'Im Westen nichts Neues' - Kapitel 01 - 03

  • Ich fang dann mal an. :-]


    Vorweg muss ich sagen, ich lese das Buch zum ersten Mal und lese das Buch eigentlich im Moment auch nur, weil es ein bedeutendes Buch ist das man gelesen haben muss und sich solche Sachen ( für mich ) immer leichter in einer LR lesen.


    Mein erster Eindruck: einfach nur bedrückend und ich habe überlegt, ob ich es wirklich schaffe bis zum Ende zu lesen.


    Sicherlich habe ich in Buch, Film und Fernsehen schon häufiger Kontakt mit Kriegsberichten usw. gemacht. Aber irgendwie hat mich bisher kein Werk so berührt wie das Buch von Remarque. Ich kann nicht mal sagen woran es liegt, ob es am Schreibstil des Autors liegt oder einfach nur weil es ein Erfahrungsbericht eines jungen, bis zum Krieg völlig unbedarften Menschen ist. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich schon jemals am Anfang eines Buches mit den Tränen zu kämpfen hatte, wie hier bei der Sterbeszene von Kemmerich im Lazarett.


    Aber nun zum Inhalt. Hier bekommt das Sprichwort "Des einen Leid ist des anderen Freud" gleich eine ganz makabere Bedeutung. Weil die Hälfte der Kompanie im Feld gefallen ist, bekommt der überlebende Rest gleich die doppelten Rationen an Nahrung, Zigaretten usw. Die hatten sozusagen doppeltes Glück, das Glück zu überleben wurde auch noch belohnt. Zu gönnen sei es ihm auf jeden Fall.


    Dann die Sache mit den Schuhen des im Sterben liegenden Kemmerich. Zuerst dachte ich, wie kann der Müller nur so denken. Aber wenn ich weiter drüber nachdenke und die Gefühle und die instinktive oder anerzogene Rücksichtnahme ( mir fällt im Moment kein anderes Wort dafür ein, das man so etwas einfach nicht macht und es sich nicht gehört ) beiseite lege, dann hat er doch irgendwie Recht. Die Schuhe nützen Kemmrich herzlich wenig, wobei sie ihm gute Dienste leisten. Und wenn er sie nicht kriegt, nimmt sie sich ein anderer. Ich glaube auch, Gefühle und Rücksichtnahme muss oder läßt man an der Front automatisch außer Acht, eben um selbst zu überleben.


    Die Szenen mit Kemmrich, einfach nur heftig. Wie kommt man als junger Mensch damit klar zu wissen, sein Freund überlebt die ganze Sache nicht und darf ihm aber nicht das Gefühl geben, dass es so ist. Hinzu kommt ja noch, dass die Mutter Paul beauftragt hat auf ihn aufzupassen, sozusagen doppelte moralische Verpflichtung. In Pauls Haut möchte man da echt nicht stecken.


    Was im ersten Abschnitt sehr gut beim Vorgesetzten Himmelstoss zu erkennen ist, gib den Leuten Macht und sie nutzen sie aus und treten nach unten. Vorher nur ein "einfacher" Postbeamter läßt er hier nun den starken Mann raus und schikaniert die Untergebenen. Schön dann aber der Zusammenhalt der Kameraden, als sie Himmelstoss nach einem Kneipenbesuch zusammen überwältigt und ihm eine Lektion erteilt haben. Mal sehen was noch kommt wenn Himmelstoss an die Front muss.


    Dann hat mir noch der Satz "Bildung macht dämlich" ( sinngemäß ) sehr gut gefallen. Macht Bildung wirklich dämlich? Vielleicht ja und nein. Ich denke, vielleicht verhindert Bildung einfach nur mal häufiger aufs Herz und Gefühl zu hören und läßt den Verstand siegen. Sicherlich war die Propaganda in den Kriegen sehr gut, ansonsten wären ja nicht soviele Leute begeistert dem Ruf gefolgt, wie auch der Lehrer, der seine komplette Klasse überredet sich freiwillig für die Front zu melden. Und der Verstand sagte dann vielleicht, der Krieg ist begründet und ist richtig. Und einfache Leute ohne viel Bildung hören dann vielleicht auf ihr Herz und den Instinkt, das ein Krieg niemals gut sein kann und es viele Verluste geben wird.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

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  • Ich lese das Buch nun zum zweiten Mal - das erst Mal war vor etlichen Jahren mit ca. 20. Es berührt mich genauso sehr wie damals.
    Besonders schockierend finde ich, wie "nüchtern" das Buch geschrieben ist. An der Front kann man es sich nicht erlauben, groß Gefühle zu zeigen oder gar auszuleben. Und wenn man überleben will, dann kann man sich nicht erlauben zu trauern. Abgesehen von den Schrecken des Krieges, finde ich erschreckend, dass sensible, intelligente Menschen durch den Krieg gezwungen werden, völlig wider ihre Natur zu handeln. Das erklärt in meinen Augen auch, warum jemand, der im Krieg war, hinterher nie wieder derselbe sein kann. Dass so ein Mensch zerstört ist, wie Remarque ja im Vorwort schreibt.
    Das Leid könnte man ganz, ganz evtl. verarbeiten. Aber dass man selbst sich verändern muss, um zu überleben, dass man sich freut über eine doppelte Essensration, die man bekommt, weil die Hälfte der Freunde starb. Dass man bei einem Sterbenden an seine Schuhe denkt, statt um den Freund gescheit trauern zu können. Ich glaube, dass gerade mit diesem notwendigen Egoismus man nach dem Krieg mehr Probleme hat als mit den Grausamkeiten. Dann denkt man doch irgendwann sicher: wie konnte ich nur so herzlos sein? Und gerade diese Herzlosigkeit, die man entwickeln muss, wenn man überleben will, die berührt mich am meisten.


    Über den Satz: "Bildung macht dämlich" habe ich auch lange nachgedacht.
    Wikipedia sagt: Bildung (von ahd. bildunga ‚Schöpfung, Bildnis, Gestalt‘) bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“, seine geistigen Fähigkeiten.
    Bildung hängt auch immer von der Zeit ab, in der man lebt. Es gibt ja verschiedene Bildungsideale. Im Detail kenne ich mich da nicht aus, aber es gibt das Ideal, dass ein gebildeter Mensch jemand ist, der selbst denkt. Es gibt aber auch das Ideal, dass der Gebildete derjenige ist, der den meisten Nutzen bringt.
    Grundsätzlich stimmt für mich der Satz nicht, denn ich denke, dass heutzutage gerade die Gebildeten nachfragen etc. und nicht einfach blind folgen. Mir scheint, dass damals aber die Bildung so ausgerichtet war, dass man nicht erzogen werden sollte zu einem individuellen, selbständig denkenden Menschen, sondern dass man angehalten wurde, die Werte der älteren Generation einfach so zu übernehmen, und je gebildeter man war, desto mehr fühlte man sich verpflichtet, in den Krieg zu ziehen, weil man die Ideale der Lehrer übernommen hat. Und die Ungebildeten, die haben einfach selbst gedacht. Und nicht gedacht an Dinge, die man ihnen mal beigebracht hat, sondern einfach selbst entschieden, was sie von dem Krieg halten und ob sie sich da opfern wollen.


    Ja, ein bisschen wirr vielleicht, aber das sind erstmal meine Gedanken zum ersten Abschnitt.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Mich berührt das Buch sehr und ich lese es auch zum ersten Mal. Es war eines der Lieblingsbücher meines Großvaters und ich bin gerade ein bißchen traurig, dass ich es nie gelesen habe, als er noch lebte. Er hat immer sehr viel und gern "von früher" geredet und ich hatte ihn beim Lesen dieses ersten Abschnittes oft im Ohr.


    Mich macht das Buch also sehr nachdenklich. Was mich fasziniert, berührt und es so eindringlich wirken läßt, ist die einerseits leise Erzählweise, die gleichzeitig aber auch sehr nüchtern und klar ist. Das macht es für mich sehr real. Der Abrechnung mit dem Lehrer und der Erwachsenengeneration (aus Sicht der Jungs), die sie in diese schreckliche Lage gebracht haben, hat mich beim Lesen auch sehr beschäftigt. Die Gedanken sind einfach so wahr. Fast jeder Satz in diesem Buch, in diesem ersten Abschnitt, macht nachdenklich. Es ist einerseits so leicht geschrieben und inhaltlich so schwer. Ich habe im Moment wirklich das Gefühl etwas besonderes zu lesen.


    Das ist erstmal das, was mir zum Buch so durch den Kopf geht.

  • Ich lese das Buch auch zum ersten Mal und bin begeistert, wie leicht und eingängig es geschrieben ist. Es wirkt fast wie eine seichte Plauderei, dabei ist das Thema richtig schwer und der Tod allgegenwärtig. Dies muss bei den Stiefeln auch berücksichtigt werden. Da stirbt aktuell an jeder Ecke jemand. Überall ist Tod, völlig normal. Daher sind die Stiefel auch wichtiger als der Kemmrich. Stiefel sind wertvoll, Leben wird vielfach bis unzählig geopfert. Millionen Menschen starben im 1. Weltkrieg, der gerade mal vier Jahre dauerte.


    Bei den Gründen müssen preußischer Drill und Gehorsam bedacht werden. Mut und Opfer waren Tugenden. Die Lebenserwartung war auch generell nicht so hoch. Das alles ist fast hundert Jahre her.


    Interessant finde ich die LR-Reaktionen zum Himmelstoß. Der wird brutal zusammengeschlagen und hier heißt es dann lapidar "eine Lektion erteilen" bzw. "gerechte Strafe erhalten". Ob das Absicht von Remarque war? Über das Sterben im Krieg regt sich der normale Leser auf, die Prügelattacke wird aber unreflektiert hingenommen. Will er den Leser überführen und ihm zeigen, wie man Kriegshandlungen legitimieren kann? Ich halte dies für sehr wahrscheinlich, wenn ich hier lese, dass EMR lange an seinen Formulierungen herumgefeilt hat.

  • Zitat

    Original von xexos


    Interessant finde ich die LR-Reaktionen zum Himmelstoß. Der wird brutal zusammengeschlagen und hier heißt es dann lapidar "eine Lektion erteilen" bzw. "gerechte Strafe erhalten". Ob das Absicht von Remarque war? Über das Sterben im Krieg regt sich der normale Leser auf, die Prügelattacke wird aber unreflektiert hingenommen. Will er den Leser überführen und ihm zeigen, wie man Kriegshandlungen legitimieren kann? Ich halte dies für sehr wahrscheinlich, wenn ich hier lese, dass EMR lange an seinen Formulierungen herumgefeilt hat.


    Ich kann nur von mir reden. Ich sehe das als Unterschied. Bei jemandem, der einen nicht gut behandelt, kann man verstehen, wenn sich das irgendwann rächt und die Opfer zurück schlagen. Krieg ist was anderes. Da sind junge Leute gezwungen, andere junge Leute zu töten, obwohl die einem nie was getan haben persönlich. Ich glaube nicht, dass Remarque hier den Leser überführen wollte. Denn es sind doch zwei unterschiedliche Gründe. Einmal berechtigte Rache, die man natürlich trotzdem nicht so ausleben darf! Aber verständlich. Und auf der anderen Seite aber das sinnlose Töten und Sterben.


    Aber für mich ist das eh das falsche Buch, denn ich werde nie verstehen, warum nicht einfach die Soldaten alle sagen: hey, ich bin der Martin und Du? Warum bringt man sich um, obwohl man doch eigentlich so viel gemeinsam hat? Fürs Land? Ist doch lachhaft. Ich werde solche Kriege nie verstehen.
    Ich bin sehr froh, dass ich heute lebe. Und trotzdem sterben in Syrien Zivilisten. Ich bin dafür, wenn die sich schon bekriegen wollen, dann sollen die Führer aufs Feld mit ihren freiwilligen Anhängern! und wer da gewinnt, gewinnt halt. Warum zieht man immer die Zivilisten mit rein? Ich werde es nie verstehen.


    Aber der Himmelstoß wird zusammengeschlagen, weil er die Jungs nicht gut behandelt hat. Und das ist was völlig anderes als das Geschehen im Krieg. Hier wird jemand bestraft, den man kennt, der einen verletzt hat. Im Krieg müssen die Jungs Leute töten, die Ihnen eigentlich nie was getan haben, die Ihnen vielleicht sogar ähnlich sind. Daher glaube ich nicht, dass Remarque damit zeigen wollte: Ihr seid doch alle gleich und findet die Handlungen im Krieg auch gut.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Zitat

    Original von xexos
    Interessant finde ich die LR-Reaktionen zum Himmelstoß. Der wird brutal zusammengeschlagen und hier heißt es dann lapidar "eine Lektion erteilen" bzw. "gerechte Strafe erhalten". Ob das Absicht von Remarque war? Über das Sterben im Krieg regt sich der normale Leser auf, die Prügelattacke wird aber unreflektiert hingenommen. Will er den Leser überführen und ihm zeigen, wie man Kriegshandlungen legitimieren kann? Ich halte dies für sehr wahrscheinlich, wenn ich hier lese, dass EMR lange an seinen Formulierungen herumgefeilt hat.


    Ich denke nicht das Remarque irgendeine Kriegshandlung legitimieren wollte, weil diese Aktion mit Himmelsstoß für mich einfach keine Kriegshandlung ist. Es ist eine körperliche Gewalt während des Krieges und auch durch den Drill im Krieg ausgelöst, aber die Aktion an und für sich hat nichts mit dem eigentlichen Krieg zu tun.


    Und mag sein, vielleicht hört sich das lapidar an, wenn körperliche Gewalt im Spiel ist. Aber ich befürworte die Aktion weiterhin aus verschiedenen Gründen. Ich bin kein Gutmensch und auch nicht christlich erzogen, das ich auch noch die andere Wange hinhalte, wenn mir jemand etwas Schlechtes antut. Meine Erziehung lief nach dem Motto, behandle jeden Menschen so wie Du auch selbst behandelt werden möchtest. Und wenn jemand so wie Himmelsstoss seine Macht mißbraucht und die Untergebenen körperlich und seelisch misshandelt, dann finde ich es gut wenn sie sich wehren. Sicherlich ist körperliche Gewalt kein Mittel, aber welchen anderen Weg hatten sie denn? Beschwerden beim Chef haben oder hätten nichts gebracht, mit ihm darüber reden hätte sie noch anfälliger für seine Machtspielchen gemacht. Was hätten sie denn Deiner Meinung nach machen sollen? Gut, da es am Ende der Ausbildungszeit war, ist es schon Rache. Aber Remarque schreibt ja selbst ( sinngemäß ), es war ein wunderbares Bild. Darin sehe ich einen positiven Gedanken.


    Und ich finde gut, dass sie trotzdem zusammenhalten. Die Jungs wurden teilweise gemeinsam schikaniert, besonders hatte er es aber auf die Bettnässer abgesehen. Sie lassen keinen im Stich und ziehen gemeinsam das Ding durch.


    Gewissermaßen ist die Aktion auch für mich ein Stück eigenes Denken und eigene Entscheidung. Durch den Lehrer sind sie mehr oder weniger freiwillig in den Krieg gedrängt worden. Hier haben sie nur zu funktionieren und zu gehorchen und gegen ihren Willen, schon auf Befehl und aus reinem Lebenswillen heraus, müssen sie Leute, die ihnen nie etwas getan haben oder in der gleichen blöden Kriegssituation sind, verwunden und töten. Bei der Aktion mit Himmelsstoss ist es ein Aufbäumen gegen die Ausnutzung der Macht.


    Saiya


    Ich kann Deine Gedanken da vollkommen verstehen. Wenn es eines der Lieblingsbücher Deines Opas gewesen ist, dann wäre es bestimmt schön gewesen mit einem Zeitzeugen des Krieges ( egal welcher Krieg ) über das Buch zu sprechen, wie er die Zeit erlebt hat und wie er über den Inhalt denkt.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Nein, Du sollst auch Kriegshandlungen nicht gut finden. Das ist nicht die Botschaft. Das ist eindeutig ein Antikriegsbuch. Aber es zeigt, wie Feindbilder entstehen können. Du musst nur das Gefühl haben, Du wurdest persönlich bedroht oder angegriffen. Die Jungs ziehen ja anfangs freiwillig und völlig überzeugt in den Krieg. Überzeugt davon, dass richtige zu tun. Da kam auch eine Menge politische Agitation vorne weg, die über den Lehrer nur angedeutet wurde.


    Die Botschaft ist also viel eher: Wenn ich das Gefühl habe, dass ich vorher persönlich angegriffen wurde, dann ist Gewalt ein legitimes Mittel der Gegenwehr. Und diese Denkweise nutzen die politischen Machthaber, um Soldaten zu rekrutieren und die Bevölkerung hinter sich zu bringen.


    Die Parole ist dann: Wir greifen Syrien, Irak, Iran (oder wen auch immer) nur an, weil die was ganz böses gemacht haben und das gibt uns das Recht, nun mit Gewalt zu antworten. Und genau dieser Denkmechanismus wird auch in der Szene mit Himmelstoß in Gang gesetzt und genutzt. "Der Himmelstoß ist nämlich ein Böser und deswegen hat er diese gerechte Strafe verdient. Wenn er dabei draufgeht, hat er selbst Schuld."

  • Zitat

    Original von xexos
    Nein, Du sollst auch Kriegshandlungen nicht gut finden. Das ist nicht die Botschaft. Das ist eindeutig ein Antikriegsbuch. Aber es zeigt, wie Feindbilder entstehen können. Du musst nur das Gefühl haben, Du wurdest persönlich bedroht oder angegriffen. Die Jungs ziehen ja anfangs freiwillig und völlig überzeugt in den Krieg. Überzeugt davon, dass richtige zu tun. Da kam auch eine Menge politische Agitation vorne weg, die über den Lehrer nur angedeutet wurde.


    Die Botschaft ist also viel eher: Wenn ich das Gefühl habe, dass ich vorher persönlich angegriffen wurde, dann ist Gewalt ein legitimes Mittel der Gegenwehr. Und diese Denkweise nutzen die politischen Machthaber, um Soldaten zu rekrutieren und die Bevölkerung hinter sich zu bringen.


    Die Parole ist dann: Wir greifen Syrien, Irak, Iran (oder wen auch immer) nur an, weil die was ganz böses gemacht haben und das gibt uns das Recht, nun mit Gewalt zu antworten. Und genau dieser Denkmechanismus wird auch in der Szene mit Himmelstoß in Gang gesetzt und genutzt. "Der Himmelstoß ist nämlich ein Böser und deswegen hat er diese gerechte Strafe verdient. Wenn er dabei draufgeht, hat er selbst Schuld."


    Ich weiß nicht, bei der Aktion mit Himmelsstoss hatten sie doch nicht das Gefühl, das sie angegriffen wurden. Sie wurden schikaniert und angegriffen, das ist doch nun einmal Tatsache. Und die Jungs haben sich gewehrt.


    Ebenso kann man diese Rache nicht mit der heutigen aktuellen Situation vergleichen, das ist für mich als wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht. Ich kann verstehen, wenn ein Volk ein anderes Volk grundlos angreift, das das angegriffene Volk sich wehrt. Natürlich ist Gewalt dann nicht die beste und erste Lösung, sondern man sollte es auf diplomatischem Wege versuchen. Die Frage für mich ist dann aber immer, wenn die eigenen Versuche nichts bringen, in wie weit kann/darf/soll sich ein nicht betroffenes Land einmischen?

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von Macska
    ... sie doch nicht das Gefühl, das sie angegriffen wurden. Sie wurden ... angegriffen


    :gruebel



    Das hat der Remarque schon geschickt gemacht. Die brutale und menschenverachtende Szene mit ein wenig Rahmenhandlung garniert und jeder wird guten Gewissens zum Täter.

  • Zitat

    Original von xexos


    :gruebel



    Das hat der Remarque schon geschickt gemacht. Die brutale und menschenverachtende Szene mit ein wenig Rahmenhandlung garniert und jeder wird guten Gewissens zum Täter.


    Wenn Du das so siehst? Diese Rahmenhandlung hat für mich aber die Ursache für die Tat deutlich gemacht und ich verstehe daher das Motiv. Und wenn ein Opfer zum Täter wird kann ich es halt nachvollziehen.


    Brutale und menschenverachtende Szene, und was ist mit dem brutalen und menschenverachtenden Verhalten von Himmelsstoss vorher? Ist das etwa gut und richtig? Es ist ja nicht so das es ( im Gegensatz zu der "Rache" ) eine einmalige Aktion von Himmelsstoss war, sondern er hat über einen längeren Zeitraum seine Grenzen im menschlichen Umgang miteinander überschritten. Muß man sich als Mensch so etwas gefallen lassen oder kann man dann nicht wenigstens nachvollziehen wenn Leute sich wehren?


    Anders wäre es natürlich, wenn die Relationen nicht mehr gegeben wären und sie ihm bewußt einen bleibenden körperlichen Schaden zufügen wollten oder ihn sogar mit Vorsatz getötet hätten. Aber so wie es geschildert wurde, war es halt nur ein Denkzettel. Zwar ein schmerzhafter Denkzettel, aber ein für mich begründeter Denkzettel und an meiner Meinung ändern auch die ganzen Diskussionen darüber nichts. :-]

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    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von xexos
    Interessant finde ich die LR-Reaktionen zum Himmelstoß. Der wird brutal zusammengeschlagen und hier heißt es dann lapidar "eine Lektion erteilen" bzw. "gerechte Strafe erhalten". Ob das Absicht von Remarque war? Über das Sterben im Krieg regt sich der normale Leser auf, die Prügelattacke wird aber unreflektiert hingenommen. Will er den Leser überführen und ihm zeigen, wie man Kriegshandlungen legitimieren kann? Ich halte dies für sehr wahrscheinlich, wenn ich hier lese, dass EMR lange an seinen Formulierungen herumgefeilt hat.


    Ich habe die Reaktionen in der "alten" Leserunde dazu nicht gelesen, sondern nur die von euch.
    Ich habe das ähnlich wahrgenommen. Ich las diese Stelle und dachte mir, dass Remarque wirklich meisterhaft mit menschlichen Gefühlen zu spielen versteht. Zuerst beschreibt er zweimal sehr eindringlich und intensiv Himmelstoß' grausame Handlungen an den Rekruten, erklärt die Gefühlswelt der Jungs, die so naiv in den Krieg gezogen sind und so schnell erwachsen wurden, läßt den Kat dann auch noch darüber refklektieren, wie falsch solch ein Verhalten von Vorgesetzten gegenüber den jungen Soldaten ist und setzt damit quasi noch einen drauf. Man wird als Leser automatisch wütend auf das System, "die Erwachsenen", den Himmelstoß, so dass ich beim ersten Lesen der Attacke auf ihn wirklich das Gefühl der Genugtuung und Gerechtigkeit empfunden habe. Es war die einzige Chance, die die Jungs hatten, es ihm heimzuzahlen, ohne schwerste Konsequenzen zu fürchten. Er hat das einfach verdient.


    Betrachtet man die Szene ganz allein für sich, ist das äußert brutal, ja und erschreckend, was der Krieg doch aus diesen jungen Menschen gemacht hat, der Krieg und solche Menschen wie Himmelstoß. Und ich denke, dass Remarque genau darauf hinaus wollte. Er wollte Verständnis wecken für sie.


    Dies ist keine bloße Kriegsgeschichte, sondern eine Geschichte von Menschen im Krieg. Ist euch auch aufgefallen, dass der Ort, an dem sie stationiert sind keine Rolle spielt? Er wird nicht genannt, oder habe ich das überlesen? Ob das auch Absicht von Remarque war? Egal wer, egal wo im Krieg, diese Jungs aus dem Buch gab es überall und sie erlebten überall das gleiche Schreckliche.


    Stammt die Redensart "Rache ist Blutwurst" tatsächlich aus dem Roman?
    "Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesättigt und etwas rätselhaft: Rache ist Blutwurst."

  • Obwohl ich "Im Westen nichts Neues" nun zum zweiten Mal lese, finde ich es immer noch zutiefst mitreißend und intensiv. Mir ist allerdings unbegreiflich, dass wir während des Abiturs nicht IWnN als Lektüre behandelt haben; stattdessen haben wir nur den (recht schwachen) US-amerikanischen Film aus den 30ern gesehen. Für mich ist es eine Pflichtlektüre - wie es auch Faust ist.


    Wie Remarque das Soldatenleben mit dieser rohen Sprache beschreibt, in der nichts beschönigt oder in Metaphern versteckt wird, lässt mich oft nachdenklich zurück.
    Besonders interessant fand ich folgende Aspekte:
    - Dass die Soldaten sich freuen, die zusätzliche Portion Essen/Ration Zigaretten ihrer verletzten/verstorbenen Kameraden zu bekommen. Das ist zwar absolut morbide, aber auch verständlich, denn nach dem langen, harten Kampf sind sie ausgehungert und ausgepowert.
    - Dass die Lehrer als Obrigkeit ihre Schüler zum Kriegseinsatz überredeten. Aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar, dass soetwas funktionierte. Aber es waren nunmal andere Zeiten, da gab es nicht die Kriegsaufklärung, wie wir sie heute kennen.
    - Der Kriegsalltag, in dem sich die Soldaten mit Karten spielen & Zeitung lesen ablenken, während neben ihnen Flakgeschosse amerikanische Flugzeuge verfolgen. Das ferne Bombardement wird als "Gewitter" wahrgenommen; es wirkt fast so, als blendeten die Soldaten bewusst den Krieg um sich herum aus.
    - Den Besuch im Lazarett finde ich sehr bedrückend. Wie Paul Bäumer seinen alten Schulkameraden betrachtet und dessen Sterben beschreibt, als würde unter dessen Haut der Tod bereits sein Unwesen treiben, war schon sehr hart. Auch das pietätlose Verhalten von Müller, der ständig nach den Stiefeln des Beinamputierten späht, ist zwar unmoralisch, aber irgendwie auch verständlich. Dass die Ärzte sich kaum noch vor Verletzten retten können und
    - Die Ausbildung war natürlich hart und das sadistische Verhalten des Unteroffizier wurde auch nachfühlbar gerächt. Im Grunde genommen hätte ich genauso reagiert und sehe das auch bei weiten nicht so brutal an wie das Erschießen von anderen Soldaten, denn immerhin sterben dort "Unschuldige". Himmelsstoß hat es durch sein Verhalten einfach proviziert. Dass die Ausbildung jegliche Individualität & Denken aus den jungen Soldaten austreibt, wird von Remarque natürlich sehr kritisch betrachtet. Auch das absurde Reglement des Militärs (das immer noch ähnliche Züge zu unserer heutigen Bundeswehr aufweist) zeigt nur, wie schwachsinnig der Verein doch teilweise ist & das vorwiegend Machtspielchen getrieben werden.
    - Dass die Kompanie einen Mann wie Katczinsky hat, stellt eine Bereicherung für die anderen Soldaten dar. Er sticht durch sein kritisches & kluges Denken sehr heraus und wirkt darum auch wie ein Fremdkörper. Kein Wunder, dass ihn alle mögen, wo doch alle um die Sinnlosigkeit des Militärs wissen.


    Kommt es nur mir so vor oder beschreibt Remarque weniger die Gefühle der Soldaten als vielmehr ihr Handeln und Denken?


    Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weiter geht. :-)

  • Zitat

    Original von Saiya
    Stammt die Redensart "Rache ist Blutwurst" tatsächlich aus dem Roman?


    Ist eine Variation von "Rache ist suess", aber die Herkunft ist unklar. Manche vermuten einen Zusammenhang mit der blutrünstigen Tragödie "Titus Andronicus" von William Shakespeare. Der Titelheld tötet dabei seine Feinde und verarbeitet sie aus Rache zu einer Pastete

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Beatrix


    Ist eine Variation von "Rache ist suess", aber die Herkunft ist unklar. Manche vermuten einen Zusammenhang mit der blutrünstigen Tragödie "Titus Andronicus" von William Shakespeare. Der Titelheld tötet dabei seine Feinde und verarbeitet sie aus Rache zu einer Pastete


    Vielen Dank! :wave

  • Zitat

    Original von Saiya
    Betrachtet man die Szene ganz allein für sich, ist das äußert brutal, ja und erschreckend, ...


    Genau. Und wenn man die Mechanismen entdecken möchte, muss man von der eigentlichen Handlung abstrahieren.


    Zitat

    Original von Saiya
    Und ich denke, dass Remarque genau darauf hinaus wollte. Er wollte Verständnis wecken für sie.


    Verständnis aber nur in dem Sinne des Verstehens und nicht in dem Rechtfertigen. Krieg ist brutal und vernichtend. Zu einem Krieger kann aber fast jeder werden, wenn er ausreichend gereizt wird.

  • Zitat

    Original von xexos
    Verständnis aber nur in dem Sinne des Verstehens und nicht in dem Rechtfertigen. Krieg ist brutal und vernichtend. Zu einem Krieger kann aber fast jeder werden, wenn er ausreichend gereizt wird.


    :write
    Das sehe ich genauso. Im nächsten Abschnitt wird das sehr deutlich, finde ich.

  • Ich lese das Buch mittlerweile zum dritten Mal und bin, wie jedes Mal wieder tief berührt.
    Besonders die Sterbeszene im lazarett ist einfach heftig. Besonders bewundere ich da Pauls Mut, der bis zum Schluss bei seinem sterbenden Freund bleibt und nicht einfach abhaut.


    Über die Szene, als die Jungs sich am Ausbilder Himmelsstoß rächen,habe ich bisher gar nicht näher nachgedacht. Ich sehe es, wie Macska, auch einfach als schmerzhafter Denkzettel, allerdings zeigt es auch, wie verroht die Jungs schon nur nach der Grundausbildung sind.

  • Ich bin schon ein paar Seiten über diesen Abschnitt hinaus und muss daher aufpassen, nicht zu viel zu schreiben.


    In der Schule habe ich vor Jahren den Film gesehen, der hatte mich seinerzeit sehr beeindruckt. In Erinnerung habe ich besonders die Szene, wo sie sich als Klasse geschlossen zum Kriegsdienst melden. Nun stelle ich aber fest, dass das Buch noch eindringlicher erzählt. Man wird direkt in den Krieg hineingeworfen und erlebt ihn mit den Jungen mit. Besonders erschreckend fand ich die Stelle, wo beschrieben wird, dass sie kaum Zukunftsvorstellungen haben und schwer über den Krieg hinaus denken können.


    So einfach zum runterlesen ist das Buch nicht geeignet, zu vieles ist für mich erschreckend. Besonders da Remarque aus eigener Erfahrung schreibt, er hat den 1. Weltkrieg selbst als Soldat erlebt.