'Das Geheimnis der Jaderinge' - Seiten 431 - 518

  • Yazi ist tot. Das ist traurig, für den Fortgang der Geschichte aber unbedingt notwendig, weil nun alle Konzentration auf Vi Ki und Jinzi liegt. Mir hat "gefallen", dass sie nach ihrem aufregenden Leben einen so schrecklich banalen Tod gestorben ist - so ist die Realität, nicht immer heroisch und bedeutungsvoll.


    Vi Ki tappt weiterhin von einem Fettnapf in die nächste unnötige Gefahr und zurück. So langsam finde ich ihre mangelnde Anpassungs- und Lernfähigkeit zum Haareraufen. :rolleyes Das vielleicht etwas zu ausführlich zelebrierte emotionale Hickhack zwischen ihr und Jinzi finde ich eher ermüdend als dramatisch. Spätestens nach der - sehr schönen! - Liebesszene hätte ich mir den nächsten Entwicklungsschritt in ihrer Beziehung gewünscht, aber sie verfallen umgehend in dieselben für beide unbefriedigenden Verhaltensmuster. Nicht, dass ich ihre Bedenken nicht verstünde, aber Vi Ki sollte langsam lernen, Jinzi nicht nach seinen Worten, sondern Taten zu beurteilen. Ihe beiderseitige Sprachlosigkeit macht sie fast zum Opfer einer Vergewaltigung und bringt Jinzi ins Gefängsnis. Prima gemacht. :rolleyes


    Bevor diese Aussagen falsch interpretiert werden, möchte ich im Gegenzug einmal Mulle zitieren:


    Zitat

    Original von Mulle
    Aber nochmal: das ist keine Kritik am Buch, das wird dadurch nicht abgewertet. Die Figur ist wie sie ist - die muss nicht meine Freundin sein.


    Den unangenehmen Mr Andrews samt seines widerwärtigen Auftritts fand ich übrigens sehr gelungen. Selbst dieser Bösewicht ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Diese Ambivalenz mag ich bei Schurken.


    Zum Abschluss dieses Abschnitts noch einmal Mulle:

    Zitat

    Aber genau das - das unterschiedliche Wahrnehmen und Einschätzen der Figuren - finde ich an Leserunden so spannend.


    :write

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Tereza, als Du den Engländer auf dem Schiff "getauft" hattest, hast Du da auch an unseren Verschollen gedacht? Bei seiner Vorstellung dachte ich: äh, ist das Yazis gesuchter Ehemann? :lache :lache

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Tereza, als Du den Engländer auf dem Schiff "getauft" hattest, hast Du da auch an unseren Verschollen gedacht? Bei seiner Vorstellung dachte ich: äh, ist das Yazis gesuchter Ehemann? :lache :lache


    Nö, da dachte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht dran. Andrews - Andrew - ja, gut, da ist eine gewisse Übereinstimmung - die mir aber nicht auffiel. Da hätte Yazis Ehemann ja in einen Jungbrunnen fallen müssen. :grin


    Tereza

  • Eigentlich wollte ich längst schlafen, jetzt habe ich doch noch diesen Abschnitt zu Ende gelesen.
    Mir ist es nicht so leicht gefallen, mich wieder auf Viktoria einzulassen, so sehr war ich in Yazis Geschichte gefangen.
    Sehr gelungen fand ich das Gespräch zwischen Yazi und Viktoria, indem Yazi ihr den sprichwörtlichen Spiegel vorhält. Es kommt das zur Sprache, was mich ebenfalls an ihr gestört hat und einen Moment dachte ich, jetzt beginnt sie ihr Verhalten zu refklektieren. "Ich glaube, du weißt nicht, wie viel deine Gegenwart anderen Menschen bedeuten kann." (S.438) Yazi begegnet Viktoria mit solch einer Menschlichkeit und Empathie, dass ich erstaunt bin, wie wenig sie dem entgegensetzt. Sie kommt einfach nicht aus ihrem Korsett heraus.
    Es gibt mehrere Szenen, in der ich es ihr gewünscht hätte, sie hätte die Nähe, die Jinzi ihr bietet zugelassen und sie hätte ihm zugehört, zum Beispiel in dem buddhistischen Kloster oder auch in der Höhle. Sie hat sich ihm sexuell geöffnet und am nächsten Tag ist sie so abweisend ohne auch nur ein Gespräch zu suchen. Ich kann Jinzi sehr gut verstehen, dass er in Sprachlosigkeit verfällt. Ich kann ihre Bedenken ja auch verstehen, aber so tun als sei nichts gewesen? :gruebel Dabei ist Jinzi ein hervorragender Liebhaber, das weiß die gute Vi Ki einfach nicht genug zu schätzen! :lache

    Die Reise nach Shanghai gestaltet sich als Abenteuer.
    Yazis Tod fand ich sehr traurig und berührend. Und auch sehr echt. Hier endlich nimmt Viktoria mal das Zepter in die Hand und trifft ein paar Entscheidungen.
    Nach Yinzis Tod reisen sie zu dritt weiter und wieder kommt eine Szene, in der etwas Nähe zwischen den beiden aufkommt. Jinzi trauert um seine Mutter und Viktoria erzählt von ihrer eigenen Trauer und tröstet ihn. Und dann verliert sie sich wieder in Belanglosigkeiten. Das verstehe ich nicht, wie man in einem solchen Moment an eine unbequeme Sitzhaltung und an Mücken denken kann.


    Ich glaube, wie wird alt wie 'ne Kuh und lernt doch nichts dazu. Entgegen Jinzis Rat heuert sie auf dem Dampfer einer Händlertruppe an. Und, wen wundert's, sie wird beraubt. Im Hintergrund lauert Jinzi und rettet sie aus den Fängen der Räuberbande.
    Und auf dem nächsten Schiff, diesmal ist es ein englisches, kommt Jinzi ihr wieder zur Hilfe und wird sogar dafür eingesperrt.
    Ich kann nur echt hoffen, dass sie diese Situation wieder in den Griff bekommt.


    Eure Posts lese ich morgen, denn ich muss jetzt wirklich ins Bett. Gute Nacht! :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich hab doch tatsächlich mal einen Vorteil beim Hinterherhinken entdeckt. Man kann sich so schön auf die anderen beziehen ...
    Ich muss gestehen, bei den beiden letzten Leseabschnitten hab ich nichts mehr mitgeschrieben. Da wollte ich einfach nur noch wissen, wie's weitergeht!


    Zitat

    Original von Mulle
    Aber sie überlegen vorher nicht mal: Du, was sagen wir denn dem Captain wer wir sind? Du, ich werde dich als meinen Diener ausgeben müssen, oder hast du einen besseren Vorschlag.


    Als ich das eben gelesen habe, dachte ich zuerst: Stimmt eigentlich.
    Aber dann: Das ist zu modern gedacht. Vicki ist mit Dienstboten aufgewachsen, eaton-place-mäßig (falls das noch jemand kennt). Für sie trennt sich die Welt tatsächlich in zwei Teile. Jinzi als Artist wäre früher für ein Mädchen aus gutem Hause ja nie in Frage gekommen. Und auch jetzt kämpft sie noch mit der Unmöglichkeit dieser Beziehung, nicht nur, weil sie sich ständig zoffen.


    Zitat

    Original von Eliza08
    Dewei ist auch für mich die einzige Figur, die einigermaßen logisch denkt und handelt.


    :write


    Zitat

    Viktoria und Jinzi lassen sich (zu viel) von ihren Gefühlen leiten, aber manchmal verkomplizieren Gefühle das Leben. Beide wissen nicht recht wie sie nach der besagten Nacht miteinander umgehen sollen. Hallo wie wäre es mal mit reden??


    Ich fürchte, selbst das ist eine relativ moderne Erfindung ... ;-)


    Zitat

    Original von bonomania
    Ich habe nie ernsthaft damit gerechnet, dass Andrew noch lebt. Denn wenn er noch leben würde, wäre er damals zu Yazi zurück gekehrt! Was ist damals nur vorgefallen? Margaret's Schlaganfall muss etwas mit Andrew's Heimreise zu tun gehabt haben :gruebel


    :write

  • Zitat

    Original von Dori
    Es ist soooo traurig, dass Yazi gestorben ist. Ich hätte ihr so gegönnt, dass sie Andrew wiedersehen kann... :cry


    Da sind mir auch ein paar Tränchen gekommen. Eine kriegerin, die Unmengen an Schlachten hinter sich gebracht hat, wird durch ein rostiges Messer gefällt. Das ist einfach nicht fair :-(.


    Jinzi verliert seine Mutter und Chuntian hat keine Möglichkeit mehr, sich mit ihrer Mutter auszusöhnen und weitere Jahre mit ihr zu verbringen.


    Vi Ki macht mal wieder einen Fehler nach dem anderen. Die Situation mit den Piraten, das war doch meilenweit zu riechen. Und dann sagt sie auch noch, dass sie so viel Schmuck hat :bonk


    Und dieser Engländer, naja, das war doch ein Weichei mit gefährlichen Nuancen. Da muss man Acht geben. Dass sie da nicht schneller reagiert hat und erst noch mitspielte.. tse.. :rolleyes
    So brachte sie sich und Jinzi in Schwierigkeiten. Wobei es Jinzi eindeutig schlimmer erwischt hat.

  • Zitat

    Original von Tanzmaus


    Vi Ki macht mal wieder einen Fehler nach dem anderen.


    Na ja, also ich selbst habe das ehrlich gesagt nicht ganz so extrem gesehen. :-)


    Viki ist natürlich eine kleine Zierpuppe und Mimose, besonders, wenn man sie mit Yazi vergleicht. Sie liebt ihre schönen Kleider und sitzt lieber in einem Salon als in der Wildnis, wo es harte Steine und Mücken gibt. Aber letztendlich wagt sie den Schritt in eine fremde Welt, zu einer Zeit, da die meisten europäischen Damen keine drei Worte mit einem dreckigen "Chink" gewechselt hätten.


    Zwischen Vickie und Jinzi besteht eine sehr starke gegenseitige Anziehung, aber zwischen ihnen liegen auch Welten, nicht nur aufgrund der gesellschaftlichen Hierarchie. Sie stammen aus verschiedenen Kulturen. Dadurch entsteht das Grundproblem: sie können nicht miteinander kommunizieren, weil keiner von beiden sich traut, den Anfang zu machen. Yazi, die wesentlich reifer ist als ihr Sohn, geht auf Viktoria zu, so dass sie sich anfreunden. Dann ist Yazi plötzlich tot.
    Als Vickie Jinzi tröstet, kommen sie sich kurz ein bisschen näher. Bald darauf ist es ihm aber peinlich, dass er sich so vor ihr gehen ließ, und er wird wieder unfreundlich. Sie zieht sich beleidigt zurück und will nur noch weg von ihm. Daher will sie mit den Händlern reisen. Das war natürlich ein Risiko, aber es hätte auch gut gehen können - Jinzi sagt ja später, dass sie zunächst wirklich vor hatten, Vickie nach Shanghai zu bringen. Dass sie Schmuck hat, musste sie zeigen, denn sie verhandelte über den Preis.
    Sie wird von Jinzi gerettet und nun kommen sie sich wirklich sehr, sehr nahe. Für Vickie ist das eine völlig neue, im Rückblick durchaus verstörende Erfahrung. Sie stammt aus einer Welt, in der Frauen zwar Sex hatten (mit dem angetrauten Ehemann, oft nur als lästige Pflichterfüllung), aber NIEMALS darüber sprachen. Außerdem hat sie schon einmal eine ziemliche Pleite erlebt. Gleich mit Jinzi zu reden, ist für sie unmöglich. Er macht es noch schwerer, indem er sich verbarrikadiert, da er sich abgewiesen fühlt. Er kennt Vickies Background nicht und weiß daher auch nicht, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hat.
    Dann kommt plötzlich das Schiff. Sie wussten gar nicht, ob eins kommt und welches. Der Captain behandelt Vickie als Lady und Jinzi als ihren Diener. Sie weiss, dass sie das Spiel mitmachen muss, um seine Sympathien nicht zu verlieren, denn auf die ist sie nun angewiesen. Was anschließend passiert, ist meiner Erachtens überhaupt nicht ihre Schuld. Sollte sie dem Engländer denn die Tür vor der Nase zuknallen, als er mit ihr essen will? Er hat ihr ja aus der Patsche geholfen! Dass er sich derart benimmt, konnte sie wirklich nicht voraus sehen.


    Tja, das war meine Sichtweise der Dinge. :wave


    Viele Grüße


    Tereza

  • Ich mag Viki sehr gerne und kann ihre Handlungsweisen verstehen und habe auch so manche ihrer Schwächen an mir entdeckt. Deswegen ist sie mir wahrscheinlich so sympathisch. :lache Sie kann halt nicht aus ihrer Haut, lernt nur langsam dazu und bildet sich ein, selbst gut klar zu kommen und ausreichend Bescheid zu wissen, obwohl sie öfter mal auf jemand hören sollte, der es besser weiß.


    Zitat von harimau:
    "Vi Ki tappt weiterhin von einem Fettnapf in die nächste unnötige Gefahr und zurück. So langsam finde ich ihre mangelnde Anpassungs- und Lernfähigkeit zum Haareraufen. Das vielleicht etwas zu ausführlich zelebrierte emotionale Hickhack zwischen ihr und Jinzi finde ich eher ermüdend als dramatisch. Spätestens nach der - sehr schönen! - Liebesszene hätte ich mir den nächsten Entwicklungsschritt in ihrer Beziehung gewünscht, aber sie verfallen umgehend in dieselben für beide unbefriedigenden Verhaltensmuster. Nicht, dass ich ihre Bedenken nicht verstünde, aber Vi Ki sollte langsam lernen, Jinzi nicht nach seinen Worten, sondern Taten zu beurteilen. Ihe beiderseitige Sprachlosigkeit macht sie fast zum Opfer einer Vergewaltigung und bringt Jinzi ins Gefängsnis. Prima gemacht"


    Obwohl sie sich zu ihm hingezogen fühlt, will Viki doch eigentlich nicht die Geliebte eines vagabundierenden Artisten werden, der von der Hand in den Mund lebt und sich von einer Hure "aushalten" lässt und dessen Kultur sie nicht versteht, oder? Ihr Ziel im Umgang mit Jinzi ist es nicht, Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen, um mit ihm eine Beziehung anfangen zu können. Die Nacht mit Jinzi ist einer ihrer impulsiven Ausrutscher. Unter dieser Prämisse würde ich das ganze auch nicht ausdiskutieren wollen, sondern lieber den Mantel des Schweigens darüber decken und so tun, als wäre nichts gewesen. Über ihre tieferen Gefühle wird sie sich erst später klar, als Jinzi ihretwegen in der Misere steckt und sie merkt, was sie alles bereit ist zu tun, um ihn zu retten. Für mich ist das kein ermüdender, emotionaler Hickhack, sondern ein realistischer Schritt in der Annäherung der beiden, der notwendig ist, damit beiden klar wird, was ihnen der andere bedeutet.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von Mulle
    ...
    Aber nochmal: das ist keine Kritik am Buch, das wird dadurch nicht abgewertet. Die Figur ist wie sie ist - die muss nicht meine Freundin sein.


    :write
    Eine Figur zu wählen, die Angriffspunkte bietet, ist mutig, weil sie dem Leser Gefühle und eine Position abverlangt. Es ist viel einfacher, eine Kopfnicker-Figur zu erfinden und viel langweiliger.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Tereza
    ...


    Viki ist natürlich eine kleine Zierpuppe und Mimose, besonders, wenn man sie mit Yazi vergleicht. Sie liebt ihre schönen Kleider und sitzt lieber in einem Salon als in der Wildnis, wo es harte Steine und Mücken gibt. Aber letztendlich wagt sie den Schritt in eine fremde Welt, zu einer Zeit, da die meisten europäischen Damen keine drei Worte mit einem dreckigen "Chink" gewechselt hätten.


    Da hast du natürlich recht.
    Ich habe ihre Reise nach China von Anfang an als Flucht vor dem bevorstehendem gesellschaftlichen Abrutsch in ihrer Heimat gesehen. Von daher setzt sie sich erst auseinander, wenn sie in der Siutuation steckt- und das wirkt oft unüberlegt und naiv auf mich.


    Danke, dass du Viktoria noch einmal aus deiner Sicht geschildert hast, das verändert meine Sicht ein ganzes Stück. Beim Lesen habe ich das so nicht wahrgenommen. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Dieses Kapitel ist - nach dem eher geschichtsträchtigen Seiten über Yazi - ein wirklicher Abenteuerroman! Was ihnen da so alles widerfährt!


    Nach dem Lesen eurer Posts habe ich lange über Victoria nachgedacht und kann beide Seiten gut verstehen. Ich habe auch ein paarmal innerlich den Kopf geschüttel und gedacht: Mädel, wie kannst du nur? Vor allem als sie alleine auf das chinesische Händlerschiff geht! Aber auch die andere Seite kann ich (dank Terezas und auch Steffis Ausführungen an anderer Stelle) gut nachvollziehen. Victoria ist kulturell wirklich enorm anpassungsfähig, nur leider kann sie halt (noch) nicht aus ihrer hohen-Töchterchen-Haut. Aber das macht sie, wie ja bereits betont wurde, auch sehr menschlich. Die negativen Seiten fallen beim Lesen viel mehr auf als die postiven. Schließlich erlebt man als Leser jeden Fehler hautnah mit, die alltäglichen Anpassungen muss man mehr zwischen den Zeilen suchen. Schön fand ich die zunehmende Häuslichkeit von Victoria (schafft sie es am Anfang des Kapitels mit Ach und Krach Tee einzuschenken kocht sie mittlerweile sogar selbständig!). Das fand ich sehr schön entwickelt! Irgendwie bin ich sogar froh darüber, dass Victoria kein Geld mehr hat, um Leute zu "kaufen". Jetzt muss sie sich was anderes einfallen lassen, um Freundschaften aufzubauen.


    Nicht verstanden habe ich die Reisekostenaufteilung. Für mich wäre es selbstverständlich, dass die Hälfte der Reisegruppe (Victoria mit Dewei) auch die Hälfte der Kosten übernimmt. Ist das für die damalige Zeit und den Ort wirklich so abwegig gedacht oder kommt Victoria einfach nicht drauf, dass Jinzi es vielleicht sogar erwarten und weniger als Geschenk empfinden würde?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Nicht verstanden habe ich die Reisekostenaufteilung. Für mich wäre es selbstverständlich, dass die Hälfte der Reisegruppe (Victoria mit Dewei) auch die Hälfte der Kosten übernimmt. Ist das für die damalige Zeit und den Ort wirklich so abwegig gedacht oder kommt Victoria einfach nicht drauf, dass Jinzi es vielleicht sogar erwarten und weniger als Geschenk empfinden würde?


    Jinzi und seine Mutter haben kaum Geld, deshalb versuchen sie so günstig wie möglich zu reisen. Viktoria hat noch einige Schmuckstücke, die sich verkaufen lassen, damit sie es etwas bequemer haben könnten. Aber Jinzi will von ihr keine Almosen annehmen, was auch für Spannungen sorgt.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Soweit kann ich folgen. Meine "Frage" schließt daran an: Wäre es für Jinzi wirklich ein Almosen oder sieht das nicht eher Victoria falsch?


    Gerade Jinzi ist ja Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen, gewöhnt (siehe seine Mutter sowie Shen Akeu). Von daher gehe ich einfach mal davon aus, dass es für ihn keine Selbstverständlichkeit ist, Victorias Reise mitzufinanzieren und er eine angemessene Beteiligung nicht als "Geschenk" an ihn, sondern als gerechte Aufteilung ansehen würde.


    Für Victoria ist es wahrscheinlich nach wie vor selbstverständlich, dass ein Mann für ihren Unterhalt aufkommt (wenn schon einer da ist). So sieht sie es vielleicht wirklich mehr als Almosen und weniger als faire Eigenbeteiligung. Diese Einstellung wird sie vielleicht auch Jinzi unbewusst vermitteln, der dann aus genau diesem Grund zu stolz ist, ihr Geld anzunehmen.


    Ist das jetzt verständlich, was ich meine? War es denn damals so unwahrscheinlich, dass Frauen sich um ihren eigenen Lebensunterhalt gekümmert haben?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Für Victoria ist es wahrscheinlich nach wie vor selbstverständlich, dass ein Mann für ihren Unterhalt aufkommt (wenn schon einer da ist). So sieht sie es vielleicht wirklich mehr als Almosen und weniger als faire Eigenbeteiligung. Diese Einstellung wird sie vielleicht auch Jinzi unbewusst vermitteln, der dann aus genau diesem Grund zu stolz ist, ihr Geld anzunehmen.


    Ist das jetzt verständlich, was ich meine? War es denn damals so unwahrscheinlich, dass Frauen sich um ihren eigenen Lebensunterhalt gekümmert haben?


    Ja, jetzt verstehe ich dich. Aber Viktoria ist schon klar, dass die zwei bettelarm sind. Sie hat ja auch Yazi ein Geschenk machen wollen. Jinzi ist ebenfalls klar, dass Viktoria etwas "Besseres" ist, trotz ihrer momentan recht miesen Lage. Wirklich arme Europäer gab es damals kaum in China, und die Europäer, die dort waren, fühlten sich den Chinesen meist überlegen und machten das auch deutlich.
    Ihm gefällt Viktoria und er geht davon aus, bei ihr als einfacher Gaukler, der in Teehäusern und Bordellen auftritt, keine Chancen zu haben. Daher sein mitunter sehr angriffslustiges Verhalten ihr gegenüber. Er lehnt ihre Gaben aus Stolz ab, was sie nicht verstehen kann. Deshalb zoffen sie sich die ganze Zeit.


    Frauen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienten, gab es im alten China durchaus, ebenso wie im Europa der damaligen Zeit. Aber es gab in beiden Kulturen auch Standesunterschiede, derer sich alle bewusst waren.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Irgendwie fühlte ich mich in diesem Abschnitt etwas zu jäh aus der faszinierenden Geschichte von Yazi heraus gerissen und Viktoria empfnd ich in diesem Teil als überaus anstrengend. Dennoch finde ich das Verschmelzen der beiden Erzählstränge wirklich gut gelungen. Und vor allem Viktoria's "Gegenstück" - Yazi - hatte glücklicherweise für die nötige Balance gesorgt.


    Aber als Yazi dann sterben musste, war's endgültig um mich geschehen und ich konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Besonders traurig machte mich die Tatsache, dass Yazi nun nie erfahren würde, warum Andrew nicht mehr zu ihr zurück gekommen ist. ;-(

    Lesen ist ein grosses Wunder

    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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  • So ging's also mit Yazi zu Ende. Was für ein banaler Tod eines so wenig banalen Lebens. Ein guter Kontrapunkt, wie ich finde, zumal ich mit allem gerechnet habe, nur damit nicht. Es hat mich ganz schön durchgeschüttelt. Dramaturgisch war's richtig gut, und ich danke an dieser Stelle deiner Lektorin auf Knien, dass Yazi sterben durfte!


    Ich brauchte auch ein paar Seiten, bis ich mich wieder auf Viktorias vergleichsweise harmlosen Probleme einlassen konnte. Anders als viele anderen hier empfand ich sie aber nicht als zu borniert oder nicht lernfähig. Ich habe genügend Menschen in der heutigen Zeit kennengelernt, die sich nach Jahren des Lebens im Ausland nicht halb so gut mit der Kultur auseinandergesetzt und arrangiert hatten wie Viktoria – von Sprachkenntnissen ganz zu schweigen. Über ihre Härte, was die Unbequemlichkeiten des reisens anbelangt, habe ich ja schon mal etwas gesagt: Ich finde sie wirklich, wirklich taff. Hey, überlegt mal, nass wie ein Pudel unter tropfenden Bäumen schlafen, nix im Bauch, Mücken ohne Ende – also, ich mag so etwas auch nur bedingt.


    Die Sprachlosigkeit zwischen ihr Jinzi fand ich auch etwas mühsam, aber im Grunde wäre alles andere verdammt unglaubwürdig gewesen. Die beiden haben ein so unterschiedlichen Background, da kann es nur schwierig werden – zumal die chinesische Kultur es mit Steifheit, Prüderie und Rassendünkel ganz locker mit den Europäern der damaligen Zeit aufnehmen konnten.
    Ach übrigens, bei der Situation auf dem 2. Schiff, als Vicky Jinzi als ihren Diener ausgibt (sie hatte ja keine Zeit, sich mit ihm abzusprechen), habe ich mich über IHN geärgert. Da muss man eben mal in den sauren Apfel beißen, schließlich gab's ja eine Schiffspassage auf lau!

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Ach übrigens, bei der Situation auf dem 2. Schiff, als Vicky Jinzi als ihren Diener ausgibt (sie hatte ja keine Zeit, sich mit ihm abzusprechen), habe ich mich über IHN geärgert. Da muss man eben mal in den sauren Apfel beißen, schließlich gab's ja eine Schiffspassage auf lau!


    :knuddel


    Endlich verteidigt mal jemand meine arme Vickie. Genauso habe ich es auch geshen. Sie verhält sich in der Lage ganz vernünftig - und er zickt herum.


    Tereza

  • Tut er das? :gruebel Habe ich eigentlich nicht so gelesen. Dass er gegenüber Mr. Andrews handgreiflich wird, hat ja nichts mit Diener oder Nicht-Diener zu tun, sondern weil er Victoria bedroht sieht. Oder habe ich da was überlesen?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021