Bilderbücher (auch) für Erwachsene

  • Ein weißer Halbkreis auf schwarzem Grund - könnte das der Mond sein? Nein, auf der nächsten Seite wird das Objekt zum schwarzen Mund, zur Kinnpartie eines Gesichts, schließlich zum Gesicht, dessen Augen im Schatten liegen. Ein Mädchen sitzt am Küchentisch und zeichnet diesen Kopf auf ein Blatt Papier. Die Küche ist in Stil und Farbwahl naiver Künstler detailgetreu dargestellt. Doch nun wird der Betrachter aus dem Bild gezoomt. Die Küche ist nur eins von 8 Zimmern, in die wir von außen nach innen durch die Zimmerfenster Einblick erhalten. Details regen an, zu raten, wer in diesen Zimmern wohnen könnte. Doch auch das Haus ist nur eins unter vielen. Nun sind die Nachbarhäuser zu sehen, sehr streng, mit weißen Wänden, einem schwarzen Dach und ohne sichtbare Fensterscheiben. Wer mag in den anderen Häusern wohnen - und was macht eigentlich ein Erdbeertörtchen auf dem Hausdach? Ist das ganze Stadtviertel etwa nur ein Stoffmuster? Zurück geht es vom Stoff zum Hut, ins Hutgeschäft, bis schließlich die Welt von oben zu sehen ist, während der Betrachter sich immer weiter entfernt.


    "Zoom den Hut" kommt völlig ohne Text aus, ein Kinderbuch in kräftigen Primärfarben, das von vorn zur Mitte oder von hinten zur Mitte oder auch von hinten nach vorn angesehen werden kann. Kinder, die selbst gern zeichnen, werden sofort von der realistischen Darstellung der Küchenszene angesprochen, manche vom Blick auf die Welt von oben, während andere die Überraschung genießen, was auf der nächsten Seite wohl gezeigt wird. Kristin Roskifte bringt mit ihrem Bilderbuch schon kleinen Kinder die perspektivische Darstellung nah. "Das ist ja Google-Earth für Kleinkinder" meinte ein zufälliger Betrachter. Ob Kinder sich durch das Buch dazu anregen lassen, spontan zu malen, wie sie sich ihre Welt aus der Vogelperspektive vorstellen, oder ob man die Ausstattung der vielen unterschiedlichen Zimmer zum Anlaß nimmt, über die Themen Familie, Haus und Wohnung zu sprechen, Roskiftes Zoomen spricht Bilderbuchbetrachter aller Altersgruppen auf unterschiedlichen Ebenen an.

  • "Eine Quelle die ungenannt bleiben will bestätigt, dass die geschilderten Ereignisse irgendwo an einem Dienstag in den USA stattgefunden haben."


    Es ist 20.00Uhr, auf einem hohlen Baumstamm, der aus einem Sumpf ragt, reckt eine Wasserschildkröte den Kopf in die Höhe. Ein Geschwader von Fröschen auf fliegenden Blättern schwebt heran - die Wasserschildkröte zieht vor Schreck Kopf und Gliedmaßen ein. Die Flugvorführung ähnelt nun kaum noch harmlosem Reisen auf einer fliegenden Unterlage. Die Froschtruppe fliegt Loopings, versetzt rastende Vögel auf einer Stromleitung in Angst und Schrecken. Die düstere Atmosphäre wird durch die Schwarz- und Blautöne der Nacht unterstrichen. 11.21Uhr, ein Mann im Morgenmantel nimmt in der Küche eine einfache Mahlzeit ein, die Frösche scheinen ihm von draußen durch sein Küchenfenster fröhlich entgegenzuwinken. Zisch - jemand hat seine Wäsche auf der Leine vergessen, das Froschgechwader kann nicht stoppen, verheddert sich in gewaltigen Bettlaken-Gespenstern. In stoischer Haltung auf ihren Blättern fliegen die restlichen Frösche immer weiter, durch geöffnete Fenster und Kamine direkt in die Häuser. Eine ältere Frau ist vor dem Fernsehapparat eingenickt. In ihrem dunklen Zimmer bringt der Bildschirm riesengroße Froschaugen zum Leuchten. 4.38Uhr, Ein Hund als erstes waches Lebewesen wäre fast mit einem Frosch-Flieger zusammengestoßen. Sein plötzliches Bremsmanöver lässt den vorwitzigen Frosch beinahe ohnmächtig vom Blatt kippen. Stoisch jagen die Frösche den Hund. Sie scheinen direkt aus dem Bilderbuch auf den Betrachter zuzufliegen - und lassen plötzlich ihre Blätter fallen. Es ist Tag, hüpfend kehren die Frösche in ihren Sumpf zurück. Alles ganz normal? War was? Sollen wir beruhigt aufatmen oder enttäuscht sein, dass das Abenteuer der fliegenden Frösche beendet ist? Die nächste Szene lässt ein gigantisches Aufgebot aus Polizeiautos und Kameramännern aufmarschieren. Was sind das wohl für feuchte Blätter mitten auf der Straße? ... Am nächsten Dienstag kurz vor 20.00 fällt im Abendlicht ein Schatten auf eine Scheune. Wessen Schatten das ist? Glauben Sie mir, das möchten Sie lieber noch nicht wissen, ehe Sie sich das nächste Buch von David Wiesner besorgt haben.


    Bis auf die Angabe von Wochentag und Uhrzeit kommt David Wiesners phantastische Amphibien-Geschichte ganz ohne Text aus. Sein 1992 in den USA preisgekrönter Bilderbuchklassiker animiert Kinder zum Entdecken und Nacherzählen - und macht auch erwachsenen Betrachtern riesigen Spaß.

  • Was ist das für ein Auge, das mich mitten aus dem Titelbild durchdringend ansieht und in dem sich verzerrt eine Boxkamera spiegelt - ein Objektiv oder vielleicht doch ein Auge des roten Fischs? Schon das Titelblatt weckt Erinnerungen: Muscheln, getrocknete Samenkapseln und Schwemmholzstücke sind wie in einem Setzkasten aufgereiht, unterbrochen von einem Zirkel, alten Münzen und einem Kompass. Auf dem nächsten Blatt richtet ein Einsiedlerkrebs in kühl-blauem Schneckenhaus den Blick direkt auf den Leser, hinter ihm, leicht unscharf ein beobachtendes Auge. Ein blonder Junge verbringt einen Tag am Strand und betrachtet den Einsiedlerkrebs gerade unter seiner Lupe. Ein ungewöhnliches Kind, das sogar ein Mikroskop mit an den Strand gebracht hat. Eine kräftige Welle erfasst den Jungen am Flutsaum und lässt im feuchten Sand eine Box-Kamera zurück, auf der sich bereits Seepocken angesiedelt haben. Keine x-beliebige Kamera liegt da als Strandgut, laut Aufschrift ist es eine Melville Unterwasserkamera, in ihrem Innern gut erhalten ein Rollfilm in charakteristisch gelbem Design.


    Wir folgen dem Jungen nun mit einem Zeitsprung in die Vergangenheit. In einem kleinen Fotogeschäft lässt er nicht nur den Rollfilm entwickeln und Abzüge davon herstellen, er kann sogar einen neuen Rollfilm kaufen. Der blonde Lockenkopf taucht beim Betrachten der Farbfotos in eine märchenhafte Unterwasserwelt ein. Familie Krake in ihrem Wohnzimmer, ein Fisch wie ein Blechspielzeug, eine Karettschildkröte, die auf ihrem Panzer eine Stadt aus Muscheln trägt, Seesterne, größer als Wale, die komplette Inseln auf ihrem Körper tragen. Schließlich das Foto eines Mädchens, das ein Foto in der Hand hält, auf dem wiederum ein Kind ein Foto in der Hand hält. Mit der Lupe und schließlich mit einem Blick durch sein Mikroskop dringt unser Blondschopf von Bild zu Bild in eine längst vergangene Zeit vor, in der die auf Schwarz-Weiss-Fotos portraitierten Menschen lange Röcke und geschnürte Stiefel trugen. Mit jeder Veränderung des Abbildungsmasstabes der Linse unternimmt der Junge einen Schritt in die Vergangenheit. Längst ist es Zeit, vom Strand nach Hause zurückzukehren. Schnell nimmt der Junge noch ein Foto von sich auf mit dem Foto in der Hand, auf dem ein Kind ein Foto in der Hand hält, und wirft die Kamera zurück ins Meer. Wie ein Film läuft die Rückreise der Box ab. Sepien, ein gewaltiger Wal und Seepferdchen geben unter Wasser die Kamera mit dem darin enthaltenen Schatz wie einen Staffelstab weiter. Die Reise geht durch eine Welt der Riesen-Seeanemonen und Meerjungfrauen, in die Arktis, schließlich wird die Box wieder an einem Strand angespült und von einem Kind gefunden.


    In Strandgut zeigt David Wiesner im Comic-Stil ganz ohne Worte eine phantastische Unterwasserwelt und wirft mit seiner Darstellung die Frage auf, wie wir unsere Welt abbilden und wie wir sehen. Wiesner ist es in seinem preisgekrönten Buch wieder gelungen, eine Geschichte für Kinder zu zeichnen, die dem erwachsenen Betrachter zusätzlich eine ganz persönliche Botschaft überbringt. Welcher Fotograf erinnert sich nicht voller Nostalgie an die erste einfache Kamera seiner Kindheit oder den Wunsch nach einer Kamera, lange bevor er erfüllt werden konnte. Für Fotografen ein sehr persönliches Geschenk.

  • Karl und Kumpel wollen in den Süden. Karl, ein gemütlicher rundlicher Typ, fährt ein Auto im Isetta-Format. Hund Kumpel hockt auf dem Beifahrer-Sitz, ein großer Koffer und ein kleiner Koffer sind auf dem Dachgepäckträger festgezurrt, Karls Würstchenbude wurde hinten ans Auto gehängt. Außer Karl und Kumpel haben anscheinend auch alle anderen Menschen Urlaub - Karl, Hund & Würstchenbude stehen im Stau. Im romantischen kleinen Hotel Carla angekommen, packen Herr und Hund aus und machen sich strandfein. Doch anscheinend wollen auch alle anderen Menschen gern an den Strand. Dort liegen die Sonnenhungrigen dicht an dicht. Karl träumt von einem Urlaubsort, an dem er weder tags noch nachts gestört wird. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Mond? Wieder daheim, leiht Karl ein Raketen-Bau-Buch aus der Bücherei aus; monatelang sägt, hämmert und leimt er. Gerade rechtzeitig zu den großen Ferien wird Karls Rakete fertig. Sie ähnelt verdächtig dem kleinen roten Auto mit der Würstchenbude. Karl und Kumpel landen tatsächlich auf dem Mond. Dort packen sie ihre Strandliege und natürlich die Würstchenbude aus. Anscheinend wollten in diesem Jahr auch alle anderen Menschen auf den Mond. In kurzer Zeit ist der Mond ebenso dicht gedrängt von Sonnenhungrigen bedeckt wie im vorigen Jahr der Strand. Doch als Karl die Mondrakete beladen will, um zurückzufliegen, entdeckt er, dass der Treibstoff ausgelaufen ist. Nun ist guter Rat teuer.


    "Karl und Kumpel" ist mit Liebe zum Detail illustriert, die doppelseitigen Strandszenen des unglaublich komischen Buches erinnern an klassische Wimmelbücher. Karl mit seiner sparsamen Mimik mag man nicht so recht zutrauen, dass er sich über das Gewimmel an Meer und Mondkrater groß aufregt. Kumpel wufft stets nur ganz kurz, über seine Bedürfnisse müssen die kleinen Leser etwas genauer nachdenken. Thomas Lindemuths fantastische Geschichte bietet Kindern eine Menge Diskussionsstoff: Warum möchten oft alle das Gleiche zur gleichen Zeit? Ein Problem, das Kindergartenkindern nur zu vertraut ist. Warum fühlen Karl und sein Hund sich von den vielen Menschen gestört? Und kann man auf dem Mond tatsächlich eine Würstchenbude aufstellen?

  • Ich find dieses hier klasse:


    Kurzbeschreibung von Amazon:


    "Dirt for breakfast, dirt for lunch and dirt for dinner! Dirt, dirt, dirt! And look--now there's even a hair in my dirt! The final insult--I can't stand it any longer! I hate being a worm!" It isn't easy being an earthworm, and when one little guy gets mad at a hair in his dinner, Father worm decides to tell him a story. What follows is an ecological fable that combines environmental lessons with the kind of off-the-wall humor that could only come from one man: Gary Larson. Fans of The Far Side have been waiting for Larson's latest work since January 1995 when the final Far Side strip appeared in newspapers around the world, and they won't be disappointed. Father worm tells the story of Harriet, a beautiful but stupid maiden who frolics through the forest enjoying the beauty of nature, but completely failing to understand it. The young earthworm learns that nature is not a cute and cuddly theme park designed for the entertainment of stupid humans, but a complex, fragile, and sometimes violent system where every creature plays a vital role, even the lowly worm.


    Ich hab mich beim Lesen - und vor allem Bilder-gucken - köstlich amüsiert.

  • Dieses hier hat mir auch sehr gut gefallen:


    Kurzbeschreibung von Amazon:


    An einem lauschigen Abend sitzt Doktor Dodo in seiner gemütlichen Wohnung und langweilt sich. Die Frage, wie dieser Zustand sich ändern lassen könnte, wird schnell beantwortet: "Ich hab's! Ich schreibe ein Buch!". Gesagt, getan - und schon sitzt Doktor Dodo an seiner Schreibmaschine und macht sich an die Arbeit. Ständig zwischen beiden Ebenen des Schaffensprozesses und dem Geschehen im Werk wechselnd, kann der Leser dann dabei zuschauen, wie ein Meisterwerk der Weltliteratur entsteht....

  • Die Kurzbeschreibung bei amazon ist total nichtssagend:


    "Zerzaustes Haar, ein verschmitztes Lächeln und endlose Fantasie Fräulein Pauline hat ihren eigenen Kopf. Bevor es losgeht, soll sie ihr Zimmer aufräumen und ihre Sachen zusammenpacken. Aber Pauline denkt gar nicht daran sich zu beeilen, denn genau jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um mit ihren Puppen zu spielen und zu den Wolken zu fliegen ... Pauline hebt in ihre eigene Welt ab und begibt sich auf eine traumhafte Reise zu märchenhaften Orten. Ob sie mit den Vögeln um die Wette fliegt, wilde Tiere zähmt oder mit den Meerjungfrauen schwimmt ihre Fantasie kennt keine Grenzen!"



    Denn das Buch ist genial bebildert!

  • Ich fülle hier einmal wieder nach, mit richtig schönen Entdeckungen aus den letzten Monaten.


    Ein Bilderbuch vom Marjaleena Lembcke und Julia Neuhaus darüber, was passiert, wenn man immer nur knurrig in die Welt guckt und unversehens einer Katze begegnet.
    Für Katzen-Fans unverzichtbar.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ein zauberhaftes Wintermärchen, wenig Text, viel Bild und noch mehr Poesie.


    Lecis, Wolfsgruber über ein Mädchen, das nuicht Rotkäppchen ist.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Als drittes die bezaubend-verrückte-traurige-schöne Geschichte von Rita Ricotta, die so unglücklich war, daß es das Glück nicht länger aushielt und sie unbedingt besuchen mußte.
    Ein wenig seltsam, aber mit herrlichen Ideen und den Illustrationen von Isabel Pin.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Und ein Buch, das einfach atemberaubend gut ist, verspielt, originell, egal, ob vom Text her oder von den Bildern, eine Hommage an gute Geschichten, Geheimnisse und die Kunst des Designs.


    Das Buch ist ein Kunstwerk an sich. Kinder werden das Märchenhafte schätzen, Erwachsene die Ausgestaltung. Ein echter Wurf.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Es ist zwar ein Märchenbuch, aber die Aufmachung mit den wertvoll wirkenden Bildern ist großartig!

    Bücher sind eine höchst ergötzliche Gesellschaft. Wenn man einen Raum mit vielen Büchern betritt - man braucht sie gar nicht zur Hand zu nehmen - ist es, als würden sie zu einem sprechen, einen willkommen heißen.
    -William E. Gladstone-

  • Die traurig-schöne Geschichte lehnt sich an das Original des „Anti-Märchens“ in Georg Büchners „Woyzeck“ an. Mit neuen poetischen Sprachbildern erzählt Jürg Amann darin über die Reise eines Kindes, dass sich unendlich alleine fühlt. Käthis Bhends Illustrationen erzählen eine ganz eigene Geschichte, die ebenso berührend wie tröstlich sind. In ihrer Geschichte bricht ein mutiges Kind zu einer kuriosen Entdeckungsreise auf. Eine besondere Geschichte über die Kraft von Ängsten und deren Überwindung, über die Wahrnehmung von Realität und Illusion.