'Die Stadt der schweigenden Berge' - Seiten 080 - 160

  • Also ich war in 2012, 2013 und 2014 in Istanbul problemlos allein unterwegs - ebenso wie zahlreiche andere Frauen, Einwohner wie Touristen. No problem. In 2015 war ich noch nicht wieder da. Aber bald! Ich erzaehl's dann.


    1931 ist insofern eine sehr interessante Zeit, in der vieles anders als erwartet aussah, als Mustafa Kemal in seine Saekularisierungsversuche Frauenrechte einbezog, die Kleiderordnung radikal aenderte und damit auch ein anderes Strassenbild schuf.
    Dass die Durchsetzung eine schwierige bis unmoegliche war, ist natuerlich klar.
    Dennoch fanden in den Zwanziger Jahren massive Umbrueche statt, und als multikulturelle Metropole mit vielen Einwanderern und Touristen waren Frauen ohne maennliche Begleitung ohnehin kein ganz seltener Anblick.
    Ob es eine gute Idee war, kommt auf den Standpunkt an, wuerde ich sagen. Die Maenner in meiner Geschichte finden es nicht ... aber die fanden auch nicht, dass es eine gute Idee war, als Frau allein durchs abendliche Berlin zu streifen. Die Viertel und Wege, die ich beschreibe, waren belebt und von vielen Touristen frequentiert.
    Also ich waer' da allein langgegangen ...

  • Tilman und Merten führen eine merkwürdige Freundschaft.
    Die Art, wie Merten seinen Scheck einfordert, hat schon irgendwie etwas von Erpressung. Bezahlt Tilman seinen "Freund" (oder Komplizen?) Merten dafür, dass er auf Amarna aufpasst und sie von allem abschottet, was mit ihrer Vergangenheit und Hattusa zu tun hat? Er selbst scheint ja nicht mehr in der Lage zu sein ein normales Leben unter anderen Menschen zu führen. Es wirkt fast so, als würde er seine Wohnung kaum verlassen. Auf den ersten Blick ist es natürlich gefährlich, Amarna Archäologie studieren zu lassen, wo sie doch dadurch Zugriff zu allen möglichen Quellen und eben auch zur Arbeit ihres Vaters und ihres Paten hat. Allerdings kann Merten sie dadurch so sehr kontrollieren, dass er eben genau das vor ihr verbergen kann. Sie ist ja bloß eine Frau, der man diverse Einsichten einfach an der Universität verwehren kann.


    Und welche Frau hat Merten geschrieben und ihn über Amarna informiert? Wenn es Irene war, verstehe ich ihr Verhalten nicht wirklich. Einerseits scheint sie Amarna helfen zu wollen, andererseits aber ihr über ihren Onkel regelrecht Steine in den Weg zu legen.


    Diese ganzen Geheimnisse und Verwicklungen finde ich sehr spannend.


    Paul beginnt mir in diesem Abschnitt schon ein wenig Leid zu tun. Einerseits benutzt ihn Amarna, andererseits Merten. Er ist eine Art Spielball zwischen ihnen, der glaubt, mit ihnen alles erreichen zu können, aber am Ende wohl leer ausgeht. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich dann noch kontrollieren kann. Sein Verhalten gegenüber Amarna wirkt auch langsam ein bisschen obsessiv.


    Abgesehen von der Erzählung rund um Puduhepa, hat mir das Gespräch mit Nathan Rosen sehr gefallen. Darin hast du einige Sätze versteckt, Charlie, die nachwirken, weil sie heute noch eine erschreckende Wahrheit darstellen. Ich hoffe, er schafft es aus Paris zu entkommen oder ist klug genug, rechtzeitig auch aus Frankreich zu flüchten.


    War es damals ungefährlich und durchaus alltäglich als Frau alleine durch Istanbul zu laufen?


    Im Museum trifft Amarna jedenfalls den mysteriösen jungen Mann aus Berlin wieder. Er konfrontiert sie auf eine sehr direkte Art mit Hattusa. Es ist fast so, als ahne er, was mit ihr los ist.

  • Zitat

    Original von Charlie
    Hach, groovy!


    Und endlich mal jemand, der sich nicht an den Namen stoert.
    Urhi-Tesub war ja selbst fuer mich ein Waterloo ... aber ich vermisse ihn trotzdem. Wie sie alle.


    Alles Liebe von Charlie


    Na ja, ich glaube, wenn man einen "Archäologie-Roman" liest, muss man damit rechnen, oder? :lache
    Aber ich habe schon immer einen Faible für diese Geschichten, die Namen, die Zeit. Das hat als Kind irgendwann angefangen. Ich mag solche "zweiten Erzählebenen" einfach sehr, denn sie bringen mir die Zeit, um die es bei den ausgegrabenen Artefakten geht, einfach näher. Außerdem haben sie auch immer etwas Märchenhaftes. Das finde ich einfach schön. :-)

  • Zitat

    Original von Schwarzes Schaf


    Besonders spannend fand ich hier auch die Erwähnung des 1. schriftlich erhaltenen Friedenvertrags zwischen den Hethitern und den Ägyptern. Den musste ich auch erstmal googlen (ich denke, so viel habe ich selten recherchiert beim Lesen eines Buches). Passend dazu lief gestern eine Doku auf Arte, bei der es eigentlich ums antike Ägypten, aber eben auch um diesen Vertrag ging. Wie es der Zufall halt immer so will. :grin


    Das geht mir auch so. Und beim Stöbern im Netz trifft man immer wieder auf die Geschehnisse in diesem Buch. Das macht solchen Spaß.
    Was für ein Gefühl muss das sein, diesen Friedensvertrag in den Händen halten zu dürfen. Das werde ich direkt ehrfürchtig.

  • Zitat

    Original von Saiya


    Paul beginnt mir in diesem Abschnitt schon ein wenig Leid zu tun. Einerseits benutzt ihn Amarna, andererseits Merten. Er ist eine Art Spielball zwischen ihnen, der glaubt, mit ihnen alles erreichen zu können, aber am Ende wohl leer ausgeht. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich dann noch kontrollieren kann. Sein Verhalten gegenüber Amarna wirkt auch langsam ein bisschen obsessiv.


    Mir tut er auch leid!
    Und als eine Testleserin mir sagte, Du, die Leserinnen werden Deine Amarna dafuer hassen, dass sie das mit ihm macht, musste ich mir an die Nase fassen und denken: Ich fuerchte, das hat sie recht.


    Aber mir tut Amarna auch leid.
    Sie nutzt ihn aus, ja. Aber sie tut das in einer Situation, in der sie selbst merkt, dass sie total ausgenutzt und betrogen wurde, sie hat jegliches Vertrauen verloren und steht ganz allein da. Ich denke (!), das ist eine ziemlich gute Erklaerung dafuer, dass man voruebergehend (!) keine Kraft mehr aufbringt, sein Verhalten anderen gegenueber gruendlich zu pruefen. Ausserdem denkt sie zu diesem Zeitpunkt ueber das Thema Paul heiraten ja wirklich noch: Warum nicht?
    Und weiss nicht, dass "Warum nicht" als Grundlage ziemlich leicht ins Schwanken kommen koennte.
    Mit der Einstellung ist sie als junge Frau ihrer Epoche ja nicht allein. Und hinzu kommt, dass sie aufgewachsen ist, ohne eine gelebte Paarbeziehung zu erleben.


    Zu Frauen allein in Istanbul habe ich schon etwas gesagt. Mustafa Kemal hatte im Zuge seiner Verwestlichung die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau vorangetrieben und Istanbul war ohnehin eine urbane, kosmopolitane Metropole. Dass weniger Frauen allein auf der Strasse unterwegs waren als heute, war in westlichen Staedten nicht anders. Generell dagegen zu sagen ist nichts. Als sonderlich gefaehrlich wuerde ich es auch nicht einstufen, zumindest habe ich nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden, dafuer aber etliche Berichte von allein reisenden Frauen.
    Die Maenner in meiner Geschichte sehen das, wie gesagt, ein bisschen anders - aber das tun die ja auch in Berlin ...

  • Ehrlich gesagt, tut mir Amarna in der Situation genauso leid. Sie ist diejenige, die jahrelang betrogen und belogen wurde. Ich denke auch, dass man sich in solch einer Lage, nicht mehr wirklich darum kümmern kann, was mit anderen passiert. Das sind Ereignisse im Leben eines Menschen, die es erforderlich machen, dass man sich ganz auf sich selbst konzentriert. In der Beziehung ist sie ja ehrlich zu Paul und sagt ihm direkt, dass sie erst zu sich selbst finden muss. Das ist völlig in Ordnung. Ich befürchte eben nur, dass Paul das etwas anders wahrnimmt.


    Ich mag weibliche Figuren gerne, die Ecken und Kanten haben und eben auch mal nicht immer brav sind und alles versuchen richtig zu machen. Amarna gefällt mir sehr.


    Dein Beitrag rund um Frauen in Istanbul hatte sich mit meinem überschnitten. Das habe ich erst danach gelesen. Danke für die Erklärung. :-)

  • Zitat

    Original von Saiya
    [ Ich mag solche "zweiten Erzählebenen" einfach sehr, denn sie bringen mir die Zeit, um die es bei den ausgegrabenen Artefakten geht, einfach näher. Außerdem haben sie auch immer etwas Märchenhaftes.


    Ich auch!
    Ich mag das total gern.


    Und die Ebenen zusammenzufuehren macht solchen Spass.
    Das ist so - sorry - wie ein Osterbrot backen: Drei Straenge nehmen (mein Sohn kann's mit acht ...) und immer fester flechten, und wenn sie am Ende nicht gleich lang herauskommen, hat man einen Fehler gemacht.



    Den Vertrag von Kadesch kann man leider nicht anfassen (ich bin ja da sonst hemmungslos und grabsche alles an, nach dem Motto: Wenn einer kommt und meckert oder der Alarm losgeht, hab ich's schon gemacht. Ich weiss, das ist unmoeglich. Mein Mann schuettelt auch nur den Kopf und auf seiner Stirn steht in Leuchtschrift: Wenn das alle machen wuerden ... Hat er ja Recht. Aber dieses ICH-hab-da-angefasst-Gefuehl ist so unwiderstehlich ...), weil der so broeckelig ist und hinter Glas. Aber davorstehen und ihn anschmachten. (Immer wenn ich da war, waren da ausser mir auch nur anderthalb Leutlis und der Museumsmitarbeiter. Kein Vergleich zu unserem Rosetta Stone, wo man Ellbogen braucht, wenn man ihm tagsueber mal Auge in Auge gegenueberstehen moecht'. (Nein, bitte mir nicht erzaehlen, dass der Rosetta Stone keine Augen hat. Dazu bin ich zu alt ... das kapier ich nicht mehr.)
    Haach, und dieses Jahr sehen wir endlich das Gegenstueck in Karnak!


    Das ist so schoen, das zu erleben, so umwerfend. Davor fuehle ich mich noch einmal ganz jung und neu und ganz wundervoll klein.

  • Zitat

    Original von Saiya
    Ehrlich gesagt, tut mir Amarna in der Situation genauso leid. Sie ist diejenige, die jahrelang betrogen und belogen wurde. Ich denke auch, dass man sich in solch einer Lage, nicht mehr wirklich darum kümmern kann, was mit anderen passiert. Das sind Ereignisse im Leben eines Menschen, die es erforderlich machen, dass man sich ganz auf sich selbst konzentriert. In der Beziehung ist sie ja ehrlich zu Paul und sagt ihm direkt, dass sie erst zu sich selbst finden muss. Das ist völlig in Ordnung. Ich befürchte eben nur, dass Paul das etwas anders wahrnimmt.


    Ja genau. So sehe ich das auch. Sie hat ihn mehrmals darauf aufmerksam gemacht, und sie tut mir in dieser Lage ganz furchtbar leid. Aber er ist in der Sehe-nur-was-ich-sehen-will-Phase. Das ist eben auch das eine Gebiet, wo er sich nicht unterlegen fuehlt, sondern erfolgsgewohnt ist: Er sieht gut aus und kommt bei Frauen an. Ihm will das gar nicht in den Kopf, warum sie nicht auf ihn fliegt - es spricht doch nichts dagegen.

  • Leider nuetzte das beim Erbringen eines Ariernachweises gar nichts. Da konntest Du auch strohblond sein und ein Strahlegrinsen haben wie Siegfried persoenlich.

  • Zitat

    Original von Zwergin


    Dieser schöne Unbekannte, ich denke, dass das der Gaspars ( wer auch immer das ist) Sohn ist, über den Amarnas Vater und Mertens reden, als sie das Gespräch mit hört.


    Ich denke der großzügige Spender war noch nicht mal Merten, sondern das Geld stammt von Amarnas Vater, der seinen Ausbruch ihr gegenüber wohl direkt bereut hat und jetzt Angst um seine Tochter hat.
    Dass Paul auch Bescheid weiß, zumindest davon, dass Merten mit ihnen reist und der Geldgeber ist, und ihr nichts sagt, finde ich schon mies, das hätte ich ihm so schnell nicht verziehen.


    Ich denke auch, dass es sich dabei um den Fremden handelt. und mein Verdachts hat sich bestätigt: Amara war mit ihrer Familie in Hattusa, und der Fremde wollte sie laut Merten töten? Was ist da nur vorgefallen, aus dem Gespräch ergibt sich, wenn ich es richtig verstehe, dass sie sogar noch versucht haben, die Überreste von hattusa zu zerstören, bevor sie dort weg sind. steht Amarnas Traum damit in Zusammenhang? und wer ist die angesprochene sultansprinzessin?


    Auch ich habe das Gefühl, das ganze könnte in Zusammenhang mit dem Genozid an den Armeniern stehen, zeitlich würde das hinkommen.


    Das Geld für die Reise, denke ich auch, stammt von Amarnas Vater. die Beziehung zwischen ihm und Merten durchblicke ich derzeit auch noch nicht so richtig. Tilman scheint Merten eher aus dem weg zu gehen, und was hat es mit diesen Schecks auf sich?


    Paul tut mir auch leid, aber gleichzeitig empfinde ich ihn auch als immer bedrohlicher. Insofern kann ich mich Saya anschließen, sein verhalten kommt mir auch obsessiv vor. ich hatte im ersten Abschnitt schon den Gedanken, aber da war es noch nicht ausgeprägt genug. Wenn Amara ihn abweist, wird das nicht gut ausgehen.


    Amara andererseits ist, glaube ich, noch gar nicht so bewusst, dass sie Pauls Gefühle missbraucht. für sie ist Paul der beste freund, und die Idee, diesen zu heiraten, wird so abwegig nicht sein, wenn man noch nie richtig geliebt hat. doch ich gehe davon aus, dass sie die Liebe entdecken wird mit dem Fremden, dem sie nun im Museum erneut begegnet ist.


    In den Handlungsstrang um Hattusa habe ich auch gut hineingefunden und bin sehr gespannt, wie es dort weitergeht und wie sich das ganze am Ende verbindet. die Namen konnte ich mir allerdings noch nicht merken. :lache

  • Dein Buch wollte ich aber nicht schmeißen. ;-)


    das habe ich noch ganz vergessen: ich bin gespannt, wie viel Traum und wie viel Realität in der letzten Szene stecken, als sie den Raum mit den Holzdielen betreten. ich kann mir nicht vorstellen, dass da tatsächlich Felsen drin waren, aber irgendwas war sicherlich da, was sie in ihren Traum geführt hat.

  • Wenn Du noch ein paar Seiten weiter lesen willst und kannst, siehst Du (hoffentlich), was drinnen ist!


    Au weia ... wenn die Hatti Dich doch noch so veraergert, dass Du die schmeissen willst, bitte sag's mir nicht ...

  • Zitat

    Original von Charlie
    Wenn Du noch ein paar Seiten weiter lesen willst und kannst, siehst Du (hoffentlich), was drinnen ist!


    Au weia ... wenn die Hatti Dich doch noch so veraergert, dass Du die schmeissen willst, bitte sag's mir nicht ...


    Weiterlesen habe ich geschafft, bevor Söhnchen wach wurde. :-)


    und momentan kann ich mir nicht vorstellen, die Hatti jemals schmeißen zu wollen.

  • Nur ganz kurz bevor ich die Kinder vom Kindergarten hole.


    eines fragte ich mich gleich zu Anfang beim Gespräch zwischen Merten und Amarnas Vater, woher wusste dieser, dass der Fremde in der Stadt war?? Also der den sie Gaspard nennen.


    Und dann noch, mir geht paul auf den Senkel mit seiner obsessiven Fürsorge und Bevormundung. Ich kann Amarna gut verstehn, dass sie sich das nicht gefallen lässt vor allem, da er ja vom Intellekt her nicht mehr drauf hat als sie.


    Eine zauberhafte Erzählung und Liebesgeschichte um Puduhepa und Hattusili, es gab einen Hattusili den II. Ob sein Bruder stirbt und er sein Nachfolger wird??


    Meld mich heut abend wieder, die Mama ist krank also mach ich heute Kinderbetreuung.

  • Vielen Dank. Es freut und erleichtert mich sehr, dass ihr das so gelesen habt. Ganz kurz hatte ich in den letzten Tagen schon wieder einen Anflug dieses extrem unangenehmen Hab-ich-das-falsche-Buch-geschrieben?-Gefuehls, das ich bei diesem Buch - als einzigem - bisher nie hatte. Gluecklicherweise hat es sich bei diesem aber wieder gelegt.


    Fuer das hier wollte ich mich auch noch sehr herzlich bedanken:


    Zitat

    Original von Zwergin


    Sehr gut gefallen hat mir der Auftritt von Nathan Rosen und wie damit langsam auf den Genozid an den Armeniern hingedeutet wird.


    Ich habe es schwer gefunden, das so behutsam und subtil zu machen, wie ich wollte, wie es im Unterhaltungsroman Platz hat, wie es mit meinen Mitteln zu machen ist, ich habe um diesen Bereich der Geschichte am meisten Angst, und ich bin sehr froh, wenn immer es seinen Weg findet.


    Danke!
    Charlie