'Schlaf der Vernunft' - Seiten 073 - 137

  • Steffen tut mir unglaublich leid. Auch wenn es mir schwer fällt, wie es ist mit solchen Erinnerungslücken zu leben, kann ich seine Ängste und Zweifel hier sehr gut nachvollziehen.
    Eigentlich ist schon die pure Annahme, der Verfassungsschutz könne die Opfer abhören, erschreckend. Ich bin sehr gespannt, was wir hier noch erfahren werden. Dasselbe gilt für die Verbindung der Stasi bzw. des DDR-Regimes zur RAF.


    Ob Martina den Kontakt zu ihrer Tochter tatsächlich freiwillig abgebrochen hat? Ich bin mir da nicht mehr so sicher, kann das aber noch nicht genau irgendwo "festmachen".
    Angelikas Handlungen und Empfindungen kann ich sehr gut verstehen. Ihren Mann dagegen finde ich unsympathisch. Er gibt vor Verständnis für seine Frau zu haben, handelt aber eher egoistisch.
    Die Annäherung von Mutter und Tochter finde ich sehr bedrückend zu lesen. Der Druck, der auf beiden lasten muss, ist spürbar. Die Geschichte hat auch dadurch auf mich eine große Sogwirkung. Ich kann es kaum aus der Hand legen. Es gefällt mir wirklich sehr.

  • Doch, ich kann mir das ganz gut vorstellen, dass Martina den Kontakt abgebrochen hat. Sie musste an ihrem Weltbild festhalten, an ihrer Ablehnung der Gesellschaft, des Systems und dazu musste sie alles ablehnen und von sich weisen, was nur irgendwie dazugehörte.


    Angelika ist eigentlich genauso Opfer wie Steffen und Alex. Für Steffen ist es besonders schwer. Gleichzeitig selber so schwer verletzt worden zu sein und dann unter einem solchen Verdacht leben zu müssen. Er hat ja keinerlei Möglichkeit, zu beweisen, dass er nicht mit den Terroristen zusammengearbeitet hat.


    Mich beeindruckt wirklich sehr, wie sehr ich als Leserin mit diesen doch so verschiedenen Menschen mitleide - na gut, nicht gerade mit Renate. ;-)

  • Zweifel sind für Menschen in Freiheit....diesen Satz finde ich sehr gut, auch wenn er von einer ehemaligen RAF-Terroristin im Buch kommt. Er sagt sehr viel zu dem 2. Abschnitt aus.


    Angelika und Martina, dieses Gespann ist für mich von Traurigkeit und Bitterkeit durchsetzt. Ich bekomme immer wieder Wut, wenn Martina wie ein stures Kind an ihrem Weltbild festhält. Und ich kann Angelika verstehen, die zwischen Angst, Wunsch nach Nähe und Trotz schwankt. Das muss hart sein.


    Die Erinnerungslücken von Steffen bieten viel Raum für Plot-Twists. Da bin ich neugierig, wie sich das weiterentwickelt. Als homosexueller Beamter hatte man in den 90ern sicher einen schweren Stand. Das ist ja selbst heut nicht einfach.


    Im Gegensatz zur jetzigen Martina empfinde ich die Studentin als sympathisch und überzeugend. Hier kann ich super nachvollziehen, warum sie sich für diese Bewegung entschieden hat.

  • Logan-Lady, Martinas Entwicklung war natürlich eine der größten erzählerischen Herausforderungen - ich wollte verständlich und nachvollziehbar machen, warum sie die wurde, die sie in der "Gegenwartshandlung" 1998 ist, ohne sie zu entschuldigen.


    Alle: es freut mich, daß ihr Steffen so mögt. Er ist u.a. in dem Roman, weil mir mein Namensvetter Klaus Kinkel - mit dem ich aber nicht blutsverwandt bin! - bei der Recherche einiges über seine Personenschützer erzählt hat, zu denen er immer noch ein enges Verhältnis hat. Daß bei den Attentaten eben nicht "nur" die prominenten Opfer, sondern auch Personenschützer und Chauffeure ums Leben kamen, wird häufig übersehen, und daher ist nicht nur der Vater von Alex ein Chauffeur, sondern Steffen eben auch eine wichtige Figur. Ich wollte den Personenschützern ein Gesicht geben, statt sie nur anonym am Rand auftauchen zu lassen.

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel
    Logan-Lady, Martinas Entwicklung war natürlich eine der größten erzählerischen Herausforderungen - ich wollte verständlich und nachvollziehbar machen, warum sie die wurde, die sie in der "Gegenwartshandlung" 1998 ist, ohne sie zu entschuldigen.


    Genau dieser Ansatz ist es, der das Buch für mich so überzeugend macht.
    Insgesamt ist es natürlich ein unbequemes Thema. Ich lese es mit Interesse, finde es aber auch bedrückend.


    Mich interessiert momentan am meisten, ob und wie sich Angelika und Martina wieder annähern werden.
    Außerdem ist Steffen eine spannende Figur!

  • Unbequem ist es auch, für mich ist es ein richtig verstörendes Thema, weil ich mich an viele Diskussionen erinnern kann, gerade zum Thema, wann ist welche Gewalt erlaubt. Das führte damals auch in eher friedlichen Kreisen zu heftigen Debatten.
    Es sind viele Menschen auf der Strecke geblieben, die etwas Positives auf den Weg bringen wollten.

  • Steffen ist für mich nach Martina bisher die interessanteste Figur im Buch, ich kann mir nicht vorstellen, dass er in irgendeiner Form mit dem Attentat zu tun hat, aber seine Zweifel durch seine Gedächtnislücken sind sehr verständlich.


    Ich denke auch, dass Martina den Kontakt zu ihrer Tochter freiwillig abgebrochen hat, ich glaube, sie musste ihre Linie "Widerstand gegen das System" so absolut und kompromisslos durchziehen, um mit der Gefangenschaft fertig zu werden.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Unbequem ist es auch, für mich ist es ein richtig verstörendes Thema, weil ich mich an viele Diskussionen erinnern kann, gerade zum Thema, wann ist welche Gewalt erlaubt. Das führte damals auch in eher friedlichen Kreisen zu heftigen Debatten.


    Ein Thema, das bis heute noch nichts von seiner Aktualität und Brisanz verloren hat.

  • Die Annäherung zwischen Martina und Angelika stelle ich mir sehr schwierig vor. Vor allem, wenn Marina wieder ihr Weltbild zitiert. Mutig finde ich, daß Angelika überhaupt den Versuch wagt, wieder mit ihrer Mutter Kontakt aufzunehmen (nach ihren alten Erfahrungen). Hier hätte ich mir mehr Unterstützung für Angelika durch ihren Justus gewünscht - aber er sieht in erster Linie seine Kinder, und Angelikas Einfluss auf diese.


    Steffen mit seinen Erinnerungslücken (das stelle ich mir sehr furchtbar vor!) ist eine meiner Lieblingsfiguren. Ich bin neugierig, wie es mit ihm weitergeht.. :wave

  • Welch traurige Parallele zwischen Buch und aktuellem Geschehen. Anhalten musste ich auf Seite 132. "Mitgefühl mit den Entrechteten, den Opfern von Ausbeutung und Genoizid in der Dritten Welt." 40 Jahre ist es her und immer noch wird nach dem Warum gefragt. Traurig, dass keiner lernt.


    Ich finde eigentlich jede Perspektive interessant. 1967 ff. bietet auch viel Interessantes. Martina war ein ganz normales Mädchen mit alltäglichen Träumen. Und dann kamen falsche Freunde und falsche Lösungen.

  • Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich mich an Angelikas Stelle verhalten würde. Wie nähert man sich solch einer Mutter an.... :gruebel Selbst ohne den Terrorismus als Hintergrund hat Martina sich nie wie eine Mutter verhalten und ihr Kind bewusst von sich geschoben. Es passte einfach nicht in das radikale Leben, was sie geführt hat. Ich finde es wirklich erstaunlich, dass Angelika sie direkt vorm Gefängnis abholt.
    Angelikas Mann finde ich übrigens ziemlich unsympathisch und als keinerlei Hilfe für seine Frau. Kann mir nicht so richtig vorstellen, dass das weiterhin gut geht. So sehr sich Angelika auch von der radikalen Denkweise ihrer Mutter distanziert, würde es mich wundern, wenn sie ihren Mann mit seiner Einstellung zur Welt noch weiter ertragen kann.


    Interessant war auch, als Angelika ihrer Mutter erzählen wollte, dass der Sohn des Fahrers Kontakt zu ihr aufgenommen hat. Für Martina und ihresgleichen zählte nur der tote Staatssekretär..... Fahrer und Leibwächter und dazugehörige Familien wurden offensichtlich ausgeblendet.


    Steffen tut mir weiterhin unendlich leid..... Er ist momentan, die am schwächsten erscheinende Figur, allerdings nur aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen. Bin gespannt, wie es bei ihm weitergeht.

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel


    Alle: es freut mich, daß ihr Steffen so mögt. Er ist u.a. in dem Roman, weil mir mein Namensvetter Klaus Kinkel - mit dem ich aber nicht blutsverwandt bin! - bei der Recherche einiges über seine Personenschützer erzählt hat, zu denen er immer noch ein enges Verhältnis hat. Daß bei den Attentaten eben nicht "nur" die prominenten Opfer, sondern auch Personenschützer und Chauffeure ums Leben kamen, wird häufig übersehen, und daher ist nicht nur der Vater von Alex ein Chauffeur, sondern Steffen eben auch eine wichtige Figur. Ich wollte den Personenschützern ein Gesicht geben, statt sie nur anonym am Rand auftauchen zu lassen.


    Das ist dir sehr gut gelungen.
    Ich habe heute auch einige Szenen mit Steffen gelesen und er hat mir auch sehr leid getan. Alles hat immer mehrere Seiten...........


    Die Rückblenden mit der jungen Martina sind sehr überzeugend geschrieben, ich kann mich gut in sie hineinversetzen und sie verstehen.

  • Leider muss ich im Moment sehr viel arbeiten, so dass ich abends zu müde zum Lesen bin.
    Es liegt also nicht am Buch, dass ich so langsam bin, denn das finde ich sehr interessant. Gerade auch nach den jüngsten Ereignissen in Paris und Brüssel.


    In den letzten Monaten hatte ich viele Gespräche mit syrischen Flüchtlingen. Immer wieder wurde es zum Thema, dass es ihre Freunde, Klassenkameraden waren, die zu Terroristen wurden und skrupellos die Kinder ihrer Nachbarn abknallten.
    Dieser Gesinnungswandel, die Umwälzung des Gehirns, ist einfach unverständlich- ebenso wie Martinas Handeln mir unverständlich bleiben wird.
    Den Versuch der Annäherung finde ich gelungen. Auch, dass ich als Leserin auf Distanz bleiben kann.
    Martina fühlt sich immer noch als Opfer des Systems. Ich bin sehr gespannt, ob Mutter und Tochter eine Beziehung aufbauen können. Im Moment kann ich mir das schwer vorstellen.


    Hut ab vor Angelika. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich weiß, worauf sie sich einlässt. Das Bild, das sie sich als Kind von ihrer Mutter gemacht hat, um sich selbst zu schützen, wird demontiert werden. Ich wünsche ihr sehr, dass sie nach der Woche mit ihrer Mutter weiß, was ihr gut tut und was nicht. Vielleicht braucht sie diese Begegnung mit Martina, um endlich um die verlorene Mutter trauern zu können und sie hinter sich zu lassen.


    Die Verwebung der aktuellen Politik, dargestellt in der Figur der Renate, mit der RAF-Vergangenheit, finde ich sehr interessant. Da bin ich gesoannt, welche Spannungsfelder sich da noch ergeben.


    Steffen und Alex finde ich auch sehr interessante Figuren. In Alex, der unbedingt die Wahrheit herausfinden will, kann ich mich gut hineinversetzen. Und Steffen ist einfach nur grundsympathisch.



    Tanja : Auf S. 73 ist ein Druckfehler: Es muss Volontariatsplatz heißen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Leider muss ich im Moment sehr viel arbeiten, so dass ich abends zu müde zum Lesen bin.


    :write Ich lese auch hauptsächlich morgens in der Bahn. Aber das jeden Tag und so komme ich auch weiter.
    Das Buch gefällt mir nämlich sehr gut.


    Angelika bewundere ich auch..........dass sie sich auf diese Woche mit ihrer Mutter einlässt ist einerseits sehr verständlich und nachvollziehbar. Aber andererseits sind die Folgen für sie und ihre Familie unabsehbar.
    Ich bin gespannt auf die Entwicklung.