Die Einsamkeit der Primzahlen - Paolo Giordano

  • "Die Einsamkeit der Primzahlen" konnte wie mich fast auf ganzer Linie überzeugen. Der Autor schreibt sehr ansprechend, auf der einen Seite nüchtern und beobachtend, ohne zu werten, auf der anderen Seite immer wieder wunderbare poetische Vergleiche und Betrachtungen einwebend. Die Zeitsprünge sind geschickt gemacht und obwohl vieles ungesagt bleibt, kann man der Geschichte leicht folgen und mit den verletztlichen Protagonisten mitfiebern und hoffen, daß auch für sie ein wenig Glück wartet auf ihrem beschwerlichen Lebensweg.
    Man muß aber wohl mit dieser ordentlichen Portion Melancholie zurechtkommen, die über dem gesamten Roman liegt, um beim Lesen Freude zu haben - ich mußte zumindest nach zwei, drei Kapiteln immer pausieren ob der Eindringlichkeit und Realitätsnähe.
    Lediglich gegen Ende des Romans hatte ich das Gefühl, der Autor schwächelt ein wenig im Vergleich zu den bisherigen tollen, auch berührenden Seiten. 9 Punkte

  • Hallo Herr Palomar,


    in den Film habe ich es nicht geschafft, aber sobald die DVD erschienen ist, werde ich sie mir ansehen.



    Nach knapp einem Drittel Lektüre des Romans kann ich mich der mehrheitlichen Meinung nur bedingt anschließen. Das Buch lebt - und so hat es Giordano wohl auch gewollt - von Extremmomenten seiner zwei Protagonisten. Bereits der Einstieg beginnt mit einer belastenden Situation für Alice (und den Leser) und springt dann von einer schwierigen Stelle zur nächsten, wobei ich die Entwicklung eines Spannungsbogens vermisst habe. Vielmehr setzt Giordano auf die Aneinanderreihung psychischer Ausnahmesituationen, die auf Schockmomente und Entsetzen beim Leser setzt. So wenig wie mich dieser Umstand als Leserin zufriedenstellt, so wenig überzeugt die sprachliche Umsetzung. Zuweilen fehlt eine gewisse Harmonie verbunden mit einem Rhythmus innerhalb der Kapitel; hinzukommt, dass Giordano sowohl aus Erwachsenen- als auch aus Sicht eines Jugendlichen die Gefühlswelt eines seiner jungen Protagonisten beschreibt und diese Brüche einen unstimmigen Eindruck hinterlassen.
    Dennoch werde ich wegen Giordanos genauer Beobachtungen und seinem Feingefühl für seine Helden weiterlesen.

  • Ich habe das Buch diese Woche ziemlich zügig durchgelesen. Es hat mich auf jeden Fall gefesselt, allerdings war meine Faszination zu Beginn des Romans deutlich größer als gegen Ende. Gerade die beiden Eingangskapitel haben mir richtig gut gefallen.


    Auch der Abschnitt, der Alices und Mattias Annäherung in der Schule beschreibt, war ziemlich spannend und hat mich mitgerissen. Nachdem Mattia Italien verlässt nahm meine Begeisterung allmählich leider ab. Es war hauptsächlich der Umstand, dass ich wissen wollte, wie es ausgeht, der mich zum weiterlesen angetrieben hat. Die Dinge, die nach dem Ende der Schulzeit passieren, habe ich überwiegend als fad empfunden. Mit Ausnahme vielleicht von dem Verhältnis zwischen Alice und dem Fotografen, bei dem sie sich ausbilden lässt.


    Vor allem hätte ich mir gewünscht, dass es in Bezug auf Alices Magersucht Fortschritte gibt - aber ihr Zustand scheint einfach unverändert zu sein, und dass sie mehrere Jahre lang mit einem Arzt verheiratet ist, der allenfalls halbherzige Versuche startet, ihr zu helfen, fand ich schon fast unglaubwürdig.


    Ich glaube, jemand hat es weiter oben schon beschrieben: es gibt keine richtige Charakterentwicklung, keine Veränderung. Eine Veränderung hätte ja nicht unbedingt eine zum positiven sein müssen (auch wenn ich mir das in Alices Fall wirklich gewünscht hätte), aber es bleibt einfach alles wie es ist. So dass ich mich frage, ob das Buch die Botschaft vermitteln will, dass es nicht möglich ist, sich zu verändern, dass man in seiner Haut gefangen bleibt, egal was passiert. Falls es das ist, liegt meine getrübte Begeisterung für das Buch vielleicht auch einfach daran, dass mir diese Botschaft gerade zu pessimistisch ist, wer weiß. :lache


    Trotzdem: Der Einstieg ist toll und ich mag auch den Sprachstil und die Erzählweise. Deshalb 7 von 10 Punkten.

  • Mh...es heißt ja an einer Stelle ganz konrekt, dass Alice ihn nicht liebt. Das war auch etwas, dass ich schade fand - dass Alice, wenn sie schon nicht mit Mattia zusammen kommen kann, auch nicht die Liebe zu einem anderen Menschen genießen darf.
    An der gleichen Stelle stand auch, dass Fabios Liebe so stark ist, dass es sozusagen für beide reicht. Ich habe mich da gefragt, ob sowas überhaupt geht. Dass einer den anderen so sehr liebt, dass er damit die fehlende Liebe ausgleicht. Auf jeden Fall fand ich das sehr traurig. Und das war vermutlich auch der Grund, aus dem ich diese Beziehung zwischen den beiden nicht mochte, weil immer so die Traurigkeit und der Mangel mitschwang.
    Das andere hab ich schon geschrieben - dass ich es seltsam finde, dass Fabio, als Arzt, so lange keine ernsthaften Versuche startet, Alice mit ihrer Magersucht zu helfen. Ich hab aber auch darüber nachgedacht, ob es daran liegen könnte, dass Fabio spürt oder weiß, dass Alice ihn nicht liebt und dass er Angst hat, sie zu verärgern, wütend zu machen oder zu vertreiben, wenn er das Problem anspricht. Dass er sich lieber einredet, die Welt wäre heile, es sich sogar so sehr einredet, dass er glaubt, er könne ein Kind mit ihr haben. Und am Ende schließlich doch einsehen muss, dass er in einer Illusion lebt.
    Und Alice...ich denke, sie genießt einfach die Wärme und Zuneigung, die die Beziehung ihr gibt, ohne die Chance zu nutzen zu können, die diese Beziehung auch hätte bieten können: nämlich, mit einem Menschen an ihrer Seite, der sie liebt, zu versuchen, ihr Leben zu verändern und ihre Magersucht zu bekämpfen.


    Was denkst du denn darüber?


    Edit: Rechtschreibfehler

    In der Einsamkeit wird Liebe entstehen.

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  • Mich hat die Geschichte zwischen Alice und Fabio sehr berührt.
    Der Leser weiß von vornherein, dass diese Beziehung nicht gut ausgehen kann und eigentlich ahnt es Fabio auch schon vor der Hochzeit. Er wünscht sich, dass mit der Zeit Alice ihm die Zuneigung geben kann, die er ihr gibt. Als diese Hoffnung nicht aufgeht, verzweifelt er immer mehr, resigniert noch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt und ist m.E. in Bezug auf Alices Essstörung gelähmt.
    Natürlich weiß er als Arzt wie man diese Krankheit behandeln kann, doch meiner Meinung nach hat er große Angst, seine Frau mit ihrer Krankheit zu konfrontieren, weil er dann ihren endgültigen Verlust befürchten muss.
    Giordano hat es hervorragend verstanden, diese Szenen einer Trennung auf Raten bis zu ihrem Ende zu schildern und Emotionen zu wecken.
    (Im Gegensatz zu den Ausführungen über die Essstörung, die mich nicht völlig überzeugt haben.)

  • Mich berührte das Buch auch sehr.Vielleicht auch wegen meiner eigenen Geschichte (Magersucht) So kann ich für meine traurige Geschichte betonen,dass kein Mensch (besonders nicht im privaten Umfeld)dieser Krankheit Herr werden kann.Gewundert hat mich allerdings,dass Mattia so therapielos durch das Leben gezogen ist..es wurde so hingenommen,aber nie richtig reflektiert.Trotzdem war ich begeistert,mir gefielen die geschriebenen Worte.Und besonders,weil ich es gar nicht lesen wollte.Ich kaufte es für meine Tochter (las sie immer noch nicht) und weil es zum Genre Jugendbuch gehört,hatte ich zunächst Vorurteile.Weit gefehlt,jetzt hole ich einiges nach..

  • Ein tolles Buch. In einer schönen Sprache beschreibt Paolo Giordano den Lebensverlauf von zwei Einzelgängern mithilfe von einzelnen Szenen aus ihren Lebensabschnitten. Der Vergleich mit den Primzahlen wird schön im Buch verarbeitet und auch der Anfang selbst wird wieder aufgegriffen. Probleme und Neurosen werden angesprochen. Mobbing und vieles mehr. Dabei werden zwei sehr eigentümliche Figuren gezeichnet, die durch ihre Macken auch wieder sehr real wirken.
    Das Ende war für mich genau das richtige. Während des Lesens der letzten Zeilen hatte ich den Verdacht, es könnte sich noch anders entwickeln. Aber auch diese Spannung wurde vom Autor sehr einfühlsam und kunstvoll gelöst. Insgesamt habe ich nur zweieinhalb Tage für den Roman gebraucht und das zeigt, dass er mich auch sehr unterhalten hat. Hier spreche ich eine klare Leseempfehlung aus.

  • Ich habe mich so auf dieses Buch gefreut! Ich habe nur positives darüber gehört und habe es extra lange auf dem SuB liegen lassen, damit ich mich irgendwann damit belohnen kann.


    Bestrafen hätte besser gepasst :rolleyes
    Ich glaube, ich war noch nie von einem Buch so enttäuscht! Komischerweise habe ich es innerhalb von zwei Tagen gelesen, da die Seiten nur so dahin geflogen sind aber trotzdem konnte mich die Geschichte nicht ansatzweise fesseln.
    Ich weiß eigentlich gar nicht genau, was ich erwartet habe :gruebel


    Die Personen waren total farblos, keiner der auftauchenden Charakter war mir auch nur ansatzweise sympathisch...
    Und das ganze Drumherum war ebenfalls fad.


    Schade aber ich gebe höchstens 5 Punkte.

  • Die beiden psychisch labilen Hauptpersonen sind auch wahrlich keine Sympathieträger - wobei ich eigentlich Dennis ganz gerne mochte.
    Ich glaube, bei dem Buch hatte ich das zweifelhafte Glück, gerade in einer entsprechenden Stimmung zu sein, als ich es las, ansonsten hätte ich es womöglich nicht gelesen.
    So aber fand ich es beeindruckend und muss es zu den besten Büchern zählen, die ich kenne. Gleichwohl hege ich noch eine Abneigung gegen das unschöne, wenn auch unausweichliche Ende.
    Grüße

    "It is necessary to distinguish [...] between languages as such and their speakers. Languages are not hostile one to another. They are, in the contrast of any pair, only similar or dissimilar, alien or akin."
    -J. R. R. Tolkien, "English and Welsh"

  • Dieses Buch stand schon längere Zeit in meinem RUB, um nun in einem Rutsch durchgelesen zu werden. :grin Die erste Hälfte des Romans ist nahezu perfekt. Ich finde aber, dass die Qualität des Buches zum Ende hin abflacht und das Ende ist leider nicht nach meinem Geschmack. Trotzdem vergebe ich neun Punkte und hoffe bald mehr von diesem vielversprechende Autor zu lesen.

  • dieses Buch habe ich letzte Woche als WB gelesen,
    und obwohl es so gar nicht in mein Beuteschema passt, habe ich es nicht bereut :-]


    Mittlerweile hat er es verstanden:
    Entscheidungen wurden innerhalb weniger Sekunden getroffen,
    und in der übrigen Zeit schlug man sich mit den Folgen herum - Seite 353


    genau dieser Satz beschreibt den Inhalt des Buches auf den Punkt.


    Mattia und Alice haben im Kindesalter schon Entscheidungen getroffen, die ihr ganzes spätere Leben beeinträchtigten.
    Mattia lies seine geistig behinderte Zwillingsschwester Michela in einem Park alleine zurück, um ungestört auf eine Geburtstagsfeier,
    bei der er eingeladen wurde, zu gehen, und zum ersten mal vielleicht dazu zu gehören und Freundschaften zu knüpfen.
    Michela verschwand an diesem Tag spurlos und tauchte nie wieder auf.
    Von Schuldgefühlen geplagt zog sich Mattia zurück und fing an sich selbst zu verletzen.


    Alice wollte sich bei einem Skikurs, der ihr von ihrem Vater aufgezwungen wurde,
    einer peinlichen Situation entziehen und beschloss alleine die Abfahrt ins Tal zu meistern.
    Sie stürzte und trug eine schwere Verletzung davon, die eine lebenslange Behinderung zur Folge hatte.
    Dies führte wiederum zu Minderwertigkeitskomplexen und zur Magersucht.


    Als Leserin lernte ich Alice und Mattia im Kindesalter kennen und durfte ihr Leben, mit einigen Pausen, bis ins Erwachsenenalter begleiten.
    Beide haben schwer mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen und schaffen es nur teilweise sich dem normalen Lauf des Lebens anzupassen.
    In der Schule kreuzen sich ihre Wege und eine Freundschaft entsteht. Sie erkennen beide, wie ähnlich sie sich sind,
    in ihrer Einsamkeit und ihrem Unvermögen sich anderen gegenüber zu öffnen.
    Sie fühlen sich einander verbunden und akzeptieren einander wie sie sind,
    und trotzdem scheinen sie nicht aus ihrer Haut zu können und die um sich aufgebauten Mauern zu durchbrechen.


    So passt auch der Titel des Buches perfekt zu dieser Geschichte.
    Für Mattia waren sie beide, Alice und er, genau dies, Primzahlzwillinge, allein und verloren, sich nahe,
    aber doch nicht nahe genug, um sich wirklich berühren zu können.
    - Seite 156


    Der Schreibstil war gut und flüssig zu lesen und der Autor lies mich in das sehr realistisch dargestellte Seelenleben von Mattia und Alice blicken.
    Ich litt mit ihren Versuchen in ihrem Leben zurecht zu kommen, wohl wissend wie verkorkst sie sind, mit, und es bewegte mich sehr,
    wie einzelne Entscheidungen ihr Leben noch komplizierter und Mattia und Alice noch einsamer und unglücklicher machten.
    Die Lebensgeschichte der beiden hat mich sehr aufgewühlt und ich musste alle paar Kapitel eine Pause machen,
    da mir eine so geballte Ladung an Mattia und Alice einfach aufs Gemüt ging.
    Und trotzdem wollte ich wissen wie es weiter geht und ob sie evtl. zueinander finden,
    wobei die sich möglicherweise anbahnende Liebesgeschichte in diesem Buch für mich nicht im Vordergrund stand.
    Im letzten Drittel lies die Spannung etwas nach und das Ende an sich war etwas zu abrupt für mich.
    Irgendwie fühlt es sich für mich nicht richtig abgeschlossen an.


    Dem Autor ist mit „Die Einsamkeit der Primzahlen“ ein wirklich sehr beeindruckendes und authentisches Werk gelungen,
    das mich noch Tage später beschäftigte und meine Gedanken nicht los lies.
    Von mir gibt’s eine absolute Leseempfehlung und 10 Punkte

  • Wow, dieses Buch klingt wirklich richtig interessant. Vielen Dank für die vielen guten und ausführlichen Rezensionen. Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine Wunschliste (die irgendwie immer länger statt kürzer wird...)
    Bin schon sehr gespannt, wie es mir gefallen wird. Außerdem finde ich jetzt schon den vergleich mit den primzahlenzwillingen echt schön und wenn ma so darüber nahdenkt auh irgendwie passend.
    Also, ich bin gespannt :)