Hallo zusammen,
überrascht stelle ich fest, dass ich es hier noch gar keinen Thread zum Thema gibt - ich mache mal einen auf, weil mich interessiert, wie andere darüber denken:
Edward Snowden hat sich - aus welchen Gründen auch immer - mit den übermächtigen USA angelegt und den größten Datenschnüffelskandal der letzten Zeit öffentlich gemacht. Jetzt will ich weder über seine Motive spekulieren (ob es nun persönliche Eitelkeit war oder tatsächlich edlere Ziele), noch darüber, wie gut oder schlecht er sich auf das zu erwartende persönliche Disaster vorbereitet hat.
Aber was mich wirklich unfassbar wütend macht, ist die allgemeine Reaktion der Weltöffentlichkeit und die Abgründe, die sie offenbart.
Zunächst mal drängt sich einem das Gefühl auf, dass fast alle Staaten der westlichen Welt (und nicht nur diese) erstaunlich still zum Thema sind. Länder (auch Deutschland), in denen die Google-Streetview-Macher mit brennenden Heugabeln verjagt wurden, weil ja die Privatsphäre auf dem Spiel stünde und in denen es ein Riesengeschrei um Vorratsdatenspeicherung gibt, die gucken einfach betreten zur Seite und hoffen, dass der Kelch irgendwie an ihnen vorübergeht.
Heute lese ich, dass Frau Merkel den Herrn Obama angerufen hat, um ihn zu diesem unglücklichen kleinen Lapsus zu befragen - und was ist das Highlight der Meldung? Herr Obama "versichert, ihre Bedenken ernst zu nehmen."
Geil.
Diese nichtssagende englische Floskel - ja natürlich, ich verstehe deine Sorgen, sei versichert, dass ich sie ernst nehme (übersetzt: und jetzt sei lieb, quengel nicht rum und lass mich mit dem Scheiß in Ruhe) - das ist alles??
Die Reaktionen der moralisch ach so überlegenen und die demokratischen Grundwerte hochhaltenden westlichen Welt ist ungefähr so, als habe die Schulleitung ihre allerbeste Vorzeige-Schülerin, deren Eltern auch noch alljährlich große Geldbeträge für die Instanthaltung des Schulgebäudes spenden, beim Beklauen ihrer Mitschüler erwischt: Keiner will's wahrhaben und deshalb wird es totgeschwiegen.
Den Mund reißen nur die auf, die gerade nicht die politische Verantwortung tragen und demzufolge nichts riskieren, sondern nur Sympathiepunkte für den nächsten Wahlkampf gewinnen können.
Alle anderen benehmen sich, als hätten sie ein geheimes Memo zur Eskalationsvermeidung über Staaten- und Parteigrenzen hinweg bekommen, an das sie sich um den Preis von Leben und Tod zu halten haben. Da stellt man sich doch die Frage: Was führt zu der plötzlichen Einigkeit? Die gemeinsame Furcht, dass eigene Beteiligungen ans Licht kommen könnten? Die kollektive Angst vorm großen Bruder USA?
Wie ist es möglich, dass nur solche Staaten Hilfe für den armen Typen in Erwägung ziehen, der sich jetzt vermutlich auf einer Flughafentoilette versteckt, die in Beziehungen mit den USA ohnehin nichts mehr zu verlieren haben? (PS. Ich wünsche ihm ja, dass er längst über einen Hinterausgang den Weg zu einer verschwiegenen Datsche am Kaspischen Meer gefunden hat, um den Sturm auszusitzen...)
Wieso kann die Bolivianische Präsidentenmaschine einfach mal so zwölf Stunden festgesetzt werden, und es interessiert nicht so wirklich jemanden??
Viel schlimmer als der Datenskandal an sich ist die Perspektive, die diese Geschichte auf das weltweite Machtgefüge offenbart, auf das unfassbare Ausmaß an Heuchelei, auf das Messen mit zweierlei Maß, auf die krasse Abhängigkeit, die sich von einer einzigen Supermacht ergibt.
Die Welt wird öffentlich düpiert und jeder ignoriert es - als sei hinter den Kulissen klar, dass man ja sowieso nichts machen könne und sich lieber in Schadensbegrenzung üben sollte.
Ich bin wirklich kein USA-Feind, ich habe jahrelang in dem Land gelebt und ich mag es immer noch sehr, trotz seiner vielen Fragwürdigkeiten.
Aber nach diesem Vorfall und der Art, wie damit umgegangen wird, wird mir ganz schlecht ob der Diskrepanz, die da zwischen Anspruch und Realität westlicher Rechtsstaatlichkeit aufklafft ...
Wie seht ihr das?
Schöne Grüße,
Andrea