein Roman als Propagandamittel erscheint?

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übrsihd

    :lesendVincent Brussee Social Credit: the warring states of China‘s emerging data :lesend Kirk A. Denton The Columbia Companion to modern Chinese Literature

  • Ja, klar. :-)


    Einige Bücher, die ich zu DDR-Zeiten gelesen habe, waren rückwirkend betrachtet arg einseitig. Aber so geschrieben, daß es Kinder fesseln kann. Ich kann mich konkret an ein Buch über August Bebel erinnern, oder aber über eine Art Kurzgeschichte über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.


    Andererseits gibt es z. B. historische Romane, wo ich meine, daß der Autor der historisch abgebildeten Figur nicht gerecht wird.
    Aktuell war das z. B. "Das Amulett der Fuggerin" von Peter Dempf, daß m. E. in wesentlichen Teilen einen Verriss auf Jakob Fugger darstellt.

  • Natürlich gibt es immer wieder Romane, die eine historische Figur anders beschreiben, als wir sie aus bestimmten Darstellungsweisen gewohnt sind.


    Frage: Ist das dann immer Propaganda? Oder ist vielleicht die "herkömmliche" Überlieferung, die wir so gern historisch nennen, die aber allzuoft legendär ist, Propaganda?


    Beispiel: In der Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen gibt es die Figur des Arminius (Hermann) - Held oder Schurke? Und Varus? Iris z.B. hat da ja durchaus ihre eigene Sicht der Geschichte.


    Weiteres Beispiel: Investiturstreit. Konflokt zwischen dem salischen Kaiser Heinrich IV und Papst Gregor VII - wer ist der Gute, wer der Böse?


    Ich finde es gerade in Romanen durchaus spannend, mal eine andere Sichtweise zu bekommen. Ein sehr schöner Roman in diesem Zusammenhang ist "Die Schleier der Salome" von Eric Walz, der die Frage aufgreift, wie ein Leben ausgesehen haben könnte, das wir nur mit einer einzigen (nicht gerade vorteilhaften) Szene in verbindung bringen.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Lieber Beowulf,


    ich würde das Wort "Propaganda" sehr gern durch das Wort "Interpretation" ersetzen.


    Wir alle wissen nicht, wie es damals wirklich war. Den Autoren historischer Romane (und nicht nur denen) sind Quellen zugänglich. Aus diesen Quellen, den eigenen Lebenserfahrungen, Gedanken- und Gefühlswelten entsteht dann eine literarische Figur. Da jeder Mensch eine andere Lebenserfahrung, Gedanken- und Gefühlswelt hat, entsteht bei jedem (auch bei jedem Leser) eine andere Figur. Der eine betrachtet eine bestimmte Facette des historischen Lebens intensiver als der andere, ein dritter legt seinen Schwerpunkt auf ein ganz anderes Gebiet usw. Das alles dürfen Schriftsteller, wenn sie Romane schreiben. Denn: Romane sind Fiktionen. Schwierig wird es erst, wenn die Schriftsteller behaupten würden, so und nicht anders sei es wirklich gewesen.


    Grüße von Ines

  • Zitat

    Original von Friderike
    Ja, klar. :-)


    Einige Bücher, die ich zu DDR-Zeiten gelesen habe, waren rückwirkend betrachtet arg einseitig. Aber so geschrieben, daß es Kinder fesseln kann. Ich kann mich konkret an ein Buch über August Bebel erinnern, oder aber über eine Art Kurzgeschichte über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.


    .


    Da könntest du wohl fast alle Bücher, die je verlegt worden sind, aufzählen. ;-)
    Das ist aber staatlich verordnete Propaganda gewesen. Mal offensichtlich, mal subtil.


    Ansonsten sehe ich es, was historische Infos betrifft, wie Ines. Manches kann man faktisch belegen, aber vieles wird einfach nur frei interpretiert.

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Richard III. ist in Sharon K. Penmans Sunne in Splendour ein Guter, dessen Handlungen nachvollziehbar sind. Während er sonst oft als hässlich und missgebildet und abgrundtief böse dargestellt wird (z.B. Shakespeare).


    Bei Rebecca Gablé wird er allerdings wieder ein Schurke sein, hat sie schon verraten.


    Ich würde es allerdings auch nicht als Propaganda sehen, sondern als Interpretation.
    .

  • Richard Löwenherz und Prinz John sind eigentlich das typische Beispiel für die Gut/Böse-Besetzung. Die meisten werden schon als Kind mit dem Robin Hood-Mythos bekannt gemacht und sowas bleibt hängen. Sicher ist es mal interessant, das ganze auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. In der alten Robin Hood-Serie aus den 80er Jahren war Richard Löwenherz z.B. gar kein sooo guter König. Er wollte auch nur das Geld seiner Untertanen um damit seine Kriege finanzieren zu können. Wie die Steuereintreiber das Geld hergeschafft haben, und ob das Volk darunter litt, war ihm letztendlich egal.


    Es hängt ja auch von der jeweiligen Kultur ab in der man aufwächst. Ich hab z.B. noch ein Buch im meinem Rub, "Das Buch Saladin", dass sicher auch interessant ist, weil diese historische Figur im "Abendland" ja eher negativ vorbesetzt ist.


    Ich denke, man sollte gerade bei geschichtlichen Figuren mal einen anderen Blickwinkel in Betracht ziehen. Es kommt ja auch ab und zu vor, dass Historiker neue Erkenntnisse aus Fundstücken schöpfen, die ein völlig neues Licht auf diese Personen werfen.


    Propaganda würde ich es eigentlich nur nennen, wenn ein Bogen zur Gegenwart gespannt wird (wenn auch nur indirekt) und damit Werte in unserer Zeit propagiert werden sollen. Wenn z.B. die Kreuzzüge nur als absolute Heldentaten dargestellt würden mit so einem Unterton: Worauf wartet ihr, abs ins gelobte Land!
    Kann man wirklich Propaganda für einen schon mehrere hundert Jahre toten König machen? ?(

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Für mich ist inzwischen diese ganze Maria Magdalena, Templer usw. Thematik eine reine Propagandasache.
    Propaganda gegen historische Figuren, z.b. Paulus... Aber auch sehr aktuelle Propaganda gegen Kirchenglaube und Kirchenlehre.
    Das ganze in leicht verköstigbare Romanform gepackt, esoterische Ideologie untergerührt und jeder liest es mit großem Spaß.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Es ist sehr schwer Personen der Geschichte mit einem Charakter zu versehen, der den Personen wirklich gerecht wird. Es kommt auch bei Sachbüchern oft vor, dass man wenn man zwei verschiedene Bücher über eine Person liest oft das Gefühl hat, dass die beiden Autoren nicht über die gleiche Person schreiben.
    Z.B. bei Kaiserin Elisabeth von Österreich hat man eine sehr breite Bandbreite von dem Bild, was manche von ihr haben.

  • Zitat

    Aktuell war das z. B. "Das Amulett der Fuggerin" von Peter Dempf, daß m. E. in wesentlichen Teilen einen Verriss auf Jakob Fugger darstellt.


    Das ist mir auch sofort eingefallen.
    Allerdings finde ich Propaganda da ein wenig überzogen....


    Zitat


    Für mich ist inzwischen diese ganze Maria Magdalena, Templer usw. Thematik eine reine Propagandasache.
    Propaganda gegen historische Figuren, z.b. Paulus... Aber auch sehr aktuelle Propaganda gegen Kirchenglaube und Kirchenlehre.
    Das ganze in leicht verköstigbare Romanform gepackt, esoterische Ideologie untergerührt und jeder liest es mit großem Spaß.


    Ich stimme zu... das ist mal wirklich so und zwar obwohl ich nicht sehr gläubig bin stört mich das. :-]

  • Meine Frage zielt darauf ab, ob ihr glaubt, dass das vom Autor gewollt ist, dafür viel mir dann kein anderer Begriff als Propaganda ein, oder ob dies sich aus der "normalen" Schreibe ergibt.


    Ich habe vor - ääähm- Jahren, kurz vor dem Abi mal ein dreistündiges Referat in der Schule über Napoleon gehalten und da ich in der Schulbibliothek bei der Recherche auf ein Geschichtsbuch aus den 20er Jahren des damals noch nicht vergangenen Jahrhunderts stieß und gewaltige Differenzen zum aktuellen Schulbuch bestanden, habe ich noch tiefer gegraben in noch verschiedenen Jahrzehnten und dieselbe Person aus einer Zeit in der Dokumentationen zu Hauf vorlagen (anders als Originaldokumente aus dem Rom des Jahres 15 oder Paris von 1203) geschichtsvergleichende Elemente eingepackt.


    Daran musste ich gesten nacht/heute früh beim Lesen denken und natürlich muß man abgrenzen, wenn der Autor unabsichtlich etwas erreicht, z.B. würde Mani Beckmanns Roman, den ich gerade für die Leserunde begonnen haben die Nr. 1 in Deutschland, könnte das Touristenströme nach Münster und Umgebung locken, woran der Autor nicht gedacht hat. Dan Brown dachte bem Schreiben seines Buches Sakrileg sicher auch mehr an seine Geldbörse als an die Tatsache wieviele Arbeitsplätze im Tourismus er mit dem Schreiben dieses Buches schaffen oder sichern würde. Eher dachte er an die antiklerikale Propaganda, die er in dem Buch betreibt, wenn er die katholische Kirche oder insbesondere das umstrittene Werk Gottes (opus dei- irgendwer mochte hier kein Latein) beschreibt.


    Soll heissen, meint Ihr der Autor eines historischen Romans nimmt bewusst eine solche Ant-ihaltung (oder Pro-haltung) ein, oder schreibt er eher eine Geschichte, an oder aus der sich das entwickelt.

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  • Cui bono?


    Was hätte ein Autor davon, wenn er gezielte Meinungsmache über eine historische Person betreibt?


    Ich habe da vielleicht eine etwas naivere Sicht, aber ein Autor eines historischen Romans sollte vor dem Schreiben genug Material recherchiert haben um einer bekannten Person, die er in seinem Roman auftauchen lässt, auch einen Charakter zu geben. Es ist auch ganz normal, dass man je nach Blickwinkel ein anderes Bild von der Person gewinnt.

  • Ich würde eher sagen, ganz konkret auf das Beispiel Richard vs. John bezogen, daß es da in der letzten Zeit zu einer Neubewertung der früheren Schwarzweißmalerei (Robin Hood!) gekommen ist, die Richard als strahlenden Helden und John als finsteren Intriganten gezeigt haben.
    Von daher sehe ich an dem Bild, daß in dem Roman offenbar von den beiden gezeichnet wird, nichts außergewöhnliches.
    Und, wie schon gesagt wurde, das ist es ja, was historische Romane ausmacht, daß jeder Autor Personen und/oder Ereignisse anders betrachtet und deutet. Sonst würde es ja keinen Sinn geben, mehr als ein Buch zu einem Menschen/Thema zu lesen.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Soll heissen, meint Ihr der Autor eines historischen Romans nimmt bewusst eine solche Ant-ihaltung (oder Pro-haltung) ein, oder schreibt er eher eine Geschichte, an oder aus der sich das entwickelt.


    Erstens einmal möchte ich nicht allen Autoren die gleichen Intentionen unterstellen. :grin
    Es mag durchaus Autoren geben, die ihre positive oder negative Haltung gegenüber einer Person oder ganzen Organisationen und Weltanschauungen in einem Roman austoben. In diesem Sinne sind die grassierenden Verschwörungsromane derzeit in einem sehr hohen Maße Propaganda.


    Zu einer Pro- oder Anti-Haltung kommt man durch Informationen.
    Allerdings gibt es verschiedene Methoden, mit Informationen umzugehen. Man kann sich rauspicken, was ins eigene Bild paßt, sich die Fakten zurechtbiegen, filtern, eine vorgefaßte Meinung zementieren -- oder man kann reflektiert vorgehen, seine Meinung stets hinterfragen, bis sich aus der Fülle der seriösen (!!!) Informationsquellen ein fundiertes Bild ergibt.


    Ich bevorzuge die letztgenannte Methode. :grin
    Dabei kann man durchaus mal zu einer Meinung gelagen, die der landläufigen meist von (nicht selten veralteten) Sachbüchern und Medieninfos geprägten Meinung zuwiderläuft. Denn ob das Bild einer historischen Person (oder eines Ereignisses) als ... ich sag jetzt mal: originelle Interpretation aufgefaßt wird, hängt ja auch vom Kenntnisstand des Lesers ab.

  • Hi,


    da mich dieses Thema interessiert, will ich doch kurz melden.
    Als erstes finde ich den Titel verfehlt. Als Autor schreibe ich einen Roman und keine Propagandaschrift. Mir geht es nicht darum, eine geschichtliche Person zu rehabiltieren oder zu verdammen. Ich beschreibe sie so, wie ich sie meinen Recherchen zufolge empfinde. Außerdem ist dabei auch meine eigene Interpretation der Informationen zu berücksichtigen. Ich kann eine historische Persönlichkeit aufgrund des gleichen Textes ganz anders sehen als es Iris, Ines oder andere Autoren tun, und sie in meinen Romanen entsprechend abweichend beschreiben.


    Auch kommt es immer von der Warte aus, von der ich schreibe. Als Anhänger des Papstes sehe ich Heinrich IV. nun einmal als gewissenlosen Schurken, auch wenn er es in Wirklichkeit nicht gewesen ist. Es ist mein Bild, das der Wahrheit entsprechen kann, aber nicht muss. Ich war damals nicht dabei, allerdings andere auch nicht. Die besten Aufzeichnungen können geschönt oder das gegenteil sein. Im Grunde muss jeder Autor seinem eigenen, subjetiven Empfinden folgen.


    Liebe Grüße
    Gheron :wave

  • Danke, vorallem den Autoren für ihre Antworten, ich kann das alles nachvollziehen, finde das bei dem Buch, das ich gerade lese aber ziemlich penetrant und penetranter werdend.


    Das Buch hat einen Anhang mit den wichstigsten historischen daten und Hinweise auf Quellentexte (Sekundärquellen).


    Wäre bei einer so speziellen Interpretation nicht ein Nachwort nötig um sich über diese Sicht mit dem Leser auseinanderzusetzen, oder überziehe ich da beim Thema historischer Roman meine Erwartungen? Es soll ja schliesslich auch Unterhaltungsliteratur sein.

    Nemo tenetur :gruebel


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    :lesendVincent Brussee Social Credit: the warring states of China‘s emerging data :lesend Kirk A. Denton The Columbia Companion to modern Chinese Literature

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  • Zitat

    Original von beowulf
    Wäre bei einer so speziellen Interpretation nicht ein Nachwort nötig um sich über diese Sicht mit dem Leser auseinanderzusetzen, oder überziehe ich da beim Thema historischer Roman meine Erwartungen? Es soll ja schliesslich auch Unterhaltungsliteratur sein.


    Sharon K. Penman hat das gemacht. Also, im Nachwort kurz erklärt, warum sie sich für die Sichtweise entschieden hat, Richard III. nicht als Schurken darzustellen und eben auch, dass es andere Sichtweisen gibt und wie die entstanden sind. Find ich gut, ich lese solche Nachwörter sehr gern.

  • Wie schon erwähnt - mein Abitur ist ein paar Tage alt und hier in LE-City wird mein Englisch nicht so sehr geübt, wie schwer liest sich den sunne in splendour?

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übrsihd

    :lesendVincent Brussee Social Credit: the warring states of China‘s emerging data :lesend Kirk A. Denton The Columbia Companion to modern Chinese Literature

  • Zitat

    Original von beowulf
    Wie schon erwähnt - mein Abitur ist ein paar Tage alt und hier in LE-City wird mein Englisch nicht so sehr geübt, wie schwer liest sich den sunne in splendour?


    Puh...schwieriger als Harry Potter und leichter als Herr der Ringe.


    Guck mal hier, da kannst Du reinlesen.


    Das Buch gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern.