Herausgeber: Thelem Verlag (28. Oktober 2024)
Taschenbuch: 400 Seiten
ISBN-10: 3959086660
Kurzbeschreibung
Georg flüchtet aus Ostdeutschland – allerdings nicht nach Westen, wohin alle Welt sich auf den Weg macht, sondern in Richtung Osten, nach Warschau, Hauptsache weg! Dort scheint es, als habe die Weltgeschichte nur darauf gewartet, ihn Zeuge ihrer Weichenstellungen werden zu lassen. Während sich Georg selbst vor allem für die polnische Cellostudentin Joanna interessiert, beginnt in Polen der Sommer des Aufbruchs 1980. Ein Glücksfall für Georg und Joanna, wäre da nicht ein Missverständnis, an dem die Weltgeschichte nicht ganz unschuldig ist und das für die beiden immer bedrohlicher wird. Joanna ist ein Roman in 67 Erzählungen, allesamt unter der Oberfläche miteinander verbunden und doch ist jede einzeln lesbar wie eine Geschichte, die Geschichte einer Liebe in Zeiten des Umbruchs.
Autor
Hans-Haiko Seifert wurde 1960 in Dresden geboren, legte das Abitur zusammen mit einem Berufsabschluss ab und nutzte die nächste sich bietende Möglichkeit, ins Ausland zu gehen – zum Studium der Biomedizintechnik in Warschau.
Rezension
Polen 1980, Veränderungen liegen in der Luft und mittendrin Georg. Er ist von Ostdeutschland nicht etwa wie alle anderen Richtung Westen geflohen, sondern macht sich auf nach Osten, nach Warschau. Raus aus der DDR-Tristesse, raus aus dem belehrenden Einheitsbrei. Was ihn dort erwartet, konnte er nicht wissen, Sprachbarrieren, ein heißer Sommer, politische Aufbruchsstimmung, Nudeln mit Erdbeersoße, Eric Clapton aus dem Kassettenrekorder und Joanna.
Hans-Haiko Seifert erzählt in 67 kurzen Episoden, jede wie eine kleine Momentaufnahme. Jede könnte unabhängig gelesen werden. Gemeinsam ergeben sie das große Ganze. Manchmal fühlt sich das an wie Tagebuch, manchmal wie ein Film. Anfangs war ich etwas überfordert, viele Namen, neue Szenen, fremde Begriffe. Aber je weiter ich gelesen habe, desto mehr hat es mich fasziniert.
Georg stolpert eher durchs Leben, versteht anfangs vieles nicht und genau das macht ihn so sympathisch. Seine Unsicherheit, seine anfängliche Naivität wirken echt. Und als er der Cellistin Joanna begegnet, beginnt für ihn eine Suche nach ihr, nach sich selbst, nach Bedeutung.
Die Liebe zwischen Georg und Joanna ist zart, fast flüchtig. Kein übertriebener Kitsch. Nur ein Kuss auf die Wange und dann ist sie weg und Georg auf der Suche nach ihr.
Was mich überzeugt hat, war das Zusammenspiel aus historischer Kulisse und persönlichen Momenten. Warschau 1980 war sicherlich kein einfacher Ort, aber Seifert zeigt die Stadt liebevoll, nah an den Menschen, mitten im politischen Aufruhr. Die kleinen Details machen das Buch stark: die Musik, die Sprache, das Alltagsleben.
Stilistisch schreibt Seifert ruhig, manchmal fast lakonisch, mit einem feinen Gespür für Zwischentöne. Er beschreibt nicht überbordend, sondern setzt gezielt Akzente. Diese zurückhaltende, beinahe unaufgeregte Erzählweise passt perfekt zum Ton des Romans, sie lässt Raum für Interpretation, für eigene Gedanken.
Joanna ist ein feinfühliger, kluger Roman über eine Zeit des Wandels. Eine Geschichte über Aufbruch, Missverständnisse, leise Nähe und über das Suchen nach einem Platz in der Welt. Leseempfehlung.
9/10
Auf meinem Blog findet ihr eine ausführlichere Rezension: https://buchkomet.wordpress.com/2025/08/01/zwi…uch-und-liebe-j...