Der Report der Magd - Margaret Atwood

  • "Der Report der Magd" von Margaret Atwood


    Eines meiner persönlichen Lese-Highlights der vergangenen Monate!


    Worum es geht (lt. Amazon.de):


    Im Jahr 2195 sind die Frauen eines totalitären Staates in Klassen eingeteilt. Sie fungieren als Hausfrauen, Gebärmaschinen und Sklavinnen. Doch die Magd Desfred, die einem Kommandanten und seiner kinderlosen Frau zugeteilt wurde, hat sich ihre Phantasie und die Hoffnung auf ein anderes Leben bewahrt.


    Meine Meinung:


    Im religiös geprägten fiktiven Land Gilead sind fast alle Frauen unfruchtbar geworden. Die wenigen fruchtbaren Frauen werden als Mägde eingesetzt, sprich: als Gebärmaschinen. Neben den Mägden gibt es noch die Ehefrauen und die "Marthas" - Dienerinnen, ich würde sie sogar als Sklavinnen bezeichnen.
    Die Magd Desfred wird einem Ehepaar zugeteilt, das die Erlaubnis bekommen hat, ein Kind zu zeugen. Monat für Monat muß sie "die Zeremonie" - den Geschlechtsakt - über sich ergehen lassen, im Beisein der Ehefrau. Dabei steht sie unter Druck, denn wird sie nicht schwanger, droht ihr die Verbannung in die gefürchteten Kolonien.
    Die restliche Zeit verbringt sie damit, zu den öffentlichen Hinrichtungen oder einkaufen zu gehen. Und über die Vergangenheit nachzudenken. Sie denkt an ihren verschwundenen Ehemann, an die Tochter, die man ihr wegnahm, sie trauert um die verpassten Gelegenheiten, um Dinge, die sie früher nicht genug zu schätzen wußte.
    Und sie hofft auf eine bessere Zukunft, auch wenn sie weiß, dass diese wahrscheinlich niemals kommen wird.


    Nach "1984" und "Fahrenheit 451" war "Der Report der Magd" mein drittes anti-utopisches Buch. Es hat mir viel besser gefallen, als die beiden ersten. Es ist realistischer, erschreckender, hoffnungsloser. Es stimmt einen sehr nachdenklich und sehr traurig.


    Der totalitäre Staat Gilead, der von religiösen Fundamentalisten in Nordamerika errichtet wurde, ist eine äußerst düstere Zukunftsvision. Margaret Atwood lässt im Roman hier und da ein paar Andeutungen fallen (manchmal auch mehr), wie es zu dieser Staatsgründung kommen konnte - und man kauft es ihr ab.


    Die Zeit, in der die Handlung spielt, liegt in nicht allzu ferner Zukunft, denn Desfred erinnert sich noch gut an eine Welt, die der unseren ähnlich ist. Gerade das kommt einem wie eine Warnung vor.


    Den Schluß hätte ich mir ein bißchen weniger offen gewünscht, aber dann hätte er wahrscheinlich gar nicht zu dem Roman gepasst.


    ***
    Aeria

  • Boah, super, daß Du das hier mal vorstellst ! Ich habe das Ende der 80er damals gelesen und war schwer beeindruckt !!!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Der Film ist recht gut, aber ein wenig anders als das Buch. Die Atmosphäre ist gut getroffen, allerdings war ich mit dem Ausgang des Films nicht einverstanden. Der Film lief übrigens unter dem Titel Die Geschichte der Dienerin


    Das Buch ist erschreckend, verstörend, irritierend, aber brilliant. Das Bild einer kalten, bigotten und menschen (vor allem frauen)verachtenden Gesellschaft.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • ich fand das Buch auch sehr gut. Ist jetzt schon wieder etwas her, dass ich es zum letzten Mal gelesen habe, aber auf jeden Fall beeindruckt es mich immer wieder.
    Toll gemacht finde ich auch die Szene, als die "Touristinnen" in der Stadt ist, und Desfred halb fasziniert, halb angeekelt von den Miniröcken und den lackierten Nägeln ist.
    Den Film habe ich leider auch noch nie gesehen.
    Das offene Ende verstört mich immer wieder... (ja, ich gebs zu, ich mag keine offenen Enden :grin )

  • Lang, lang ist´s her, dass ich das Buch gelesen habe. Aber ich erinner mich sehr gut daran, dass es mir sehr gut gefallen hat. Ich schließe mich hiermit den positiven Beurteilungen ohne Einschränkung an!

  • Lang, lang ist es auch bei mir her, aber momentan habe ich eine Atwood-Phase und dazu zählt auch, dass ich den Report der Magd hervorgeholt habe. Ich bin gespannt, ob ich nach einer Reihe von Jahren dieses beeindruckende Buch anders lesen, anders bewerten werde als damals.
    Den Film habe ich gesehen, aber ich meine mich zu erinnern, dass er nicht zu meinen Bildern im Kopf passte, die ich nach dem Lesen hatte.


    Meine Atwood-Phase begann mit "Polarities", momentan lese ich "Tips für die Wildnis". Beides sind Kurzgeschichten-Sammlungen.


    Lieben Gruß


    polli

  • Ein bedrückend gut geschriebenes Buch!
    Ich habs vor vielen Jahren gelesen und erinnere mich noch, dass es mir mehr gegeben hat als andere Zukunftsvisionen.
    Ich bin aber sowieso erklärter Atwoodfan! :-)

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • Eines der Bücher, dessen Handlung mir immer noch sehr präsent ist, obwohl ich es schon vor Jahren gelesen habe, denn mich hat die beschriebene Wandlung der Gesellschaftsform und die daraus resultierende Unterdrückung der Frau nicht mehr los gelassen, zumal es ja in den letzten Jahren in einigen Ländern diesen Rückschritt tatsächlich gegeben hat. :-]

  • Meine Meinung:


    In dieser beklemmenden, leider zuweilen etwas spröden Utopie läßt Atwood eine patriarchalische Diktatur auf dem Gebiet der ehemaligen USA entstehen. Die Law&Order-Gesellschaft mit ihren weitgehend anonymen Regierenden richtet Abtrünnige hin, die sich dem herrischen Klassensystem entziehen wollen. Die Frauen leiden unter einem besonderen Druck. Seit einer atomaren Katastrophe hat sich die Zahl der gebärfähigen Frauen dramatisch reduziert, weshalb Männer der Oberklasse zusätzlich zur – meist unfruchtbaren – Ehefrau eine „Magd“ zugewiesen bekommen, ein Geschöpf, das außerhalb der rituellen, äußerst unerotischen Paarung (zu dritt) apathisch im spartanisch ausgestatteten Zimmer hocken darf, ohne Lektüre, Freunde oder inspirierenden Kontakt zur Außenwelt, nicht einmal mit den „Marthas“, den Haushaltshilfen, darf über das nötige hinaus gesprochen werden, mit Männern sowieso nicht, nicht einmal mit dem eigenen Herren.
    Die Magd Desfred (ihr Gebieter heißt Fred) erzählt ihre Geschichte, von der Sozialstruktur, vom Davor und dem immer noch bestehenden Hoffen auf ein Danach. Sie beschreibt die Rituale, die Hinrichtungen, auch die kleinen Entgleisungen des Herren, vor allem aber ihre stagnierende emotionale Wahrnehmung, deren Perspektive Hoffnungslosigkeit heißt. Doch vor Selbstmord sind die Mägde gut geschützt …


    Das Buch ist bedrückend, sehr dicht und in einer fast schon perfekten Sprache erzählt. Spannung bezieht es aus dem (Leser-)Wunsch nach einem irgendwie positiv gearteten Ende – aber diese Spannung überdeckt einige Längen leider nicht. Trotzdem ein durchaus gutes, manchmal sehr aufwühlendes Buch, dessen Utopie nicht so weit von dem entfernt ist, was an einigen Orten auf unserem Planeten mit Menschen gemacht wird.


    (Anmerkung: Dieses Buch gehört nicht in die Kategorie "Science Fiction". Es geht zwar um eine Utopie, aber nicht um eine wissenschaftliche. "Zeitgenössisches" wäre m.E. angemessener.)

  • Zitat

    Original von Tom
    (Anmerkung: Dieses Buch gehört nicht in die Kategorie "Science Fiction". Es geht zwar um eine Utopie, aber nicht um eine wissenschaftliche. "Zeitgenössisches" wäre m.E. angemessener.)


    Hallo, Tom


    Der Hintergrund des Buches ließe sich meiner Meinung nach durchaus als wissenschaftlich einordnen - es geht allerdings nicht um Naturwissenschaft, sondern um Religions- und Gesellschaftswissenschaften. Pat Califia hat für "Doc and Fluff" den Begriff "dystopian" verwendet. Der könnte auch auf das Atwood-Buch durchaus zutreffen.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Ich hab den Roman im Original ( The Handmaid's Tale) für den Englischunterricht gelesen.
    Die Geschichte an sich und die Welt, in der sie spielt, sind durchaus interessant und faszinierend, aber das Buch fand ich fürchterlich zu lesen, weil bis kurz vor Ende nicht wirklich irgendwas passiert ist... ich fand es langweilig...
    Außerdem hat mir das offene Ende nicht gefallen,

  • Mir wurde Report der Magd von einer Kollegin empfohlen und mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ich fand es eigentlich nie langweilig, im Gegenteil, ich hätte es in einem Rutsch durch lesen können. Aber ich MUSSTE es ja auch nicht lesen sondern habe es freiwillig gelesen


    Mich hat die Geschichte ganz schön mitgenommen und erschreckt.


    LG Luthien

  • Ich habe das Buch mit Anfang 20 gelesen und verschlungen, ich konnte kaum etwas anderes lesen. Mein (sehr viel jüngerer) Bruder hatte das Buch dann als Pflichtthema im Zentralabitur und ich beglückwünschte ihm begeistert und neidvoll zu dieser fantastischen Lektüre. Und was war? Er fand es langweilig, unlesbar und sein ganzer Kurs hätte es gehasst. ?(
    Wie kann das sein? Ob es wirklich daran lag, dass er gezwungen war, es zu lesen?

  • Ein wirklich beeindruckendes Buch, das auch 30 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nichts von seiner Brisanz verloren hat. Ein flammendes Plädoyer für Freiheit und Gleichberechtigung.


    Die Autorin versteht es bestens, einerseits eine fesselnde fiktive Geschichte aus einem ganz anderen Gesellschaftssystem zu erzählen, andererseits den Leser zu vielen eigenen Gedanken zu ermuntern, auch und gerade über unsere heutige Gesellschaft. Meiner Meinung nach eine sehr hohe Kunst. Das Buch ist manchmal ganz schön hart zu lesen, vor allem bei den Stellen, an denen die namenlose Ich-Erzählerin auf ihr altes, in unseren Augen „normales“ Leben zurückblickt, hatte ich immer einen dicken Klos im Hals. Andererseits fand ich es trotz des traurigen und tristen Lebens der Erzählerin überraschend angenehm zu lesen, was sicher auch an der gelungenen Sprache liegt.


    Atwood erzählt sehr detailliert, sie richtet den Blick auf Kleinigkeiten. Es stimmt, es passiert wenig in den ersten beiden Dritteln des Buches, aber mich hat das nicht gestört. Die Sprache ist an sich toll und regt zu ganz vielen eigenen Gedanken an. Dagegen fand ich den Schluss fast zu schnell, zu hastig und auch zu unbefriedigend – wobei natürlich die „Historischen Anmerkungen“ ein genialer Schachzug sind, um den ganzen vorhergehenden Text besser einordnen zu können. Nur ein bisschen mehr hätten sie nach meinem Geschmack doch verraten dürfen. ;)


    Margaret Atwood erhielt 2017 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Schon nach der Lektüre dieses einen Buches (ohne alle anderen zu kennen) finde ich den Preis absolut angemessen. Noch nie war ich so froh, in einer freien Gesellschaft zu leben und noch nie fand ich es so wichtig, diese zu schützen.


    Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch! Neun begeisterte Eulenpunkte von mir.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021