'Der Engel mit der Posaune' - Kapitel 03 - 13

  • So, jetzt verschieben ich meine Frage, die ich irrtümlich ins vorige Kapitel gepackt habe, hierher:



    Wie habt ihr die "Einbestellung" Henriettes durch den Kronprinzen (3 -Audienz am hellen Tag) und das eigenartige "Gespräch" empfunden? Mir graust es noch immer, wie er versucht, Henriette unter Druck zu setzen.


    Franz imponiert mir immer mehr.

  • Also der Kronprinz ist ja psychisch ziemlich neben der Spur. Ich empfinde seine Einbestellung von Henriette als richtige Erpressung. Erst will er, dass sie sich zusammen mit ihm umbringt und dann erzählt er von seiner Scheidung. Ich empfinde Henriette bei dem "Gespräch" als erstaunlich stark und es imponiert mir, dass sie sich nicht von ihm beeinflussen lässt.

    Ich habe das Gefühl, nur weil sie sich jetzt verlobt hat und nicht mehr seine Geliebte sein möchte und für ihn also nicht mehr verfügbar ist, ist er wieder an ihr interessiert und möchte sie für sich gewinnen. Das was man nicht haben kann hat auf einen den größten Reiz.


    Allerding habe ich jetzt schon ein Stück weiter gelesen und konnte es gar nicht glauben, dass sich der Kronprinz dann doch tatsächlich an dem Hochzeitstag von Henriette umgebracht hat. Hier tut sie mir schon wieder sehr leid. Was für Gedanken müssen wohl in ihrem Kopf herumgehen, als sie davon erfährt. Und sie hat niemanden mit dem sie darüber reden kann. Franz gegenüber muss sie die glückliche Braut spielen und kann sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen. Ganz schön heftig das Ganze.

  • Ich zitiere mal Brigitte H.H., zum ersten Abschnitt:


    Die Anspannung und die innere Zerrissenheit Rudolfs, fand ich, kam sehr gut zum Ausdruck. Ich war erleichtert, wie unbeirrt Henriette sich ihm widersetzte.


    Das trifft es, finde ich, sehr gut. Rudolf muss ein sehr verzweifelter Mensch gewesen sein.


    Eine traurige Hochzeit war das für Henriette.


  • Eine traurige Hochzeit war das für Henriette.

    Auf jeden Fall!!

    Ich finde das kommt auch im Kapitel 4 sehr gut zum Ausdruck. Hier wird die Hochzeit aus Sicht der Kinder beschrieben. Und ich finde die Kleinen haben eine sehr gute Beobachtungsgabe . Zum Beispiel am Ende dieses Kapitels heißt es: "Fritz fand, die neue Tante schaue dabei zu ernst aus. Sonst lachten doch die Großen , wenn sie tanzten?"

    Kein Wunder, dass Henriette an ihrem Hochzeitstag nicht fröhlich ist.


    Vor allem wenn man dann noch diese Sache mit dem Erpresser erfährt, vor dem sie die ganze Zeit auch Angst haben muss. Henriette hat es schon nicht so leicht.

    Und ich mir imponieren inzwischen beide Figuren sowohl Henriette als auch Franz. Ich denke mal Franz merkt schon, dass er für sie jetzt nicht die große Liebe ist.

  • Sprachlich komme ich mit dem Buch inzwischen sehr gut zurecht, ich habe mich „eingelesen“. Handlungsmäßig passiert einiges.


    Vom Kronprinzen Rudolf weiß ich eigentlich nur zwei Stichworte: eben „Kronprinz Rudolf“ und „Selbstmord in Mayerling“. (Kürzlich habe ich dazu einen Zweiteiler aufgenommen, vielleicht sollte ich die nächste Zeit doch mal versuchen, den anzusehen.) Jedenfalls fand ich es ein starkes Stück, daß er versuchte, Henriette zum gemeinsamen Selbstmord zu überreden. So, wie er hier dargestellt wurde, empfand ich ihn als ziemlich unfair Henriette gegenüber. Was erwartete er eigentlich? Er selbst verheiratet - plötzlich kommt er mit Annullierung. Soweit ich mich im Kirchenrecht auskenne, hätten die von ihm vorgebrachten Gründe für eine Annullierung allerdings nicht ausgereicht. Vor allem hat er Henriette gegenüber zuvor niemals etwas darüber erwähnt. Und wie realistisch wäre es gewesen, wenn er nach einer Annullierung eine „Bürgerliche“ hätte heiraten wollen? Das Ganze bei DEM Vater? Wie auch immer, die Situation war in gewisser Weise gespenstisch.


    Gespenstisch auf andere Art auch, wie nach seinem Selbstmord von den Behörden versucht wurde, Henriette zu beeinflussen oder gar zur Schuldigen zu machen. Da blieb mir fast die Luft weg, als ich das Gespräch mit „Seiner Exzellenz“ gelesen habe. Da wird, losgelöst von den offensichtlichen wie nicht so offensichtlichen Fakten alles so hingedreht, daß es ins Weltbild paßt. Na ja, ist heute vermutlich auch nicht viel anders. Und dem Kaiser darf man natürlich auf keinen Fall die unangenehme Wahrheit sagen. Warum eigentlich nicht? So, wie der sich verhalten hat, wäre das, um künftigen Schaden abzuwenden, sicherlich gut gewesen. Aber was soll’s - das ist lange her und wer weiß, was der Henriette geblüht hätte, hätte sie ihm die Wahrheit gesagt.


    Was ich zuerst gar nicht verstanden hatte, waren die Andeutungen mit dem „Herrn Jakubeit“. Erst im Verlauf des Abschnitts wurde das klarer, und auch, weshalb sie Franz geheiratet hat. Der scheint sich aber recht gut gegen diesen „Schmierfinken“ gewehrt zu haben, was dem Herrn Jakubeit gegönnt sei - also sein Mißerfolg in dieser Sache.


    Selbst gegen seinen Bruder geht Franz, der sich dem Druck beugt. Ob das für das künftige Zusammenleben allerdings günstig ist, wird sich im Verlauf des weiteren Buches noch weisen.


    „Blieb Franz ein typischer Wiener, dann war Henriette ein typisches Geschöpf ihrer Epoche, deren perfekte Gesichertheit die Sehnsucht nach Gefahr, ja nach Leid weckte. Weltschmerz hatte es vor einem Jahrhundert geheißen; (...)“ (S. 99)

    Das finde ich eine ziemlich gute Beschreibung / Definition der Figuren. Denn ich habe wirklich das Gefühl, als ob da Figuren mit Ansichten, Vorstellungen, Verhaltensweisen des 19. Jahrhunderts agieren und nicht solche, die aus unserer Zeit in diese Kulisse versetzt worden sind.


    Makaber, äußerst makaber natürlich, daß der Kronprinz ausgerechnet an Henriettes Hochzeitstag Selbstmord begeht. Zufall oder geplant? Wie dem auch sei, das Leben muß weiter gehen und am Ende des Abschnitts wird dem Ehepaar Franz und Henriette Alt der erste Sohn geboren. Die Dynastie und das Fortbestehen der Firma ist also gesichert. Oder nicht?

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Und ich mir imponieren inzwischen beide Figuren sowohl Henriette als auch Franz. Ich denke mal Franz merkt schon, dass er für sie jetzt nicht die große Liebe ist.

    Beim Franz bin ich mir noch nicht so ganz sicher, bei Henriette auf jeden Fall :write . Dafür, daß sie relativ unbedarft in das alles hineingeraten ist, schlägt sie sich sehr gut, und lernt auch dazu. Das wird sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vermutlich auch noch brauchen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Danke, Rumpelstilzchen, dass Du meinen Kommentar in den richtigen Abschnitt gebracht hast. :bluemchen


    Wie groß die Verzweiflung sein muss, die einen Menschen in den Selbstmord treibt, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Doch fand ich Rudolfs Wahl von Henriettes Hochzeitstag für seinen Suizid schon recht perfide. Gleichsam als wolle er sie strafen, weil sie sich weigerte, ihn auf diesem letzten Weg zu begleiten. (Falls dies überhaupt möglich ist.)

  • Da Lothar die historische Figur Rudolf von Habsburg in seinem Roman auftreten lässt, ist es gut, zu wissen, dass sein Vater ihn nie gut behandelt hat.

    Das kommt in der Szene auch zum Ausdruck.

    Er muss ein eher zarter, introvertierter Junge gewesen sein, der mit aller Gewalt zum Soldaten gemacht werden sollte.

    Seine Mutter, die berühmte "Sisi" konnte sich erst spät mit einem anderen Erziehungsstil durchsetzen.


    Bestürzend auch, wie akribisch dem Thronfolger nachspioniert wurde und wie dieses Wissen eingesetzt wurde.

    Hut ab vor Franz in der Situation mit seinem Bruder dem Staatsanwalt.

  • Gespenstisch auf andere Art auch, wie nach seinem Selbstmord von den Behörden versucht wurde, Henriette zu beeinflussen oder gar zur Schuldigen zu machen. Da blieb mir fast die Luft weg, als ich das Gespräch mit „Seiner Exzellenz“ gelesen habe. Da wird, losgelöst von den offensichtlichen wie nicht so offensichtlichen Fakten alles so hingedreht, daß es ins Weltbild paßt. Na ja, ist heute vermutlich auch nicht viel anders. Und dem Kaiser darf man natürlich auf keinen Fall die unangenehme Wahrheit sagen. Warum eigentlich nicht? So, wie der sich verhalten hat, wäre das, um künftigen Schaden abzuwenden, sicherlich gut gewesen. Aber was soll’s - das ist lange her und wer weiß, was der Henriette geblüht hätte, hätte sie ihm die Wahrheit gesagt.

    Ein Suizid in der damaligen Zeit konnte zur Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses führen. Der Selbstmord des Kronprinzen war ein Skandal ohnegleichen. Der klägliche Versuch, die Baroness Vetsera aus der Geschichte zu streichen, zeigt das Ausmaß des Dilemmas. Es darf nicht sein, was nicht sein darf!


    Dem Kaiser die Wahrheit zu sagen, denke ich, wäre einem treuen Untertan nicht in den Sinn gekommen. Bei der Kaiserin bin ich mir da nicht so sicher. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihrem Gatten Vorwürfe machte, sei es auch nur durch Blicke oder Distanz. Das schlechte Verhältnis zwischen Vater und Sohn war bekannt. Die unterschiedlichen politischen Auffassungen beider offensichtlich.


    Dass Henriette kniff und seiner Majestät nicht die Wahrheit sagte, hatte für mich in dem Moment etwas mit Mitleid zu tun. Sie sprach mit einem Vater, der gerade seinen Sohn durch einen Suizid verloren hatte. Einen Mann, den die letzten Tage sichtlich altern ließen. Sollte sie ihm bestätigen, was er ohnehin annahm? Denn er spricht es ja direkt an, nachdem sie behauptet hatte, keinen Grund für den Selbstmord zu kennen. "Hat Ihnen mein Sohn vielleicht jemals Mitteilungen darüber gemacht, dass er sich mit mir uneinig gefühlt hat?" (S.134) Sie log, um ihn zu schonen. Ob er ihr glaubte, ist fraglich.


    Eine andere Frage wäre, ob Henriette jemanden über Rudolfs Plan hätte berichten müssen. Aber hielt sie es überhaupt für möglich, dass er diesen verwirklichen würde? Ich denke, eher nicht. Es mag der Weltschmerz sein, von dem die Rede ist, den sie in Rudolfs Anwandlung sah. Wem hätte sie auch davon erzählen können? Wer hätte ihr geglaubt? :gruebel

  • Seine Mutter, die berühmte "Sisi" konnte sich erst spät mit einem anderen Erziehungsstil durchsetzen.

    Ich habe mich schon lange gefragt, wie dann wohl das Verhältnis der Eheleute zueinander war. Vom Elan der Jugend dürfte nicht mehr viel übrig geblieben sein.




    Bestürzend auch, wie akribisch dem Thronfolger nachspioniert wurde und wie dieses Wissen eingesetzt wurde.

    Hut ab vor Franz in der Situation mit seinem Bruder dem Staatsanwalt.

    :write Metternich läßt grüßen, wie auch die Kapitelüberschrift "Die Tradition Metternich" nahelegt.



    Ein Suizid in der damaligen Zeit konnte zur Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses führen.

    Das ist nach meiner Kenntnis genau genommen auch heute noch so.


    Ich habe Henriette in der ganzen Situation bewundert. Sie mußte ja mit ihrem eigenen "Seelenleiden" fertig werden, wurde mit erheblichen Drohungen von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt, und war dann zur Audienz beim Kaiser, der sie genau das fragte, was sie nie sagen sollte. An so einer Situation zerbricht man entweder oder geht gestärkt daraus hervor. Ich vermute Letzteres.


    Die Frage, ob sie jemandem etwas hätte erzählen sollen/müssen, habe ich mir auch gestellt. Allerdings ohne zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen.


    Wem hätte sie auch davon erzählen können? Wer hätte ihr geglaubt?

    Genau, das ist der Punkt. Sie wäre doch zu niemandem vorgelassen worden. Und wenn, hätte man ihr nicht geglaubt und es ihr eher noch zum Nachteil (üble Nachrede oder was weiß ich) ausgelegt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich denke auch, es hätte für sie üble Folgen gehabt, wenn sie jemandem von den Plänen Rudolfs berichtet hätte.


    Übrigens hat schon Maria Theresia nicht nur das ganze Land mit Spitzeln und Informanten durchsetzt, sondern auch allen ihren Kindern, wenn sie den kaiserlichen Hof verließen, "Spione" mitgegeben, die über Tun und Lassen insbesondere der Töchter berichteten.

  • Ich bin zwar erst bei Kapitel 6 angelangt, muss aber mal loswerden, dass ich die Szene mit dem Kronprinzen sehr beeindruckend fand.


    Auch wie Ernst Lothar bei der Hochzeit mit den Perspektiven der Anwesenden arbeitet, ist sehr gelungen.

  • Ich sehe schon, dass Kronprinz Rudolf hier nicht sehr viel Verständnis findet. Er mag egozentrisch, rücksichtslos und arrogant wirken. Aber was erwartet man von einem Menschen, der in einer völlig lieblosen Umgebung heranwachsen muss? Schon als Kind musste er sich sinnlosen Zwängen unterwerfen. Weder Mutter noch Vater hatten Liebe für ihn übrig - die Staatsräson hatte immer Vorrang. Rudolf war anscheinend ein sehr sensibler, intelligenter, liberal eingestellter Mann - was sich natürlich mit der erzkonservativen Einstellung des Hofes überhaupt nicht vereinbaren ließ. Die Heirat mit Stephanie wurde ihm vom Vater aufgezwungen.

    Für mich war Rudolf ein zutiefst depressiver Mensch, der dringend Hilfe gebraucht hätte. Meine Sympathie hat er bis zu einem gewissen Grad.


    Dass er die Romanfigur Henriette gegenüber zum gemeinsamen Suizid eingeladen hat, passt für mich zu seiner Zerrissenheit und Suche nach Verständnis und Zuneigung. Und Henriette lehnt ja auch ab. Ihr gutes Recht und sehr vernünftig. Nur ein verwirrter Geist kann sich vom Tod ein besseres Leben erwarten.


    Mein Respekt gilt in diesem Abschnitt vor allem Franz Alt. Wie souverän er mit dem Möchtegern-Erpresser umgeht und wie klar er urteilt, das war für mich das Highlight dieses Abschnittes. Er erscheint mir als kluger, rechtschaffener und sehr verständnisvoller Mann.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Alice

    Von Kronprinz Rudolf weiß ich zu wenig, um mir da ein Urteil erlauben zu können. So wie er hier im Buch geschildert wurde, finde ich Deine Beschreibung allerdings schlüssig. Ich denke, er hätte sich gegen seinen Vater und den Hof nie durchsetzen können, zumal ja auch anscheinend ein Verfahren wegen (Hoch-?)Verrats angedacht war.


    Das Aufzwingen der Ehe hätte übrigens einen Ehenichtigkeitsgrund abgeben können. Aber da hätte vermutlich auch der Vater vor dem kirchlichen Gericht aussagen müssen - undenkbar.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")