Das Herzenhören – Jan-Philipp Sendker

  • Blessing, 2002, 250 Seiten


    Klappentext
    Julia Win ist tief erschüttert, als ihre Mutter ihr einen Brief zukommen lässt, den ihr Vater vor vierzig Jahren geschrieben hat. Es ist ein Liebesbrief, gerichtet an eine ihr unbekannte Frau in Birma. Seit vier Jahren hat niemand etwas gehört von Tin Win, der als birmanischer Student in die USA kam und blieb. Seine Karriere war rasant, sein Familienleben unauffällig und harmonisch – bis zu dem Tag, an dem er verschwand. Julia kann sich selbst kaum verstehen, aber der Wunsch, den Geheimnissen des Vaters nachzuspüren, wird übermächtig. Und so erreicht sie schließlich Kalaw, ein birmanisches Bergnest. In einem Teehaus spricht ein alter Mann sie an, der behauptet, ihren Vater zu kennen. Ein Betrüger? Aber woher kennt er ihren Namen und so viele Details aus ihrem Familienleben? Er möchte Julia eine Geschichte erzählen - die Geschichte ihres Vaters. Julia hört zu, widerwillig zunächst und voller Distanz, doch bald kann sie sich dieser fast magischen Heraufbeschwörung rätselhafter vergangener Ereignisse nicht mehr entziehen. Es geht um den Einfluss der Sterne und die Macht des Glaubens, um Wunder und buddhistische Weisheiten – und um eine übergroße Liebe. Ist das die Vergangenheit ihres Vaters? Julias New Yorker Gewissheiten gelten nicht mehr, und doch hat sie das Gefühl, ihrem Vater näher zu sein als jemals zuvor – aber wird sie ihn finden?


    Zum Autor:
    Der Journalist Jan-Philipp Sendker, geboren 1960 in Hamburg, war von 1990 bis 1995 Amerika- und von 1995 bis 1999 Asien-Korrespondent des "Stern". Nach einem weiteren Amerika-Aufenthalt ist er nach Deutschland zurückgekehrt und arbeitet als Autor für den "Stern". Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
    Bei Blessing erschien 2000 seine eindringliche China-Reportage "Risse in der Großen Mauer".


    Meine Meinung:
    Die Suche nach dem seit 4 Jahren verschollenen Vater führt die Ich-Erzählerin Julia nach Birma, dem Land aus dem ihr Vater stammt. Ein 40 Jahre alter Liebesbrief ihres Vaters an eine Unbekannte namens Mi Mi lässt sie hoffen, ihn dort noch lebend zu finden. Über seine Vergangenheit in diesem Land hat er nie gesprochen. Somit sind mögliche Motive für sein Verschwinden auch dort zu vermuten.
    In einem kleinen Dorf in Birma trifft sie einen mysteriösen alten Mann, der ihr die bewegende Geschichte der Vergangenheit ihres Vaters erzählt. Eine interessante Ausgangssituation für den Roman mit mehreren Zeitebenen, in der das alte Birma lebendig wird. Julia wehrt sich als gestandene New Yorkerin lange und will diese Geschichte als Märchen abtun. Aber auch sie wird zusammen mit dem Leser immer mehr von der Liebesgeschichte Tin Wins und Mi Mi erfahren und nicht unberührt bleiben.


    Der Roman ist nicht völlig kitschfrei, aber so schön erzählt, dass mich das absolut nicht störte..

  • Hallo Herr Palomar!


    Wahrlich ein tief berührendes Buch! Es gehört zu meinen Lieblingsbüchern, kürzlich las der Autor in der Schweiz und ich konnte mir ein signiertes Exemplar ergattern!
    Schöne Besprechung!

  • Das klingt ziemlich gut, danke für die Rezi und den Hinweis auf das Buch! :wave


    Allerdings wird meines, wenn ich es von der Wunschliste in den Warenkorb verschoben und bestellt habe, etwas anders aussehen wie Deines, nämlich so:

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Jan-Phillip Sendker: Das Herzenhören:
    Genauso sieht auch meines aus
    Ich kann mich nur anschließen - es ist ein tief berührendes Buch.
    Man könnte es als eine Art Märchen für Erwachsene betrachten, das uns mit einer symbolischen Geschichte nahebringt, was das Leben lebenswert macht, was wahre Menschlichkeit bedeutet und welche Schätze in den Tiefen in der menschlichen Seele verborgen liegen; außerdem, wie wichtig und wie mächtig die Liebe ist. Es ist auch ein Buch für die Sinne, mit dem man mitriechen, mithören und mitfühlen kann. Es ist voller blühender Bilder und voller Tränen der Rührung. Das, was leicht kitschig wirken könnte, kann man auch als märchenhaft sinnlich verpackte Art der Mitteilung betrachten, die den Leser einfach mitten im Herzen berühren soll. Es ist auf jeden Fall bereichernd, dieses Buch gelesen zu haben.

  • Das Buch hat mich sehr berührt, wenn es sich auch teilweise wie ein Märchen anmutet. Die Geschichte von Mi Mi und Tin Win, erzählt von einem alten Birmanen, welcher mehr in die Geschichte verflochten ist, als man zuerst annimmt.


    Julia, die Tochter Tin Wins und einer Amerikanerin begibt sich auf die Suche nach Ihrem Vater, welcher Jahre zuvor einfach über Nacht verschwunden ist. Ein alter Liebesbrief bringt sie auf seine Spuren nach Birma und dort angekommen taucht der Leser zusammen mit ihr in eine wunderschöne, tragische Liebesgeschichte und in ein exotisches & mystisches, für uns völlig fremdes, Land ein.


    Der Traum einer immerwährenden, Jahrzehnte überdauernden und Kontinente überspannenden Liebe. Gibt es das? Oder bleibt dies ein Traum?
    Kann man fernab seiner Wurzeln "vergessen"? Welche Spuren kann die Zeit verwischen, welche bleiben erhalten? All diese Fragen gibt einem der Autor mit auf den Weg.
    Ein absolut lesenswertes, feinfühlig geschriebenes Buch mit einem sehr sentimentalen, für mich teils ins schwermütige gehenden Touch. Beim lesen habe ich immer wieder innegehlaten und über das Gelesene nachgedacht.


    Bei Interesse lasse ich es gerne wandern.


    Von mir 9 von 10 Punkten


    --Schusselchen--



    @killerbienchen


    Ich mach mal `nen Thread bei den WB auf. Falls ein paar Leute zusammen kommen lass ich es wandern.

  • Vielen Dank, Schusselchen, für´s Wandern lassen.


    Dieses Buch hat viel in mir ausgelöst und mir dennoch geholfen. Ich habe vor 2 Wochen einen Elternteil verloren und ihn nun für mich wiedergefunden. Das mag sich kitschig anhören, ist aber die Wahrheit. Genauer gesagt: Seite 278, Zeilen 15 bis 21 habe ich mir sehr zu Herzen genommen.


    Ein wunderschöner Buchtitel - ich könnte mir keinen besseren für diese Geschichte vorstellen.
    Der Autor schreibt in berührenden Sätzen, die Seiten sind vollgepackt mit Informationen, Gefühlen und Atmosphäre.


    Von mir gibt es die volle Punktzahl.
    Gruß vom Killerbinchen

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Für mich war es nicht nur eine rührende Liebesgeschichte. Auch die beiden Protagonisten selbst: Tin Win und Mi Mi mit ihren körperlichen Leiden und bewundernswerten Lebensmut haben bei mir einen großen Eindruck hinterlassen.


    Das Verhalten von Tin Win kann ich aber nicht immer nachvollziehen. Vor allem sein Familienleben in Amerika und sein wortloses Verschwinden sind mir rätselhaft. Ich würde solches Verhalten einem Mann mit Tin Wins Erziehung und Prinzipien nicht zutrauen. Julia tat mir zum Schluss leid. Sie hat zwar viel über ihren Vater erfahren und konnte ihn vielleicht besser verstehen, aber ich denke, dass sie es verdient hatte, die ganze Wahrheit früher zu erfahren. Vielleicht hätte diese Geschichte ganz andere Wendung genommen?


    Und auch wenn die U Bas Geschichte interessant war, war sie für mich ein bisschen in die Länge gezogen.
    Sehr interessant fand ich dagegen die Beschreibung der Lebensart und Philosophie der Menschen in Birma.

  • Der Autor hat ein ganz wunderbares Buch über eine besondere Liebe geschrieben und den Leser in die Welt der Menschen in Birma entführt. Es ist eine Welt voller Traditionen und Aberglauben und genau dieser Aberglaube führt gleich zweimal dazu, dass sich Tin Wins Leben auf dramatische Art und Weise ändert. Für Julia und den Leser ist diese bedingungslose Art des Akzeptierens von astrologischen Prognosen oft unverständlich und fremd, so fremd wie das Leben und die Rituale der Birmanen.
    Der Autor hat einen ruhigen Erzählstil und schildert sehr detailliert und anschaulich die Gefühle und Gedanken der Personen. Doch gerade diese Ausführlichkeit war mir manchmal etwas zu viel, was zu ein paar kleinen Längen führte. An bestimmten Stellen allerdings habe ich jeden Satz und die schöne Sprache regelrecht genossen und die Seiten sind nur so dahingeflogen.
    Die Geschichte hat mich berührt und mehr als einmal nachdenklich gestimmt. Wie oft jagen wir in der heutigen Zeit irgendwelchen Zielen hinterher und verlieren dabei ganz die schönen Dinge und Momente um uns herum aus den Augen. Was braucht man wirklich zum Glücklichsein? Tin Win hatte die Antwort auf diese Frage gefunden.
    Für mich ist es ein ganz besonderes Buch über eine Liebe die sich über Zeit und Raum hinwegsetzt.

  • Auch ich finde dieses Buch wunderschön! Sehr ruhig geschrieben und trotzdem nicht langweilig.


    Die beiden Charaktere Tin Win und Mi Mi werden beeindruckend beschrieben. Tin Wins komplettes Verschwinden nach Amerika konnte auch ich nicht wirklich nachvollziehen.
    Das Ende des Romans war wirklich so einfühlsam beschrieben, dass es mich zu Tränen gerührt hat.


    Wirklich ein wunderschöner, berührender Roman!

  • Das Buch ist sehr gut. Doch mir war das Buch etwas zu mitfuehlend, zu maerchenhaft, zu langsam erzaehlt und es enthielt zu wenig Birma.
    Ich hatte mir etwas ganz anderes erwartet, und bin von so einem gefuehlsstarkem Buch etwas benommen.

  • Julia Win reist auf der Suche nach ihrem Vater, der die Familie vor vier Jahren verlassen hat, nach Birma. Ihr einziger Hinweis ist ein etwa 40 Jahre alter Liebesbrief ihres Vaters an eine unbekannte Frau dort.


    Das Herzenhören ist viel mehr aus eine einfache Liebesgeschichte, es ist wohl das ergreifendste und sprachlich am schönsten geschriebene Buch, das ich seit vielen Jahren gelesen habe.


    U Ba, ein alter Birmane erzählt Julia das Leben ihres Vaters Tin Win, einem blinden Jungen, dessen Vater tot und die Mutter verschwunden ist und seiner Liebe zu der gehbehinderten Mi Mi. Die Geschichte dieser Freundschaft, aus der nach und nach Liebe wurde ist so anrührend und bildhaft erzählt, dass ich dieses Buch wohl immer in Erinnerung behalten werde.


    Eigentlich mehr durch Zufall habe ich einen Hinweis auf diesen Titel erhalten, der dann trotzdem noch längere Zeit bei mir im Regal stand. Aber ganz bestimmt war dies nicht mein letzter Titel von Jan-Philipp Sendker.

  • Zitat

    Original von Sandrah
    Eeeeecht ?? Das ist ja schön. Da ich erst gestern aus dem Urlaub gekommen bin, konnte ich mich noch nicht näher befassen. Würdest Du mir vielleicht den Folgetitel verraten bitte Wolke ?


    Ich hatte das Buch doch verlinkt! :wave

  • Die Geschichte hat mich mitten ins Herz getroffen.
    Vier Jahre lag das Buch ungelesen im Regal, das Thema "Vater-Tochter" ist bei mir sehr ähm schwierig, deshalb schreckte ich vor dem Buch zurück.


    Die Geschichte von Julia, ihrem Vater Trin und Mi Mi ist so wunderschön und berührend geschrieben, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Eine durchgelesene Nacht war das Resultat.
    Wie ein Märchen ist die Liebesgeschichte, die nach vielen vielen Jahren erst bekannt wird. Eine wunderbare Geschichte über die Liebe die nie endet, die aber auch sagt, dass ein Vater auch lieben kann ohne dass er bei einem ist.