Öland – Johan Theorin

  • Piper, 447 Seiten, März 2008


    OT: Skumtimmen
    Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps


    Handlung:


    Rückseite: Öland ist die Insel der Nebel und der weiten Ebenen. Ein Junge verschwindet auf gespenstische Weise. Erst zwanzig Jahre später findet sich eine rätselhafte Spur und ein Täter, der längst tot und begraben ist.


    Klappentext:
    Ein neblig kühler Spätsommertag. Vorsichtig klettert ein Junge über die Steinmauer eines einsamen Hauses und blickt auf die grasbewachsene Ebene Ölands. Alles ist still, nichts bewegt sich. Der Junge tritt in den Nebel hinaus und verschwindet ohne jede Spur. Niemand, nicht seine Familie, nicht die Polizei und kein Helfer aus dem Suchtrupp, sieht ihn je wieder. Zwanzig Jahre später erhält Julia, die Mutter des Jungen, die noch immer an seine glückliche Heimkehr glaubt, einen ungeheuerlichen Anruf: Ihr Vater ist am Apparat und behauptet, es gebe einen Hinweis, ein neues Beweisstück.


    Julia soll nach Öland zurückkehren und ihm bei der Suche nach ihren verschwundenen Sohn helfen. Dort geht das Gerücht, der unheilbringende Nils Kant sei der Mörder. Schon als Kind habe der seinen Bruder getötet und auch später manch Unglück über die Insel gebracht. Aber Nils Kant liegt seit vielen Jahren begraben, und starb, lange bevor der Junge verschwand. Manch einer dagegen behauptet, er wandere noch immer über die weite Kalkebene von Öland.


    Zum Autor:
    Klappentext: Johan Theorin, 1963 in Göteburg geboren, verbringt seit seiner Kindheit die Sommer auf der Insel Öland, deren mythische Landschaft ihn zu diesem Roman anregte. Öland ist der erste Teil eines geplanten Jahreszeiten-Quartetts und spielt im Herbst.


    Meine Meinung:
    Obwohl mich viele skandinavische Krimis schon gelangweilt haben, bin ich an diesen schwedischen Krimi aufgrund der schönen Gestaltung und der vielversprechenden Story sehr positiv herangegangen und sollte nicht enttäuscht werden.


    Das Verschwinden eines Kindes in den siebziger Jahren lässt die Mutter auch nach zwanzig Jahren nicht ruhen. Als ihr Vater eine Spur findet, die auf einen Mord hinweist, reist Julia wieder nach Öland, einer vom Autor atemberaubend geschilderten schwedischen Insel.
    Geschickt erzählt Johan Theorin die Geschichte abwechselnd in verschiedenen Zeitebenen, die bis in die vierziger Jahre zurückreichen und Mitte der 90ziger enden.


    Die eigentliche Hauptrolle hat eigentlich die Insel Öland, die schon auf der Rückseite treffend „Insel der Nebel und weiten Ebenen“ bezeichnet wird. Dabei sind laut Autor viele geschilderte Orte dieser Insel fiktiv.
    Vielleicht überzeugen gerade deswegen die Schilderungen von kargen Landschaften, die Kalksteppe, flechtenbewachsene Granitblöcke, Meerenge, Windmühlen, Brücken, Bootshäuser, Sommerhäuser der Touristen und harten Wetterbedingungen.
    Nebel, Feuchtigkeit und Frost bestimmen die Stimmungen in diesem Buch. Das sich die Atmosphäre so gut überträgt, ist sicherlich auch ein Verdienst der Übersetzung.


    Johan Theorin entwickelt auch seine menschlichen Charaktere sehr gründlich. Das gilt besonders für Julia, die Mutter des ermordeten Kindes und ihrem Vater, dem 80zigjährien Gerlof. Die beiden haben keine einfache Beziehung zu einander. Auch Nebenfiguren wie der alte Ernst Adolfson, der im breitesten Öländisch spricht, („einem kargen und dezenten Dialekt“, S.49) sind gelungen und originell.
    Dann gibt es mit der Darstellung Nils Kant noch eine rätselhaftere Figur, die es zu entschlüsseln gilt.


    Johan Theorins Stil ist elegant und flüssig, nicht so karg und betont einfach gehalten wie in vielen anderen skandinavischen Krimis. Trotzdem bleibt die Sprache realistisch und ungekünstelt.


    Das ist meine Krimiempfehlung des ersten Quartals!

  • Ich war schon auf Öland (allerdings im Sommer und nicht im Herbst)- eine wundervolle Insel! Die Kalkheide, die kleinen Mauern, die Schafe, die typischen Windmühlen *schwärm*


    Herr Palomar :
    Ich bin was Krimis angeht wohl mittlerweile etwas empfindlich geworden. Mir ist die Stimmung, das Erleben der Menschen (v.a. wenn beides geschickt mit der Landschaft verbunden ist) und auch eine geheimnisvolle Handlung wesentlich wichtiger als jedes Detail über den Verwesungsgrad einer Leiche zu erfahren oder bis tief in die dunkelsten Abgründe der kranken Psyche des Täters zu blicken.
    Kannst du mir sagen, ob "Öland" eher in die erstere oder in die zweitere Kategorie fällt?

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Öland ist ein stilles Buch, wie Herr Palomar bereits beschrieben hat, lebt es sehr von der Stimmung der Landschaft, den Licht und Luftverhältnissen aber auch eben von den Menschen, die auf Öland leben.
    Neben der Geschichte von Julia ,scheint jeder Mensch auf Öland an seinem Leben etwas schwerer zu tragen als anderswo.


    Die "Eingeborenen" Öländer beschweren sich auf der einen Seite, über die alles überflutenden, unter sich begrabenden Sommergäste, die Wirbel und viel Fremdes an diesen abgeschiedenen Ort tragen, die anderen beklagen die niedrigen Einkommen und die Ödnis, mit der sie ihre Insel verbinden.


    Julia trägt so schwer an ihrer Unwissenheit, was mit Jens geschah, dass es, als sie es endlich erfährt und auch akzeptiert, dem Leser wie eine Erleichterung vorkommt.


    Die Figur von Julias Vater, der so verschlossen und schweigsam auftritt, wurde mir im Laufe des Buches immer sympathischer, setzt er doch alles daran, zu erfahren, was mit seinem Enkel geschah, wie um etwas gutmachen zu wollen, was er an dem Sommertag seines Verschwindens versäumt hat.


    Die Zeitsprünge, die nach und nach aufrollen, wer Nils Kant ist und warum er so eng mit der Geschichte Ölands verwoben ist, fand ich äußerst gut gelungen.


    Öland ist ein durch und durch "nordischer" Krimi oder vielmehr Spannungsroman, sprachlich kühl, schafft er es trotzdem ,die Ölander Landschaft so zu beschreiben, dass man sie nicht nur zum Greifen nah vor sich sieht.
    Mir hat er gut gefallen! :-]


    Empfehlungsgrüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Zitat

    Original von grottenolm
    Herr Palomar :
    Ich bin was Krimis angeht wohl mittlerweile etwas empfindlich geworden. Mir ist die Stimmung, das Erleben der Menschen (v.a. wenn beides geschickt mit der Landschaft verbunden ist) und auch eine geheimnisvolle Handlung wesentlich wichtiger als jedes Detail über den Verwesungsgrad einer Leiche zu erfahren oder bis tief in die dunkelsten Abgründe der kranken Psyche des Täters zu blicken.
    Kannst du mir sagen, ob "Öland" eher in die erstere oder in die zweitere Kategorie fällt?


    Hallo grottenolm, :wave
    ich würde sagen, die erste Kategorie trifft es! :-)

  • Zwar habe ich eigentlich die Nase voll von skandinavischen Krimis, aber in diesem Fall werde ich wohl doch noch mal eine Ausnahme machen.
    Die Landschaft, besonders im Norden, Stora Alvaret, hat mich sehr beeindruckt, vorallem wegen der Trockenheit. Ich freu mich schon auf ein frostiges, feuchtes Öland :-)
    Danke für die Vorstellung, Herr P.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Nur Dank Herr Palomars Rezi bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden und obwohl ich in der letzten Zeit skeptisch gegenüber Krimis geworden bin, da meine Leseerwartungen zu oft enttäuscht wurden, habe ich es gewagt- und nicht bereut!


    Dieses Buch erzählt eine Geschichte- leise, unaufdringlich, aber gerade gegen Ende so fesselnd, daß ich gar nicht mehr zu lesen aufhören konnte.
    Hier stehen die Menschen im Mittelpunkt, die betroffen sind - wie unterschiedlich sie das Verschwinden des Jungen erlebt haben und wie sie damit umgehen. Auch wenn das Buch stellenweise melancholisch ist (was vielleicht auch der Tatsache geschuldet ist, daß es den Herbst-Teil des geplanten Zyklus´ bildet), so spürt man doch auch Zuversicht und Hoffnung.
    Neben den Menschen spielt die Stora Alvaret, also die große Kalkheide Ölands, eine ebenso wichtige Rolle und trägt ihren Teil zum Ganzen bei.
    Schritt für Schritt entfaltet sich schließlich vor dem Leser ein komplexes Bild der damaligen Ereignisse. Dazu passt für mich folgendes Zitat (S. 206):
    „Ich bin der Meinung, daß man Geschichten in ihrem eigenen Tempo erzählen muß. Früher hat man sich viel mehr Zeit gelassen, heute muß immer alles schnell gehen.“ Gerade diese langsame Erzählweise hat mich in ihren Bann gezogen.


    Im schwedische „Ölandsbladet“ habe ich dann einige Artikel über den Autor gelesen und so z.B. erfahren, warum der schwedische Titel „skumtimmen“ mit „Öland“ übersetzt wurde: wie Thomas Tebbe vom Piper Verlag der schwedischen Zeitung verriet, hat man sich für diesen Titel entschieden, da die meisten Deutschen Öland nicht kennen würden und er deshalb spannend klinge. Ob der Autor mit diesem Titel zufrieden ist, konnte ich nicht ganz herauslesen. Das „Ölandsbladet“ scheint es jedenfalls nicht zu sein, denn sie monieren in einem anderen Artikel, daß es im Deutschen ja viele verschiedene Möglichkeiten gegeben hätte „skumtimmen“ wörtlich zu übersetzen- wie z.B. Zwielicht, Dämmerstunde oder auch (aufgepasst!) Schummerstunde. Für mich klingen alle diese Vorschläge seltsam und treffen (nachdem ich das Buch nun gelesen habe) nicht die besondere Stimmung des Buches. Einen besseren Vorschlag habe ich allerdings auch nicht, weshalb ich die Wahl des Piper Verlages durchaus nachvollziehen kann.
    Schwierig werden könnte es nach Aussage Theorins für die deutsche Übersetzung dann beim nächsten Band: der soll nämlich „nattfåk“ heißen (d.h. es wird nicht nur die Jahreszeit, sondern auch die Tageszeit dunkler, aber das ist nur meine eigene Interpretation). Wie man von „Öland“ ausgehend auch im Deutschen sichtbar machen will, daß jeder Band eine andere Jahreszeit und damit eine andere Stimmung behandeln soll, ist mir auch ein Rätsel. Fragt mich übrigens nicht, was „nattfåk“ auf deutsch heißt, das habe ich bislang selbst nicht herausbekommen- irgendetwas mit Nacht. „nattfåk“ soll übrigens im Spätsommer 2008 in Schweden erscheinen und Gerlof Davidsson wird einer der Hauptpersonen sein, die in allen Bänden eine Rolle spielen.


    Wer des schwedischen mächtig ist (oder auch nur meine Übersetzung überprüfen will :grin) hier der Link zum Ölandsbladet
    Und zum Abschluß noch ein Foto der Stora Alvaret, welches bei unserem Schwedenurlaub 2000 entstanden ist, allerdings im Sommer.


    Edit sagt, ich hätte jetzt genug in meinem Beitrag verschlimmbessert. Für heute lasse ich besser die Finger von der Tastatur :-(

  • Zitat

    Original von grottenolm
    Nur Dank beowulfs Rezi


    :gruebel meinst Du Herrn Palomar??



    verwirrte Grüße von Elbereth :wave


    Nachtrag: Vielen Dank, für den interessanten Link!

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Ein dunstig-kühler Spätsommertag. Vorsichtig klettert ein kleiner Junge über die Steinmauer eines einsamen Hauses und blickt auf die grasbewach se ne Ebene Ölands. Er tritt in den Nebel hinaus und verschwindet ohne jede Spur. Niemand, nicht die Familie, nicht die Polizei und kein Helfer aus dem Suchtrupp, sieht ihn je wieder. Zwanzig Jahre später erhält Julia, die Mutter des Jungen, einen ungeheuerlichen Anruf von ihrem Vater: Es gibt einen Hinweis, sie soll nach Öland zurückkehren und ihm bei der Suche nach ihrem verschwunde nen Sohn helfen. Es geht das Gerücht, der unheilbringende Nils Kant sei der Mörder. Aber Nils Kant liegt seit vielen Jahren begraben, er ist gestorben, lange bevor der Junge verschwand. Manch einer dagegen behaup tet, er wandere noch immer über die weite Kalk ebene von Öland. Amazon
    Der mit Abstand erstaunlichste Krimi, den ich je gelesen habe, ist Öland von Johann Theorim. Bereits auf den ersten Seiten glaubt man den Mörder zu kennen und der Autor tut auch nichts, um von diesem Verdacht abzulenken - und dann ist alles doch ganz anders. Ich kann mich nicht erinnern, je am Ende eines Buches noch mal den Anfang gelesen zu haben. Dazu kamen Naturbeschreibeungen, bei denen man den Wind pfeifen und das Gras rauschen hörte. Die ständigen Rückschritte in der Zeit sind notwenig zum Verständnis der Handlung, aber manchmal empfand ich sie als störend, allerdings nur, weil ich in der eigentlichen Krimihandlung so tief drin war. Ich habe das Buch in 2 Tagen gelesen und mich nicht eine Minute gelangtweilt.

  • Vielen Dank für die schöne Rezi :-)


    ich fange gleich damit an, habe es als Wanderbuch bekommen.
    Bin schon sehr gespannt.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich kann mich den positiven Rezensionen vor mir eigentlich nur noch anschließen, Öland konnte mich wirklich begeistern.


    Mir hat die Erzählweise des Autoren sehr gut gefallen, vor allem die Rückblenden auf das Leben von Nils Kant, die er immer wieder eingeschoben hat. Überhaupt war ich unheimlich angetan von Theorins Art zu beschreiben und zu erzählen. Am Ende hatte ich wiklich den Eindruck, als wäre ich selbst in Öland oder der Alvar gewesen - sehr beeindruckend! Auch die unterschiedlichen Figuren haben mir gefallen, besonders die Art und Weise von Gerlof, aber auch Nebenfiguren wie Astrid oder John.


    Am Ende war ich doch überrascht, wie die ganzen Fäden zusammengeführt wurde und ganz realistisch fand ich es bei längerem Nachdenken nicht, aber das hat mich auch nicht weiter gestört.


    Im Klappentext gibt es die Ankündigung, dass es noch Nachfolger von Öland geben wird, die sich am Jahreszyklus orienteren und ich bin schon sehr gespannte auf weitere Bücher von Theorin.

  • Eigentlich war ich wegen der Geschehnisse der letzten Tage hier in keinster Weise in der Stimmung, einen Krimi über ein vermisstes Kind zu lesen.


    Aber ich hatt nunmal angefangen, und konnte das Buch einfach nicht weglegen.
    Tatsächlich stehen weniger die Personen, sondern Öland, speziell die Stora Alvaret, im Mittelpunkt.
    Ich kann mich meinen Vorschreibern nur anschließen: fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite und mit einer Geschichte, die wie zugeschnitten auf die Landschaft erscheint (und der man kleine logische Schwächen gerne verzeiht).
    Ich habe richtiggehend Fernweh nach Öland gekriegt...


    edit: "Skummtimen" trifft's für mich ganz gut: die Zeit, wenn die Großmütter ihre Geschichten von Trollen und Wiedergängern erzählt haben. Und in diesem Buch wird schließlich die Geschichte des "Wiedergängers" Nils Kant erzählt. Zur "Skummtimen" eben, auch wenn mir für dieses Wort auch kein deutscher Begriff einfällt :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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  • Ich habe Öland als Wanderbuch gelesen.
    Eigentlich bin ich kein sehr großer Krimifan, lese nur hin und wieder mal einen.


    Öland hat mir gut gefallen, Charaktere und Atmosphäre passten.
    Die Landschaft konnte man sich gut vorstellen.


    Auch die Ausflüge in die Vergangenheit waren interessant.


    Lesenswert! :-]



    :lesend Jose M. Vasconceles - Wenn ich einmal groß bin

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • "Öland" ist wirklich ein bemerkenswert anderes Buch. Still und doch tiefgründig, und nur bedingt ein Krimi. Mehr ist es ein Buch über die Personen, die Insel Öland und die Verkettung unglücklicher Umstände, die Menschenleben nachhaltig beeinflussen.


    Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es bereitet eine feine Spannung die bis zum verschachtelten Ende anhält.
    Auch wer, wie ich, keine nordischen Krimis mag, kann sich bedenkenlos an "Öland" heranwagen