Andrew Davidson, Gargoyle
Eine Liebe, die die Jahrhunderte überdauert. Wer dabei an eine romantische Schnulze denkt, liegt in diesem Fall so richtig daneben. Romantik lässt Davidson allenfalls in den rückblickenden Erzählungen kurz aufleuchten, in der gnadenlosen Realität der Gegenwart hat sie nichts verloren.
Ein drogensüchtiger Pornodarsteller verursacht einen Autounfall und überlebt mit schwersten Verbrennungen. Während der mehrmonatigen Behandlung seiner Verletzungen, die im Übrigen sehr detailliert beschrieben werden, hat er nur ein Ziel vor Augen: Selbstmord zu begehen, sobald er sich wieder selbständig bewegen kann.
Irgendwann taucht die mysteriöse Marianne Engel an seinem Krankenbett auf und erzählt ihm, dass sie sich schon seit dem Mittelalter kennen und damals ein Liebespaar waren. Die Geschichte, die sie ihm im Laufe vieler Krankenbesuche erzählt, handelt von einer Nonne im 14. Jahrhundert und einem verwundeten Söldner, die schließlich gemeinsam fliehen.
Da sie die einzige Kontaktperson außerhalb des Krankenhauses ist, zieht er schließlich bei ihr ein, als er das Krankenhaus verlassen kann. Marianne arbeitet recht erfolgreich als Bildhauerin von Gargoyle-Statuen. Den Auftrag dazu erhält sie eigenen Angaben zufolge von einer inneren Stimme, die sie „göttlich“ nennt. Eine Zeit lang funktioniert ihrer beider Leben ganz gut, bis sich Marianne so sehr in ihre Bildhauerei hineinsteigert, dass es zunehmend krankhafte Züge annimmt. Sie meint, nicht mehr genug Zeit zu haben, ihr Werk zu vollenden.
Was Andrew Davidson in seinem Debütroman erzählt ist schon irgendwie eine Liebesgeschichte. Es ist auch eine Geschichte über jemanden, der einen neuen Lebenssinn findet, nachdem er alles verloren hat. Beides Beschreibungen, die mich eher von der Lektüre abgehalten hätten, lässt doch beides eine klischeehafte Erzählung befürchten.
Sprachlich bewegt sich Davidson jedoch fern aller Klischees. Die Behandlung von Brandopfern bis ins Detail zu beschreiben, wobei die Haut immer wieder abgeschabt wird und verpflanzte Hautstücke wieder entfernt werden, ist nichts für zarte Gemüter. Andererseits ist z.B. die Beschreibung von Essen so herrlich bildhaft, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Es verdeutlicht auch die sinnliche Bedeutung des Essens für jemanden, dem aufgrund von abgestorbenen Nervenenden nicht mehr viele sinnliche Erlebnisse durch Berührungen möglich sind.
Eine gute Vorstellung seiner Beschreibungskunst bekommt man auch bei der ersten Begegnung des Protagonisten mit Mariannes Agentin Jack: „Klein, aber Napoleon-klein; ein Klein, das sich immer an den eigenen Haaren hochzieht, um größer zu erscheinen. Dick, aber Wasserball-dick, mit Fleisch, das nicht wabbelte, sondern rund war, als suchte es nach einer Stelle zum Explodieren. Alter: Um die fünfzig? Schwer zu sagen, aber wahrscheinlich. Falten hatte sie keine, dafür war ihr Gesicht zu kugelförmig. Stoppelhaare, zuviel Rouge auf den Wangen […]Hände auf den Hüften. Die Augen auf Krawall gebürstet, als forderte sie mich auf, ihr einen Kinnhaken zu verpassen. (S.284)
Vom Aufbau her ist das Buch klar strukturiert: Gegenwartsszenen werden von Marianne Engels Erzählungen aus der Vergangenheit abgelöst und zum Schluß wird beides einigermaßen zusammengeführt.
Nicht ganz erschlossen hat sich mir allerdings der Sinn derjenigen Erzählungen, die nicht in Zusammenhang mit der Nonne/Söldner-Geschichte stehen. Marianne erzählt zwischendurch unter anderem Geschichten über eine unglückliche Liebe in Japan oder einen homosexuellen Isländer. Diese märchenartigen Geschichten sind durchaus interessant zu lesen, aber außer in der „Höllenvision“ des Ich-Erzählers während seines Morphiumentzugs, tauchen die Gestalten dieser Geschichten nicht mehr auf. Oder ist mir der größere Bezug nur nicht aufgefallen?
Trotz dieses kleinen Fragezeichens hat mir das Buch gut gefallen. Vom Titel und von der Covergestaltung her hatte ich zumindest einen kleinen Fantasy-Einschlag erwartet. Den gibt es nicht, was aber auch nicht weiter schlimm ist. Das Buch hat genug anderes zu bieten: Flüssige Erzählweise, teilweise recht originelle Beschreibungen, starke Charaktere und ein paar Geheimnisse.