Vorlesetexte für erwachsene geistig behinderte Menschen

  • Liebe Büchereulen,
    seit kurzem gestalte ich ein Vorleseangebot, das sich vornehmlich an geistig behinderte Erwachsene richtet. Da ist die Suche nach geeigneten Texten nicht ganz einfach. Teilweise greife ich auf Bücher mit Kurztgexten für Kinder zurück, ändere diese Texte aber leicht, um das "Kindliche" doch etwas zu reduzieren.
    Könnt ihr mir evtl. Texte vorschlagen, die einfach gestrickt sind, Emotionen ansprechen und möglichst nicht zu lang sind (max. 15 Seiten (das ist so in etwa die Textmenge, die mit entsprechenden Unterbrechungen und Wiederholungen des Gehörten vorgetragen werden kann)
    Danke schon mal!!!

    "Hebt eure Prinzipien für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Prinzipien ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit."
    (Albert Camus)

  • Hallo Twiärsdriever


    das ist ja eine ganz interessante Frage.


    Leider habe ich sehr wenig Erfahrung mit geistig-behinderten Erwachsenen.


    Mir sind auf Anhieb "Sagen" und "Märchen für Erwachsene" oder "Kurzgeschichten" durch den Kopf gegagenen.


    Aber eben, was für Kurzgeschichten und von welchem Autoren wären da wohl geeeignet, das ist die Frage. :gruebel


    Ich habe bei Google mal <Märchen für Erwachsene> eingegeben, da tun sich manche Seiten auf, vielleicht findest Du dort einige Anregungen.


    Was Sagen anbelangt, da kann ich Dir leider auch nicht wirklich weiterhelfen, da ich sie selber nicht so gerne gelesen habe, oder besser gesagt, mir sind keine solchen begegnet, die mir gefallen haben.


    Jedoch könnte ich mir schon vorstellen, dass es Bücher gibt mit sehr schönen Sagen, vielleicht spielt es eine Rolle, welcher Autor sie bearbeitet hat.


    Aber wie ich die Eulen kenne, gibt es ganz bestimmt welche, die Dir ganz tolle Angregungen geben können.


    :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Hi Joan
    Danke!!!
    Das Stichwort "Sagen" war es, das mir nicht in den Sinn kommen wollte - das könnte ein üppiger Fundus sein. Märchen sind insofern problematisch, als ihnen - zu Unrecht - immer noch das Etikett "nur für Kinder" anhaftet - und das stößt bei Menschen, die ständig um ihre Anerkennung als Erwachsene kämpfen müssen, eher auf Ablehnung

    "Hebt eure Prinzipien für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Prinzipien ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit."
    (Albert Camus)

  • Twiärsdriever.......bei vielen "herkömmlichen" Sagen kommt halt schon oft auch der "Teufel" drin vor. Da ist dann auch von Rache und Bestrafung die Rede....halt eben ziemliche Schwarzweissmalereien.


    Ob Geistigbehinderte damit gut umgehen können?


    Die Idee vom Buchdoktor mit den Tiergeschichten die fand ich sehr gut.


    Mir ist da schon auch was durch den Kopf gegangen, wo ich mir vorstellen kann, dass es diese Menschen begeistern könnte, aber das ist halt ein ganzes Buch. Ein sehr humorvolles Jugendbuch.
    Ich habe es im Alter von ungef. 20 Jahren gelesen. Erstens wars wirklich spannend und zweitens habe ich stellenweise Tränen gelacht.


    Etwas Humorvolles wäre wohl sowieso nicht falsch. Aber wie Du sagst, sollten es halt eher Kurzgeschichten sein.


    Ich stelle meinen Buchvorschlag trotzdem mal rein.


    Kurzbeschreibung
    "Mein Name ist Eugen. Das sagt genug, denn eine solche Jugend ist schwer. Im nachsten Juli bin ich dreizehn Jahre alt, und der Eduard behauptet, das sei ein Geburtsfehler, der sich leider nur langsam korrigiere. Am nächsten Neujahr in acht Tagen wird er vierzehn, und das sei doch ein ganz anderes Gefühl." So beginnt Klaus Schädelins Kinderbuchklassiker aus dem Jahr 1955.

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  • Bin ich hier die Einzige, die sich an dem Wort 'behinderte' übel aufstößt? Da könnte man zig andere Verben nutzen. Vielleicht tut es 'unterenwickelte' auch? Fachlich korrekt wäre retardiert bzw. mentale Retardierung.


    :-)


    You're like a splinter to my mind
    Like a nail to my wrist
    A dagger to my heart
    Like needles through my soul

  • Nein, mir stösst dieses Wort nicht übel auf.


    Warum sollte mir das übel aufstossen.


    Unterentwickelt? Tönt das besser?


    Retardiert? Ich suche ein Buch für mental Retardierte? Tönt vielleicht besser, weil man vielleicht nicht grad auf Anhieb weiss, was das bedeuten sollte, kann aber die Realität von Behinderungen auch nicht wegwischen.


    :wave


    Edit: Schreibfehler weggeputzt.

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    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • bleeding : "Unterentwickelt" ist wirklich ein origineller Vorschlag. :rofl Tatsächlich ist "Behinderte" oder "Menschen mit Behinderung" derzeitiger Sprachgebrauch, goutiert von der WHO, und auch "politisch korrekt". "Mentale Retardierung" ist lediglich der medizinische Terminus, wie Ärzte auch von Malignomen oder Neoplasien reden, wenn sie Krebs meinen. Menschen mit Behinderung sind Leute, die daran gehindert sind, ein "normales" Leben zu führen, und mit diesem Begriff verweist man freundlicherweise auf die Auswirkungen und blendet die Ursachen aus. Übrigens war der medizinische Fachbegriff für Menschen mit einer geistigen Behinderung und infolge dessen einem Intelligenzquotienten unter 20 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts "Idiot". ;-)

  • Ich finde da auch nichts anstössiges dran. Im Gegenteil, ich finde es schön das man sich so nett drum kümmert und in seiner Freizeit noch nach Lesematerial sucht.

    Diese Eintrag wurde bisher 47 mal bearbeited, zultzt gerade ebend, wegen schwere Rechtsschreipfeler.

  • unterentwickelt bzw. retardiert bedeutet für mich, einen bestimmten Standard nicht zu erreichen. In anderem Kontext ist das eindeutig negativ besetzt (unterentwickelte Wirtschaft, unterentwickelte Demokratie usw.) und damit um einiges diskriminierender als "behindert". :wow

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Was am Wort "Behinderung" politisch unkorrekt sein mag, verstehe ich nicht.
    Einrichtungen und Werkstätten nehmen die Begrifflichkeit ebenso auf wie Sozialpädagogen, Ämter und der Gesetzgeber, auch wenn letzterer nicht immer ein glückliches Händchen bei den verwendeten Begrifflichkeiten hat.
    Und wenn das Wörtchen "unterentwickelt" fällt, dann wird an dieser Stelle bewusst durch das Präfix "unter" auf einen Unterschied hingewiesen, der die Teilhabe behinderter Mensch am Leben zusätzlich erschwert und sie letztlich diskriminiert.


    Zur Sache:
    Konkrete Vorlesetipps könnte ich erst geben, wenn Du etwas über die Zielgruppe schreibst. Ich vermute, dass es sich um geistig behinderte Menschen (und nicht um Menschen mit psychischen Erkrankungen) in einer Einrichtung handelt.
    Sehr gut kommen zunächst bebilderte Bücher an, vor allem wenn sie Tiergeschichten enthalten.
    Darüberhinaus erfreuen sich auch Geschichten der eigenen Heimatstadt mit Fotos wegen des Wiedererkennungseffekts großer Beliebtheit.
    Vielleicht wäre es auch möglich, die Geschichten gemeinsam zu lesen, wobei sich vorher in der Einrichtung erkundigt werden sollte, wer von den Bewohnern lesen kann.
    Da viele Mitarbeiter in den Wohnstätten nicht viel Zeit haben, bestünde auch noch die Möglichkeit, die hauseigene Zeitschrift - sofern vorhanden - vorzulesen. In dieser Zeitschrift finden sich Beiträge über neue Mitarbeiter, erweiterte Betriebszweige, Urlaubsfahrten, den letzten Weihnachtsmarkt usw.


    Solltest Du noch Fragen, dann stell sie :wave.

  • bleeding
    Diese Diskussion haben wir in der Fachwelt schon vor x Jahren hinter uns gelassen, sie hat lediglich mit aufkommender "political correctness" eine gewisse Renaissance erfahren.
    Vor allem aber stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, eine Gruppe von Menschen Begrifflichkeiten zu belegen, die mit gößter Wahrschenlichkeit nicht zu ihrem Sprachgebrauch gehören.
    @ Joan - Klar, bei weitem nicht alle Sagen eignen sich, wobei es dem angesprochenenen Zuhörerkreis durchaus nicht schadet, auch unschöne Aspekte des Lebens vorzuführen
    kuschelhundchen Der Ehrlichkeit eine Bresche - diese Vorleserunde gehört nicht zum Bereich meiner ehrenamtlichen Tätigkeiten, sondern findet im beruflichen Zusammenhang statt, aber danke für dein statement

    "Hebt eure Prinzipien für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Prinzipien ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit."
    (Albert Camus)

  • Wie die Meinungen auseinander gehen...


    Für mich hat das Wort behindert einen deutlichen üblen Nachgeschmack, nicht zuletzt, weil er im Zusammenhang mit irgendwelchen Beleidigungen zum Ausdruck kommt. Wenn man allerdings von einer Behinderung spricht, ist es für mich durchaus nicht anstößig.
    Scheinbar seh nur ich das so... :grin


    Ich seh ein, dass 'unterentwickelt' jetzt kein origineller Vorschlag war... :-)
    ... aber diskriminierender finde ich ihn überhaupt nicht. Was dagegen 'politisch korrekter' wäre, schaue ich in einem Magazin gleich mal nach.


    Ich wollte überhaupt keine große Diskussion damit auslösen, bin lediglich auf Alternativen aus gewesen.


    kuschelhundchen
    Ich find es auch schön, wenn jemand in diesem Bereich engagiert ist. Also nicht falsch verstehen das Ganze.


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    Like needles through my soul

  • Ich hätte schon noch paar Fragen und Ueberlegungen auch zu verschiedenen anderen Bezeichnungen, die in der Vergangenheit immer und immer wieder umgeändert worden sind, sodass ich heute einfach
    nur noch komplett verunsichert bin.


    Aber ich lasse es ....sonst gerät der Thread möglicherweise zu sehr ins OT.

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  • bleeding :


    Zitat

    Für mich hat das Wort behindert einen deutlichen üblen Nachgeschmack, nicht zuletzt, weil er im Zusammenhang mit irgendwelchen Beleidigungen zum Ausdruck kommt.


    Das passiert mit jedem dieser Begriffe über kurz oder lang, da kannst Du die pc-Liste im Tagesrhythmus aktualisieren, um dem entgegenzuwirken. Menschen (viele Menschen) neigen dazu, für gezielte Beleidigungen Vergleiche mit Benachteiligten, Kranken, Randgruppen usw. heranzuziehen. Deshalb ist fast unvermeidbar, dass jeder dieser Begriffe irgendwann auch negativ konnotiert ist. Und deshalb ist der Versuch, ständig "politisch korrekt" zu bleiben, auch irgendwie etwas hirnrissig.

  • Zitat

    Original von Twiärsdriever
    Vor allem aber stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, eine Gruppe von Menschen Begrifflichkeiten zu belegen, die mit gößter Wahrschenlichkeit nicht zu ihrem Sprachgebrauch gehören.


    Das ist sicherlich ein berechtigtes Argument. Darüber müsste ich mal nachdenken...
    Besonders im Kreis der Pädagogen habe ich nie bisher dieses Wort jemanden benutzen hören?! Mein Lebensgefährte ist selbst Pädagoge für eben solche Kinder. Ich werde ihn später was das angeht interviewen, mal schauen, was er dazu sagt.
    Mag ja sein, dass die Diskussion bereits vor etlichen Jahres schon einmal auf Grund ihrer politischen Korrektheit geführt wurde, dass das Wört 'behinderte' aber ein aktuelles Problem in der heutigen Jugend ist, ist doch unbestreitbar. Vielleicht ist es mein persönliches empfinden.


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  • Zitat

    dass das Wört 'behinderte' aber ein aktuelles Problem in der heutigen Jugend ist, ist doch unbestreitbar


    Und wenn Du Dein "mental retardiert" durchgesetzt hast, wird dieser Begriff kurze Zeit später ein solches Problem sein. ;-)

  • Tom
    Mag alles durchaus so sein, wie du sagst, da geb ich dir recht, aber den Versuch find ich da nicht hirnrissig. ;-)
    Müssig ist es ganz bestimmt, hirnrissig aber nicht.


    *argh* Ich hab das Gefühl, ich rede mich um Kopf und Kragen. Das Thema ist mir durchaus wichtig, vielleicht deshalb. Ich selbst meide tunlichst das Wort 'behindert', selbst wenn es politisch korrekt ist/wäre. Das ist mein persönliches Empfinden und das kann mir niemand absprechen. :-]


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    Like needles through my soul

  • Zitat

    Original von Tom


    Und wenn Du Dein "mental retardiert" durchgesetzt hast, wird dieser Begriff kurze Zeit später ein solches Problem sein. ;-)


    Dazu sind 'Idioten', die solch Worte als Beleidigungen benutzen, nicht helle genug, um zu verstehen, was das im Zusammenhang zu einer Behinderung seht. :lache


    Ach man, jetzt hab ich ein schlechtes Gewissen dem Threadersteller, weil das alles nicht Sinn und Zweck des Threads war.


    edit: Ich werd später mal nachfragen, ob man ein bestimmtes Buch oder welche Geschichten man grundsätzlich empfehlen kann...


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