'Schachnovelle' - Seiten 01 - 43

  • Ich traue mich einfach mal, den Anfang zu machen.


    Ich habe dieses Buch vor 17 Jahren schon mal gelesen und hatte den Inhalt nur noch grob in Erinnerung. Das Einzige, was mir noch sehr präsent war, war, dass mich diese kleine Novelle sehr beeindruckt und gefangen genommen hat.
    So war es auch jetzt wieder. Trotz der etwas veralteten Sprache, finde ich die Sprache sehr schön.
    Auch die Figuren finde ich gut gezeichnet trotz der Kürze.
    Der Ich-Erzähler ist mir sehr sympathisch und scheint mir ein ebenso intelligenter wie einfühlsamer Mensch zu sein, der mit einer gesunden Portion Neugier und Ehrgeiz an Dinge herangeht.
    War mir Czentovic als Kind noch sympathisch ( ich hatte mich gefreut, dass das vermeintlich völlig zurückgebliebene Kind über so ein großes Talent verfügt ), so ist er als Erwachsener leider einfach nur gierig, arrogant und dumm.
    McConnor ist mir nicht sympathischer, denkt er doch, dass er mit Geld alles kaufen kann. Und tatsächlich. Manche Menschen sind tatsächlich käuflich.
    Über den geheimnisvollen Fremden erfahren wir ja hier noch nicht so viel.


    Wenn ich die Novelle im Kontext betrachte, dann verkörpert Czentovic für mich den Stereotyp des Mitläufers im Nationalsozialismus. Dumm, nur auf einem ganz speziellen Gebiet talentiert, nicht daran interessiert, Dinge zu hinterfragen, schon gar nicht, wie es seinen Mitmenschen geht, sondern nur an seinem eigenen Vorteil.
    McConnor ist für mich dieselbe Schiene, nur dass er derjenige ist, der mit seinem Geld die Menschen in die Richtung manipuliert, die er gern hätte.


    Interessant finde ich, dass hier das Schachspiel gewählt wurde, sodass sozusagen auf dem Schlachtfeld "Gut" gegen "Böse" antreten. Eigentlich denke ich nicht in solchen Kategorien, denn kein Mensch ist nur gut oder nur böse. Aber wenn es heißt: weiß gegen schwarz, dann drängt sich so ein Schwarz-weiß-denken ja auf. Und dieses war ja leider im Nationalsozialismus auch üblich.


    Nun ja, bevor ich hier nur lauter Unfug schreibe. Das sind erst mal meine ersten Gedanken in diesem Abschnitt.
    Bin schon gespannt auf Eure :-)

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Zitat

    Original von Frettchen
    Ich traue mich einfach mal, den Anfang zu machen.


    Du hast mehr Traute als ich. :wave



    Die Sprache begeistert mich; na ja, gut, das passiert mir bei Zweig immer. Elegant, jede Menge Zeit scheint er zu haben. Mir gefällt das, auch der Wortreichtum, die Vielfalt, das ist doch noch ein anderes Spektrum als das moderne/allzu moderne Erzählen.


    Die Figuren werden also eingeführt: Mirko Czentovic, ein seltsamer Mann, beschränkt in vielen Dinge, in einem ein Genie, mir kam er fast ein wenig autistisch vor. Er wird überhaupt nicht, nicht einmal im Kleinsten positiv geschildert. Seine charakterlichen Eigenschaften scheinen hauptsächlich aufs Geldverdienen (oder muss man schon sagen: -schröpfen?) sich zu manifestieren. Die Art, wie er geschildert wird, lässt mich aber auch ein bisschen zusammenzucken. Ist das, was der Freund des Ich-Erzählers bzw. dieser selber da berichten, gänzlich frei von jeglichem Neid, jeglicher Arroganz des Hochgebildeten, des intellektuell über dem Champion Stehenden? Ich versuche mir vorzustellen, wie die Erzählung von einem „allwissenden“ Erzähler dargebracht geklungen hätte. Es wäre – bei mir – ein anderer Blick auf den Meister des Schachbretts aufgetan. Jedenfalls ist das, was in den beiden Absätzen, die mit „Aber wie sollte ein so rascher Ruhm ...“ beginnen und mit „hat er allen Grund, von sich begeistert zu sein“ enden, nicht unbedingt von der Hand zu weisen, auch wenn man es bedauerlich finden mag, dass derjenige so gar keine Lust dazu verspürt, über seinen Tellerrand zu schauen. Auch insoweit darf man wohl nicht nur von Stolz, sondern von einem gewissen Hochmut dessen sprechen, dem alles zu schnell gelingt.


    Spielt jemand von euch Schach? Stimmt die Behauptung, dass es das einzige Spiel sei, das „jeder Tyrannis des Zufalls“ entzogen sei etc.?
    Zu dem Herrn Gall, der Gehirne seziert, weiß Wikipedia etwas Interessantes: Klick


    Man möchte also gegen das Genie spielen. Nun ja, ein wenig mehr als allgemeines Interesse wird wohl daran gewesen sein. Eigentlich seltsam, daran zu glauben, man könne Czentovic vielleicht schlagen, aber diesen einen kleinen Augenblick des Triumphes braucht es wohl im Leben. Zumindest die Hoffnung daran. Die 250 Dollar, die McConnor für ein Spiel bezahlt, scheinen eine Menge Geld gewesen zu sein.


    Nämlicher – McConnor – wird auch nicht unbedingt als jemand geschildert, den ich zum Tee einladen würde. Auch er zu erfolgreich, zu sehr scheint er auf seine Ellbogen zu vertrauen. Ich frage mich die ganze Zeit, ob Stefan Zweig es wohl gerne gesehen hätte, wenn ich eingestehe, dass ich beide – Czentovic als auch McConnor – gerne einmal verlieren sehen würde. Der Schachheld scheint jedenfalls ganz genau zu wissen, wie er seine Gegner zu „behandeln“ hat. Ein Meister wohl auch der psychologischen Spielführung oder wie man solches nennen mag. Interessant, was aus diesem minderbemittelten Kind, das mit so eindeutigen Worten beschrieben wurde, geworden ist.


    Ein zweiter Meister tritt auf, ihn zeichnet „kreidige Blässe“ aus. Zweimal erwähnt er Gott, „kein Gott kann ihm helfen“ sagt er einmal. Irgendeine Erinnerung kommt mir da, aber ich kann sie nicht recht fassen.


    Der Ich-Erzähler ist ein begnadeter Beobachter. Und ebensolcher Erzähler des Beobachteten, natürlich. Die Schilderungen während des ersten Spiels und nach dessen Ende sind meisterlich, mit scharfem Blick wahrgenommen nicht nur das Äußere.


    Eine unglaublich fesselnde Geschichte!



    Frettchen : Ich hatte den Eindruck, das Schachspiel sei gewählt, weil es, wie Zweig resp. der Ich-Erzähler sagt, das einzige Spiel sei, das nicht durch einen Zufall manipuliert werden könne. Also einzig nur ein Duell der "Geistesgaben" stattfindet.
    Deinen Gedanken, Czentovic sei der Stereotyp des Mitläufers, finde ich interessant!

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Spielt jemand von euch Schach? Stimmt die Behauptung, dass es das einzige Spiel sei, das „jeder Tyrannis des Zufalls“ entzogen sei etc.?


    Ich spiele sehr schlecht und verliere immer :chen. Aber meiner Meinung nach stimmt das so halb. Dass es das einzige Spiel ist, dass unabhängig vom Zufall ist, glaube ich nicht. Aber es stimmt, dass beim Schach der Zufall keine Rolle spielt. Es gewinnt der, der am besten langfristig planen kann und Züge des Gegners voraussehen. Zufall oder Glück spielen da keine Rolle.


    Und zum Schachspiel: da finde ich Deinen Gedanken interessant. Aber das widerspricht meinem nicht unbedingt, ich sehe mich eher bestätigt. Wenn schon "Gut" gegen "Böse" antreten, dann bitte unter Bedingungen, wo der Zufall oder Glück oder wie immer man es nennen mag, nicht mit eingreifen können. Aber die Idee, dass es darum gewählt wurde, hatte ich gar nicht. Danke dafür :-)

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Zitat

    Original von Lipperin



    Spielt jemand von euch Schach? Stimmt die Behauptung, dass es das einzige Spiel sei, das „jeder Tyrannis des Zufalls“ entzogen sei etc.?


    Ich bin auch ein ganz schlechter Schachspieler, finde aber schon, dass Schach das einzige Spiel ist bei dem der Zufall keine Rolle spielt.


    Mirko Czentovic sehe ich ganz klar als Autist an, passt einfach, das Genie auf einem ganz bestimmten Gebiet, die große Beschränkheit auf allen anderen geistigen Gebieten und vor allem auch sein egoistisches, fast schon asoziales Verhalten.


    Von daher kann ich Czentovic auch nicht als Stereotyp des Mitläufers sehen, für mich ist er geistig behindert, kann nicht anders, während der Mitläufer an sich ja doch meistens weiß was er tut (bzw nicht tut) und nur bewusst den Weg des geringesten Widerstandes wählt.

  • Bevor ich auf eure interessanten Beiträge eingehe, eine kleine Vorbemerkung:


    Die Buchhändlerin meines Vertrauens hat mich überredet, die "Schachnovelle" in der kommentierten Reclam-Ausgabe zu kaufen. Eigentlich mag ich gar keine Reclam-Hefte mehr, sie erinnern mich einfach zu sehr an Schule.
    Aber: In einer editorischen Notiz steht, dass diese Ausgabe die erste ist, "die den Text der Erzählung, im Sinne einer Ausgabe letzter Hand, getreu nach Zweigs Typoskripten veröffentlicht".
    Die Erstausgabe und auch die späteren Ausgaben weisen wohl alle Veränderungen auf, die hier wieder zurückgenommen wurden.


    Auch ich bin absolut fasziniert von diesem Buchlein. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass es meine erste Begegnung mit Zweig ist, die Charkterzeichnungen begeistern mich.


    Zitat

    Original von Frettchen
    ...
    Der Ich-Erzähler ist mir sehr sympathisch und scheint mir ein ebenso intelligenter wie einfühlsamer Mensch zu sein, der mit einer gesunden Portion Neugier und Ehrgeiz an Dinge herangeht....


    :write
    Ich bin gespannt, welche Rolle der Erzähler noch einnimmt.


    Zitat

    Original von Frettchen
    ...
    War mir Czentovic als Kind noch sympathisch ( ich hatte mich gefreut, dass das vermeintlich völlig zurückgebliebene Kind über so ein großes Talent verfügt ), so ist er als Erwachsener leider einfach nur gierig, arrogant und dumm. ...


    Auf mich wirkt Czentovic, was sein "Vermarktungstalent" angeht, eher als nutze er die Gunst der Stunde. Daran kann ich bis jetzt nichts Verwerfliches entdecken. Dass es geltungs- und spielsüchtige Menschen wie diesen McConnor gibt, die natürlich auf den Plan gerufen werden und die ihr Geld verlieren, ist deren Problem.


    Zweig zeichnet den Charakter Czentovics fast schon provokant. Ein dumpfer Mensch (auf mich wirkt er auch nicht authistisch) mit phlegmatischen Zügen, der eher zum Diener taugt, ausgerechnet so ein Mensch besitzt die geniale Geistesgabe, im Schachspiel alle zu schlagen.
    Das Dorf sieht gleich die Chance, an diesem Ruhm teilhaben zu wollen.
    Auf mich wirkt der Junge eher so, dass er nicht besonders viele geistige Anregungen in seinem bisherigen Leben geboten bekommen hat- außer dem Schachspiel eben. So als lohne sich eine sonstige geistige Anstrengung nicht.


    Zitat

    Original von Frettchen
    ...
    McConnor ist mir nicht sympathischer, denkt er doch, dass er mit Geld alles kaufen kann. Und tatsächlich. Manche Menschen sind tatsächlich käuflich.
    Über den geheimnisvollen Fremden erfahren wir ja hier noch nicht so viel.
    ...


    Was kauft er sich denn außer den Schachpartien? Meinst du, da ist jemand bestochen worden? Das kann ich bisher nicht erkennen.


    Ich schreibe später weiter, die Familie wacht auf und möchte frühstücken. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Frettchen


    Ich spiele sehr schlecht und verliere immer :chen. Aber meiner Meinung nach stimmt das so halb. Dass es das einzige Spiel ist, dass unabhängig vom Zufall ist, glaube ich nicht. Aber es stimmt, dass beim Schach der Zufall keine Rolle spielt. Es gewinnt der, der am besten langfristig planen kann und Züge des Gegners voraussehen. Zufall oder Glück spielen da keine Rolle.


    Und zum Schachspiel: da finde ich Deinen Gedanken interessant. Aber das widerspricht meinem nicht unbedingt, ich sehe mich eher bestätigt. Wenn schon "Gut" gegen "Böse" antreten, dann bitte unter Bedingungen, wo der Zufall oder Glück oder wie immer man es nennen mag, nicht mit eingreifen können. Aber die Idee, dass es darum gewählt wurde, hatte ich gar nicht. Danke dafür :-)


    Das war auch nicht als Widerspruch gedacht. :knuddel1


    Als ich Deine Gedanken zu dem Mitläufer-Stereotypen las, fiel mir der Name Jakob Schmid ein resp. das, was Jutta Schubert in ihrem übrigens höchst lesenswerten Roman "Zu blau der Himmel im Februar" den Professor Huber über ihn denken lässt. Jakob Schmid war der Hausmeister der Uni, der Hans und Sophie "festnahm" und damit letztlich dafür sorgte, dass nicht nur diese beiden verurteilt und ermordet wurden. Es sind keine freundlichen Gedanken, kein Wunder: Einmal in ihrem (der Mitläufer) Leben verspürten sie einen Triumph, könnten sie Macht ausüben etc., wenn sie (die Mitläufer) jemanden wie die Scholls auslieferten, zu Fall brächten. Die bitteren Gedanken zu diesem Mann gehen über etwa drei Seiten, das kann und darf ich hier nicht zitieren, aber ich habe versucht, mir Czentovic an seiner Stelle vorzustellen. Schmid bekam für sein Handeln eine nicht unerkleckliche Summe und eine berufliche Aufwertung. Und sicherlich kam er sich wer weiß wie bedeutend vor. Es ist im Grunde genau das, was ich von einem Czentovic in gleicher Position auch erwartet hätte.


    Edit möchte hinzufügen, dass Prof. Huber im Wesentlichen der Verfasser des Flugblatts war, das Hans und Sophie Scholl zu verteilen versuchten, als sie entdeckt wurden.

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Was kauft er sich denn außer den Schachpartien? Meinst du, da ist jemand bestochen worden? Das kann ich bisher nicht erkennen.


    Ich könnte das nicht an einer bestimmten Sache festmachen. Das war nur so mein Bauch-Gefühl: reicher Sack, der mit seinem Geld um sich schmeißt, um so immer das bekommen zu können, was er möchte. Aber wie gesagt, im Buch steht das nicht explizit, das war nur so mein Eindruck von ihm.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Zitat

    Original von Frettchen
    ...
    Wenn ich die Novelle im Kontext betrachte, dann verkörpert Czentovic für mich den Stereotyp des Mitläufers im Nationalsozialismus. Dumm, nur auf einem ganz speziellen Gebiet talentiert, nicht daran interessiert, Dinge zu hinterfragen, schon gar nicht, wie es seinen Mitmenschen geht, sondern nur an seinem eigenen Vorteil.
    ...


    Da ist ein interessanter Interpretationsansatz. Es kommt noch hinzu, dass er sich geschickt in Szene zu setzen weiß. Lieber schweigt er, als seine Unbildung auffliegen zu lassen, und beschränkt sein Auftreten nur auf das Spiel und Geldverhandlungen.


    Zitat

    Original von Frettchen
    ...
    McConnor ist für mich dieselbe Schiene, nur dass er derjenige ist, der mit seinem Geld die Menschen in die Richtung manipuliert, die er gern hätte.
    ...


    Wie meinst du das? Wen manipuliert er?



    Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Die Sprache begeistert mich; na ja, gut, das passiert mir bei Zweig immer. Elegant, jede Menge Zeit scheint er zu haben. Mir gefällt das, auch der Wortreichtum, die Vielfalt, das ist doch noch ein anderes Spektrum als das moderne/allzu moderne Erzählen.
    ...


    Das kann ich nur :write!


    Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Die Figuren werden also eingeführt: Mirko Czentovic, ein seltsamer Mann, beschränkt in vielen Dinge, in einem ein Genie, mir kam er fast ein wenig autistisch vor. Er wird überhaupt nicht, nicht einmal im Kleinsten positiv geschildert. Seine charakterlichen Eigenschaften scheinen hauptsächlich aufs Geldverdienen (oder muss man schon sagen: -schröpfen?) sich zu manifestieren.
    ...


    Aus Czentovics Sicht ist es das schlauste, was er machen kann. Einen geldwerten Vorteil aus seiner momentanen Überlegenheit ziehen. Mich erinnert das ein wenig an die heutigen "Superstars"- mit möglichst wenig Aufwand und einer Lebensgeschichte, die betroffen macht und die Menschen dazu veranlasst, irgendwelche CDs etc. zu kaufen, möglichst viel Geld verdienen.



    Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Nämlicher – McConnor – wird auch nicht unbedingt als jemand geschildert, den ich zum Tee einladen würde. Auch er zu erfolgreich, zu sehr scheint er auf seine Ellbogen zu vertrauen. Ich frage mich die ganze Zeit, ob Stefan Zweig es wohl gerne gesehen hätte, wenn ich eingestehe, dass ich beide – Czentovic als auch McConnor – gerne einmal verlieren sehen würde. Der Schachheld scheint jedenfalls ganz genau zu wissen, wie er seine Gegner zu „behandeln“ hat. Ein Meister wohl auch der psychologischen Spielführung oder wie man solches nennen mag. Interessant, was aus diesem minderbemittelten Kind, das mit so eindeutigen Worten beschrieben wurde, geworden ist.
    ...


    Das fand ich auch sehr interessant. Czentovic erkennt gleich, dass McConnor ein Ellenbogentyp ist, einer, der mit aller Gewalt zum Erfolg kommen will. Das scheint beruflich ja auch sher gut zu funktionieren. Es wäre interessant gewesen, zu beobachten, wie viel Geld er ihm aus der Tasche gezogen hätte, bevor der Schmerz über den Geldverlust den der verletzten Eitelkeit überwogen hätte.


    Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Ein zweiter Meister tritt auf, ihn zeichnet „kreidige Blässe“ aus. ...


    Das hast du treffend geschrieben. Bei Mc Connor habe ich das Bild eines groben Mannes mit hochrotem Schädel vor Augen, bei diesem taucht das Bild eines Gelehrten auf.


    Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Der Ich-Erzähler ist ein begnadeter Beobachter. Und ebensolcher Erzähler des Beobachteten, natürlich. Die Schilderungen während des ersten Spiels und nach dessen Ende sind meisterlich, mit scharfem Blick wahrgenommen nicht nur das Äußere.


    Eine unglaublich fesselnde Geschichte!


    :write

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Frettchen


    Ich könnte das nicht an einer bestimmten Sache festmachen. Das war nur so mein Bauch-Gefühl: reicher Sack, der mit seinem Geld um sich schmeißt, um so immer das bekommen zu können, was er möchte. Aber wie gesagt, im Buch steht das nicht explizit, das war nur so mein Eindruck von ihm.


    Danke, so sehe ich ihn auch. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Für mich ist die "Schachnovelle" nicht nur das erste Buch von Stefan Zweig, sondern überhaupt meine allererste Begegnung mit ihm. Bisher bin ich sehr angetan sowohl sprachlich, als auch von der Geschichte. Obwohl das Büchlein nur über 110 Seiten verfügt ( und das auch noch in sehr großer Schrift), habe ich das Gefühl, es verfügt über weit mehr Inhalt.


    Über Mirko Czentovic mag ich mir zum jetzigen Zeitpunkt noch kein abschließendes Urteil bilden. In erster Linie verkörpert er für mich einfach nur einen großen Jungen, der Opfer seiner Herkunft geworden ist. Sohn eines armen Donauschiffers, der nach dem frühen Tod des Vaters von einem Pfarrer in einem kleinen Dorf erzogen wird. Jegliche Bemühungen des Pfarrers, ihm etwas beibringen zu wollen, scheitern. Dies ändert sich jedoch, als sein Talent für das Schachspielen entdeckt wird. Mirkos einziges Interesse scheint jedoch darin zu liegen, wie er finanziell das meiste dabei herausholen kann. Und mal ehrlich, kann man ihn das verdenken?


    McConnor empfinde ich eher als Randfigur, der lediglich dazu dient, ein Treffen zwischen Czentovic und dem noch unbekannten, scheinbar begnadeten Schachspieler, herbeizuführen. Er lebt in der Überzeugung, daß alles seinen Preis sein hat, auch ein Schachspiel mit dem amtierenden Weltmeister.


    Ich bin sehr gespannt, was es nun mit dem unbekannten Schachspieler auf sich hat.

  • Ich habe mir gar nicht viele Notizen gemacht und bin überrascht was für eine Diskussion hier schon steht :wow.


    Es liest sich für mich wie ein Krimi. Anders als Katahrina Böhm an der ich mich schwer tat.


    Mirko ist schon absonderlich. Ich denke er hat sich viel abgeschaut beim Schachspielen, wurde er sicher in einer Ecke aufbewahrt als man entdeckte das er nicht schreiben und lesen kann.


    Aber ich bin auch noch nicht gan so weit. Bin gespannt was der Ich Erzähler noch für eine Rolle bekommt.

  • :wave Ich habe jetzt auch den Einstieg geschafft und bin ganz fasziniert von der Erzählweise. Für mich ist es auch die erste Begegnung mit Zweig. In der Schule habe ich mitbekommen, dass die Schachnovelle in den Parallelkursen gelesen wurde. Mein Deutschlehrer hat mir durch seine merkwürdige Literaturauswahl lange das Lesen vermiest und ich hole nach und nach die Defizite des Unterrichts auf.


    Bei Mirko Czentovic habe ich auch den Eindruck, dass er heutzutage sicher als Autist eingestuft werden würde. Das Schachspiel scheint tatsächlich seine Inselbegabung zu sein. Schach ist tatsächlich ein "Spiel", bei dem der Zufall keine Rolle spielt, sondern enorme Denkleistungen vonnöten sind, wenn man wirklich gut sein will. Ich spiele gerne Schach, aber wie der Erzähler auch, so spiele ich und "ernste" nicht.


    Jetzt bin ich gespannt, was es mit den neu hinzugekommenen Schach"ernster" auf sich hat und wie seine Partie mit Czentovic verläuft.


    Ich freue mich, dass ich mich für diese Leserunde gemeldet habe, sonst hätte ich die Bekanntschaft mit Zweig wohl noch weiter herausgezögert und das wäre bedauerlich gewesen!

    With freedom, books, flowers and the moon, who could not be happy? - Oscar Wilde


    :lesend Rock My World - Christine Thomas

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Enchantress ()

  • Eigentlich kann ich mich dem Gros der Vorredner nur anschließen. Die Sprache von Zweig, den ich bisher nur aus dem einen oder anderen Gedicht gekannt habe, ist wirklich toll. Er beschreibt ausführlich, ohne dass es langwierig erscheint oder ermüdend. Mit seinem Ich-Erzähler ist er mitten im Geschehen drin und schildert alles, was der Erzähler bemerkt schön lebhaft.


    Bei Czentovic habe ich auch gleich auf einen Autisten getippt. Die Inselbegabung und die damit verbundene Fokussierung, hier auf das Schachspiel, passt einfach zu gut.


    Schach wird ja auch das "Spiel der Könige" genannt. Bei dem Könige quasi ihre Truppen gegeneinander bewegen und so ihre Strategien und Schlachten planen und dabei schon immer die möglichen Züge des Gegners im Voraus berechnen müssten, um zu wissen, wie sie am besten vorgehen sollen. Dieses "Spiel der Könige" wird hier von "normalen" Bürgern gespielt. Nicht die Mächtigen spielen, sondern ein "Autist", der im Nationalsozialismus sicherlich eher der Euthanasie zum Opfer gefallen wäre und ein aufstrebender "Hitzkopf" (McConnor) zusammen mit anderen Schachlaien. Diese Diskrepanz finde ich ganz interessant.
    Ähnlich wie gleichzeitig das Ungleichgewicht dieses anfänglichen Spiels. Ein geistig zurückgebliebener Kopf mit Schachbegabung, zwischen eine Gruppe von "Normalos". allein zahlenmäßig müsste die Gruppe überhaupt eine Chance haben. Aber dem ist nicht so. Erst ein Unbekannter kann der Gruppe helfen und spielt die Partie schließlich alleine zuende. Die Gruppe ist nun nur noch Zuschauer.

  • Jetzt kam ich auch endlich zum Lesen und Schreiben. Von Zweig kenne ich bislang auch noch kein anderes Buch. Bei diesem kann ich mich eurer positiven Würdigung eigentlich nur anschließen. Die Sprache ist äußerst angenehm. Einzig verwundert war ich lediglich über die rasche Persönlichkeitsentwicklung von Czentovic. Das hatte mich etwas verwundert, dass erst so schnell vom minderbemittelten Kind zum versnobt wirkenden Weltmeister mutiert. Gerade er sollte doch die Situation der Schwächeren kennen und sich ihnen gegenüber anders/ besser verhalten. Aber vielleicht verabscheut er seine eigene Kindheit selbst und will sich nun von ihr abgrenzen.


    So, weiter mit dem Kreideblassen. Ich bin gespannt.

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Die Buchhändlerin meines Vertrauens hat mich überredet, die "Schachnovelle" in der kommentierten Reclam-Ausgabe zu kaufen. Eigentlich mag ich gar keine Reclam-Hefte mehr, sie erinnern mich einfach zu sehr an Schule.
    Aber: In einer editorischen Notiz steht, dass diese Ausgabe die erste ist, "die den Text der Erzählung, im Sinne einer Ausgabe letzter Hand, getreu nach Zweigs Typoskripten veröffentlicht".
    Die Erstausgabe und auch die späteren Ausgaben weisen wohl alle Veränderungen auf, die hier wieder zurückgenommen wurden.


    In meiner Ausgabe des Fischer-Verlages steht zumindest "Der Text folgt dem Originaltyposkript.". :gruebel

  • Zitat

    Original von xexos


    In meiner Ausgabe des Fischer-Verlages steht zumindest "Der Text folgt dem Originaltyposkript.". :gruebel


    Dieser ganze Abschnitt über die Typoskripte geht fast 20 Seiten lang.
    Ich zitiere mal den letzten Satz:


    Zitat

    "Diese Edition der Schachnovelle korrigiert die bisherigen Ausgaben. Die Liste der folgenden Richtigstellungen bezieht sich auf die Stefan-Zweig-Ausgabe der Gesammelten Werke (...) im Verlag Fischer (...). Im "Bibliographischen Nachweis" heißt es fälschlicherweise: "Der Text der vorliegenden Ausgabe folgt dem Originaltyposkript." "

    Reclam S.97
    Dann folgen 8 Seiten mit der Auflistung der korrigierten Stellen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin