Bettina Wulff - Jenseits des Protokolls

  • Mmh. So also entstehen Kampagnen. :grin


    Ich halte es in diesem Zusammenhang tatsächlich für interessant, warum man sich einem solchen Buch zuwendet. Und ich finde auch, dass es irgendwie zur Rezension gehören kann, sich über diese Motivation auszulassen. Es ist einfach so, dass ich Voltaire nicht zu den Leuten zähle, die sich am Stammtisch über die von der BILD vorgegebenen Themen die Mäuler zerreißen. Dennoch kommt er jetzt daher und bespricht ein literarisch sehr wahrscheinlich bedeutungs- und politisch ziemlich sicher belangloses Buch. Das würde ich gerne verstehen. Warum darf ich diese Frage nicht stellen? ;-)

  • Zitat

    Original von Tom
    Mmh. So also entstehen Kampagnen. :grin


    Ich halte es in diesem Zusammenhang tatsächlich für interessant, warum man sich einem solchen Buch zuwendet. Und ich finde auch, dass es irgendwie zur Rezension gehören kann, sich über diese Motivation auszulassen. Es ist einfach so, dass ich Voltaire nicht zu den Leuten zähle, die sich am Stammtisch über die von der BILD vorgegebenen Themen die Mäuler zerreißen. Dennoch kommt er jetzt daher und bespricht ein literarisch sehr wahrscheinlich bedeutungs- und politisch ziemlich sicher belangloses Buch. Das würde ich gerne verstehen. Warum darf ich diese Frage nicht stellen? ;-)


    Nur für dich Tom:


    ES HAT MICH EINFACH INTERESSIERT!

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Es hat mich interessiert, weil es mich interessiert hat? :gruebel


    Ehrlich gesagt, es würde mich auch interessieren, dass Buch zu lesen. Ich mache es allein aus dem Grunde nicht, weil mir 20 Euro dafür zu schade sind und ich noch zig andere Bücher ungelesen zu Hause habe. Aber was ist an irgendeinem Fitzek, irgendeinem Mankell, irgendeinem Pauschaltouristen ;-) denn politisch oder kulturell bedeutungsvoller und wichtiger? Das Buch von/über Bettina Wulff ist ein Teil der aktuellen Berichterstattung und alltäglichen Diskussion. Ich könnte es also lesen wollen, um fähig(er) zu sein, darüber zu urteilen. Ich würde den O-Ton und nicht die Sekundärliteratur darüber lesen (oder konsumieren).


    Ich persönlich sehe den Wulff auch gar nicht so negativ. Seine Bettina gefällt mir als Frau außerordentlich gut. Das persönliche Schicksal, warum jemand vom Bundespräsidenten (das oberste Amt im Staat) zur persona non grata wird und wieweit dabei Prozesse à la Katharina Blum mitgewirkt haben, kann doch sehr interessant sein. Oder nicht? Und es hat in meinen Augen tausendfach mehr Berechtigung als das Zeug vom Sarrazin. Das hab ich zwar auch nicht gelesen und werde es nicht, die Auszüge daraus reichen mir jedoch, dass ich ihm nicht gönne, mit solchen Thesen Millionär zu werden.


    Der ganze Quatsch wird sowieso im Detail recht schnell vergessen sein. Hatte nicht Philipp Lahm auch mal ein "ganz dolle wichtiges" Buch geschrieben, dass die Medien erregt hatte? ;-)

  • Zitat

    Original von xexos
    Ehrlich gesagt, es würde mich auch interessieren, dass Buch zu lesen. Ich mache es allein aus dem Grunde nicht, weil mir 20 Euro dafür zu schade sind und ich noch zig andere Bücher ungelesen zu Hause habe.


    :write Auch ich bin einigermaßen neugierig, wie selbstkritisch Frau Wulff in diesem Buch ist, schließlich begann das Verhältnis vom Ehepaar Wulff zum Boulevard nicht erst mit der medialen Hetzjagd. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß es ein wichtiger Beitrag zum Umgang der Promis mit den Medien sein könnte.


    Zitat

    Aber was ist an irgendeinem Fitzek, irgendeinem Mankell, irgendeinem Pauschaltouristen ;-) denn politisch oder kulturell bedeutungsvoller und wichtiger?


    Weder noch, der Unterschied besteht aber meiner Ansicht nach darin, daß Mankell und Fitzek reine Unterhaltungsliteratur schreiben, während ich vermute, daß Frau Wulff etwas anderes bezweckt als nur, den Leser gut zu unterhalten.


    Voltaire : Danke für die Rezi.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Bettina Wulff (mit Nicole Maibaum): Jenseits des Protokolls
    ISBN: 9783868832730
    Riva Verlag, 224 Seiten, 19.99 €



    Über die Autorin:
    Sie war 598 Tage die bisher jüngste First Lady der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Beginn der Amtszeit ihres Mannes begann für sie als Frau von Christian Wulff ein völlig neues Leben. An der Seite ihres Mannes repräsentierte sie Deutschland im In- und Ausland und engagierte sich ehrenamtlich vor allem für benachteiligte Kinder und Jugendliche.


    Inhalt:
    Dem Rücktritt des Bundespräsidenten im Februar 2012 gingen Vorwürfe in den Medien zum Einfamilienhaus, zu Urlauben und zur Kleidung voraus. Darüber hinaus gab es Gerüchte zu einem angeblich bewegten Vorleben. Bettina Wulff erzählt, wie sie mit allen Anschuldigungen umgegangen ist und wie sie die schwierige Zeit erlebt hat. Sie schildert die durchwachten Nächte, die Zweifel, die Wut, die Hilflosigkeit, wenn man plötzlich von allen Seiten unter Beschuss steht, und das Ausmaß der Belastung, der eine Ehe und eine Familie in solch einer Zeit ausgesetzt ist.


    Rezension:
    Eigentlich wollte ich diese Rezension mit den folgenden Worten eröffnen:


    Es ist immer wieder erstaunlich, welche (positive wie negative) Emotionen eine Buchveröffentlichung in Deutschland aufwirbeln kann, insbesondere wenn die Autoren in die Welt der Prominenten eingeordnet werden können.


    Nun, nach genauerer Betrachtung würde diese Einleitung aber keinen Sinn ergeben. Denn es ist nicht mehr erstaunlich. Heutzutage darf es einen nicht mehr wundern, wenn Bücher von oder über Personen des öffentlichen Lebens in ein Kreuzfeuer von Vorurteilen, Eitelkeiten oder Besserwisserei geraten. Einerseits ist dies doch wunderbar unterhaltsam und ein Beweis für eine funktionierende Demokratie. Ein Buch schreiben - das kann in Deutschland fast jeder. Umso stimmungsvoller wird es dann, wenn "Kritiker" versuchen, jemandem dieses Recht abzusprechen. Natürlich kann man sich fragen, ob Bücher über Dieter Bohlen, Philipp Lahm oder auch jetzt Bettina Wulff die literarische Welt bereichern oder nicht. Aber darum geht es in letzter Konsequenz doch überhaupt nicht.


    Ein Buch soll nicht nur den Leser unterhalten. Es ist - bei genauerer Betrachtung - auch ein Spiegelbild über die Seele des Verfassers. Bei Bettina Wulff und ihrem Werk "Jenseits des Protokolls" merkt man das deutlich. Frau Wulff liefert mit ihrem Buch keine rhetorisch versierte Abrechnung mit der Welt des Boulevardjournalismus und oftmals verliert sich sich in Trivialitäten. Aber man merkt, dass ihre Aussagen von Herzen kommen. Bettina Wulff hat keine Lust mehr darauf, Spielball der Medien zu sein.


    Jetzt darf man natürlich berechtigterweise die Frage stellen: "Ja warum veröffentlicht sie dann ein Buch?" Es ist wie so oft: Man kritisiert die Medien, man kann diese Kritik aber keinem breiten Publikum zugänglich machen, ohne sich der Medien als Werkzeug zu bedienen. Ein fast schon normales, pragmatisches Handeln, wie es auch Frau Wulff in ihrem Buch bestätigt. Wir müssen auch gar nicht darüber diskutieren, dass die spontane Vorverschiebung des Veröffentlichungstermins den Verkaufszahlen nun durchaus zugute kommen wird. Lassen wir doch aber für einen kurzen Moment diese Zänkereien beiseite und beschränken uns auf das Wesentliche - den Inhalt dieses Buches.


    In insgesamt 16 Kapiteln, zuzüglich Vor- und Schlusswort, schreibt Frau Wulff über praktisch alles, was die Medien bereits mehr oder weniger detailliert recherchiert haben. Oftmals wird man feststellen, dass die Journalisten eher schlecht als recht ihre Hausaufgaben gemacht haben. Einen entscheidenden Fehler unterlief Bettina Wulff aber schon im Vorwort: Sie spielt die emotionale Trumpfkarte schlechthin - Kinder: "»Mama, habt ihr gelogen?« … fragt mich mein Sohn Leander verunsichert und schiebt gleich hinterher: »Das darf man doch nicht, oder?« Er erzählt, dass ein älterer Mitschüler ihn auf dem Schulhof beschimpft hat. Plötzlich stand der Junge einfach vor ihm und meinte: »Deine Eltern sind Lügner, hat mein Papa gesagt.«" (Seite 7) Immerhin: Falls Bettina Wulff damit auf Empathiefang gehen wollte - es ist ihr gelungen.


    Wobei Bettina Wulff letztendlich aber recht hat, wenn sie beispielsweise schreibt "Es muss etwas geschehen. Ich möchte mich nicht verstecken und meine Kinder sollen es auch nicht tun müssen. Ich möchte auch nicht, dass meine Kinder beschimpft werden für Dinge, die schlicht unwahr sind oder mit denen sie rein gar nichts zu tun haben." (Seite 8). In den folgenden Kapiteln beschreibt Bettina Wulff in erster Linie ihre Erfahrungen mit Männern. Wirklich interessant oder gar anspruchsvoll ist das nicht, aber immerhin stellenweise recht humorvoll beschrieben. Es erinnert etwas an ein Tagebuch einer Teenagerin.


    Neben ihren Erfahrungen als alleinerziehende Mutter geht Frau Wulff auch auf ihre beruflichen Tätigkeiten ein, sie erzählt uns wie sie Christian Wulff kennenlernte und wie sie sich bei ihren ersten Kontakten mit der BILD fühlte. Sie beschreibt die Suche nach dem richtigen Haus, einem Kindermädchen und einem halbwegs geregelten Alltag. Leider schiebt sie den schwarzen Peter auch gerne einmal anderen zu, so schreibt Bettina Wulff beispielsweise: "Mich plagten Schuldgefühle und ich nahm es in dieser Zeit auch dem ganzen Apparat »Bundespräsidialamt« übel, dass sie nicht realisierten, unter welchem innerlichen Druck ich stand." (Seite 58) Man wird nach den ersten Kapiteln den Eindruck nicht los, dass Frau Wulff sich stetig darum bemüht, vom Leser Mitleid zu erhalten. Nicht unbedingt der beste Weg, ein Buch zu beginnen.


    Die darauf folgenden Kapitel sind dann deutlich authentischer. Frau Wulff beschreibt ihren Umzug nach Berlin, die Startschwierigkeiten an ihrem neuen Arbeitsplatz, ihr Verhältnis zu Freunden. Sie schildert ihr erstes Treffen mit Angela Merkel und Michelle Obama, den Besuch des Papstes und ihre Rolle als Botschafterin für diverse Wohltätigkeitsorganisationen. Hierbei zeigt sich Bettina Wulff durchaus als offene und humorvolle Person, sie schreibt diese Kapitel ohne den bitteren zornigen Beigeschmack der vorherigen Abschnitte. Besonders unterhaltsam ist das Kapitel über ihr Tattoo und den damit verbundenen Artikeln der Presse - einfach wunderbar.


    Natürlich versucht Frau Wulff auch Vorwürfe zu entkräften. Der Kredit für ihr Haus, angebliche Vorteilnahme bei Bankgeschäften, Urlaub mit Geschäftsfreunden, die angebliche Vergangenheit im Rotlichtviertel... man kennt die Anschuldigen ja aus den Medien. Umso besser, dass Bettina Wulff hier nicht lange um den heißen Brei herumredet. Sie entkräftet die Vorwürfe mühelos und glaubwürdig. "Ich werde und will mich mit diesem Buch auch nicht als Heilige oder Mutter Teresa hinstellen, aber ebenso wenig werde ich mich als Lügnerin oder Verbrecherin darstellen lassen, wie es in der Berichterstattung der meisten Medien teilweise geschah." (Seite 149)


    Selbstredend ist auch in diesen Abschnitten nicht alles Gold was glänzt. Frau Wulff teilt gerne aus, doch sie spielt das Spiel der bunten Medien munter mit. Sie gibt Interviews für Boulevardzeitschriften und sie liest die BILD. Es ist paradox (ein Wort, dass Frau Wulff in ihrem Buch übrigens selbst gerne verwendet). Es fällt mir daher nicht leicht, ein eindeutiges Fazit zu ziehen. Sicherlich beinhaltet "Jenseits des Protokolls" zahlreiche Abschnitte, die man getrost ignorieren kann. Sie sind allenfalls nettes Beiwerk. Dann gibt es aber noch die wirklich persönliche Seite dieses Buches - die Ängste, Gefühle und Hoffnungen von Bettina Wulff.


    Was zahlreiche Paparazzis und Journalisten auch heute noch abliefern ist schlichtweg skandalös und Frau Wulff hat jedes Recht dazu, sich dahingehend zu äußern. Man mag darüber streiten, ob dazu wirklich ein ganzes Buch nötig gewesen wäre. Vielleicht hätten es mehrere Artikel in Zusammenarbeit mit renommierten Zeitungen und Zeitschriften auch getan. Vielleicht. Man weiß es nicht. Es bleibt festzuhalten: Das Buch von Frau Wulff beinhaltet viel wahres und es scheint ihr gut zu tun, ihren ganzen Frust von der Seele zu schreiben. Sprachlich nicht immer geschickt, manchmal auch unfreiwillig komisch. Aber immerhin: Ehrlich! Und solch eine Ehrlichkeit vermisst man heutzutage leider viel zu oft.


    6.5 / 10

  • Zum Buch inhaltlich kann ich nichts sagen, ich habe es noch (nicht) gelesen. Und ja, ich fände es besser, über die Motivation bestimmte Bücher zu lesen (Biografien mehr oder weniger bekannter Personen) gäbe es einen eigenen Thread. Aber nachdem die Frage hier aufkam und sie wohl auch einige interessiert, möchte ich auch hier antworten.


    Zitat

    Original von Tom
    Ich halte es in diesem Zusammenhang tatsächlich für interessant, warum man sich einem solchen Buch zuwendet.


    Natürlich kann ich nur für mich sprechen, aber für mich wäre gerade der Alltag einer Frau in einer solchen "Position" interessant. Genauso wie ich mich in den meisten Fällen für das Leben von Frauen interessiere, egal, ob sie bekannt sind oder nicht. Anders als xexos fände ich gerade nicht die alltägliche Berichterstattung wichtig, sondern das Leben hinter den Kulissen. Die Politik, der ganze Rummel um ihren Ehemann und die (mediale) Affäre wäre für mich nur deshalb von Bedeutung, wie eine doch noch recht junge Frau/Familie damit umgeht. Gerade Seinsfelds Rezi fand ich aufgrund der inhaltlichen Analyse sehr aufschlussreich.


    Ich bin nicht losgestürmt, um das Buch sofort zu kaufen und werde es auch nicht tun. Aber wenn es mir in den nächsten Wochen, Monaten oder auch Jahre mal in die Hände fällt, werde ich sicher reinschauen und gucken, ob es meine Erwartungen erfüllt und auf meine Wunschliste oder SUB wandert.


    Ach ja - ich lese weder Gala noch Bunte und Bild alle Jubeljahre. Diese Kategorisierung aller (potenziellen Leser) finde ich sehr einseitig.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    Anders als xexos fände ich gerade nicht die alltägliche Berichterstattung wichtig, sondern das Leben hinter den Kulissen.

    Hab ich das so geschrieben? Ich denke, nicht:

    Zitat

    Original von xexos
    Das Buch von/über Bettina Wulff ist ein Teil der aktuellen Berichterstattung und alltäglichen Diskussion. Ich könnte es also lesen wollen, um fähig(er) zu sein, darüber zu urteilen. Ich würde den O-Ton und nicht die Sekundärliteratur darüber lesen (oder konsumieren).

    Allerdings glaube ich nicht, dass mich das Buch auch noch in einigen Jahren interessiert. Der Aktualitätsgrad ist in diesem Fall für mich schon sehr entscheidend.


    Zitat

    Original von Lese-rina
    Die Politik, der ganze Rummel um ihren Ehemann und die (mediale) Affäre wäre für mich nur deshalb von Bedeutung, wie eine doch noch recht junge Frau/Familie damit umgeht.


    Das wäre für mich auch interessant, genauso wie bspw. ein Buch von Joachim Sauer über seine Zeit mit seiner Frau Angela Merkel.


    @ Seinfeld: Schöne Rezi! :wave

  • Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. :wave Ich habe dich so verstanden, als würdest du das Buch gerne lesen, um dir ein eigenes Bild über das Buch sowie über Bettina Wulff zu machen, vor dem Hintergrund der alltäglichen Berichterstattung. Stimmt das so?


    Dieser Punkt ist für mich weniger wichtig, ich würde das Buch hauptsächlich lesen, um einen Einblick über das so ganz andere Leben einer Politikerfamilie zu bekommen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Vielleicht sollte ich doch etwas ausführlicher erklären, was meine Fragen bezüglich des Leserinteresses zu bedeuten haben.


    Christian Wulff war Ministerpräsident von Niedersachsen, später dann Bundespräsident, für etwas mehr als anderthalb Jahre. Die Amtszeit endete mit einem Skandal, ein weiterer folgte oder sollte folgen; irgendwie ist dieser Versuch wohl krepiert. Viel mehr Höhepunkte gab es während der Bundespräsidentenzeit nicht. Kürzlich kochte das Interesse wieder ein bisschen hoch, weil es irgendwelche Gerüchte über die Vergangenheit der Frau des ehemaligen Bundespräsidenten gab. Auch in seiner sieben Jahre währenden Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen hat Herr Wulff nicht unbedingt vieles getan, das ihn über diese Zeit hinaus besonders interessant gemacht hätte, außer, sich hin und wieder als Merkel-Nachfolger ins Gespräch zu bringen und einige unbeliebte Sparmaßnahmen durchzusetzen. So weit, so gut.


    Wenn ich Autobiografien lese, was ich, zugegeben, nur sehr selten zu tun pflege (zuletzt das wunderbare "The Hitch" vom leider früh verstorbenen, absolut großartigen Christopher Hitchens - Rezi folgt irgendwann noch, wenn ich das Buch verkraftet habe und mich dazu in der Lage fühle, ihm mit meinen Worten zu begegnen), dann stelle ich mich bewusst der Tatsache, dass ich mich einer nichtfiktiven Person so sehr annähere, wie das möglich ist, ohne sie tatsächlich kennenzulernen. Diese Person erzählt über sich; genau das ist die Aufgabe einer Autobiografie. Es ist möglich und wird nicht selten auch so praktiziert, dass die Person, die sich selbst biografiert (oder, was meistens der Fall ist, biografieren lässt - so auch im Fall B. Wulff), damit eine Art Gegendarstellung abliefert, nach dem Motto "Der/die wahre XY". Manchmal wird ein ohnehin überzogenes Image noch weiter aufgebläht (Bohlen, Effenberg & Co. - rein in die Bestsellerliste, raus aus der Bestsellerliste, vergessen). Diejenigen, die echte Autobiografien abliefern, und deshalb etwas vorlegen, das geeignet wäre, das künstlerische/politische/wissenschaftliche Interesse an der Persönlichkeit quasi zu ergänzen, also größeres Verständnis der Person und ihres Werks zu erzeugen, sind - leider - Ausnahmen, deren Bücher dann auch abseits der Bestsellerlisten zu finden sind und nur wenige Liebhaber glücklich machen. Eine Autobiografie ist also, kurz gesagt, für mich ein Buch über eine ohnehin interessante Person, das mir dabei hilft, auch mein eigenes Interesse für diese Person zu erklären und im günstigsten Fall sogar noch zu steigern. Wie etwa beim genannten Christopher Hitchens: Eine gewaltige, unfassbar schöne, sehr kluge, niemals geschwätzige, selbstironische, brillant geschriebene Schwarte, die viel Zeitgeschehen einfängt, amüsiert kommentiert, und sich längst nicht nur auf die erzählende Person selbst und ihre belanglosen Kleingeistereien (von denen es wenige gab) beschränkt. Eine Autobiografie als glänzender Rahmen um eine ohnehin bedeutende Persönlichkeit und ihre Position in der Zeit. Kein "Seht her, so bin ich wirklich", sondern eher ein "Tut mir leid, so bin ich eben, aber das mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln". Solche Autobiografien halte ich ganz persönlich für lesenswert. Was nicht heißt, dass ich von allen anderen verlange, auch so zu denken.


    Tja, und nun eben Bettina Wulff. Hausfrau, Mutter, Gattin des Ex-Bundespräsidenten. Ich gebe gerne zu, dass ich vor einem Jahr, als der Mann noch im Amt war, nicht einmal wusste, wie seine Frau hieß, und auch nicht, welche Spendensammelaktion sie als Schirmherrin abbekommen hatte. Irgendwann erreichte mich auch diese Information, wogegen ich mich kaum zur Wehr setzen konnte, wie auch der Wulff-Skandal, der zu seinem Rücktritt führte, auf mich einprasselte (wobei ich bis heute nicht ganz verstanden habe, was dem Mann eigentlich vorgeworfen wurde). Ein ohnehin unbeliebter Kandidat, der, dem glücklosen, möglicherweise zu klugen Horst Köhler folgend, gegen die Opposition durchgesetzt worden war, ein etwas farbloser Beamtentyp, und vielleicht deshalb vorübergehende Idealbesetzung für die oberste, aber machtlose Repräsentanz dieses nach außen ordentlichen Beamtenstaats. Eine Rolle, in die sich ja auch sein Nachfolger zu fügen scheint. Ansonsten: Bundespräsident. Ja. Leute, die rumreisen, viel reden, von niemandem beachtet werden und einmal im Jahr ein Party im Schloss Bellevue feiern. Ausnahmen: Richard von Weizsäcker, der für dieses Amt ohnehin überqualifiziert war. Und, klar, Walter Scheel. Weil er so toll gesungen hat.


    Wäre Wulff ordentliche fünf oder gar die maximalen zehn Jahre lang Bundespräsident gewesen, wäre die Autobiografie seiner Gattin mit einer Erstauflage von zehn-, vielleicht zwanzigtausend Exemplaren an den Start gegangen, und vermutlich wäre es dem Buch ähnlich ergangen wie vergleichbaren zuvor. Die Autobiografie einer Bundespräsidentengattin. Das ist etwas, das man vielleicht als Serie in der Yellow Press vorfindet, pittoreske Familienfotos umrahmend, wenn überhaupt. Elly Heuss-Knapp hat mehrere Bücher geschrieben, darunter zwei autobiografische - sie hat das Müttergenesungswerk gegründet. Mildred Scheel, Gründerin der Deutschen Krebshilfe, hat kein einziges Buch geschrieben, und Wilhelmine Lübke, Gründerin des KDA, ebenso wenig. Dabei wären diese Biografien möglicherweise tatsächlich interessant gewesen - vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, aber auch als Dokumentation des eigenen Tuns, dessen Wirkung bis heute anhält. Bettina Wulff hat ein paar Schirmherrschaften übernommen, weil das alle Bundespräsidentengattinnen traditionell so tun, und damit hatte es sich auch schon. Hiervon abgesehen war und ist sie vor allem eines: Die Frau eines ehemaligen Bundespräsidenten, der via Shitstorm aus dem Amt vertrieben wurde.


    Diese Frau erzählt also ihre Lebensgeschichte. Über Männer, davon, wie sie den "immer blaue Anzüge und auch eher unspektakuläre Brillen tragenden" Christian Wulff kennengelernt hat, und, ja, über ihre Zeit während der "Krise". Was sie über Männer und die Begegnung mit Wulff erzählt, wäre sicherlich in der YP besser untergebracht, und was sie über die "Krise" erzählt, das könnte ich auch aufschreiben, ohne je ein Wort mit dieser Frau gesprochen zu haben: Alles ist so fürchterlich ungerecht, wir haben nie gelogen, mein Mann hat nie etwas falsch gemacht, keiner hat je an unsere Familie gedacht, und wir hatten ganz, ganz böse zu leiden. Und, ja, die Presse ist schlimm. Überhaupt wollte ich all das nie. Und hab mir das nie so vorgestellt.
    Oder eben ganz ähnlich. Tut mir irgendwie ein bisschen leid für sie, aber, hey, erstens interessiert das in spätestens zwei Jahren keinen Menschen mehr und zweitens muss man wissen, was geschehen kann, wenn man auf diese Art ins Licht der Öffentlichkeit tritt und keine blütenweiße Weste hat.


    Natürlich verstehe ich, warum einige Menschen so ein Buch kaufen und lesen. Schließlich tritt nicht alle Tage ein Bundespräsident zurück, und es ist auch relativ ungewöhnlich, dass man dessen Frau postamtal eine plüschrote Vergangenheit unterstellt - da mag es ein voyeuristisches Prickeln verschaffen, diesen Kram noch einmal aus vermeintlich erster Hand nachlesen zu können. Über beides weiß man aber, was es zu wissen gibt, wenn man das denn wirklich wissen will - oder man kann es ahnen, denn viele Möglichkeiten gibt es nicht (oder hat jemand ernsthaft erwartet, dass das Buch geheime Geständnisse des Ehepaars enthält?). Bleiben also zwei Fragen, die sich zu einer verbinden lassen: Sind Christian und/oder Bettina Wulff interessant genug, um ein Buch aus erster Hand über sie zu lesen? Und wenn ja - warum zur Hölle? Bettina Wulff hat in ihrem gesamten Leben noch nichts getan, das sie interessanter machen würde als Waltraud Müller, die eine Ecke weiter wohnt, außer, einen späteren Bundespräsidenten zu heiraten. Wenn man so ein Buch liest, erfährt man exakt: Überhaupt nichts. Eine uninteressante Person, die mit einer anderen, weitgehend uninteressanten Person verheiratet ist, schreibt über sich - oder lässt das tun. Sie macht das zweifelsohne mit viel Kalkül, denn auch wenn C. Wulff nicht mehr Bundespräsident ist, wird ein solches Manuskript nicht in den Satz gegangen sein, ohne dass viele Berater mehrere Blicke darauf geworfen haben. Es ist also vermutlich nicht einmal authentisch. Sondern nur ein Pamphlet.


    Deshalb meine Frage. Ob das jetzt verständlicher wird, weiß ich auch nicht, aber es macht mich eben ein bisschen fassungslos, wenn sich Leute auf solchen Schmarren stürzen. Ehrlich.

  • Lese-rina : Beides wäre für mich wohl entscheidend. Aber ich hatte eben ja sogar den Aktualitätsgrad (Es ist aber mehr die Aktualität des Buches per se als diese ganze platte Berichterstattung. Die lese ich gar nicht.) noch etwas mehr herausgestellt. Von daher hast Du mich wohl schon ein wenig ertappt. ;-)
    Vielleicht ist es auch ein wenig das Voyeuristische. Ich unterstelle mal, dass Toms das ein wenig mit seinen Fragen hervorlocken wollte. Aber Seinfeld bringt auch noch ein paar Inhalte, die für mich das Buch interessant machen.

  • Die Verwendung von Begrifflichkeiten wie "clever", "viel Kalkül" und "Berater" im Zusammenhang mit diesem Buch erheitern mich doch ein wenig.
    Die PR-Beraterin Bettina Wulff hat sich mit ihrer Biografie in einer Abrechnung gegenüber den Medien versucht oder wollte sie vielleicht doch nur ihre schmale Haushaltskasse aufbessern? Wer weiß das schon, es bleibt zu hoffen, dass der Verlagsvorschuss reicht, um auf absehbare Zeit nicht mehr mit dem Konterfei der Gattin des Ex-Bundespräsidenten auf sämtlichen politischen Wochenzeitschriften gleichzeitig konfrontiert zu werden.
    Von Anfang an hat Bettina Wulff das Spiel mit den Medien gesucht, kam an keiner Kamera vorbei und wundert sich nun, dass die Presse den Spieß umgedreht hat? Für besonders klug hielt ich ihr Verhalten bereits damals nicht.
    Nun greift Bettina Wulff zurückliegende, kaum beachtliche Gerüchte um ein angeblich zwielichtiges Vorleben auf, legt sich mit Google an und verheizt ihr Familienleben zwischen zwei Buchdeckeln.
    Mit viel Kalkül? Möglich. Clever? Wohl kaum. Und die Rolle der Berater? Sofern sie ihr zu diesem Buch zugeraten haben oder sie nicht zumindest davon abgehalten haben, gehören meines Erachtens gefeuert.

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Die Verwendung von Begrifflichkeiten wie "clever", "viel Kalkül" und "Berater" im Zusammenhang mit diesem Buch erheitern mich doch ein wenig.
    Die PR-Beraterin Bettina Wulff hat sich mit ihrer Biografie in einer Abrechnung gegenüber den Medien versucht oder wollte sie vielleicht doch nur ihre schmale Haushaltskasse aufbessern? .


    Stimmt, das kommt ja auch noch dazu, die erst kürzlich gegründete PR- Agentur, für die sie sich die Werbung ja sparen konnte, Klagen gegen Google und Jauch/ Veröffentlichung des Buches dürften ausreichend gewesen sein. Ach nee, Tschuldigung. Rein zufällig, das Ganze, diente nur zur Wiederherstellung des Guten Rufes. :unschuld

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Der Zweck heiligt die Mittel, Schwamm drüber, das Buch ist auf Platz 46 (alle Bücher) bei Amazon. Cleverness bedeutet auch, eine PR-Werbe-Kampagne mit negativen Schlagzeilen zu produzieren. Vermutlich war das von Anfang an geplant, insofern haben die Berater ganze Arbeit geleistet!

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Der Zweck heiligt die Mittel, Schwamm drüber, das Buch ist auf Platz 46 (alle Bücher) bei Amazon. Ceverness bedeutet auch, eine PR-Werbe-Kampagne mit negativen Schlagzeilen zu produzieren. Vermutlich war das von Anfang an geplant, insofern haben die Berater ganze Arbeit geleistet!


    Media Control hat vor zwei Tagen verlauten lassen, dass es auf Platz 1 der Sachbuchcharts geschossen ist. Letzte Woche hieß es noch, im Stationären Buchhandel gäbe es kaum Interesse an dem Buch. Scheinbar läuft es jetzt aber doch wie geschnitten Brot.


    Und der erste Findige hat bereits "mit schönen Grüßen von Bettina" eine illegale Kopie ins Netz gestellt und zwar nicht heimlich sondern auf einer extra dafür eingerichteten Webseite.


    http://www.buchreport.de/nachr…pass-wuenscht-bettina.htm

  • Zitat

    Original von Tom
    Vielleicht sollte ich doch etwas ausführlicher erklären, was meine Fragen bezüglich des Leserinteresses zu bedeuten haben.


    Ich denke, vielen geht es so wie mir: Die Kurzbeschreibung bei Amazon läßt vermuten, daß es in diesem Buch um ihre Zeit als Bundespräsidentengattin und insbesondere um die Krise geht, die zur vorzeitigen Demission ihres Mannes als Bundespräsident führte. Das macht durchaus neugierig auf Ihre Sicht der Dinge. Nach der Rezi von Seinfeld hat das Buch für mich jeden Reiz verloren, es scheint tatsächlich eine Art Biografie zu sein, in der die genannten Punkte zwar auch vorkommen, aber eben auch ihr Heranwachsen und ihre Begegnung mit ihrem späteren Mann.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Um nicht falsch vestanden zu werden, Beisswenger:


    Wegen mir kann die clever sein oder auch das Superduper tollste, hübscheste, blondeste, tätowierteste Itgirl der deutschen Politikgeschichte, das ist ihr gutes Recht.


    Es interessiert mich nur einfach nicht, mit wem sie eine Beziehung hatte, wie ihre Liebhaber hießen und welche Kleidung sie gerne trägt.


    Und dass es nicht schön ist, wenn ihre Kinder auf dem Schulhof gemobbt werden, versteht sich von selbst. Allerdings- wie mag es nur den Kindern anderer Politiker/ Prominenter/ "Öffentlicher Personen" gehen? Ich denke, nicht viel anders. Das ist vielleicht auch eine Seuche unserer Zeit, dass sich die Medien verachtenswerter Weise überall einmischen. Was aber tut Fr. Wulff ihren Kinder JETZT, mit DIESEM Buch damit an, indem sie sowas schwarz auf weiß NOCHMAL alles aufrollt? Worüber wundert sich eigentlich? Aus Sicht einer Mutter würde ich meine Kinder auf gar keinen Fall nochmal ins Rampenlicht zerren, aber gut. Wenn es dann Empathie bringt.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Gut, dass Cleverness nicht Synonym für Stil ist.


    Zitat

    Original von Bouquineur:Media Control hat vor zwei Tagen verlauten lassen, dass es auf Platz 1 der Sachbuchcharts geschossen ist. Letzte Woche hieß es noch, im Stationären Buchhandel gäbe es kaum Interesse an dem Buch. Scheinbar läuft es jetzt aber doch wie geschnitten Brot.


    Ein wenig Angst macht mir diese Platzierung dennoch, denn sie zeigt nicht nur das Aufgehen von Marketingstrategien, sondern sagt auch etwas über die Befindlichkeiten in unserem Land. Und ob jeder Käufer das Vermögen hat, diese Biografie ausgewogen abzuschätzen, bezweifle ich stark.

  • Ich wollte mich- da ich das Buch weder gelesen habe, noch es vermutlich je lesen werde, aus diesem Fred raushalten, aber euer dummes Nachgeplapper von Mülljournalisten geht mir auf den Zeiger. Der Zeitpunkt, zu dem Frau Wulff begonnen hat gegen Veröffentlichungen vorzugehen und Abmahnungen und Unterlassungserklärungen und Schmerzensgeldforderungen zu stellen liegt Monate zurück und niemand hat das interessiert oder es veröffentlicht. Als nun das Erscheinen des Buches angekündigt wurde, da wurde diese lange bekannte Tatsache veröffentlicht und gleich die Behauptung erhoben die Vorgänge um Jauch und Google seien werbetaktisch auf den
    Erscheinungstermin des Buches bezogen. Quasi dem kleingedruckten konnte man entnehmen, dass mehrere Verfahren schon gelaufen sind. Ihr schließt Euch also höchst vorsätzlich Journalisten mit Bildzeitungsniveau an. Bedauerliche Fehlleistung.